Adam Green

Die Menschen lassen sich von ihren Smartphones hypnotisieren.

Der Musiker, Autor und Filmemacher Adam Green über Smartphones, den Maler Friedensreich Hundertwasser und sein Projekt „Aladdin“, das aus einem Kinofilm, einer Konzerttour und seinem neuen Album besteht, das am 29.April erschienen ist.

Adam Green

© Kelsey Bennett

Adam Green, gegen Ende Ihrer neuen Platte „Aladdin“ verkünden Sie die „No Masterpiece Policy“, also eine Politik die sich gegen das Schaffen von Meisterwerken ausspricht. Ist es Zeit für eine neue Kunstbewegung?
Adam Green: Nein. Wobei ich mit mir selbst da nicht ganz einig bin. Dieses Meisterwerk-Ding war mehr als Witz gedacht, zumindest zur Hälfte… Lassen Sie mich kurz nachdenken…

Mit welchen Ambitionen sind Sie denn an Ihr Projekt „Aladdin“ herangegangen?
Green: Nun, es war auf jeden Fall das bisher ambitionierteste Projekt meines Lebens. Es wurde ziemlich kompliziert, es hat so viele Facetten… Dabei wollte ich einfach ein gutes Album machen und einen guten Film, die miteinander zusammenhängen. Es sollte auch eine Art Community-Projekt werden. Ein paar Freunde haben sich ohne Bezahlung daran beteiligt. Wir wollten gemeinsam ein gigantisches Stück Folk-Kunst erschaffen, wie einen riesigen Patchwork-Teppich, den wir zusammennähen. In dem Sinne fühle ich mich nun eher als kleiner Teil einer großen Gemeinschaft, ich fühlte mich unbedeutender.

Werden Sie Ihr Album Aladdin“ auf Ihren Konzerten als eine Art Musical inszenieren?
Green: Ich habe das Album direkt vor den Dreharbeiten aufgenommen und einige der Lieder wurden zum Soundtrack des Films. Auf der Tournee werde ich meine Musiker und die Leute, die zum Konzert kommen, ermutigen, Kostüme zu tragen. Ich werde einige der Aladdin-Songs spielen, aber nicht das ganze Album, sondern auch viele ältere Songs. Ich mag nicht, wenn die Leute auf Tour gehen und nur ihre neue Platte runternudeln.

Fiel es Ihnen leicht, Teil eines Community-Projekts zu sein? Schließlich sind Sie es gewohnt, als Solokünstler aufzutreten…
Green: Vor allem der Film fühlte sich für mich wie ein Kampf zwischen diesen beiden Seiten an. Auf der eine Seite heißt das Märchen: „Adam Green’s Aladdin.“ Es ist also mein Aladin, es ist wie ein feindlicher Akt, als würde ich Kontrolle über Aladin erlangen wollen. Aber zugleich wurde es im Laufe der Arbeit zu etwas anderem. Man kann letztlich darin sehen, was man will.

In dem Märchen „Aladin und die Wunderlampe“ steckt in der Lampe ein Geist, der die Wünsche seines Besitzers erfüllt. Was sagt Ihnen diese Geschichte?
Green: Als ich begann, mich damit zu beschäftigen, hatte ich das Gefühl, dass die Wünsche der meisten Menschen sehr egozentrisch sind. So wird auf gewisse Weise unsere Welt mit allem möglichen emotionalen Müll gefüllt, für den es eigentlich keinen Platzt mehr gibt. Es geht also nicht nur darum, dass das ganze materielle Zeug, das die Menschen sich wünschen den Planeten verstopft, sondern dass es nicht genug Raum für all unsere Egos gibt.

Szene aus Adam Greens „Aladdin“

Szene aus Adam Greens „Aladdin“ © adamgreensaladdin.vhx.tv


Die Kulissen, in denen Ihr Film „Aladdin“ spielt, besteht vor allem aus Pappmaschee und ist bunt wie ein Kinder-Comic. Wie ist diese Welt entstanden?

