Frau Simeonova, ist es gefährlich, in Bulgarien gegen ein Kernkraftwerk zu protestieren?
Simeonova: Ja, leider. Ich musste mich die letzten zwanzig Jahre die halbe Zeit von Bodyguards schützen lassen.
Gab es nur Drohungen oder auch Anschläge?
Simeonova: Man hat einmal versucht, mich zu überfahren. Auf mein Auto wurden Anschläge verübt, unter anderem die Radmuttern gelockert. Dass man versucht, mich zu schlagen oder meine Kamera zerstört, kommt häufiger vor.
Wer macht sowas?
Simeonova: Der Mann, der versucht hat, mich zu überfahren, hatte mit einer Sicherheitsfirma zu tun, die bereits Bestechungsgelder dafür gezahlt hat, in dem geplanten Kernkraftwerk die Bewachung zu übernehmen.
Ist das üblich?
Simeonova: Das ist der häufigste Anlass für Gewalt gegen mich und andere Kernkraftgegner. Bulgarien ist laut Transparency International das korrupteste Land Europas, aus diesem Grund werden auch eine halbe Milliarde Entwicklungsgelder der EU an Bulgarien derzeit nicht ausgezahlt. Wenn man hier einen Auftrag bekommen will oder staatliche Förderung, dann muss man die Leute in der Verwaltung bezahlen – und zwar im Voraus. Viele Firmen haben bezahlt, für die Verwertung von Material aus der bestehenden Bauruine, für den Kraftwerksneubau, für die Bewachung, für alles. Diese Leute wollen ihre Investitionen retten und sind dabei nicht zimperlich.
Wer hat wohl am meisten geschmiert?
Simeonova: Es ist ein offenes Geheimnis, dass der russische Konzern Atomstroyexport, ein Tochterunternehmen von Gazprom, hier vitale Interessen hat und dass hohe Bestechungssummen an Regierungsmitglieder und hohe Verwaltungsbeamte geflossen sind. Atomstroyexport will russische Atomtechnologie verkaufen und auch der Uranbrennstoff soll aus Russland kommen. Die treten hier sehr massiv auf. Vertreter von Atomstroyexport sind z.B. mit Maschinengewehren in die Stadtverwaltung von Svistov gekommen, um Landpreise auszuhandeln. Es versteht sich, dass sie auf diese Art einen guten Preis erzielen konnten.
Sie werden auch ökonomisch unter Druck gesetzt…
Simeonova: Meine größte Sorge gilt tatsächlich weniger Leib und Leben als vielmehr der Gefahr, ökonomisch ruiniert zu werden. Man hat unter dem Vorwand von Steuerprüfungen meine Bankkonten für sechzig Tage eingefroren, so dass ich die Erntearbeiter nicht bezahlen konnte. Jemand, der der Provinzregierung nahe steht, hat plötzlich hohe Summen für Felder angeboten, die ich bis dahin gepachtet und mühevoll auf biologischen Anbau umgestellt hatte. Dann verseuchte er sie eine Saison lang mit Pestiziden, um sie danach wieder aufzugeben. Ich verliere dadurch die Arbeit von drei bis vier Jahren, bis ich wieder eine Bio-Zertifizierung für diese Flächen erhalten kann.
Ist es gefährlich, in Bulgarien ein Kernkraftwerk zu bauen?
Simeonova: Der geplante Standort in der Provinz Belene ist ein ausgewiesenes Erdbebengebiet. Es gibt zwei bis drei Beben pro Jahr und erst am 25. April 2009 wurde die Region von einem Beben der Stärke 5,3 erschüttert. Beim letzten großen Beben 1977 wurden in der Stadt Svistov 120 Einwohner getötet und zwei Drittel der Häuser zerstört oder beschädigt. Die Stadt Zimnicea mit etwa 30.000 Einwohnern wurde komplett zerstört. Der Bau von Belene wurde zwar vor dreißig Jahren begonnen aber nach der Wende 1990 aufgrund entsprechender Gutachten wegen der Erdbebengefahr gestoppt.
Warum werden solch evidente Gefahren heute erneut ignoriert?
Simeonova: Bulgarien ist formell eine Demokratie aber in vieler Hinsicht – wieder – ein Satellit Russlands mit engen Verflechtungen zwischen der hiesigen und der russischen Oligarchie. Die postkommunistische Regierung besteht buchstäblich aus den leiblichen Kindern der alten kommunistischen Funktionäre, zum Teil sind sie sogar in Russland aufgewachsen, zum Beispiel unser Premierminister Stanishev. Es geht hier um die Interessen der russischen Energiewirtschaft, die gleichzeitig das Rückgrat der Macht Putins ist.
Inwieweit betrifft das uns Deutsche?
