Zumindest unsere Fragen würden wir gerne behalten
Auch wenn ich es inzwischen leid bin, möchte ich hier ein weiteres Mal etwas zur viel diskutierten Praxis der Autorisierung aufschreiben.
Es ist bei uns in der Vergangenheit hin und wieder vorgekommen, dass Interview-Partner bei der Autorisierung eines Interviews komplette Antworten gestrichen haben. Dinge, die sie uns beim Gespräch erzählt haben, dann aber doch nicht geäußert haben wollten, zumindest nicht in der Öffentlichkeit – und so flogen sie ersatzlos raus. Wir haben das dann dementsprechend für den Leser kenntlich gemacht, was vor allem mit Folgendem zu tun hat: Wir wollen uns unsere Fragen nicht streichen lassen. Wir investieren viel Zeit in unsere Interviews, in die Vorbereitung und Recherche und später natürlich auch in die Verschriftlichung. Wir geben uns Mühe, Fragen zu stellen, die nicht schon 1000 Mal gestellt wurden. Und natürlich versuchen wir auch kritisch zu sein und da, wo es aus unserer Sicht notwendig ist, kritische Fragen zu stellen.
Doch eben weil es immer wieder passiert, dass Interview-Partner ganze Passagen, die sie eben noch ins Diktiergerät sprachen, kurze Zeit später komplett widerrufen, haben wir daraus für uns Konsequenz gezogen – wir beginnen jedes Interview mit folgender Bitte an den Interview-Partner: „Bitte erzählen Sie uns nur das, was Sie uns erzählen möchten.“ Klingt idiotisch, ist aber notwendig. Wobei selbst diese Bitte nicht ausschließt, dass der Interview-Partner im Nachhinein komplette Passagen streicht. Wir bitten auch nach dem Interview, wenn wir es zum Gegenlesen schicken, dass keine Antwort komplett gestrichen wird. (Zur Sicherheit sei angemerkt: Wenn ein Interview-Partner beim Gespräch klar zum Ausdruck bringt, dass bestimmte Äußerungen „off the record“ sind, verschriftlichen wir diese erst gar nicht).
Im aktuellen Fall hat all das aber wieder nichts genützt. Bereits vor dem Interview mit Haftbefehl teilte ich seiner Agentur mit, dass wir es fair finden, wenn bei der Autorisierung keine Antworten komplett gestrichen werden. Zu Beginn des Interviews machte ich Haftbefehl dann deutlich, dass ich mit ihm ein Interview führe und seine Antworten verwenden möchte. Nach unserem Gespräch fragte ich dann auch noch, ob meine Fragen für ihn in Ordnung waren – was er bejahte.
Doch dann kam das verschriftlichte Interview in der freigegebenen Fassung zurück – sieben Antworten fehlen komplett.
Als ich daraufhin seiner Agentur mitteilte, dass wir uns zumindest unsere Fragen nicht streichen lassen und sie dementsprechend im Interview veröffentlichen würden, kam prompt die Nachricht von Haftbefehls Plattenfirma: In dem Fall würde das Interview komplett nicht freigegeben. Damit ist uns die Veröffentlichung jener Fragen, deren Antworten Haftbefehl nachträglich gestrichen hat, quasi untersagt. Deswegen ist das Interview nun auch ohne diese Fragen erschienen.
Warum ich das nicht gänzlich unkommentiert lassen will, hat mehrere Gründe:
– Zunächst gibt es Äußerungen von Haftbefehls Manager, sein Künstler sei „ein authentischer Künstler“ oder auch „ein Original“. In diesem Sinne fände ich es korrekt, wenn seine Fans ihn auch im Original-Ton (O-Ton) zu lesen bekämen.
– Eine der kritischen (und nun gestrichenen) Fragen bezog sich auf die Tatsache, dass Haftbefehl und seine Crew für den Dreh eines Videos, mit dem er sein neues Album bewirbt, nach eigenen Angaben „Junkies am Bahnhof Geld gegeben“ haben, um sie beim Crackrauchen zu filmen (vgl. Interview in „Juice“ No 163, S.29). Kranke Menschen auf diese Weise für einen Werbeclip zu benutzen finde ich zumindest – im wahrsten Wortsinn – fragwürdig. Denn wenn man so etwas nicht hinterfragt, geht die Plattenfirma beim nächsten Mal womöglich noch einen Schritt weiter. Dann werden vielleicht als Nächstes Kinder bezahlt, damit sie sich für einen Werbeclip auf dem Schulhof blutig prügeln o.ä. (klingt sehr weit hergeholt, ich weiß, vielleicht aber doch nicht so weit, wenn man sich anschaut, dass in zwei Haftbefehl–Videos offenbar ein Frankfurter Türsteher mitwirkt, der 2011 einen Partygast totgeprügelt hat).
– Und schließlich ist es für mich mangelnde Aufrichtigkeit, wenn man kritische Interviewfragen im Gespräch zwar beantwortet, im Nachhinein aber dem Interviewer untersagt, diese Fragen zu publizieren.
Wie schon erwähnt: Wir erwarten lediglich, dass uns die Gesprächspartner im Interview nur das erzählen, was sie uns erzählen wollen. Nicht mehr und nicht weniger.