Green: Wir starteten die Produktion des Films mit einer Kickstarter-Kampagne. Wir haben von über 500 Unterstützern über 50.000 Dollar bekommen. Damit haben wir ein Lagerhaus gemietet, in dem alles für den Film gebaut werden konnte. Dieses Haus stand am Rand von Brooklyn, 30 Minuten weit weg von der nächsten Bus- oder Bahn-Station. Wir sind da zusammen hingegangen und wenn man erst mal dort war, gab es auch nichts Anderes, was man hätte tun können. Aber man konnte Teil unseres lebendigen Comics werden, entweder, indem man an ihm mitbaute oder später eine Rolle in ihm spielte. Das war eine besondere Erfahrung und viele haben dieses Angebot dankbar angenommen.

Sind Sie wirklich alle zusammen zu Fuß dort hingewandert? Das muss wie eine Parade ausgesehen haben.
Green: Ein bisschen war das auch so. Aber wir hatten einen Kleinbus, der die Leute am Bahnhof abholte. Zunächst waren wir aber nur zu zweit und haben Pappmaschee-Requisiten gebaut. Ich hatte bereits das Drehbuch geschrieben und ein Storyboard gezeichnet, ich wusste also, wie der Film aussehen würde. Ich hatte eine lange Liste von 500 verschiedenen Objekten, die gefertigt werden mussten. Wir brauchten fünf Laptops, so und so viele Teller, eine Gabel und so weiter. Aber wir haben bald gemerkt, dass wir das nicht alleine hinbekommen würden. Also haben wir übers Internet Leute gesucht und viele haben sich gemeldet, sowohl befreundete Musiker, als auch Leute, die schon viel Erfahrung in diesen Dingen hatten, manche studierten gerade an einer Filmschule. Aber es kamen auch gelangweilte Kids, die einfach etwas über den Sommer zu tun haben wollten. Es war eine bunte Mischung von Leuten, so fünf bis zehn pro Tag, die dort an diesen ganzen Objekten gearbeitet haben.

Warum haben Sie sich für diesen speziellen Comic-Stil Ihres Films entschieden?
Green: Mein Aladin befindet sich innerhalb eines Videospiels. Diese Idee, dass ich mich innerhalb eines Videospiels befinde, verfolgt mich seit meinem ersten Smartphone. Ich fühlte mich plötzlich, als ob alle Tasten meines Smartphones, sobald ich auf sie drücke, tatsächliche Auswirkungen auf mein reales Leben haben. Schließlich kam ich mir wie ein Protagonist von „Super Mario“ vor und sah überall Pixel. Ich wollte also diese Art von Bildern, die für klassische Videospiele typisch sind, in mein Kunstwerk integrieren. Und Aladin wurde zu einer halbautobiografischen Figur. Er ist ein Indie-Rock-Sänger, dessen Plattenfirma von einer Frau namens Miss President geleitet wird…

Diese Miss President kommt schon in Ihrem Gedichtband „Magazine“ vor. Ist das eine Sympathiekundgebung für eine mögliche kommende US-Präsidentin namens Hillary Clinton?
Green: Vielleicht (lacht). Wissen Sie, es ist lustig, dass… Ich denke, dass diese Miss President, wie viele andere dieser Charaktere für Aspekte meiner Persönlichkeit stehen. Sie sind alle Äußerungen meines Unterbewusstseins, als würde man in einer Therapie ein Rollenspiel machen und hoffen, dadurch das nächste Level zu erreichen. Der Film formuliert einige meiner Gefühle, die ich den modernen Technologien, der Überproduktion und der Gefahr des Identitätsverlust gegenüber habe. Es geht auch um die Suche nach der wahren Liebe, um all das, was in meinem Leben für mich über ein Jahr lang Thema war. Ich habe mich sozusagen selbst in eine mythologische Figur verwandelt.

Das klingt aber doch weniger nach einer Gemeinschaftsarbeit, eher nach einem künstlerischen Ego-Trip…
Green: Ich würde es eher eine sehr persönliche Arbeit nennen. Ich versuche, sie so zugänglich wie möglich zu machen, aber ich erwarte nicht, dass sie zu einer universalen Erfahrung für die Leute wird. Ich folge lediglich meinem Instinkt, die Leute zu unterhalten, ich will sie nicht langweilen und versuchte deshalb auch, die Geschichte von Aladin so klar wie möglich erzählen.