Simeonova: Belene ist von Deutschland nicht weiter weg als Tschernobyl. Mit einem Störfall ist nicht nur wegen der Erdbebengefahr zu rechnen, sondern auch, weil die Sicherheit hier schon im Normalbetrieb nicht höher ist als in Tschernobyl. In Bulgariens bestehendem Kernkraftwerk Kozloduj wurden zwar vier von sechs Reaktoren als Bedingung für den EU-Beitritt abgeschaltet, aber es kommt auch so regelmäßig zu ernsten Zwischenfällen.
Ein Beispiel?
Simeonova: Einer der gefährlichsten Unfälle seit Tschernobyl fand am 1. März 2006 im Block 5 von Kozloduj statt. An diesem Tag klemmten mehr als ein Drittel der Steuerungsstäbe in ihrer Halterung, so dass die Notabschaltung des Reaktors fehlschlug. Einen 1000-Megawatt-Reaktor ohne Notabschaltung zu betreiben, ist wie einen Zug mit 200 Stundenkilometern ohne Bremsen zu fahren. Die Behörden versuchten, diesen Unfall für 50 Tage geheim zu halten und als der Nuklearphysiker und ehemalige Chef der Atomaufsichtsbehörde, Gueorgui Kastchiev, den Unfall publik machte, sagten sie „Nichts passiert.“
Das Kernkraftwerk in Belene soll von Deutschen gebaut werden…
Simeonova: Richtig. Deutschland ist vielfach in Belene engagiert, im guten wie im schlechten Sinne. Noch 2006 sollte das Kraftwerk von deutschen Großbanken finanziert werden, die sich dann aufgrund des Widerstandes deutscher Antiatomkraftinitiativen aus der Finanzierung zurückzogen. Jetzt ist RWE die letzte Hoffnung der bulgarischen Regierung, dass Belene doch noch gebaut wird. Auch diesmal protestieren deutsche Umweltorganisationen aber auch Aufsichtsräte und Aktionärsvereinigungen. Es scheint, die entscheidende Schlacht um Belene wird in Deutschland geschlagen.
Wenn man in Bulgarien einen Auftrag bekommen will oder staatliche Förderung, dann muss man die Leute in der Verwaltung bezahlen – und zwar im Voraus.
Sie waren am 22. April auf der RWE Hauptversammlung. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?
Simeonova: Im Vorstand wird Belene nicht hinterfragt. Die Erdbebengefahr, die eklatante Korruption mit den damit einher gehenden Qualitäts- und Sicherheitsproblemen, die Tatsache, dass es sich um einen völlig neuen russischen Kraftwerkstyp handelt, mit dem niemand Erfahrung hat, all das sind ja keine geheimnisvollen oder vagen Risiken, sie liegen offen auf der Hand.
Warum ignoriert RWE diese offensichtlichen Risiken?
Simeonova: Es fällt schwer zu glauben, dass es einfach massive Inkompetenz ist, obwohl man auch das nicht ausschließen kann. Man sollte doch denken, dass eine Erdbebenstudie zu den ersten Dingen gehört, die man als Kraftwerkerbauer durchführt. Das will RWE erst jetzt in Angriff nehmen, nach massivem Druck.
Könnte es weitere Gründe geben?
Simeonova: In den Gesprächen mit RWE schien es uns, dass dieses Kraftwerk Teil eines größeren Deals ist, der den Vorstand veranlasst, die Risiken bewusst in Kauf zu nehmen. Die Renditeerwartung selbst kann es nicht sein, auch wenn sich die bulgarische Regierung unüblicher Weise verpflichtet hat, den Strom zehn Jahre lang zu einem Garantiepreis abzunehmen. Was ist die Garantie einer Regierung wert, in einem Land, in dem EU-Fördermittel bis zu 90% einfach verschwinden?
Was könnte der Deal hinter Belene sein?
Simeonova: Wir wissen es nicht. Wir können nur vermuten, dass es um einen Deal mit Gazprom geht und das eigentliche Ziel Russland heißt.
Wie war Ihr Auftritt auf der RWE-Hauptversammlung am 22. April?
Simeonova: Man hat uns, meinen Mitstreiter Gueorgui Kastchiev und mich sehr unhöflich behandelt, ans Ende der Rednerliste gesetzt, uns die Redezeit gekürzt und unsere Fragen nicht beantwortet. Das war ermüdendes Theater. Aber der Vorstand konnte das Thema Belene dennoch nicht aus der Hauptversammlung heraushalten, denn zu meiner Überraschung wurde es in etwa einem Drittel der Redebeiträge angesprochen und zwar fast immer mit Sorge und Bedenken. Auch große Aktionärsversammlungen sehen Belene anscheinend nicht als eine solide Investition an.
Zum Beispiel?
