Herr Menken, der Film „Verwünscht“, für den Sie Songs und Filmmusik komponiert haben, spielt sowohl in einer Comic- als auch in der Realwelt – welche Welt ist für Sie einfacher zu vertonen?
Menken: Also, das kann ich nicht pauschal beantworten, es hängt immer sehr von der jeweiligen dramaturgischen Situation ab. Bei „Verwünscht“ war ein Song in der Comicwelt der schwierigste Song für mich, ironischer Weise.
Warum ironischer Weise?
Menken: Weil die Leute denken, es wäre einfacher Musik für Zeichentrick zu komponieren. Aber in diesem Fall war es schwieriger: Wir haben uns die Aufgabe gestellt, für diese schneeweiße Welt einen Song zu schreiben, der einerseits überzeugend nach der alten Ära klingt, so wie z.B. „A Dream Is a Wish Your Heart Makes“ (aus Disneys „Cinderella“), „Someday My Prince Will Come“ (aus „Schneewittchen und die sieben Zwerge“) oder „When You Wish upon a Star“ (aus “Pinocchio”). Andererseits muss die Musik für das Publikum von heute zugänglich sein, sie muss emotional sein, aber auch ein wenig mit einem ironischen Unterton – das war schwer. Doch ansonsten würde ich sagen, dass es für einen Filmkomponisten keinen Unterschied macht, ob es eine reale oder animierte Welt ist.
Aber was die Kompositionstechnik anbelangt…
Menken: Der Realfilm ist normalerweise eine Form, wo song-orientierte Musik nicht so gut passt. Höchstens wird mal ein bereits existenter Song unter eine Szene legt, aber es kommt eigentlich nicht vor, dass man von der Filmmusik direkt in einen Song übergeht.
Bei Zeichentrickfilmen ist das aber so sehr Teil der Tradition, dass es einfacher ist, etwas zu schaffen, was auf diese Weise funktioniert. Aber auch da muss ich sagen: es hängt immer sehr von den individuellen Umständen ab. Kevin Lima zum Beispiel, der Regisseur von „Verwünscht“, liebt es, wenn die Musik in Gesang ausbricht. Das war gut für mich.
Aber es gab bei der Produktion auch Leute, die diese musikalische Struktur nicht wirklich kannten und die in vielen Fällen versucht haben, das Rad neu zu erfinden. Es bestand die Frage ob wir einen Pop-Produzenten brauchen, oder ob ich selbst den Soundtrack produziere usw.
Die Sherman-Brüder, die als Songwriter noch mit Walt Disney persönlich zusammengearbeitet haben, sagen, dass er für seine Filme immer einen ganz bestimmten Musikstil haben wollte. Ist das heute immer noch so, dass das Studio von Ihnen einen ganz bestimmten Stil fordert?
Menken: Ich wurde nie mit dieser Art von Erwartung konfrontiert. Als mein früherer Partner Howard Ashman und ich uns Gedanken darüber gemacht haben, welche Art von Musik Disney von uns wollen würde, war es am Ende so, dass wir ihnen alles abliefern konnten, solange es dramaturgisch funktionierte.
Wir schaffen die musikalische Palette und mit dieser erfüllen wir die Aufgaben, die man uns stellt. Das will Disney von uns.
Der Klang der Disney-Filmmusiken ist meist unverwechselbar, man könnte sogar von einer Art Corporate Identity im Sound sprechen. Wie erklären Sie sich das?
Menken: Ich denke, dass der Name Disney vor allem auf der inhaltlichen Ebene eine Rolle spielt. Disney ist mit allen Dingen, die das Publikum möglicherweise verletzen könnte, sehr sehr vorsichtig. Witze über Dicke oder Schwule zum Beispiel würden die niemals machen. Du kannst bei Disney nur Witze machen, solange es niemandem weh tut, in dieser Hinsicht ist Disney sehr konservativ.
Und in musikalischer Hinsicht?