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Aladins Wunderlampe ist bei mir ein 3D-Drucker, die Prinzessin ist wie eine der Kardashian-Töchter.

Adam Green

Sie transformieren damit ein arabisches Märchen, dessen Überlieferungsgeschichte in der syrischen Stadt Aleppo beginnt, in eine westlich geprägte Fantasiewelt. Es ist kein schlechter Zeitpunkt, die Welt daran zu erinnern, dass Syrien nicht nur für den derzeitigen Krieg steht…
Green: Ja. Wissen Sie, es ist lustig, dass… Ich will hier nicht die alte Geschichte aus 1001 Nacht erzählen, sondern meine eigene. Aladins Wunderlampe ist bei mir ein 3D-Drucker, die Prinzessin ist wie eine der Kardashian-Töchter. Genie (in Deutschland zumeist Dschinn genannt, Anm.) der Geist aus der Lampe, symbolisiert die eigene Produktivität. Es kann alles sein. Nicht umsonst sind Worte wie Genesis und Genialität mit dem Namen dieses Geistes verwandt. Außerdem ist die Lampe eine Art Phallussymbol.

Sie meinen, man muss die Lampe nur ordentlich reiben und schon…
Green: Genau. Das ist lustig, als ob dieser Geist mir dabei hilft, Kinder zu bekommen. Er lässt meine Träume wahr werden. Auf diese Art führen Aladin und sein Geist eine Art co-abhängige Beziehung. Als wären sie ein und dasselbe. Der Geist gib Aladin die Erlaubnis, seine Wünsche wahr werden zu lassen. Deshalb kam ich auch auf die Idee mit dem 3D-Drucker. Er kann uns alles geben, was wir wollen. Wir klicken uns durchs Internet, drücken auf Go“ und der Drucker druckt, was immer wir wollen. Aber wenn wir das ganze Internet in 3D ausdrucken würden, gäbe es keinen Platz für irgendetwas anderes mehr.

Das erinnert an eine Figur aus dem Beatle-Film „Yellow Submarine“. Sie saugt durch ihren Rüssel alles auf, am Ende sogar sich selbst. Maßloses Erschaffen und unbedingte Zerstörung läuft letztlich auf das Selbe hinaus.
Green: Ich habe in den letzten zwei Jahren immer wieder versucht, mir Yellow Submarine“ wieder anzuschauen. Aber er scheint auf keiner Video-Plattform verfügbar zu sein. Die visuelle Gestaltung dieses Film ist absolut wunderbar.

Allerdings erinnert Ihr Film eher an die Ästhetik von Friedensreich Hundertwasser…
Green: Ich habe mich tatsächlich viel mit Hundertwasser beschäftigt. Es gibt diesen Satz von ihm: Die gerade Linie ist der Feind“. Das hat mich inspiriert, meine eigene Art von Architektur zu erschaffen. Ich habe einige der körperlichen Merkmale von fiktiven Charakteren wie der Comicfigur Garfield oder Big Bird aus der Sesamstraße ausgewählt, sie reduziert und zu acht verschieden gemusterten Würfeln zusammengefügt, die sowohl etwas Architektonisches, als auch etwas Lebendiges ausstrahlen. Die ganze Kulisse wurde auf der Basis dieser acht verschiedenen Würfel gebaut. Sie bilden sozusagen meine eigene Formel, mein eigenes Alphabet.

Auch ein Komponist wie Karlheinz Stockhausen hat aus einer einzigen musikalischen Formel sein gigantisches Opernwerk erschaffen.
Green: Oh ja! Wichtig war mir aber dabei, dass diese Würfel, diese Welt aus Pappmaschee besteht, aus Handarbeit, die man niemals bis ins Letzte kontrollieren kann. Damit wollte ich sagen: Die Hand des Menschen ist eine lebendige Kraft! Es sollte nicht so aussehen, als wäre das alles von einer Maschine gemacht worden. Und ich wollte, dass Menschen diese Welt bewohnen, die sich daran freuen, Menschen zu sein. Es klingt paradox, einen Film innerhalb eines Videospiels, also einen Film über eine Technologie zu drehen, der komplett handgemacht ist. Aber genau das war meine ursprüngliche Idee.

