2raumwohnung

Wir sind kein Badezusatz.

Inga Humpe und Tommi Eckart von 2raumwohnung über Pop ohne Altersgrenze, Wohlfühlmusik, einfältiges Radio, Musik in der Werbung und dass Berlin-Mitte viel besser ist als sein Ruf

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© Olaf Blecker / EMI

Inga, Tommi, könnt ihr am Anfang erzählen, wie eure Songs entstehen, von wem geht ein Song aus?
Humpe: Da gibt es alle Möglichkeiten. Zum Beispiel kommt erst mal der Text, oder erst mal ein Beat, oder nachts im Schlaf küsst einen die Muse…
Eckart: … oder man verabredet sich mit jemandem und sagt: Wir machen was zusammen. So wie wir uns mit Ulf und Peter von Rosenstolz verabredet haben. Die haben wir im Urlaub heimgesucht und mit ihnen was geschrieben.

Und das klappt dann auf Anhieb?
Humpe: Ja, das war erstaunlich. Weil ganz oft klappt es auch nicht. Aber mit Ulf und Peter hat es bei beiden Liedern geklappt, das war praktisch nicht zu wiederholen.

Braucht ihr dafür eine besondere Atmosphäre oder Umgebung?
Humpe: Man stellt ganz bewusst eine Situation her, die möglichst druckfrei ist. Während wir dran gearbeitet haben, haben wir uns gesagt: Ist doch egal, was dabei rauskommt.

Woran merkt man, dass ein Song gelungen ist?
Humpe: Man merkt es beim Machen, dass eine bestimmte Aufregung entsteht. Und dann hört man es später, am nächsten Tag… Und wenn es dann immer noch gut ist und einem immer noch gefällt, dann spielt man es anderen vor. Und wenn es einem dann noch immer gefällt, wenn man’s anderen vorspielt, dann weiß man, dass es wahrscheinlich ganz gut ist.

Bleiben viele Stücke auf der Strecke?
Eckart: Ja. Das waren diesmal auch relativ viele, weil wir lange Zeit zum Arbeiten hatten. Und wir wollten diesmal das Gewicht vor allem auf das Songschreiben legen. Weil wir dachten: Wenn erst mal die Songs alle richtig gut sind, dann ist das ein Fundament. Je besser ein Song ist, desto besser funktioniert auch alles andere danach.
Dann gab es auch Stücke, wo irgendwie nichts draus wurde, wo man jedes Mal wieder einen neuen Versuch macht, dann hat man es drei oder fünf Mal versucht und es kommt immer noch nichts dabei raus…
Humpe: Wir behandeln die Stücke dann zum Teil wie Schüler: die werden einfach nicht versetzt.

Habt ihr den Sound von 2raumwohnung im Verlauf der Jahre und der fünf Alben bewusst verändert? Oder macht ihr einfach, was euch gerade passt?
Humpe: Das ist so eine Mischung. Wir machen schon das, wo wir denken, dass es gerade interessante Musik ist. Aber wir gehen auch über unsere eigenen Grenzen hinaus. Zum Beispiel die Popgrenze ist bei „36 Grad“ glaube ich ein bisschen erweitert worden. Wir haben gemerkt, dass auf einem Album ein Techno-Track, ein Jazz-Song und ein Poplied zusammen gehen können.

Ist Pop heute auch etwas für Erwachsene?
Humpe: Es gibt sicher Leute, die denken, man hört mit 30 keine Popmusik mehr. Man hört dann nur noch den Kram, den man von früher so mit sich rumschleppt. Es gibt ja viele Leute, die immer noch Phil Collins hören und Radiosender, die das spielen.
Ich denke aber, wenn man in einer bestimmen Weise offen bleibt, dann bleiben Musik und Kunst und Filme immer interessant für einen – das liegt glaube ich an den Leuten selbst.
Eckart: Popmusik hat früher einen anderen Status gehabt, Pop hatte eine größere gesellschaftliche Bedeutung als Jugendkultur. Die Kleinen gegen die Eltern – und dafür musste dann auch ein Sound her. So was gibt es natürlich immer noch. Wenn kleine Jungs jetzt zu Hause Sido auflegen, dann macht das denen natürlich auch Spaß, die Eltern dadurch zu provozieren. Nur wird es heute wahrscheinlich immer öfter so sein, dass Vati sich die Sido-Scheibe kopiert und selber hört.
Humpe: Ich habe neulich mit einer 16-jährigen gesprochen und sie gefragt, was sie denn so für Musik hört. Da meinte sie „Siouxsie and the Banshees“. Und ich dachte, die muss doch eigentlich was völlig anderes hören. „Siouxsie and the Banshees“ – das ist doch die Musik ihrer Eltern.
Ich habe aber auch, als ich 13 war so Jazz-Sachen gehört, 40er-Jahre-Musik. Das ist vielleicht das Zeichen der Jugend, dass überhaupt so ein großes Interesse da ist, an allen möglichen Sachen: Kultur, Mode…

