Alex Christensen

Gute Dinge entstehen nur durch Querdenker und ein bisschen Wahnsinn.

Mit U96 startete er seine Karriere im Musikgeschäft, heute gehört er zu den erfolgreichsten Produzenten Deutschlands: Alex Christensen spricht im ausführlichen Interview über seinen Musikgeschmack, die Erfolgsgießkanne, Illusion und Inhalte im Pop, das Image der GEMA und sein jüngstes Projekt „Classical 90s Dance“.

Alex Christensen

© Marcel Brell

Alex, bei der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich gemerkt, dass man von dir gar nicht so viele Interviews im Netz findet…
Alex Christensen: Das liegt daran, dass ich meine Hoch-Interview-Phase zu einer Zeit hatte, als die Medien noch analog waren. Das finde ich auch ganz gut, die ganzen Bravo-Geschichten kannst du heute nicht mehr ergooglen: Alex beim Friseur, Alex beim Filmdreh mit Christina Applegate in New York…. Der Film hieß „Vibrations“ (auch „Cyberstorm“), der hat es aber auch nicht in die Online-Welt geschafft. (lacht)

Deine jüngste Veröffentlichung ist das Pop-Klassik-Projekt, „Classical 90s Dance“. Was waren deine ersten Berührungspunkte mit klassischer Musik?
Christensen: Ich hatte zu Schulzeiten eine Lehrerin, die sehr engagierte Theater-, Oper und Klassik-Besucherin war. „Der Bürger als Edelmann“, zu so etwas hat sie unsere Klasse immer hingeschleppt. Einmal waren wir im NDR-Sendesaal, an das Programm kann ich mich nicht erinnern, aber das Zusammenspiel im Orchester hat mich fasziniert. Auch dass die Musiker eine Zeit lang nicht spielen, zwischendurch andere Dinge machen, und dann trotzdem ihren Einsatz nicht verpassen, das hat mich beeindruckt.

Aber es hat nicht dazu geführt, dass du zum Beispiel Geige spielen wolltest.
Christensen: Nein, das nicht. So etwas muss auch aus dem sozialen Umfeld kommen, dass dich jemand dazu überredet. Mein Vater hat Gitarre gespielt, der war Rock’n’Roller, dem war Klassik eher fremd. Und wenn du keine Eltern hast, die dich in diese Richtung schieben, ich glaube dann machst du das auch nicht. Meine musikalische Ausbildung kam vor allem durch das Hören von Musik, ich habe DJs zugehört. Einer hat unter mir gewohnt…

Sprich, du hast dann durch die Decke zugehört?
Christensen: Genau, durch den Fußboden. Ich war immer froh, wenn ich runter konnte und ihm zugucken durfte.
Generell ist es bei mir mit Musik so: Wenn mich etwas interessiert, wenn ich für mich einen Musikstil entdecke, dann will ich da tiefer eintauchen. Deswegen bin ich in Sachen Musik auch wie so ein Lexikon. Ich habe mein Leben lang sehr viel aufgesaugt. Es gab zum Beispiel so Trips, wo ich sechs Monate nur Reggae gehört habe. Oder eine Zeit lang lief bei mir nur The Police – so bin ich immer hin- und hergeflippert. Ich wollte auch immer alles wissen, wollte diese Musikrichtungen verstehen und es dann auch selber machen. Warum das bei mir so war, von kleinauf, weiß ich gar nicht.

Du hast also längst nicht nur elektronische Musik gehört…
Christensen: Nein, zwischen all dem Techno- und Dance-Wahnsinn habe ich immer Frank Sinatra gehört. Das habe ich geliebt, auch auf den Plattencovern die Credits zu studieren, wer was macht, wer wo mitarbeitet. Johnny Mandel – Arrangement, Paulinho da Costa – Percussion, Vinnie Colaiuta, Schlagzeuger. Ich habe mir dann kleine Namens-Listen geschrieben, und dachte mir: Wenn ich mal die Chance habe, vielleicht kriege ich die ja zusammengetrommelt.

