Virologin Karin Mölling zu Influenza-Vergleich, Herdenimmunisierung, UV-Licht und Co-Faktoren der Pandemie

Die Virologin Karin Mölling hat sich schriftlich gegenüber Planet Interview zu den folgenden Aspekten der Corona-Pandemie geäußert:

Prof. Dr. Karin Mölling über…

…Unterschiede zwischen Influenza und SARS-CoV-2

Die Sterberate von Influenza im Vergleich zu SARS ist noch immer unklar, bei Influenza etwa 0.1% bei CoVID schwankt die Zahl 0.5% bis 3-4%, aber die bezieht sich auf die gemeldeten infizierten Fälle und da ist eine hohe Unsicherheit, die durchaus einen Faktor 10 ausmachen kann. Es gibt Infizierte, die nichts von einer Erkrankung merken. Erstaunlich dazu ist die in NYC genannte Zahl, dass 20% der New Yorker Antikörper haben. Das hieße, dass viel mehr Menschen infiziert waren, als bisher angenommen und bereits Antikörper haben. Man weiß nicht genau, ob die Antikörper der saisonalen Corona-Viren mit dem neuen Test kreuzreagieren, also nicht alle auf Cov-2 zurückgehen. Die Zahl ist wichtig, weil die Antikörper vielleicht schützen.

Es ist erstaunlich, dass wir auch in diesem Winter nichts über die Influenza-Fälle erfahren haben. Immerhin haben 4.3 Mio Deutsche deswegen einen Arzt aufgesucht diesen Winter. Von 177.000 diagnostizierten Fällen wurden 16% hospitalisiert also etwa 25.000, und 400 Todesfälle gemeldet. Diesen Vergleich würde man doch gerne mitgeteilt bekommen.

Die Influenza, die 2018 in Deutschland aufgetreten ist, belief sich auf 25.000 Todesfälle und ging ohne große Aufmerksamkeit vorüber, auch die Leiterin der Krankenkassen Vereinigung erklärte neulich im Ärzteblatt, man hätte 60.000 Betten zusätzlich gebraucht 2018, und das gut geschafft.

Neu ist, dass die Schwerkranken mit Covid-19 Luftnot oder Erstickungsangst aufweisen, was so bei Influenza nicht auftritt. Man muss sie beatmen. Die schwerste Form ist die Intubation mit künstlicher Beatmung im Koma, da sind Patienten oft tagelang angeschlossen – oft können sie sich davon sehr schwer erholen, weil die Atmungsmuskulatur dabei schnell atrophiert. Etwa 25% dieser Fälle überleben das nicht. Dieses Stadium gab es nicht bei Influenza.

... Einsatz von UV-Licht

UV-Licht hat jedes Labor und das empfehle ich unbedingt, um Oberflächen zu dekontaminieren. So tötet man in den Hochsicherheitslabors die Viren, dabei geht das genetische Material zugrunde. An Kassen auf Tischen, an Tresen von Restaurants oder für die Masken und Schals statt Waschmaschine! – Aber es gibt solche Lampen nicht…Sie müssen auch gewartet werden, sie verbrauchen sich. Wäre eine Geschäftsidee, das weiß wirklich jeder Virologe. Außerdem ist ja Sonnenlicht UV-reich und steigert unser Immunsystem . Außerdem ist draußen eine Infektionsgefahr mit Viren geringer, mein Motto ist: „die Sonne tötet, und die Luft verdünnt“.
Neulich fragte Trump, ob man mit UV-Licht auch Infizierte behandeln könne. In einem Bräunungscenter hinlegen?– Nein, das geht natürlich nicht.