Aber die Älteren, sind die heute offener als früher, toleranter?
Humpe: Ich weiß nicht, ob die Leute wirklich toleranter sind. Vielleicht nur eine bestimme Gruppe. Ich glaube, die Leute, die unsere Musik hören, sind eh recht offen. Das sind Leute aus allen Altersgruppen, von 8 bis 80…

Kommt euer Publikum nicht vor allem aus der Club-Szene?
Humpe: Schon lange nicht mehr. Bei unseren Konzerten – und das sind ja ganz normale Konzerte abends um acht – da tummelt sich alles.

Aber der Bezug zur Clubmusik ist auch auf dem Album „36 Grad“ deutlich hörbar. Ist Techno etwas, was jung hält?
Humpe: Kommt drauf an, wie lang man ausgeht (lacht). Es gibt durchaus Leute in der Szene, die schnell altern. Und ich fühle mich gerade auch nicht so jung.

Warum?
Humpe: Weil ich müde bin.

Wovon?
Humpe: Vom viel los sein. Vielleicht auch, weil ich merke, dass sich was verändert. Ich habe die Endlichkeit meiner Energie gespürt. Das ist jetzt vielleicht schon relativ spät, das überhaupt mal zu spüren. Ich war letztes Jahr nicht gut drauf, weil ich zu viel gearbeitet habe. Da ging es mir einfach nicht gut. Ich habe geheult, wusste nicht warum … Ich habe gefühlt, dass nicht Energie ohne Ende da ist. Aber ich bin gerade wildentschlossen, meine Energieform wieder komplett zu erneuern.

Zitiert

Wenn kleine Jungs jetzt zu Hause Sido auflegen, dann macht das denen natürlich auch Spaß, die Eltern dadurch zu provozieren.

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Mit Musik? Oder gibt es da noch andere Sachen…
Humpe: Tausende. Ich glaube, man kann seine Energie immer wieder mit allem möglichen erneuern. Auf jeden Fall mit einer gewissen Präsenz und Aufnahmefähigkeit, mit einer Offenheit. Nicht so viel rumplanen, nicht zu viel grübeln… Und natürlich, wenn man etwas macht, woran man Freude hat, woran auch anderen Freude haben, dann ist das ja etwas, was zumindest nicht frustriert. Ich setze Alter auch ein bisschen mit Frustration auf ein Level.

In meiner Wahrnehmung wart ihr immer eine total junge Band…
Humpe: Ja, bei uns kann man das mit dem Alter nicht so richtig anwenden, man kann uns nicht so richtig einordnen.

Zumindest ein Text wie „Lalala – Ich liebe dich, heißt I love you“ vom aktuellen Album, klingt nicht gerade erwachsen.
Humpe: Also, der Text ist nicht von mir sondern von dem Daniel Barth. Aber ich finde den super, der hat schon seine Frechheit, da steckt etwas unheimlich Trotziges und Freches drin, was mir unheimlich gut gefällt. Auf eine ganz charmante Art, zu sagen: „Ich singe lalala, das Glück ist so nah…“ – das darf nicht jeder. Ich darf das zum Glück.
Wobei ich selber nicht in der Lage wäre, so einen Text zu schreiben. Dafür habe ich noch zu sehr so eine Mischung aus Lehrerin und Sekretärin in mir sitzen, die mir das verbieten würde.

Es gab vor zwei Jahren einen Zeitungsartikel über euch, der war überschrieben mit „Neue Deutsche Wellness“. Könnt ihr mit dem Wortspiel etwas anfangen?
Humpe: Find ich ok. Vielleicht hat derjenige das geschrieben, weil Wellness gerade in war. Aber es hat auch ein bisschen etwas Abfälliges. Das klingt nach Musik, die in einem Massageraum aus so einem kleinen Lautsprecher kommt.