Simeonova: Der Vertreter der Union Investment Gruppe, die 4,5 Millionen Aktien der RWE AG hält, sagte: „Die Beteiligung an diesem Kraftwerk ist unverantwortlich. Dass es das RWE-Management überhaupt erlaubt, dass der Konzernname in einem Atemzug mit dieser tickenden Zeitbombe in Verbindung gebracht werden kann, ist nicht nachvollziehbar." Wir haben außerdem die Oberbürgermeisterkandidaten der Städte Dortmund, Mühlheim und Essen aufgesucht, die nach der Kommunalwahl im Aufsichtsrat von RWE sitzen werden. Über alle Parteien hinweg waren sie der Meinung, dass ein Kernkraftwerk nicht in ein Erdbebengebiet gehört.
Wäre denn abgesehen von der Erdbebengefahr ein Kernkraftbetrieb in Belene sinnvoll?
Simeonova: Schon der Normalbetrieb würde erhebliche wirtschaftliche und ökologische Schäden anrichten. Belene ist eine der fruchtbarsten Agrarregionen Bulgariens. Wäre hier ein Kernkraftwerk, würde die Produkte aber keiner mehr kaufen wollen.
Warum?
Simeonova: Wegen Angst vor Verseuchung. Wir haben das getestet, indem wir in Sofia, der bulgarischen Hauptstadt, Tomaten mit der Behauptung angeboten haben, sie kämen aus Kozloduj, wo das bestehende Kernkraftwerk betrieben wird. Die Tomaten waren unverkäuflich und in Kozloduj gibt es auch praktisch keine gewerbliche Landwirtschaft mehr.
Was wären die Folgen für die Umwelt?
Simeonova: Ungefähr 30% unseres Landes gehören zu den Natura 2000 Schutzgebieten, gerade auch in Belene gibt es viele seltene aber auch empfindlichen Tier- und Pflanzenarten. Es ist dort ein Paradies für Ökotourismus. Schon eine Erwärmung des Donauwassers um nur ein Grad würde das Ökosystem unwiderruflich stören und viele Arten verschwinden lassen, der Tourismus käme zum Erliegen. Auch das kennen wir bereits von Kozloduj.
Auch ein Zwischenlager ist geplant…
Simeonova: Natürlich, die Entsorgungsfrage ist völlig ungeklärt, man will die abgebrannten Brennstäbe nach Russland verschieben und den Rest einfach hier lagern. Wir haben große Sorge wegen Lecks aus dem Betrieb und aus dem Zwischenlager. Das Grundwasser in der Donautiefebene und im Mündungsgebiet ist das Trinkwasserreservoir für den halben Balkan.
Braucht Bulgarien überhaupt mehr Energie?
Simeonova: Bulgarien ist der größte Energieverschwender Europas. Würden wir alleine die Effizienz der Erzeugung und Verwendung verbessern, könnten wir nicht nur auf das neue Kraftwerk verzichten, sondern auch auf das bestehende Kernkraftwerk in Kozloduj. Die Region Belene ist zudem ideal für die Erzeugung von Öko-Strom. Wir haben Sonne, Wind, Wasser, Biomasse. Andere Konzerne haben das schon begriffen, E.ON zum Beispiel hat hier in Windkraft investiert.
Sie kämpfen schon zwanzig Jahre gegen das Kernkraftwerk. Woher nehmen Sie die Kraft?
Simeonova: Manchmal bin ich müde und frustriert. Für eine Frau ist es hier doppelt schwierig, in Bulgarien ist man schon nicht gewöhnt, dass ich als Frau eine Landwirtschaft mit 600 Hektar betreibe und erst recht nicht, dass ich mich politisch engagiere. Ich stehe nicht alleine, aber wir werden auch angefeindet.
Vom wem? Simeonova: Seit 1970 dieser Standort gewählt wurde, sind viele Menschen nach Belene gezogen in der Hoffnung auf Arbeitsplätze im Kraftwerk und den geplanten Industrieparks. Diese Menschen hoffen immer noch. Der Widerstand gegen das Kraftwerk kommt daher nicht aus der Stadt Belene, sondern vor allem aus den umliegenden Ortschaften. Und dort stehen die Bürgermeister und Gemeinderäte unter Druck, weil ihnen Finanzzuteilungen von der Zentralregierung verweigert werden, wenn sie sich offen gegen das Kraftwerk aussprechen. Dann können sie ihre Straßen und öffentlichen Gebäude nicht reparieren. Trotzdem weitet der Widerstand sich immer mehr aus, denn Belene bedroht unsere Lebensgrundlagen und die Sicherheit unserer Familien. Wir wollen nicht Geigerzähler aufstellen müssen, um zu entscheiden, ob unsere Kinder draußen spielen können. Ich habe selbst drei Kinder und diese Arbeit tue ich für sie und für unser aller Zukunft.