Maren Kroymann

Ich finde es angenehm, politisch unterschätzt zu werden.

Maren Kroymann über ihre Sozialisierung, bedeutungslose Satire, ihren 60. Geburtstag und warum sich Politiker durch den Kakao ziehen lassen sollten

Maren Kroymann

© Constantin Film Verleih GmbH

Frau Kroymann, Sie sind im Schwabenland aufgewachsen. Wie hat Sie das geprägt?
Kroymann: Ich hatte eine wunderbare, wohlbehütete Kindheit. Allerdings wuchs ich als Kind Berliner Eltern in Schwaben auf, so war ein bi-kultureller Ansatz gegeben. Übrigens auch eine gewisse Zweisprachigkeit… Dadurch, dass meine Eltern Berlin sehr liebten, entstand ein anderer Blick auf dieses kleine, manchmal auch enge und eng denkende Schwaben, wo trotz der universitären Offenheit in Tübingen doch eine gewisse Spießigkeit und eine religiös inspirierte Engherzigkeit da war, was zum Beispiel Toleranz angeht. Dennoch betrachte ich Schwaben als meine Heimat…

…die Sie aber eines Tages hinter sich gelassen haben.
Kroymann: Bei mir war es so, dass in Tübingen immer schon alle mit einem meiner vier Brüder in der Klasse oder bei der Tanzstunde waren. Ich musste weggehen von diesem „Beobachtet-sein“. Nicht weil Tübingen schrecklich war, sondern weil die Familie so übermächtig wirkte. Ich war die Jüngste und hatte immer jemanden über mir, der alles schon besser konnte. Ich habe mir erst spät klargemacht, dass ich in einer Rolle steckte, die ich mir anzog, wie einen Schuh. Für mich war irrsinnig wichtig, endlich die Erste zu sein und die Initiative zu ergreifen.

Wie sah diese Initiative aus?
Kroymann: Mein Jahr nach dem Abitur verbrachte ich in den USA an einem amerikanischen Frauen-College, was eine nicht hoch genug einzuschätzende Befreiung für mich war. Ich konnte meine Rolle verlassen und mich dort selber zurechtfinden. Etwas später ging ich nach Paris und dann kam ich nach Berlin.

Wie haben Sie die 68er-Bewegung erlebt?
Kroymann: Nach dem Jahr in den USA begann ich in Tübingen zu studieren, wo es Basis-Gruppen und alles Mögliche gab. Da ich aber vorher davon nichts mitbekommen hatte, spürte ich Berührungsängste. Das war überhaupt nicht mein Ding. Ich war bildungsbürgerlich unpolitisch, nicht rechts, aber ich dachte einfach nicht darüber nach.

Wie verbrachten Sie Ihre Tage seinerzeit?
Kroymann: Ich freute mich vielmehr über meine ersten Rollen am Theater in Tübingen. Statt im Kapital-Kurs war ich im Zimmertheater. Dieses Künstlerische war mir wichtiger. Die Studentenbewegung erreichte mich erst 1970, als ich mit einem Stipendium nach Paris ging, wo ich andere, viel politisiertere, deutsche Stipendiaten kennen lernte. Marx, die Feuerbach-Thesen, Hanns Eisler, Literatur- und Kultur-Theorien – all das lernte ich erst dort kennen. Dort sprengten wir Vorlesungen, was in Frankreich völlig unüblich war, weil dort die Erziehung recht autoritär und anti-psychologisch gestaltet wird. Frontal-Unterricht, Auswendiglernen und wieder aufschreiben war dort – wie auch heute noch – üblich. Wir aber kannten aus der Erfahrung der beiden Jahre auch ein anderes Studium, eine andere Kultur der Auseinandersetzung an der Uni – selbst ich hatte das mitgekriegt. Aus dieser Erfahrung heraus, die unheimlich viel in mir auslöste, wusste ich: Innerhalb Deutschlands kann es nur Berlin sein, das ist weit weg von Zuhause und dort spielte sich die Studentenbewegung hauptsächlich ab.

Hat die Zeit in Paris die brave Schwäbin in eine Sozialistin verwandelt?
Kroymann: Da passierte etwas in Paris – und nicht nur durch die deutschen Studenten. Schließlich waren dort noch zwanzig Jahre nach dem Krieg die Kommunisten die Partei mit den meisten Stimmen. Proteste und Demonstrationen wie zum 1.Mai kannte ich aus Tübingen so nicht. Das riesige Volksfest in Paris am 1. Mai 1971 – zum hundertsten Jahrestag der Pariser Commune – war eine Offenbarung für mich: Da war es möglich links zu sein, zu tanzen und zu singen, Spaß am Leben zu haben. Zum Beispiel beeindruckte mich zutiefst eine Gewerkschaftsgruppe der Folies Bergère, die als Transvestiten demonstrierten.