Macht ihr Wohlfühlmusik?
Humpe: Weiß ich nicht. Das hat auch etwas leicht Abfälliges: „Wohlfühlmusik“ – wir sind ja kein Handtuch, und auch kein Badezusatz.
Ich glaube, unsere Musik ist eine energetische Musik. Eher eine Aromatherapie. Naja, mir ist das ehrlich gesagt wurscht, sollen die Leute unsere Musik nennen, wie sie wollen. Hauptsache es tut ihnen gut, sie können etwas damit anfangen und es passiert irgendwas. Es geht eigentlich nur darum, das etwas hin- und hergeht. Das ist ja das Interessante am Musikmachen: Man sendet etwas raus und dann kommt irgendwann eine Welle zurück, eine Wand von Reaktionen.
Eckart: Bei unseren Live-Konzerten sieht man das. Oder auch im Internet, wir haben neulich so eine lustige Version von „Ich und Elaine“ auf Youtube gesehen. Das hat jemand den Song gesamplet und eine neue Version draus gemacht, dazu singen dann zwei Mädels im Schlafzimmer, haben die Textzeilen verändert – das sind so Verselbständigungsaktionen.
Humpe: Ja, unglaublich, die haben sich das Lied so zu eigen gemacht. Das ist toll, wenn man das sieht.

Als wir euch vor zwei Jahren bereits interviewten, habt ihr von eurer Wohnung in Berlin-Mitte erzählt. Fühlt ihr euch immer noch wohl in Mitte?
Humpe: Wir müssen Berlin-Mitte mittlerweile ja regelrecht verteidigen. Die ganze Zeit wird da draufgekackt – um es mal deutlich zu sagen. Alle beschweren sich über zu viele Touristen, den einen ist es zu chic, die anderen stören die dicken Autos, die Wohnungen sind alle renoviert… Natürlich ist es teurer geworden, die Galerien verkaufen jetzt auch alle besser als früher – aber es ist immer noch ein unheimlich schönes Viertel. In Paris oder in London würde jeder dieses Viertel lieben. Aber dann muss man jetzt eben mal eine Weile darüber meckern…

Hat eure Musik etwas mit Berlin-Mitte zu tun?
Humpe: Ja, ich glaube unsere Musik hat immer noch viel mit diesem Teil der Stadt zu tun. Wir hören die Musik ja auch hier, es gibt nun mal extrem viele Bars und Clubs hier. Und von der ersten bis zur letzten Platte werden unsere Sachen dort auch immer wieder gespielt.

Genießt ihr das, ins Cafe zu kommen, eure Musik zu hören…
Humpe: Natürlich. Wir kennen aber mittlerweile auch fast alle Leute hier. Und ich freue mich, dass dann gleichzeitig Charlotte Gainsbourg gespielt wird, oder Air. Musik, die in den Charts gar nicht so vorkommt, aber die hier in diesem Umfeld wirklich genossen wird. Also, ich bin mit Mitte komplett zufrieden.
Eckart: Mitte ist ja auch der Stadtteil ist, wo West und Ost am meisten aufeinandergeprallt sind, wo vielleicht auch so eine Durchmischung stattgefunden hat. Sicherlich gibt es das auch im Prenzlauer Berg und in Friedrichshain. Aber nehmen wir Kreuzberg oder Charlottenburg, da wohnen dann doch weniger aus dem Osten als in Mitte. Der unterschiedliche kulturelle und geschichtliche Background, der hier zusammenkommt, der erzeugt etwas Neues. Das ist wirklich das Leben nach der friedlichen Revolution, so würde ich Lebensgefühl hier beschreiben.
Humpe: Und die Leute stellen sich wirklich dar, das finde ich klasse. Da wird irgendein komischer Laden angemietet, die Möbel aus dem Keller geholt und da reingestellt, dann gibt es dort zum Beispiel nur Waffeln, und auch nur um 7 Uhr, und dann auch nur drei Stück. In dem Laden arbeiten aber wahnsinnig hübsche Mädchen, dann kannst du alles, was da rumsteht auch noch kaufen – so was finde ich klasse. Die Leute stellen sich so dar, wie sie sind, schaffen ihre eigene Welt und sagen: Bitteschön, das machen wir für euch!