Menken: Wissen Sie, Disney und ich – also das, was Alan Menken macht und das was Disney ist – wir sind sozusagen verheiratet. Die vertrauen mir, die musikalische Palette auf meine Art zu gestalten. Und wenn sie einen Song mögen, heißt es einfach: „Los geht’s“.
Dieses Ziel einer Corporate Identity gibt es für die Musik glaube ich nicht. Es gibt heute keinen Walt mehr. Klar, da gab es Michael Eisner, Jeffrey Katzenberg, heute sind es Robert Iger (Disney-CEO) oder Dick Cook (Studio Chairman). Aber für den größten Teil der Arbeit haben wir Komponisten freie Hand. Wir können das machen, wovon wir denken, dass es das beste für den Film ist. Da gibt es keine Restriktionen.
Viele Kritiker sagen, dass allgemein die Qualität von Filmmusiken in den letzten Jahren abgenommen hat, weil Rhythmus und Sound-Design wichtiger geworden sind – stimmen Sie dem zu?
Menken: In vielen Fällen: ja. Es scheint, dass die Melodie aus der Filmmusik verschwunden ist. Wobei es bestimmte Filmmusiken gibt, die zwar nicht melodiebetont, aber dafür motivbetont sind. Bestimmte Leute sind darin auch große Meister, einer meiner Lieblingskomponisten in dieser Hinsicht ist Thomas Newman.
Also, ich will nicht alle in einen Topf schmeißen. Es gibt halt einige, die einfach so eine Art akustisches Design komponieren…. Aber wir werden sehen: Wenn das das ist, was funktioniert, für ein heutiges Publikum, dann ist das eben die Zukunft von Filmvertonung. Melodie ist ja auch etwas, wo du genau wissen musst, wie du es einsetzt. Und Regisseure müssen es haben wollen.
Kann man es lernen, solche Ohrwürmer zu komponieren, wie Sie sie bereits für viele Disney-Filme geschrieben haben?
Menken: Du kannst natürlich versuchen, in einem bekannten Stil zu schreiben. Wovor sich aber die meisten Leute scheuen, weil sie befürchten, dass dann ihre eigene individuelle Stimme verloren gehen würde.
Ich habe aber von meiner Arbeit mit Howard Ashman gelernt, von „Der Kleine Horrorladen“ an bis heute, dass ich in bestimmten Stilen schreiben kann und meine Stimme trotzdem immer noch durchkommt. Du darfst dich nicht versklaven, du musst deiner Stimme vertrauen – und du musst aber auch diesen Stil annehmen wollen.
Sie haben gesagt, dass die Melodie verschwindet – aber fühlen Sie sich nicht auch einer bestimmten Tradition der Filmmusik-Komposition verpflichtet?
Menken: Nein. Was meine Filmmusik anbelangt – im Gegensatz zu meinen Songs – da muss ich sogar dagegen kämpfen, zu melodisch zu sein. Weil wenn du zu viel durchgängige Melodien verwendest wird das Ohr weggezogen, weg von der Szene und vom Film hin zur Musik. Das ist natürlich auch der Fall, wenn sich die Leute an dieses akustische Design gewöhnt haben, über das wir gerade gesprochen haben. Dann wird eine Melodie mehr und mehr zu einem Problem, weil die Leute es nicht mehr gewohnt sind, Melodien zu hören. Und in dem Moment wo eine auftaucht wird ihr Ohr völlig abgelenkt, das ganze Bewusstsein konzentriert sich dann nur auf die Musik. Deswegen musst du deine Melodie aufbrechen, du musst eine Art motivische Variation davon kreieren. Aber das gehört bei der Arbeit einfach dazu, sich an das heutige Bewusstsein anzupassen. Und der Tag, wo ich das nicht mehr kann, wird der Tag sein, wo ich keine Filmmusik mehr schreiben werde.
Kein Filmkomponist hat mehr Oscars bekommen als Sie. Daher die Frage: Können Sie mir erklären, warum man einem Komponisten wie Philip Glass noch nie einen Filmmusik-Oscar verliehen hat?
