Interview mit einem Kannibalen…

Meiwes hatte in Kannibalismus-Foren im Internet nach Opfern gesucht und schließlich einen Ingenieur aus Berlin gefunden, den er erst bei vollem Bewusstsein entmannte, dann ‚schlachtete’ usw. Für die Boulevard-Medien war das ganze damals ein gefundenes Fressen, aufgrund der massiven Berichterstattung dürfte Meiwes heute zu den weltweit bekanntesten Deutschen gehören, man könnte auch sagen: Er ist zu einer Art Popstar des Kannibalismus geworden.

Einer seiner ‚Fans’ ist der Journalist Günter Stampf, der den zu lebenslanger Haft verurteilten Meiwes drei Mal zum Interview getroffen hat, in der JVA Kassel bzw. der JVA Weiterstadt. Die Interviews hat er zum einen fürs Fernsehen aufbereitet und zum anderen nun in Buchform vorgelegt.

Auf insgesamt 368 Seiten breitet er den Fall Meiwes aus, wobei er zu den Interview-Passagen noch Polizeiberichte, Prozessakten, Gutachten, Zeugenvernehmungen und Chat-Protokolle hinzufügt. Auch hat er Bekannte von Meiwes aufgespürt und befragt, er hat den Tatort besucht, ja er hat sich sogar Ausschnitte der Videoaufzeichnung angeschaut, die Meiwes von seiner Tat gemacht hat.

Wer sich also über den Kannibalen von Rotenburg informieren will, findet in diesem Buch so ziemlich alles, sei es der erste Zungenkuss des jungen Meiwes oder die Marke der Videokamera, mit welcher der Kannibale seine grausame Tat filmte. Meiwes Leben, sein Umfeld, seine Biographie werden dokumentiert und analysiert, durch die Interviews erfährt der Leser es meist alles aus erster Hand. Und obwohl Stampf immer wieder schreibt, wie schlimm und ekelhaft er das alles findet, erspart er dem Leser keine noch so große Unappetitlichkeit.

Was er dem Leser auch nicht erspart ist sein missionarischer Eifer. Jedes Kapitel endet mit einem Bibelzitat, und irgendwann im Verlauf des Buches ist Stampf davon überzeugt, dass es tatsächlich „Gottes Wille“ war, dass er dieses Buch veröffentlicht. Und natürlich darf die Gretchenfrage auch im Gespräch mit dem Kannibalen nicht fehlen. Wobei sich herausstellt, dass Meiwes auch irgendwie gläubig ist, Gott als die Macht sieht „die alles, was im Universum ist, steuert und lenkt.“ Skurril wird es allerdings, als Stampf den Kannibalen fragt, ob er beim Lesen der Bibel „irgendetwas falsch verstanden“ habe. Meiwes antwortet, er habe die Worte, die Jesus beim Abendmahl gesprochen hat, „vermutlich zu wörtlich genommen: ‚Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird’. Ich habe das im Prinzip so umgesetzt, mit jedem Bissen Fleisch von Bernd, wird er ein Teil von mir und die Erinnerung an ihn wird dadurch viel stärker und intensiver.“

Alles in allem muss man für die Lektüre also ganz schön abgebrüht sein, Splatterfilme sind nichts dagegen. Auch weil das, was Stampf hier penibel genau dokumentiert, eben nicht Fiktion ist sondern Realität.

Andererseits muss man sich fragen: Wer will überhaupt Passagen lesen wie: „Ich habe den Penis durchgeschnitten und er hat in eine Penishälfte reingebissen, aber sie war zu zäh.“? Oder „Ich stach ihn in die linke Halsseite, bis das Messer auf der anderen Seite wieder austrat“ oder „Das Steak von Bernd war jedoch relativ zäh, so dass ich das Fleisch (…) vor dem Genuss noch durch den Fleischwolf gedreht habe.“ Wem ist mit solchen Zeilen gedient?

Die ganzen Widerlichkeiten nicht zu veröffentlichen, hätte sicher auch sein Gutes gehabt. Schließlich macht es Sinn, dass Hinrichtungen hierzulande nicht im Fernsehen gezeigt werden und Al-Qaida-Köpfungs-Videos nicht in Videotheken vertrieben werden.

Doch Stampf schlachtet den Kannibalen-Fall bis auf die letzten kleinen Innereien aus, dokumentarisch genau, aber geschmacklos ohne Ende. Das vermeintlich gutgemeinte Interesse Stampfs an Aufklärung und Abschreckung weicht einer Sensationsgier, er bohrt immer weiter, um noch mehr grausame Details aus Armin Meiwes herauszuschaben. Und er gibt damit, ob nun gewollt oder ungewollt, der Kannibalen-Szene (dessen Größe er in Deutschland mit 10.000 Menschen in Internet-Foren beziffert) eine Art Lehrbuch in die Hand, nach dem Motto: So kann’s gehen.

Stampf werkelt also am Popstar-Status von Armin Meiwes kräftig mit. Und als quasi alleiniger Verwalter der Meiwes-Tantiemen wird er davon wahrscheinlich auch gut profitieren:

Das Buch wird, laut Stampf’s Homepage u.a. in den USA, in Polen, Griechenland, Brasilien, Frankreich, Schweden, Japan und Großbritannien veröffentlicht und auch die TV-Dokumentation wird in insgesamt 16 Ländern die Kassen klingeln lassen.

Wer sich über das Buch hinaus für Stampfs Arbeit interessiert findet dazu einige Informationen auf seiner Homepage, weiterhin gibt es einen interessanten Eintrag bei BILDblog.

Günter Stampf: „Interview mit einem Kannibalen“ ist erschienen im Seeliger Verlag, hat 368 Seiten und kostet 19,90 Euro.

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