… Herdenimmunisierung in Flüchtlingslagern

Das Wort Herdenimmunisierung wird so oft missverstanden, da geht es nicht um Anweisung, damit sich die Leute bewusst anstecken. Nein, so nicht. Diese umfassende Immunisierung muss ja auch bei uns kommen, die Hochrechnung lautet 66% der Menschen müssen immunisiert sein durch Ansteckung oder Impfung. Die Ansteckung von jungen Leuten ist keine so große Gefahr, denn die werden mit der Krankheit schneller fertig. Die Gefahr besteht für die alten.
In den Lagern oder in Kairo gibt es keinen Kontaktschutz, keine Distanz, keine Hygiene mit Wasser und Seife. Da bleibt nur Mundschutz. Die Leute sind oft jung und könnten darum ohne schwere Krankheiten Immunität aufbauen. Das gilt überall in der Dritten Welt – das ist vielleicht sogar eine Hoffnung. Wenn so eine hohe „Durchseuchung“ zu vielen Antikörper-tragenden Gesunden führt, wären da wohl auch keine weiteren Wellen zu erwarten, die bei uns so gefürchtet sind, nach dem Muster der Influenza von 1918, als es drei Wellen gab und die zweite war die schlimmste. Ich erwarte, dass das Virus im nächsten Winter wieder auftaucht.
Was man in den Lagern, in Afrika und Südamerika nicht weiß, ist, wie sehr andere Erkrankungen eine Rolle spielen, TBC, HIV, AIDS, Malaria.

Opportunismus der Viren

Viren suchen sich günstige Gelegenheiten aus, das nennen wir in der Wissenschaft Opportunismus. Kurze Wege, viele Wirte, gute Chancen zur Vermehrung, nur darum geht es: die Vermehrung!
Das geschieht in den Metropolen, dort wo die Bevölkerungsdichte hoch ist, in Wuhan, auch in der Lombardei, die man das China Europas nennen könnte, und in New York. Wir reagieren ja genau auf diesen Opportunismus des Virus, indem wir ihm die Wege abschneiden, durch Ausgangssperre etc. Dazu gehört auch die Abriegelung des Fernverkehrs und das Verbot von Großveranstaltungen. Lange Wege oder – Abriegelung sagen dazu die Virologen seit 100 Jahren. Die kam leider oft zu spät!

… Co-Faktoren beim Entstehen einer Pandemie

Damit meine ich nicht nur die Vorerkrankungen von Patienten, die bei Älteren ja höher sind als bei Jüngeren. Die Epidemien haben verschiedene lokale Ausbrüche durchlaufen. Deshalb ist der Ruf nach einheitlichen Verhaltensregeln nicht besonders sinnvoll. Kofaktoren dabei sind nach meiner Meinung die Luftverschmutzung. Ich war vor zwei Jahren in Peking, da gab es Luftverschmutzungen, die einen nicht aus dem Hotel gehen ließen und alle Leute husten, der sogenannte „peking cough“. Das bedeutet sicher Lungenschädigungen. Das gilt auch für die Lombardei und eventuell New York. Auch im Iran und vielleicht sogar in Nordrhein-Westfalen mit den Staublungen der ehemaligen Bergarbeiter.
In den USA sehe ich einen anderen Kofaktor, die Übergewichtigkeit und Untrainiertheit vieler Leute, oft als Folge von Diabetes Typ2, fast 40% der Leute sind übergewichtig und leider eben oft die ‚lower income people‘.
Alle anderen Kofaktoren sind ja bekannt, Krankenversorgung etc. Aber der Anfang einer Epidemie spielt eine große Rolle: geht es los wie bei uns mit einem Fall in München oder 40.000 Zuschauern in einem Fußballstadion und vielen unerkannten Infizierten, wo viele engen Kontakt haben, da fliegen doch die Tröpfchen mit den Viren in hohen Konzentrationen herum, durch Sprechen, Rufen, Singen. Das sind Überträger bei allen respiratorischen Erkrankungen. Darüber dürften Politiker eigentlich nicht erstaunt sein!
Es wurde uns immer Italien als Schreckensszenario vorgeführt als – doch dort gab es andere Bedingungen.
Die besondere Situation in China sind auch die riesigen Hochhäuser, dicht nebeneinander mit 20 oder 30 Stockwerken, zigtausenden Menschen nebeneinander. Man hat die Türen zugeschweißt. Das ist anders als bei uns. Viele haben diese Ausgangssperre China vielleicht nachgemacht, ohne dieselbe Notwendigkeit. Zum Glück war die in Deutschland nicht so streng.

