RKI zur Ermittlung der Todesfälle bei Covid-19

Hier eine Abschrift zweier Fragen beim Pressebriefing des Robert Koch-Instituts vom 07.04.2020.

Inhaltlich geht es um Zählung der Todesfälle, die durch das Corona-Virus verursacht werden, vor dem Hintergrund folgender Berichte:

tagesschau.de berichtet über ein Thesenpapier (PDF), in dem mehrere Gesundheitsexperten Kritik an der Krisenpolitik der Bundesregierung üben; die Experten sind u.a. der Auffassung, dass die vom RKI übermittelten Zahlen zur Sterberate (Case Fatality Rate) „das Problem überschätzen und nicht valide interpretiert werden können“.

t-online berichtet, dass Hamburg die Todesfälle anders zählt als das RKI: „Bei Sterbefällen mit positivem Test auf das Coronavirus kommen (in Hamburg) die Leichen in die Rechtsmedizin, um der Todesursache nachzugehen: War es Covid-19?“

Frage (NDR/WDR): Mehrere ehemalige Mitglieder des Sachverständigenrats des Gesundheitswesens haben kritisiert, dass die vom RKI übermittelte Case Fatality Rate das Problem derzeit überschätzt. Wie bewerten Sie das?

Lothar Wieler: Ich gehe eher davon aus, dass wir es unterschätzen.
Wir berechnen ja ganz simpel, die Zahl der offiziell amtlich gemeldeten (Covid19-Fälle), und darunter die Zahl der Verstorbenen. Das ist ja ein einfacher Dreisatz, den kann jeder zuhause nachrechnen. Die Zahlen sind stimmig, sie beruhen aber ausschließlich auf den Meldezahlen.
Wir gehen eigentlich davon aus – das hängt auch damit zusammen, was wir in anderen Ländern sehen – dass wir eher mehr Fälle haben von Covid-19. Das ist eine Einschätzung die wir treffen, weil wir viel Erfahrung haben auch mit anderen Krankheiten, die bei uns gemeldet werden. Aber das ist eben nicht eine Letalität. Das ist wichtig: Die Zahl derjenigen, die wirklich verstorben sein wird, die werden wir in einigen Monaten nachberechnen können und dann können wir uns über all das unterhalten.
Aber der entscheidende Punkt – da ist es mir nicht so wichtig, dass wir eine reine Zahl in der Hand haben – der entscheidende Punkt ist, dass wir genügend Betten im Krankenhaussystem haben und die Epidemie so stark verlangsamen können, dass wir alle Menschen noch behandeln können. Das ist ein entscheidender Parameter. Und den schauen wir uns täglich an, durch das Intensivregister. Da möchte ich nochmal alle Krankenhäuser aufrufen, dass sie sich dort anmelden, das ist eine freiwillige Meldung nach wie vor. Damit wir wirklich die Kapazitäten sehen, denn wir brauchen eine Menge von Indikatoren, wenn wir dann seriell die Maßnahmen vielleicht aufheben, um zu sehen, wie viel Fälle wir haben werden.

Frage (PI): In Hamburg untersuchen Rechtsmediziner Verstorbene daraufhin ob sie „durch“ oder „mit“ dem Corona-Virus gestorben sind. Halten Sie für die Verstorbenen-Statistik und auch für uns Journalisten diese Unterscheidung für sinnvoll?

Wieler: Das ist ein akademischer Standard, den kennen wir seit Jahrzehnten. Es ist oft so, bei Verstorbenen, die an Infektionskrankheiten verstorben sind, zum Beispiel ist es oft so, dass sie dann im Obduktionsmaterial das Virus, das infektiöse Agens gar nicht mehr nachweisen können. Es wird ja dann oft darüber gestritten, ob sie an einer Sepsis verstorben sind oder an einer direkten Folge des Virus. Ich verstehe diese Diskussion, finde sie akademisch auch sehr wichtig und ich kann nur sagen, dass jede Gruppe bestimmte Annahmen hat. Das ist in dem Fall für die Bewertung für unsere Infektionsdynamik nicht von so hoher Bedeutung.
Was für mich wichtig ist an den Obduktionen: Woran sind die Menschen verstorben? Wir haben ja bezüglich Covid-19 noch gar nicht so viel Wissen. Wir wissen noch gar nicht, woran zum Beispiel jüngere Menschen sterben. Ist das ausschließlich ein Immunsystem, das überreagiert? Oder – was zuletzt häufiger genannt wird – sind Herzmuskelentzündungen, und damit Rhythmusstörungen, die teilweise zum Tod der Patienten führen. Da ist es natürlich nicht immer einfach festzustellen, was jetzt genau das auslösende Agens war. Aber das sind Daten, die dann auf Dauer epidemiologisch erfasst werden. Wir werden nach dieser Krise, nach dieser Epidemie sehr viel genauer sagen können, was das Sars- CoV2-Virus wirklich initiiert hat, und wo die Reaktion des Körpers zum Tode beigetragen hat. Das sind Daten, die wir brauchen, darum ist es sehr wichtig, dass dort Obduktionen durchgeführt werden.

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