Wie waren deine ersten Gigs als DJ?
Christensen: Angefangen als DJ habe ich in den grauen 80ern. Da hast du in Clubs meistens mit 90- 95 bpm begonnen, dann wurde es langsam schneller, zwischendurch hast du Klassiker gespielt, dann gab es die spanische Phase mit Gypsy Kings & Co – das war ein bunter Strauß von Blumen. Es hat sich ja erst ab 1989 so entwickelt, dass sich viele Clubs auf elektronische Beats spezialisierten und nicht mehr so wild verschiedene Stile durcheinander gespielt wurden.

Zitiert

Das Musikbusiness ist gläserner geworden.

Alex Christensen

Du bist Hamburger. Und du veröffentlichst 2017 ein Album mit symphonischen Arrangements von Dance-Hits. Daraus kann man leicht die Schlussfolgerung ziehen: Du willst in die Elbphilharmonie.
Christensen: Da hast du nicht ganz Unrecht, die Idee ist auf jeden Fall da. Jeder, der irgendwas mit Musik zu tun hat, möchte irgendwann in der Elbphilharmonie spielen, das will man in seiner Agenda abhaken. Wobei ich gestehen muss, dass ich auch als Zuschauer noch nicht drin war.

Willst du vielleicht auch rein, weil du das Gebäude ein Stückweit mitfinanziert hast?
Christensen: Als Steuerzahler finanziere ich so etwas gerne mit. Ich denke, so ein bisschen Wahnsinn steht einer Stadt ganz gut. Immer nur mit spitzem Bleistift alles durchrechnen, wie ein Hamburger Pfeffersack, finde ich nicht so clever. Ich glaube, das Gebäude tut der Stadt mehr gut als alle denken. Man sieht doch jetzt, was für ein Magnet es ist.
Gute Dinge entstehen nur durch Querdenker und ein bisschen Wahnsinn. Und bei der Elbphilharmonie hat Hamburg gezeigt, dass wir auch mal aus dem Quark kommen und etwas Besonderes machen können.

Da spielt die Verzehnfachung der Kosten dann keine Rolle mehr?
Christensen: Ach, es wird für so viel Quatsch Geld ausgegeben, für so viel unsinnige Dinge. Insofern denke ich: Jeder Pfennig, der in die Kultur geht, ist dort gut angelegt.

Das Bo sagte mir im Interview: Lieber Kultur in der Breite finanzieren als Hochkultur.
Christensen: Kultur in der Breite bedeutet: für alle Zielgruppen – da hat Das Bo sicherlich recht. Aber wenn jetzt das eine finanziert wird, heißt ja nicht, dass die anderen leer ausgehen. Außerdem ist es bestimmt nicht so, dass jetzt nur die Bourgeoisie in die Elbphilharmonie geht, sondern da kann jeder rein. Ein gutes HipHop-Konzert ist heute genauso teuer.

Alex_C_Special_OuterWrap_rz_flat.inddGibt es schon Live-Pläne für die Platte?
Christensen: Ich würde es super spannend finden, die Songs mit Orchester live aufzuführen. Aber das ist natürlich auch eine Budget-Frage. Wenn, dann wäre mein Anspruch natürlich, alle 14 Titel aufzuführen und keinen aus der Konserve.

Was käme da für ein Publikum?
Christensen: Ich glaube, da kommen Familien, Leute, die das erlebt haben. Für viele sind diese Songs ja die Storyline ihrer Jugend. Und die bringen ihre Kinder mit, die die Songs inzwischen auch schon kennen. Titel wie „Sing Hallelujah“ von Dr. Alban, das sind ja bis heute Party-Klassiker.

Du hast jetzt mit Orchester nicht nur eigene Titel aufgenommen, sondern auch welche von anderen erfolgreichen Acts der 90er.
Christensen: Ja, ein Album nur mit meinen eigenen Songs wäre fahrlässig gewesen. Ich habe Titel ausgewählt, die mich begleitet und inspiriert haben – wo ich auch Credits an die Autoren geben möchte. Zum Beispiel Robert Miles: Wir hatten damals die wildeste Techno-Zeit – und dann kommt dieser geniale Italiener mit einer simplen Klaviermelodie und überrollt alle. Das ist so beeindruckend, das hat so viel Größe – davor meinen Hut zu ziehen, war mir wichtig.