… die Frage: War die Reaktion der Politik verhältnismäßig?

Es ist so vieles unbekannt, die Entscheidungen sind eine Ermessensfrage gewesen. Zum Glück und vernünftigerweise gab es keine Ausgangssperre. Die Glaubenskriege um den Mundschutz fand ich unangemessen. Jeder Mundschutz ist besser als keiner. Und wenn es keine gibt, sollte man sie eben nähen. Dass das Gesundheitsministerium bekannt gibt, es verhandle um Vliess und im August gäbe es dann wohl Masken – das verschlug mir die Sprache. Masken helfen, aber natürlich ist wieder nichts 100% ! Und besonders sogar beim Sprechen, in den Verkehrsmitteln, wo man keinen Abstand halten kann, das brauchen wir.

Auch Thermofühler sind kleingeredet worden. Zu Unrecht wie ich meine, 80% der Erkrankungen gehen mit Fieber einher. Überall gibt es falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse, auch bei den neuen Schnelltesten. Sie sind trotzdem besser als nichts! Und die Kinder wurden als so hoch ansteckend beschrieben, das hat sich nicht bestätigt!

Auch die Angst vor der zweiten Welle ist eine Ermessensfrage, keiner weiß ja, ob, wann und wie die kommt. Kann man da nicht mal etwas abwarten? Da gibt es Vergleiche mit der Influenza von 1918. Nur so können sich die Wissenschaftler ja behelfen, durch Analogien. Und Politiker haben einen Eid geleistet, die Menschen zu schützen und entscheiden dann eher konservativ. Doch da gibt es Güter-Abwägungen. Zum Glück wird jetzt die Leopoldina mit einbezogen, es gibt ja dringende andere Probleme – nicht nur virologische! – wie die Wirtschaft und ethische. Das wurde dringend, die Entscheidungen auf breitere Füße zu stellen..

… den Titel ihres Buches „Viren – Die Supermacht des Lebens“

Die Viren sind nicht primär Krankheitskeime sondern sie sind die Antreiber der Evolution, sie liefern Innovation bis hinein in unser Erbgut. Sie sind viel länger auf unserer Erde und wir bilden mit ihnen ein gemeinsames Ökosystem. Das kann aus der Balance geraten – meistens durch unsere Schuld.

Vielleicht brauchen wir die Viren sogar bald, um uns zu retten – vor den multiresistenten Krankenhauskeimen – das nächste große Problem. Da brauchen wir die Viren von Bakterien.

Viren nutzen opportunistischen Situationen, viele Wirte auf einem Haufen, also hohe Bevölkerungsdichten und unsere Reisetätigkeiten. Das sind die beiden wichtigsten Parameter. Beides wurde ja reduziert – und je eher um so besser. Und doch sind das unsere liebsten Gewohnheiten. Wollen und können wir das ändern? Die Krankheiten sind menschengemacht. Wir zahlen einen hohen Preis für die vielen schönen billigen Flugreisen und Reisen in so schöne Städte wie Venedig oder New York. Das Ende des Wachstums wird uns beschäftigen.

[Das Buch „Viren – Die Supermacht des Lebens“  erscheint Mitte Mai mit einem neuen Kapitel über SARS-Crorona Viren und einem neuen Titel im C.H. Beck Verlag.]

Ein Kommentar zu “Virologin Karin Mölling zu Influenza-Vergleich, Herdenimmunisierung, UV-Licht und Co-Faktoren der Pandemie”

  1. Rehmer Jürgen |

    Das Buch von Frau Mölling ist nicht so einfach wie ein IKEA Katalog, aber es lohnt sich, wenn man es sich zutraut und weiß, dass es nur für Normalos die Sicht der Dinge erläutert. Ein lesenswertes Buch von einer tollen Frau.

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