Interview-Buch: „Medienmenschen“

Medienmenschen sind vor allem anderen erst mal eines: Menschen! Sie wurden wie alle anderen Exemplare der Gattung Homo Sapiens neun Monate im Bauch getragen, laufen auf zwei Beinen, kochen mit Wasser und müssen wie ihre Artgenossen auch irgendwann diese Welt wieder verlassen. Trotzdem interessieren wir uns für sie, sind von ihnen und ihrer Arbeit fasziniert, meinen sie zu kennen, eben weil wir sie tagtäglich im Fernsehen betrachten können oder ihre Worte im Radio hören, ihre Bücher lesen. Aber kennen wir sie wirklich? Kennen wir vielleicht nur das Bild, das die Medien von ihnen produzieren?

26 Studierende des Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg sind unter fachkundiger Anleitung von Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Direktor am erwähnten Institut, und Jens Bergmann, Redakteur beim Wirtschaftsmagazin brand eins, dieser spannenden Frage nachgegangen. Sie führten Interviews mit Persönlichkeiten aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Unterhaltung und Sport. Die Liste ihrer 30 Gesprächspartner ist schon mal beeindruckend, mit dabei sind u.a. Joschka Fischer, Gregor Gysi, Paul Sahner, Roger Willemsen, Verona Pooth.
Wie man sich denken kann, gestaltete sich die Kontaktaufnahme mit den Prominenten nicht immer einfach: „Mancher Versuch scheiterte; so ließen einige Interviewpartner Termine in letzter Minute platzen, verweigerten den Abdruck von Gesprächen oder drohten gar mit dem Anwalt“, wie im Vorwort zu lesen ist. Die Studierenden jedoch blieben hartnäckig, und veröffentlichen mit „Medienmenschen“ ein äußerst lesenswertes Buch.

Die Interviews, ausnahmslos im konfrontativen Stil geführt, was sicherlich auf das eingehende Briefing der Herausgeber zurückzuführen ist, bringen erstaunlich offen ausgesprochene Erkenntnisse der Gesprächspartner zu Tage. So erfahren wir von Ex-Außenminister Joschka Fischer das Geheimnis des politischen „Regentanzes“, den Politiker immer dann für die Öffentlichkeit tanzen sollten, wenn sie eigentlich handlungsunfähig seien: „Das Schlimmste wäre, wenn eine Regierung in einer Krisensituation sagen würde: „Wir können im Moment leider nichts machen, liebes Volk.“ Wer es als Politiker nicht schaffe, „vor der Welle der öffentlichen Aufmerksamkeit zu schwimmen, sondern in die Welle hineingerät, wird verschlungen“, so Fischer. Die Frage, in welchen Situationen seiner Karriere er selbst diesen „Regentanz“ bewusst getanzt habe, wird leider nicht gestellt, was nicht heißt, dass die jungen Studenten ihre Gesprächspartner geschont hätten.
Das Interview mit Michel Friedmann kann dabei sicherlich als eines der Highlights in „Medienmenschen“ gesehen werden. So wird Friedmann gefragt, warum er nach seiner Koks- und Prostituierten-Affäre auf einer Pressekonferenz jenen emotionalen Seelen-Striptease begangen hätte und ob seine öffentliche Liebeserklärung an seine spätere Frau Bärbel Schäfer, überhaupt noch authentisch gewesen sei. Michel Friedmann muss sich verteidigen und rechtfertigen, wie einst seine Gesprächspartner vor ihm, dem „inquisitorischen Kämpfer für die gerechte Sache.“ Wer er nun aber wirklich ist werden wir auch nach diesem Interview nicht erfahren. „Wir reden heute eine Stunde, und Sie erfahren eigentlich nichts von mir.“, sagt er, um auf die Frage nach der Kunstfigur Michel Friedmann hinterher zu schicken: „Mit dieser Kunstfigur kann ich gelegentlich spielerisch umgehen und denke mir dann. „Die glauben wirklich, mich zu durchschauen. Lächerlich“ Die wichtige Frage, ob er auch in diesem Moment zu seiner „Kunstfigur“ greift, wird nicht gestellt. Jeder Leser muss sie selbst für sich beantworten.

In „Medienmenschen“ haben wir es mit vielen Kunstfiguren zu tun, doch im Laufe der Lektüre dieses Buches wird einem bewusst, dass diejenigen, die wir so oft über die roten Teppiche der Wichtig-Events laufen sehen, letztendlich doch nur Rädchen in einem großen Mediensystem sind, das sie, so mächtig sie auch sein mögen, doch nicht anhalten können. Von Anouschka Renzi erfahren wir beispielsweise, dass sie viele Interviews nur gibt aus Angst „vor einer (späteren) falschen Darstellung der Gegebenheiten“. Sie hat also bewusst dem medialen Druck nachgegeben und sich auf das Spiel mit den Medien eingelassen. Sie nahm an der RTL-Show „In Teufels Küche“ teil und brach nach wenigen Tagen körperlich und seelisch erschöpft die Show ab – 16 Stunden Küchenarbeit bei 40 Grad Hitze waren dann doch ein zu hoher Preis für die gewünschte Aufmerksamkeit. „Auch das habe ich wegen des Geldes getan. Warum auch sonst?“ gesteht sie heute.
Die Quintessenz könnte also lauten: Für mediale bzw. öffentliche Aufmerksamkeit muss jeder Promi seine ganz persönlichen Opfer bringen, oder wie der Sänger Kim Frank es kürzlich in einem Gespräch mit Planet Interview ausdrückte: „Du kannst dem nicht ständig aus dem Weg gehen. Und auf der anderen Seite wollen wir fucking nochmal dass ganz viele Leute diese verdammte Platte hören. Und wenn dafür in der „Bild“-Zeitung steht, dass ich Steuerschulden habe, dann ist das halt der Preis den ich dafür zahlen muss.“

Auch wenn die Monothematik die Lektüre an vielen Stellen in die Länge zieht und der permanent konfrontative Fragestil manchmal auch etwas lehrbuchhaft wirkt, ist „Medienmenschen“ insgesamt gesehen ein wichtiges und mutiges Buch, dass einen Blick hinter die Kulissen der Inszenierungsgesellschaft wagt und die Macher und Gemachten dieser Teil-Gesellschaft zur Rede stellt. Daher ist dieses Buch nicht nur empfehlenswert für Studenten, Schüler und andere Medienmenschen, sondern kann und sollte auch von Menschen gelesen werden, die bisher keinerlei Vorwissen im Bereich der Medienwissenschaft haben.

„Medienmenschen – Wie man Wirklichkeit inszeniert“ ist im Solibro-Verlag Münster erschienen, hat 344 Seiten und kostet 19,80 Euro.

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