Wie bist du mit der monotonen Rhythmik der Tracks umgegangen, die für Orchestermusiker ja schnell langweilig werden kann?
Christensen: Ich habe das aufgebrochen. Zum Beispiel „No Limit“ von 2Unlimited, der Titel ist so gelernt und so oft durch den Kakao gezogen worden – den musste ich anders machen, der klingt jetzt wie Wagner. Oder „Tears don’t lie“ (Mark ‚Oh), den Song spielt das Orchester nicht in 160bpm, sondern das ist jetzt gepflegtes Mid-Tempo.
Ich habe auch versucht, Titel zu nehmen, die man mit Orchester spielen kann, ohne dass die Musiker einschlafen. Theoretisch hätten wir ja neben „Rhythm is a Dancer“ (Snap) auch „Mister Vain“ (Culture Beat) und „More and more“ (Captain Hollywood) aufnehmen können. Die haben alle die gleiche Bassline, die gleichen Akkorde – das wollte ich vermeiden. Und „L’Amour Toujours“ (Gigi D’Agostino) haben wir komplett ohne Beats gemacht, das klingt jetzt fast wie eine Weihnachtsnummer und hat mit dem Original nur wenig zu tun – so etwas finde ich spannend. Da sieht man auch, wenn man die Melodien rausfiltert, dass das gute Kompositionen sind.

Nun ist es aber wahrscheinlich nicht so, dass du bei so einem Projekt wie ein Komponist all die Noten aufs Notenpapier schreibst…
Christensen: Nein, die Noten schreibe ich nicht selbst auf, das habe ich auch nicht gelernt. Aber wenn ich ein Orchester aufnehme, kann ich das schon an der Partitur verfolgen. Und ich kann mich sehr gut erklären, ich habe eine Vorstellung davon, wie ein Song aussehen soll. Ich weiß dann auch, wer in der Richtung das richtige Arrangement schreiben kann. Wenn wir das dann zu Papier gebracht haben mache ich davon ein Demo, höre mir das an, überlege mir, ob das gut ist und was man verbessern muss. Das heißt, bevor wir mit dem Orchester ins Studio gehen gehen, weiß ich schon genau, was passiert.

War das die gleiche Arbeitsweise als du 2005 das Album „Rock Swings“ von Paul Anka produziert hast?
Christensen: Ja, da wussten wir auch – inklusive Gesang, den wir auch notiert haben – wie das auszusehen hat. Und Paul ist ein Vollblut-Musiker, dem hilft es schon, wenn er von einem Song wie „Smells Like Teen Spirit“, der nicht so nah an seinem sonstigen Repertoire ist, die Noten lesen kann.

Du hast mit Anka damals Songs u.a. von Nirvana, Oasis, The Cure und Soundgarden in Swing-und Jazz-Versionen aufgenommen. Wer hatte eigentlich die Idee zu diesem Projekt?
Christensen: Das war meine Idee. Ich bin damals mit meinem Anwalt, Götz Kiso, nach Los Angeles geflogen, und wir haben Paul die Idee vorgestellt. Ich habe ihm erzählt, welche Ideen ich für Arrangeure und Musiker habe, und habe ihn gefragt, ob er die kennt. Da meinte Paul nur: Ich kenn die alle! Leute wie Johnny Mandel, Randy Kerber, Patrick Williams – als Fan von „Die Straßen von San Francisco“ wollte ich mit denen unheimlich gerne mal was machen. Dass Anka die alle kannte, wusste ich nicht. Aber er ist natürlich sehr gut vernetzt und kennt jeden, der eine Gitarre halten kann. Das war für uns das Geschenk überhaupt.

Bekannt geworden bist du ursprünglich mit U96 und dem Titel „Das Boot“. Was hat eigentlich Klaus Doldinger, der die Melodie und den Soundtrack „Das Boot“ komponierte, damals zu eurer Techno-Version gesagt?
Christensen: Er fand die großartig. Wir waren auch richtig gut befreundet. Klaus ist ja jemand, der nach vorne schaut, der offen ist für neue Dinge, der auch dieses DJ-Ding ganz früh verstanden hat, dass es spannend ist, wenn ein Koch in der Küche Dinge ausprobiert, eben auch mal Gewürze aus Thailand mit reinmischt. Er hatte für so etwas ein ein offenes Ohr.