Das ist der kreative Teil Mitte. Aber viele meiden den Stadtteil aufgrund der Oberflächlichkeit, der Schickeria…
Humpe: Ja, natürlich, die ganzen Werber sind auch alle hier. Aber die sind auch in Kreuzberg und die sind weiß Gott auch in Charlottenburg.
Eckart: Inga, du willst damit sagen, dass Berlin-Mitte nicht der einzige Stadtteil ist, in dem Latte Macchiato getrunken wird? (lautes Lachen)
Humpe: Und ich meine, Werber sind in München oder Hamburg noch in einer viel größeren Stückzahl vorhanden. Ich will jetzt aber gar nicht so auf die Werber abkotzen. Weil gerade die Werber, muss man sagen, waren in unserem Fall immer deutlich interessierter und haben uns immer unheimlich gefördert. Die fanden unsere Musik immer toll.

Habt ihr euch mal gefragt, warum eure Musik für Werber so interessant ist?
Humpe: Ich glaube, weil sie eben keine Mainstream-Musik ist. Das klingt ja nicht wie irgendwas anderes. Das hat schon eine Individualität.
Eckart: Und das wird gerade von Werbern gesucht und vom Radio nicht. Das Radio will ja, dass das alles gleichförmig klingt. Bei RadioEins oder Fritz ist das noch was anderes, aber wenn du mal so über die Lande fährst und Radio hörst … Es geht darum, dass die Leute bei der Werbung hinhören sollen. Und die Musik soll keinen Umschaltreflex auslösen, sie soll nicht an irgendeiner Stelle polarisieren. Da ist es dann auch mit der deutschen Sprache schwierig, da ist zu viel Beat schwierig und es wird schwierig, wenn ein Song nicht schon seit Monaten in den Charts ist. Da wird im Radio nichts Neues angeschoben.
Und das ist in der Werbebranche oft anders, die suchen natürlich was Auffälliges, etwas Neues, was einen Wiedererkennungswert hat.
Humpe: Bei uns spielt da auch das Lebensgefühl in der Musik eine Rolle, eine gewisse Emotionalität. Wir sind immer ein bisschen frech, ohne dass es jetzt gleich wahnsinnig weh tut.

Nun gibt es Musiker wie zum Beispiel Matthew Herbert, die ihre Musik prinzipiell nicht für Werbung zur Verfügung stellen. Wenn man jetzt 2raumwohnung in einer Werbung für eine Bank hört…
Humpe: Für eine Bank haben wir nicht….

Ihr habt euren Song "Zwei Von Millionen von Sternen“ freigegeben für einen Werbespot einer Bank.
Humpe: Ach so, ja, die Hypo-Vereinsbank, das war völlig ok.
Eckart: Also, das kann man auch kritisch sehen. Bei einer Bank würde ich es mittlerweile auch fast schon diskutieren.
Humpe: Man muss sich dann immer wieder damit beschäftigen. Das fordert eine Auseinandersetzung in der man eine eigene Haltung dazu findet. Und dann kann man auch sagen: Ja oder Nein.

Inwiefern spielt bei dieser Auseinandersetzung die eigene Vergangenheit eine Rolle? Bei dir Inga mit der Neuen Deutschen Welle, mit den alten Bands Neonbabies, DÖF…
Humpe: Ich habe keine moralische Verbindung zu der damaligen Zeit. Das muss man glaube ich immer wieder für sich selbst aktualisieren. Wobei ich früher auch nie einen Stein ins Fenster einer Bank geworfen habe. Ich wollte ja damals gleich die Leute umbringen, als ich zur RAF wollte. (lacht)

Ihr habt am Anfang über Musik gesprochen, die „gerade interessant ist“. Was ist das genau?
Humpe: Interessant ist das, wo man genau hinhört, wo man etwas wirklich nochmal hören will. Das ist interessant. Das ist aber ganz individuell, das kann einem ja keiner vorschreiben.

Und wenn ein Song ein Hit wird, dann haben viele Leute sozusagen die gleiche persönliche Entscheidung getroffen?
Humpe: Genau. Ich glaube, das liegt dann auch ein bisschen in der Luft. Und daran sieht man wieder, dass die Verbundenheit der Leute viel größer ist, als man das denkt.

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