Interview-Buch: Studs meets Music
Studs, das ist der amerikanische Journalist, Schriftsteller und Radiomoderator Louis „Studs“ Terkel, heute bereits 94 Jahre alt. Der hat sich in den USA vor allem durch Interviews einen Namen gemacht, die er für verschiedene Radiosendungen und fürs Fernsehen führte. Darunter waren nicht nur Gespräche mit prominenten Künstlern und Musikern, sondern auch Interviews mit ‚normalen’ Menschen, die er zu ihrem Alltag, zur Geschichte des Landes oder zu Themen wie Leben und Tod befragte. Für sein Buch „The Good War“ (dt. Titel: Der gute Krieg) in dem er Interviews mit Zeitzeugen des 2. Weltkriegs versammelte, erhielt Terkel 1984 den begehrten Pulitzer-Preis (mehr zu Terkel im englischen Wikipedia-Eintrag und auf seiner Homepage).
Inzwischen sind mehrere seiner Interview-Bücher auf Deutsch erschienen, darunter „Gespräche um Leben und Tod“, „Die Hoffnung stirbt zuletzt – Politisches Engagement in schwieriger Zeit“ und „Giganten des Jazz“.
Mit “Studs meets Music” kommt nun also ein weiteres hinzu. Schaut man ins Inhaltsverzeichnis, entdeckt man dort jede Menge prominente Musiker aus Klassik, Jazz, Blues, Folk und Rock: von Louis Armstrong, Mahalia Jackson über Aaron Copland und Alfred Brendel bis hin zu Bob Dylan, Big Bill Broonzy und Janis Joplin. Und wenn man dazu im Klappentext von Terkels „brillanter Fragetechnik“ liest, hat man entsprechend hohe Erwartungen an das Buch. Doch erfüllen sich diese Erwartungen bei der Lektüre dann nur teilweise.
Zum einen, weil Terkel in vielen der hier abgedruckten Interviews nur äußerst wenig Fragen stellt, oft erzählen die Musiker seitenweise, ohne dass Terkel sie mit einer Frage unterbrechen würde. Im 9-seitigen ‚Gespräch’ mit dem indischen Musiker Ravi Shankar zählt man gerade mal zwei Einwürfe Terkels, beim Jazz-Trompeter Dizzy Gillespie oder beim Folk-Sänger Pete Seeger hält sich Terkel sogar komplett raus. Schade ist auch, dass Terkel den Leser nur in den wenigsten Fällen über die genauen Umstände eines Interviews informiert, oft erhält man nur eine Jahreszahl zur Orientierung.
Thematisch ist diese Sammlung von Musiker-O-Tönen schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Zwar berichten fast alle Musiker ein Stückweit über ihre Biografie, ihren Werdegang als Musiker, doch dann wird es meistens sehr speziell. Besonders im ersten Teil des Buches, in dem Terkel Opernsänger- und Sängerinnen wie Tito Gobbi, Birgit Nilsson und Elisabeth Schwarzkopf vorstellt, geht es um Fragen zu Opernrepertoire und bestimmten Opernrollen – ein Leser, der sich in der Welt der Oper nicht besonders gut auskennt, wird damit nicht viel anfangen können.
Aber es ist ohnehin die Frage, welcher Leser sich gleichermaßen für einen Dirigenten wie den Österreicher Josef Krips und den amerikanischen Folk-Sänger Woody Guthrie interessiert. Das weiß auch Terkel: „Der Inhalt ist seinem Wesen nach exzentrisch“, schreibt er im Vorwort. „Es gab keine festgelegten Auswahlkriterien und jüngere Leser werden viele Namen gar nicht kennen. Die aufgenommenen Künstler sind auch nicht unbedingt meine Lieblingskünstler, sie haben mich im Moment des Schreibens einfach am meisten fasziniert.“
Natürlich gibt es eine ganze Reihe toller Interview-Passagen in diesem Buch, auch wenn es Terkel einem nicht immer leicht macht, sie zu finden. Highlights sind dabei sicherlich die Gespräche mit Alfred Brendel, Bob Dylan, Janis Joplin und Leonard Bernstein.
Letzterer spricht an einer Stelle z.B. über die Musikindustrie: „Der Rock ist heute eines der am höchsten industrialisierten Unternehmen seit U.S. Steel geworden. Beinahe so groß wie Kokain, die Plattenindustrie.“ Aufschlussreich sind auch Bernsteins Äußerungen zu Parallelen zwischen einem Mozart’schen Singspiel und einem Broadway-Musical und zur Musikentwicklung in Amerika: „Wie würde die amerikanische Musik oder Kultur aussehen, wenn es hier keine Schwarzen gäbe?“
Ebenso interessant ist es, wenn Terkel die Blues-Sängerin Janis Joplin mit einem Zitat konfrontiert, nach dem Weiße keinen Blues singen könnten. Joplin: „Selbst eine Hausfrau aus Nebraska kann den Blues singen. Jeder kann den Blues singen. Also, ich weiß nicht, ob sie ihn tatsächlich singen können, aber fühlen können ihn alle. Jeder hat Gefühle in sich. Es ist bloß die Gabe, sie in Musik umzusetzen. (…) Jeder hat das, man muss bloß wissen, was man damit anfängt. Entweder unterdrückt man es, oder man benutzt es. Irgendwie. Ich fühle mich nach dem Singen besser, yeah.“
Für solch lebendige Zeitdokumente lohnt es sich auf jeden Fall, einen Blick in das Buch zu werfen, zumal alle hier versammelten Texte aus den Jahren 1959 bis 2002 in keinem Internet-Archiv zu finden sind.
„Studs meets Music“ hat 237 Seiten und ist im Verlag Antje Kunstmann erschienen.