Mr. Jarreau, wie schützt man am besten seine Stimme?
Jarreau: In dem man nicht Sänger wird (lacht). Professioneller Sänger zu sein ist eigentlich das Schlimmste, was du deiner Stimme antun kannst. Du reist viel, kannst dich nicht genug ausruhen, du absolvierst immer mehr Konzerte, als du eigentlich solltest…
Wie wirken Sie dem entgegen?
Jarreau: Am wichtigsten ist es, sehr gesund zu sein. Und du solltest auf deinen Tourplan achten, so dass du deine Stimme nicht überarbeitest. Dann ist es wichtig, dass die Stimme gut geölt ist, mit viel Wasser und Feuchtigkeit, ich habe zum Beispiel ein Aloe-Vera-Spray für den Hals und ein spezielles Nasenspray. Und ich habe immer Lakritz-Bonbons dabei, die ich lutsche.
Das ist ja schon eine Menge…
Jarreau: Das ist erst der Anfang. Ich mache auch bestimmte Übungen für den Hals und Fitness-Übungen, Push-Ups, Stretchband-Übungen. Der Sänger ist ein Athlet und muss fit bleiben.
Wie viel Stunden singen Sie am Tag?
Jarreau: Bevor ich auf die Bühne gehe, habe ich meistens schon drei Stunden gesungen. Ich versuche mich an so einem Tag ganz auf die Sache zu konzentrieren: ich versuche gut auszuschlafen, ich gehe nicht raus zum Sightseeing, ich gehe ich auch nicht in die Bar und trinke, sondern ich versuche all meine Konzentration zu bündeln, bevor ich abends auftrete.
Viele Sänger erzählen, sie hätten schon gesungen, bevor sie sprechen konnten – wie war das bei Ihnen?
Jarreau: Das hat bei mir auch sehr früh angefangen. Meine älteren Brüder und Schwestern haben mir erzählt, dass ich oft auf der Orgelbank neben meiner Mutter gesessen habe, die ja Organistin war. Sie spielte mit einer Hand und mit der anderen hat sie immer aufgepasst, dass ich nicht runterfalle. Weil ich immer meinen Körper und meinen Kopf im Takt der Musik cbewegt habe. Vielleicht habe ich das aber auch schon im Bauch meiner Mutter getan (lacht).
Sie sind heute bekannt für Ihren Scat-Gesang und präsentieren nun Stücke aus George Gershwins „Porgy & Bess“. Hat man bei den ersten Aufführungen der Oper gescattet?
Jarreau: Ich denke nicht, dass das im Sinne der Gershwins gewesen wäre. Wobei, möglich ist es schon. Mir geht es aber vor allem darum, diese Melodien mit Respekt und Liebe zu behandeln. Das ist ja sehr gut ausgearbeitete Musik. Klar, wenn jemand wie John Coltrane „Bess, You Is My Woman now“ spielt, kann er dabei alle Noten der Welt spielen. Für mich als Sänger ist es aber sehr wichtig, zu verstehen und darauf zu achten, was Gershwin geschrieben hat und dies für sich selbst sprechen zu lassen. Sicher gibt es ein paar Veränderungen die man sich erlauben kann, aber die wahre Schönheit liegt in der Musik, so wie sie von Gershwin aufgeschrieben wurde, in den Melodien, den Akkordwechseln und in der Bewegung.
Zur Zeit der Uraufführung gab es um „Porgy & Bess“ einige Kontroversen. Schauspieler und Musiker kritisierten die stereotype Darstellung des Lebens der Afro-Amerikaner, mehrere Produktionen wurden abgesagt, Duke Ellington zum Beispiel sprach von „rußschwarzen Negroismen“ in der Oper. Welche Sicht haben Sie auf „Porgy & Bess“?