Du selbst hast nie Filmmusik gemacht.
Christensen: Ich hatte einmal durch Mark Wahlberg die Möglichkeit, Songs zum Soundtrack von „Renaissance Man“ beizusteuern. Aber eine richtige Filmmusik habe ich nie gemacht, das stimmt, was hauptsächlich daran liegt, dass ich dafür keine Zeit finde. Obwohl ich Filmmusik liebe. Einer meiner Arrangeure ist Peter Hinderthür, der auch für den „Tatort“ arbeitet und viel Filmmusik komponiert.

Manche der Orchesterarrangements auf der neuen Platte klingen sehr pathetisch.
Christensen: Ja, das liebe ich. Ich bin auch großer Hans Zimmer-Fan. Eine Musik wie „Gladiator“ – pathetischer geht es nicht. Aber so etwas erreicht mich, mich erreicht so ein Hollywood-Bombast.

Und die großen Symphonie-Komponisten, Beethoven, Mozart, Tschaikowsky…?
Christensen: Nein, so rein klassisch unterwegs war ich nie. Als Kind habe ich Rondo Veneziano hören müssen, durch meine Eltern. Vielleicht kommt daher der leichte italienische Kitsch, der mir im Nacken hängt.

In einem Interview von dir las ich den Satz „Wenn ich meinen Namen auf CDs presse, gehe ich eigentlich davon aus, dass es auch relativ erfolgreich wird.“ Daraus lassen sich nun zwei Dinge ableiten: deine selbstbewusste Haltung – und die Berechenbarkeit des Publikums.
Christensen: Das liegt glaube ich daran, dass ich einen sehr durchschnittlichen Geschmack habe. Ich höre unheimlich gerne Popmusik. Pet Shop Boys zum Beispiel, Bee Gees – oder auch das neue Kesha-Album finde ich extrem gut. Mein Geschmack ist sehr mainstreamig. Und die Taktung, dass ich jetzt nach 30 Jahren im Musikgeschäft ab und an mal treffe, die ist eigentlich ganz gut. Insofern finde ich es gar nicht aufschneiderisch, davon auszugehen, dass sich ein Titel verkauft. Ich könnte auch sagen, hanseatisch zurückhaltend: Bei mir ist die Chance auf einen Erfolg relativ groß. Es kann natürlich mal schief gehen, aber die Wahrscheinlichkeit eines Flops ist gering.
In der Produzenten-Welt muss ich mich auch immer wieder gegen neue Leute beweisen, die genauso gut sind. Wenn eine neue Band oder Künstlerin total interessant ist, rennen nicht alle sofort zu mir und sagen: Produzier das bitte. Sondern da sind 100 andere, die das auch toll können.

Wird heute besser produziert als zu deiner Anfangszeit?
Christensen: Ja, ich würde tatsächlich sagen, dass es einen gewissen Qualitätssprung gegeben hat. Acts wie Robin Schulz oder Felix Jaehn, die jetzt so weltweit durch die Decke gehen, wären ohne das Virale gar nicht möglich gewesen.
Früher gab es in den USA noch so Plattenfürsten, die gesagt haben, ‚dieser Künstler aus Deutschland – Westbam oder wer auch immer – der findet hier nicht statt‘. Und dann fand der auch nicht statt. Heute verbreiten sich solche Sachen durch das Netz, die Entscheidung liegt jetzt bei den Hörern. Die sagen ‚wir finden Robin Schulz toll‘, deswegen hat der einen Hit in Amerika.

Und weil nicht mehr die alten Plattenfürsten entscheiden hat es einen Qualitätssprung gegeben?
Christensen: Genau. Wenn ich mir auf Spotify die 50 aktuellen Welthits durchhöre, da ist die Qualität durchgehend gut, das klingt alles gut produziert.

Stichwort Robin Schulz: Hat nicht auch eine enorme Angleichung stattgefunden an diesen Mainstream-House-Sound?
Christensen: Sicher gibt es viele Songs, die da jetzt im gleichen Fahrwasser schwimmen. Aber ich glaube, das war immer schon so. Es fällt einem heute nur eher auf, weil man noch mehr penetriert wird, durch die ewige Online-Verbindung kann man dem nicht mehr entfliehen. Deswegen denkt man vielleicht: Oh, da klingt wieder einer wie Chainsmokers, und noch einer, und der dritte hat auch noch einen Hit damit. Aber am Ende des Tages gilt: Ganz groß ist immer das Original. Daran ändert sich auch nichts.