Menken: Ich denke, weil die Scores, die er komponiert, mehr unsichtbar sind. Während wenn man sich anguckt, was ich mache, ein Musical, das hat eine gewisse Prunkhaftigkeit und bekommt so eine Menge Aufmerksamkeit. Wobei man da auch dazu sagen muss: Ein Komponist wie ich stellt sich viel mehr in den Vordergrund, weshalb ein Fehltritt auch viel verheerender sein kann. Darin besteht dann sicher auch die Herausforderung.
Ich habe großen Respekt vor Philip Glass und dem, was er als Komponist gemacht hat. Aber ihn und mich zu vergleichen, das ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Unsere Musik ist sehr, sehr verschieden. Vielleicht sollten wir bei den Oscars auch gar nicht in der gleichen Kategorie auftauchen.
Haben Sie Kontakt zur Szene zeitgenössischer Komponisten?
Menken: Ich bin ja in erster Linie Songwriter. Und dass ich Filmmusik komponiere ist sozusagen ein Anhängsel dessen. Insofern habe ich keinerlei Beziehung zu der zeitgenössischen Komponisten-Szene. Ich kenne viele dieser Leute und ich respektiere sie, Komponisten wie Elliot Goldenthal. Man schätzt und bewundert was der andere macht, aber es ist eben sehr anders. Es sind ganz andere Ambitionen, auch eine ganz andere Haltung zum Komponieren.
Meine Filmmusiken, insbesondere wenn sie Songs beinhalten, haben ja die Intention als Instrument zu funktionieren, welches die Geschichte mit erzählt und voranbringt. Wohingegen die traditionelle Rolle der Filmmusik ja eher darin besteht, im Hintergrund zu sein, unsichtbar. Insofern ist es schwer, diese verschiedenen Arten zu vergleichen.
Ihre Musik klingt fast durchweg fröhlich und unbeschwert. Wie ist ihr Verhältnis zu düsteren Klängen, wie sie in Thrillern und Dramen zu hören sind?
Menken: Also, ich denke schon, dass ich auch eine dunkle Seite habe. Doch in erster Linie fühle ich mich zur Musik hingezogen aus sagen wir ‚positiven’ Gründen. Besonders bei Musicals, da fühle ich mich zu solchen hingezogen, die von Emotionen handeln, vor allem von positiven Emotionen. Weil das ist doch das, was dein Herz bricht. Ein negativer Charakter wird dein Herz nicht brechen, eine Figur die sich selbstbemitleidet bricht nicht dein Herz. Dagegen eine positive Figur, die in einer düsteren Situation etwas positives singt: die wird dein Herz brechen. Das habe ich schon vor langer Zeit gelernt. Und ich möchte lieber jemandem das Herz brechen als ihm Angst einzujagen.
Horrorfilm-Regisseure werden bei Ihnen also kein Glück haben…
Menken: Ich weiß nicht, ich meine Audrey in „Der Kleine Horrorladen“ war ja auch schon eine recht düstere Figur.
Ich mag es einfach, in zugänglichen Formen zu arbeiten. Ich liebe die Song-Form, ich liebe Rhythmus, ich will die Leute in meine Musik hineinverwickeln, sie transportieren. Es gibt Komponisten, die Musicals schreiben, die dazu tendieren zynisch und nervenaufreibend zu sein. Bei denen habe ich nicht so viel Spaß, sofern nicht im Inneren der Musik ein richtiges menschliches Herz schlägt.
Also, wenn mir jetzt jemand ein richtig düsteres Projekt vorschlägt, wer weiß, vielleicht wäre ich sogar interessiert. Wenn es darin eine interessante Perspektive gibt, warum nicht.
Aber ein Happy-End wäre Ihnen schon wichtig?
Menken: Nein. Emotionen sind wichtig. Ein Happy-End ist nur für das Studio wichtig.