Jarreau: Also, die Kritik kann ich verstehen, und ich kann es auch verstehen, wenn sich jemand das Stück deswegen nicht anschaut. Auf der anderen Seite: „Porgy & Bess“ ist ein Statement über das, was in der damaligen Zeit passiert ist. Ich will diesen Teil der Geschichte jetzt nicht bewerten, das überlasse ich den Geschichtsbüchern, Schriftstellern und Journalisten. Ich sage nur: man kann es als Kunst betrachten, als ein Werk, das über eine bestimmte Zeit spricht, eine nicht so angenehme Zeit – aber es hat sie nun mal gegeben.
Was haben Sie denn über diese Stereotypen gedacht, als Sie das erste mal „Porgy & Bess“ gesehen haben?
Jarreau: Ich habe diese Stereotypen wahrgenommen – aber ich war gleichzeitig so bewegt von der Musik. Und ich finde auch: wenn du hier nur über die Stereotypen nachdenkst, dann hast du ein Problem, weil das blockiert dich dann die ganze Zeit. Natürlich sollte man dieser Thematik gegenüber sensibel sein, aber man sollte gleichzeitig versuchen, die Schönheit in der Musik zu finden.
Spielt Hautfarbe heute noch eine große Rolle im Musikgeschäft?
Jarreau: Ja. Die ganze Welt ist immer noch sehr farben-bewusst, in den Firmen, in den Universitäten und in der Musik. Das ist noch nicht verschwunden, aber wir müssen darüber hinweggehen. Gerade Musiker sollten alles versuchen, um zu zeigen, dass es möglich ist, diesen Zustand zu überwinden.
Sie selbst sind ja eines der besten Beispiele.
Jarreau: Ja, weil das auch ein Sache ist, die ich in mir fühle. Wir sind Brüder und Schwestern und sollten uns gegenseitig helfen. Es sollte kein Hungern geben, keine Obdachlosigkeit – und dafür müssen wir diese Hautfarben-Sache überwinden.
Die Jazz-Sängerin Dee Dee Bridgewater beispielsweise hat mehrfach beklagt, die Musikindustrie fördere vor allem weiße Jazz-Musiker.
Jarreau: Da würde ich ihr teilweise auch zustimmen. Das ist ja ganz allgemein ein Problem in unserer Gesellschaft, dass die Weißen immer noch sehr oft den Schwarzen vorgezogen wurden. Das müssen wir bewältigen und uns einen eigenen Raum schaffen, das hat Dee Dee ja auch gemacht. Aber wissen Sie, als Künstler will ich all das eigentlich gar nicht mehr betonen müssen. Ich will nicht, dass ein junger schwarzer Künstler von vornherein denkt, er hat keine Chance, weil er von Al Jarreau gehört hat, dass die Musikindustrie weiße Musiker bevorzugt. Außerdem gibt es inzwischen sehr viele schwarze Künstler die im Musikgeschäft Erfolg haben. Ich glaube, es sind sogar mehr als die 13 Prozent, die wir in den USA als Teil der Gesamtbevölkerung ausmachen.
Kommen wir noch einmal zu „Porgy & Bess“, genauer gesagt zu „Summertime“. Der Song wurde schon von Hunderten Musikern interpretiert – haben Sie eine Lieblingsversion?
Jarreau: Hmmm… (überlegt lange) Ich würde sagen, irgendwo zwischen Lambert, Hendricks and Ross, Miles Davis und der Version, die Al Jarreau mit Marcus Miller aufgenommen hat. (lacht)
Ist „Summertime“ für Sie ein trauriger oder ein fröhlicher Song?
Jarreau: Oh, ein fröhlicher, natürlich.
Viele Interpretationen klingen allerdings sehr traurig.
Jarreau: Das Stück ist mit einer gewissen Melancholie geschrieben. Aber wenn wir an die Mutter denken, die zu ihrem Kind sagt: „Hey, es ist alles gut, weine nicht, deine Mutter ist wunderschön, dein Vater ist reich und eines Morgens wirst du aufstehen und singen, deine Flügel ausbreiten und fliegen.“
Woher dann die Melancholie?