Jan Böhmermann hat 2017 in einem Video-Clip gezeigt, wie nichtssagend viele erfolgreiche Pop-Titel sind. Wie siehst du diese Diskussion?
Christensen: Also, Böhmermanns Analyse war schon sehr unterhaltsam. Und ehrlich gesagt: Ein bisschen Recht hat er ja. Alle haben eine Gitarre in der Hand, alle schreiben ihre Songs angeblich selber, wollen zeigen, dass sie so tiefen Inhalt haben – und dann ist da gar kein Inhalt. Wenn man sich schon auf die Fahnen schreibt, gehaltvolle Musik zu machen, ja dann muss man das auch tun. Ansonsten gibt es solche Kritiken wie die von Böhmermann.

Hätte Musik mit tiefgründigem Inhalt denn Platz in den Charts?
Christensen: Es gibt Songwriter, die gehaltvolle Musik schreiben und damit erfolgreich sind. Allerdings sind auf den Zug schon so viele aufgesprungen, dass wir inzwischen ein kleines ‚Neue Deutsche Welle‘-Phänomen haben. Das ist jetzt erzählt, wir brauchen wieder eine andere Musik. Die Kids haben das schon lange gemerkt, die hören jetzt deutschen Gangster-HipHop. Ob der gehaltvoll ist, das ist natürlich eine andere Frage.

Böhmermann hat mit „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ gleich einen nichtssagenden Pop-Titel mitgeliefert. Hast du dich da in gewisser Hinsicht ertappt gefühlt? Denn ein Song wie „So schön ist die Zeit“ von Michelle, den du produziert hast…
Christensen: Meine Musik ist reine Unterhaltung. Ich behaupte ja nicht, Singer-Songwriter zu sein, ich würde auch nicht behaupten, meine Texte sind der ‚deep shit‘ und soll die Leute tief berühren – das wäre vermessen. Das machen andere besser.

Bei den meisten Songs, die es in die Top20 der Charts schaffen, stehen neben dem Interpreten immer viele andere Songwriter und Komponisten in den Credits, siehe Max Giesinger, siehe Mark Forster, siehe Glasperlenspiel etc.
Christensen: Das ist aber kein neues Phänomen. Elvis hat ja auch keinen seiner Titel geschrieben, er war allerdings ein begnadeter Künstler, er stand über dem Songwriting. „the singer makes the song“. Das ist Showbusiness und „Show“ bedeutet ja auch, etwas vorführen, darstellen, Illusionen wecken. Dass in den Credits dann andere Musiker stehen, das gab es schon immer. Nur fällt es den Leuten jetzt auf, weil sie es auf einmal alles recherchieren können. Das Musikbusiness ist gläserner geworden und dadurch geht ein bisschen die Illusion der Show und der Magie verloren.

Was sich allerdings kaum recherchieren lässt, ist der kreative Anteil des Künstlers einerseits und des Produzenten andererseits. Wenn du beispielsweise für Michelle produzierst, könntest du deinen kreativen Input in Prozent beziffern?
Christensen: Das kommt drauf an: Mal sind es 50, mal 100, mal 20 Prozent. Die Initialzündung ist immer von mir – und dann versuche ich, mit den besten zusammenzuarbeiten um möglichst das beste Ergebnis zu erzielen. Da bin ich anderen Produzenten wahrscheinlich relativ ähnlich, so wie Max Martin, der hinter sehr vielen erfolgreichen Pop-Songs steckt. Er sucht sich auch immer die besten Mitstreiter, mit denen er das zusammenbauen kann. „One hand can’t clap“, du brauchst einen Konterpart, mit dem du dich auseinandersetzt.

Aber die meiste Zeit investierst schon du?
Christensen: Ja, klar. Wobei ich viele Dinge, die ich früher selbst gemacht habe, heute Spezialisten überlasse. Das finde ich auch ok, dadurch kann ich ein bisschen mehr schaffen. Wenn ich heute noch Vocals editieren müsste – das wäre eine Katastrophe. Ich kann mir die Vocals anhören und entscheiden ob sie gut sind. Aber mich jetzt hinzusetzen und Vocals editieren – das wäre so, als wenn Ridley Scott den Alien selbst spielt. Das schaffe ich nicht.