Wo Sie gerade vom Kommunismus sprechen – Sie haben im gleichen Jahr Geburtstag wie die BRD. Können Sie sich eine andere Staatsform vorstellen?
Kroymann: Schwierig. In der DDR war das nicht so doll, wenn man das nun von außen analysiert. Auch wenn ich damals im Eisler-Chor und in der studentischen Organisation „ADSen“ war, der Aktionsgemeinschaft von Demokraten und Sozialisten. Das waren Bündnis-Organisationen, was mir sehr wichtig war. Ich wollte nicht bei den Kommunisten oder eben einer Partei landen, sondern in einem Bündnis. Das entsprach mir und entspricht mir auch heute noch.

Eine außerparlamentarische Opposition?
Kroymann: Nicht nur. Ich bin zum Beispiel für Rot-Grün als Bündnis, nicht so sehr für eine Partei. Das entspricht dem, was ich denke, wo ich auch den besten Beitrag liefern kann. Ich betrachte sympathisierend von außerhalb und bringe mich bei bestimmten Themen ein, wo immer es gerade sinnvoll ist.

Und eine andere Staatsform halten Sie nicht für möglich?
Kroymann: Ich finde die Demokratie funktioniert relativ gut bei uns. Die öffentliche Auseinandersetzung mit den Themen, die von der Presse mit den Bürgern zusammen verarbeitet werden – darüber bin ich froh. Wenn man das mit islamischen oder anderen Ländern vergleicht, sieht man, wie viel unsere Demokratie wert ist.

Zitiert

Die TV-Satiriker sehen sich nicht mehr als Menschen mit Haltung, sondern als Profis, die Quote bringen wollen.

Maren Kroymann

Was schätzen Sie an der Demokratie?
Kroymann: Die freie Entwicklung und etwas Grund-Liberales, auch wenn ich die FDP nie wählen würde. Wenigstens solange sie so ist, wie mit Westerwelle. Wobei zum Beispiel Leutheusser-Schnarrenberger für mich ein anderer Planet als Westerwelle ist. Gewisse liberale Grundsätze – auch bei den Linken – finde ich wichtig. Es ist mir immer noch unwohl dabei, wenn ich mir klarmache, wie wenig wir Linken von damals bisher verarbeitet haben, wie autoritätshörig wir gegenüber anderen Regimes waren, egal ob Maoisten, Sowjetunion oder DDR. Die Thesen dort hatte man gut zu finden. Das widersprach allem anti-autoritären Aufbegehren. Rückblickend hätte ich lieber meine Sponti-Elemente ausgelebt.

Trotz der relativen Zufriedenheit. Was kann eine Kabarettistin im Vorfeld einer Bundestagswahl ausrichten?
Kroymann: Kabarett mache ich in der Form nicht mehr aktiv. Eher ein Entertainment-Programm mit subversiven Aspekten. Das ist mir lieber als ein Programm, das der Form nach Kabarett ist, aber niemandem einen unerwarteten Gedanken zumutet. Ich finde es im Übrigen ganz angenehm aufgrund des Genres politisch unterschätzt zu werden. Damit kann man arbeiten.

Und was könnten Kabarettisten anders machen?
Kroymann: Ich würde weniger einzelne Politiker angreifen, sondern mehr kritisieren, wie die Meinungsbildung heute funktioniert – wie in meiner TV-Sendung „Nachtschwester Kroymann“. Bisher konnte man den Eindruck haben, es funktioniere ganz gut, man darf im Prinzip seine Meinung sagen. Ich finde es aber schade, dass es sehr viel weniger Satire gibt, die wehtut. Dafür mehr Comedy, was schön für Sat1, RTL und Pro7 ist, die mehr Zuschauer haben. Vielleicht wird in Deutschland sogar tatsächlich mehr gelacht – aber es traut sich kaum noch wer, satirisch anzuecken. Dabei ist Satire ein wichtiger Bestandteil der Demokratie.

Warum genau?
Kroymann: Es steht einer Demokratie sehr gut, wenn sich die mächtigsten Politiker, die reichsten Menschen und die bekanntesten Showstars durch den Kakao ziehen lassen. Wenn die das dulden, vielleicht sogar darüber lachen, wenn es aber in jedem Fall gefördert wird. Prägende Personen, also nicht nur Politiker, sondern die, die im Fernsehen sind, müssen verarscht werden. Egal ob durch Parodien oder durch analytisches Herangehen, wie das Dieter Hildebrandt oder Gerhard Polt machen. Der klar satirische Ansatz, der ein Thema aufspießt und eine harte Wahrheit sagt, ist eher unbeliebt.

Worin sehen Sie die Gründe dafür?
Kroymann: Das hängt damit zusammen, dass im Fernsehen niemand böse Briefe bekommen möchte. Die wollen es allen recht machen, Hauptsache viele Leute gucken zu. Sie wollen keine Werbekunden verprellen. Daher verkommt diese Satire-Qualität, die wir in Deutschland übrigens nicht nur in den 20er und 30er Jahren hatten, mit einem Tucholsky, einem Kästner, einem Alfred Kerr, all den kritischen Geistern. Das ging verloren zugunsten eines relativ beliebigen Comedy-Humors. Das finde ich sehr schade.