Jarreau: Das müssen Sie die Gershwins fragen. (lacht) Das Stück ist in einer Moll-Tonart geschrieben, wahrscheinlich, weil die Oper das an dieser Stelle erfordert hat. Trotzdem gibt es viele Musiker, die „Summertime“ sehr heiter und warm interpretieren.
Sie touren mit dem „Porgy & Bess Project“ quer durch Europa und Sie sind auch sonst viel in Europa unterwegs. Was mögen Sie besonders gerne an Europa und den Europäern?
Jarreau: Ihr seid hier einfach die Basis für Amerika! Der kulturelle Background der USA kommt ja letzten Endes aus Europa, wir sind ein Land von europäischen Einwanderern. Und ich will einfach ganz viele Dinge erfahren: über die französische Revolution, das preußische Deutschland… Ich habe mich auch schon viel damit beschäftigt, aber ich will noch viel mehr wissen über die europäische Kultur. Ich will nach Europa kommen und sehen und fühlen, wie Ihr hier lebt. Wir haben uns in Amerika in eine andere Richtung bewegt, aber die Wurzeln sind hier.
Welche Dinge finden Sie in Europa, die Sie zu Hause vermissen?
Jarreau: In Europa gibt es eine Geschichte und Wertschätzung der Kunst, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, eine große Sensibilität gegenüber der Kultur. Ein gutes Beispiel dafür ist das Brot: Haben Sie schon mal Brot in den USA gegessen? In Europa gibt es noch richtiges Brot, weil Ihr das Brot nicht pasteurisiert und homogenisiert habt. Sondern Ihr habt die ganze Schönheit, Tiefe und Realität im Brot erhalten. Es ist alles da – im Brot. Weil ihr in Europa die richtigen Dinge schätzt.
Wobei zum Beispiel die Franzosen…
Jarreau: Gut, was das Brot anbelangt haben die Franzosen es verpasst. Aber dafür haben sie Chagall, Monet und Fauré. Und das liebe ich an der europäischen Kultur. Die Europäer versuchen, an den Dingen festzuhalten, die wichtig sind. In Amerika sind wir dagegen immer nur in alles verliebt, was neu ist.
Vielleicht spricht George W. Bush deswegen vom „Alten Europa“…
Jarreau: Also, ich unterstütze in keinster Weise die Sichtweise von George W. Bush. Vielleicht nehmen wir die gleichen Dinge wahr, aber wir bewerten sie sehr unterschiedlich. Was er mit „altes Europa“ beschreibt ist ja etwas ganz anderes. Ich finde es auch traurig, wenn ein US-Präsident mit so einer Äußerung einen ganzen Kontinent quasi für irrelevant erklärt. Ich denke, jemand wie er sollte da etwas allgemeiner und weltoffener denken.
Vielleicht sollte er auch mehr Musik hören?
Jarreau: Ja, Bush sollte mehr Musik hören – und auch mehr Schiller und Goethe lesen! (lacht) Aber leider sind viele Leute heute auf ganz anderen Bahnen unterwegs und gehen in eine Richtung, die nicht diese Werte beinhaltet, die ich für wichtig halte.
Mr. Jarreau, vielen Dank für das Gespräch. Es war schön, so viel Gutes über Europa zu hören.
Jarreau: Ach wissen Sie, ich bin in Milwaukee ja auch viel mit deutscher Kultur aufgewachsen, von Bier bis Bratwurst. Und ich denke, das ist gut so. Wichtig für uns Menschen auf diesem Planeten ist: einerseits die Hautfarben wahrnehmen, aber sie andererseits auch überwinden. Wenn wir das nicht schaffen, dann werden wir es sehr schwer haben, uns im Universum Freunde zu machen. Weil, wenn es da draußen Leben gibt, wird es auf jeden Fall anders sein als hier auf der Erde.
[Das Interview wurde zuerst am 4. Dez 2007 veröffentlicht.]