© Peter Voelker

© Peter Voelker

Sie mischen also mit einer geradezu kindlichen, spielerischen Naivität Welten, die oberflächlich betrachtet nicht zusammenpassen.
Green: Genauso fühlt es sich für mich an. Es ist, als würde ich die Welt von William Burroughs und Alfred Jarrys Theaterstück Ubu Roi“ wieder zum Leben erwecken, in dem ich eine Episode für die Simpsons oder South Park schreibe. So etwas haben die Menschen aber immer schon gemacht, ich stehe sozusagen in einer langen subkulturellen Tradition, die Pop und Hochkultur miteinander verbindet.

Fühlen Sie sich auch mit der künstlerischen Tradition Berlins verbunden, mit den Stummfilmen, die hier vor 100 Jahren gedreht wurden?
Green: Ja, als wir uns an unserem Set befanden, wurden immer wieder Witze darüber gemacht, dass unsere Kulissen an Das Cabinet des Dr. Caligari“ erinnern. Aber es ist eher als eine allgemeine Hommage an das alte Hollywood gedacht, an die Zeit, als Filme ausschließlich im Studio gedreht wurden. Wir benutzten Effekte, die man vor 100 Jahren schon genauso gemacht hat. Sie funktionieren immer noch.

Sie haben erwähnt, dass Sie von Ihrem Smartphone zu Ihrem Aladdin“ inspiriert wurden. Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute U-Bahn fahren oder auf die Straße gehen und die Menschen sehen, die fast nur noch auf Ihre Smartphones starren?
Green: Das ist beängstigend, in der Tat. Die Menschen lassen sich von ihren Smartphones geradezu hypnotisieren. Es ist als würden alle ein Portal in eine andere Welt mit sich herumschleppen.

Sehen Sie in diesem „Portal“ auch etwas Positives?
Green: Nun ja, wissen Sie, ich habe da etwas sehr Lustiges entdeckt: Ich singe, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen und spiele dazu eine akustische Gitarre. Was könnte analoger sein? Aber meine Frau arbeitet bei Google. Wir diskutieren zuhause permanent neue Technologien. Wir denken ständig darüber nach, welchen Einfluss das Internet hat, über geopolitische Themen, über das Internet als soziale Skulptur. Also begann ich, das Internet als etwas großes Monolithisches zu sehen, als wäre es das Kolosseum oder so. Mein Film ist zur Hälfte voll von der Aussage: Ich will nicht, dass die Technologie alles übernimmt, mir meine Seele raubt, mich besitzt. Aber die andere Hälfte sagt: Gut, die Technologie hat mich so oder so in der Hand. Also fange ich lieber gleich damit an, etwas Romantisches in ihr zu sehen. (lacht) Ich sehe mein Tablet jetzt nicht mehr nur als etwas, in das ich meine Notizen machen kann, ich sehe es als direkten Nachkommen der Steintafeln, in die Moses seine 10 Gebote geritzt hat.

Das muss Moses damals Stunden gekostet haben…
Green: … nur, um einen Satz zu schreiben. Also, wenn ich jetzt diese ganzen kleinen Felder auf meiner Benutzeroberfläche sehe, auf die ich klicke oder in die ich meine Texte eingebe, dann sind das für mich im Sinne Platons eher Ideen, als dass es etwas Reales ist. Lustigerweise beziehen sich die Bezeichnungen dieser Technologien oft auf die griechische Terminologie.

Sie meinen Markennamen wie Android oder die Alphabet-Holding an, zu der Google gehört?
Green: Ja, damit ist ja auch eine romantische Idee verbunden. Es geht mir damit so ähnlich, wie mit der Prinzessin in meinem Film, für die ich die Kardashians als Vorbild genommen habe.

Die Kardashians sind drei Töchter eines US-amerikanischen Prominenten-Anwalts, die unter anderem als Protagonisten einer eigenen Reality-Soap berühmt wurden. Was fasziniert Sie an denen?
Green: Sie sind gleichzeitig verführerisch und abstoßend. Was könnte heute prinzessinnenhafter sein als die Kardashians? Wenn wir uns heute echte Prinzessinnen anschauen, sind wir wohl eher etwas enttäuscht, wenn wir sie mit den Kardashians vergleichen.

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