Aber wie könnte der Satire wieder mehr Bedeutung zukommen?
Kroymann: Gerade die Parteien, die sich als links verstehen, müssten mehr darauf achten, dass sie ordentlich verarscht werden können. Man braucht keine Popstars und Seriendarsteller als Unterstützer, sondern Intelligente, die sich exponieren und den Mut haben, sich auch auf Kosten der Karriere unbeliebt zu machen. Die herrschende Klasse – damit meine ich ausdrücklich nicht nur Politiker – müsste das würdigen, dann gäbe es auch mehr Menschen, die sich was trauen würden. Es ist selten geworden, dass Leute Anstößiges sagen. Der Humor des Bildungsbürgertums, das sich nicht bei Mario Barth wiederfindet, geht mehr in Richtung intelligente Lebenshilfe, wie bei Eckart von Hirschhausen, statt in Richtung bitterböser Erkenntnis.

Also Konsens statt Konfrontation?
Kroymann: Eher Wellness. Geistige Wellness. Alle wollen Ayurveda und sich Wohlfühlen. Lebenshilfe mit ein bisschen Bildung, gut formuliert. In der Fernseh-Satire findet ein Wechsel statt, hin zu dem, was weniger Ärger macht. Das begrenzt die Weltsicht. Die sehen sich nicht mehr als Menschen mit Haltung, sondern als Profis, die Quote bringen wollen.

Wie beurteilen Sie Marcel Reich-Ranickis Kulturkritik?
Kroymann: Er hat übers Fernsehen geschimpft. Ich empfand das aber nicht als besonders politische Kritik. Für mich war das relativ altbackene Bildungsbürgerkritik, die sagt: Ihr seid mir nicht intelligent genug. Am Fernsehen lässt sich sicher viel aussetzen, man kann das aber differenzierter machen. Gerade Marcel Reich-Ranicki ist keine Person, die für das analytische Denken steht. Er hat im „Literarischen Quartett“ deshalb so viele bildungswillige Menschen begeistert, weil er eine Lesehilfe war und bewertungsfreudig ist, weil er sagt: Das ist gut oder das ist schlecht. Die Leute liebten ihn auch dafür, wie er Sigrid Löffler fertig machte und Hellmuth Karasek über den Mund fuhr. Im Grunde ist Marcel Reich-Ranicki eine Art Rollenvorbild für Dieter Bohlen in „Deutschland sucht den Superstar“, wo er das für die so genannten bildungsfernen Schichten praktiziert. Dieter Bohlen sagt, du kannst überhaupt nicht singen oder du bist Scheiße und du bist gut. Beide sind begnadete Fernseh-Entertainer, Dieter Bohlen und Marcel Reich-Ranicki, insofern hat er den Fernsehpreis für sein Lebenswerk, den er erst nicht haben wollte, absolut verdient.

Sie werden 60 und stehen dazu. Ist das Ihre Pflicht als Feministin?
Kroymann: Ich sehe das nicht als Pflicht – keiner und keine muss irgendwas. Aber das Publikum, das einem beim Älterwerden zuguckt, würde doch stutzig, wenn man plötzlich bei einem Alter stehen bliebe. Ich habe Programme über die 50er Jahre gemacht, da müssen die Leute wissen, dass ich ´49 geboren bin, sonst hätte ich das nicht erleben können. Ich stehe zu meinem Alter und verändere es auch nicht, vielleicht mal abgesehen von schönen Cremes.

Gefällt Ihnen denn die Bezeichnung als Feministin?
Kroymann: Ich empfinde das nicht als Schimpfwort und ich habe schon immer gesagt, ich bin eine. Das Land hat den Feministinnen sehr viel zu verdanken, einzelnen Frauen, die sich getraut haben auf den Putz zu hauen.

In Ihrem aktuellen Film der Komödie „Maria, ihm schmeckt´s nicht“ prallen die deutsche und die italienische Kultur in Form von unzähligen Klischees aufeinander. Welches typisch deutsche Klischee entdecken Sie in sich wieder?
Kroymann: Diese Ordentlichkeit – trotz meiner „Aufräumschwäche“. Wir können Bürokratie besser. Ich entdecke, dass ich das sehr schätze. Wir neigen dazu Laissez-faire, Herzlichkeit und Sinnlichkeit in den mediterranen Ländern toll zu finden. Aber: Fangen die mit Bürokratie an, ist das zehnmal schlimmer als bei uns. Bei uns ist die Bürokratie relativ gut verankert, über die sich schön lästern lässt, über die es tausend Parodien gibt. Es gibt sie in entwickelter Form, mitsamt der Kritik daran. Dort gibt es Kritik daran nur rudimentär. Das ist ein bestehendes Klischee, zu dem ich stehe. Ich möchte lieber in die Mühlen der deutschen Bürokratie geraten, als in die italienische.

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