Die Musiksoftware hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten stark weiterentwickelt…
Christensen: Auf jeden Fall. Schau dir zum Beispiel mal EZKeys an. Das kommt von einer Firma aus Schweden und liefert dir unfassbare Presets. Da gibt es Akkorde passend zum Bass, das Schlagzeug passt auch dazu… Du kannst dir einfach deine Akkorde aussuchen, schiebst ein paar Sachen hin und her und hast innerhalb von zehn Minuten einen sehr gut produzierten Song – erstaunlich! Ich arbeite viel damit, das ist kein Geheimnis. Alles was gut für die Inspiration ist, benutze ich natürlich.

Im Studio Braun-Film „Fraktus“ hast du ja gezeigt, wie man mit drei eher unbegabten Musikern binnen kurzer Zeit einen Hit produzieren kann. Du hast da mit viel Selbstironie…
Christensen: … die Wahrheit gespielt. (lacht)

Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen: Kann man als Produzent im Prinzip aus jedem Amateur einen Charterfolg machen?
Christensen: Ja, kann man. Das Schöne an Musik ist doch, dass wir dieses große Sammelbecken haben. Da kommen alle rein, denn zum Glück gibt es dafür keinen Numerus Clausus. Es können Genies mitmachen, gute Musiker, Zuhälter, Verbrecher, Unbegabte – alle sind willkommen. Es gibt keine Elitenbildung, keine Abschottung, sondern bei uns kann jeder mitmachen. Und das macht es so spannend. Weil dann die Erfolgsgießkanne rumgeht und sich random-mäßig einen rauspickt – nach dem Zufallsprinzip, nicht weil du das Genie oder der Nicht-Talentierte bist. Schwupps hast du die Nummer 1, und keiner weiß warum.
Die interessantere Frage ist allerdings: Passiert das nochmal? Denn erst wenn die beknackte Gießkanne ein zweites Mal bei dir landet, entsteht eine Kontinuität.

Das heißt, auch wenn ich jetzt mit Musik eher wenig zu tun habe, könnte mir ein Produzent wie du zu einem Hit verhelfen?
Christensen: Ich glaube, mit einer guten Idee geht alles. „Eins, zwei – Polizei / drei, vier – Grenadier / fünf sechs – alte Gags / sieben, acht – Gute Nacht“ – das ist eine gute Idee. Random-mäßig hat Modo damit einen Hit gehabt. Zu recht, denn er hat die Leute damit unterhalten.
Jeder kann einen Hit haben. Selbst das Alter spielt keine Rolle. Wer hätte Scatman John entdeckt? Ein Mitt-50er mit Schnauzbart, der stottert und Jazz macht? Wer hätte dem eine Nummer 1 zugetraut? – Ich glaube, niemand. Genial, dass man damit einen Hit haben kann!

Du hast mal (im Interview mit der Deutschen Welle) von dir gesagt, du seist „chartbesessen“. Überprüfst du also regelmäßig, wo deine Produktionen stehen?
Christensen: Heute ist es ja sehr diversifiziert, Amazon-Charts, Spotify… was soll ich mir da als erstes anschauen? Aber ich verfolge das schon, ich gucke schon mal bei Itunes, wie der aktuelle Zwischenstand ist, das finde ich spannend, ein bisschen olympisch.

© Marcel Brell

© Marcel Brell

Heißt chartbesessen auch, dass du vor allem Produktionen angehst, von denen du denkst, dass sie chart-kompatibel sind?
Christensen: Ja. Ich höre ja auch nichts Anderes. Es würde für mich keinen Sinn machen, etwas zu machen, was nicht chart-kompatibel ist, weil ich davon keine Expertise und keine Ahnung habe.

Gibt es in deiner Diskographie auch Produktionen, die dir heute, im Nachhinein, peinlich sind?
Christensen: Nein. Es gehört ja alles zu meiner Person und zu meiner Entwicklung dazu. Ich habe mich auch nie drum geschert, was das Umfeld denkt. „Was werden die anderen DJs denken, wenn ich ein Album mit Michelle mache?“ – Das ist mir wirklich vollkommen egal. Weil ich es viel spannender finde, solche Sachen zu machen als immer nur das Gleiche. Wenn man immer das Gleiche macht, wird man bräsig und gemütlich.
Das ist wie, wenn ich ins Restaurant gehe: Ich fände nichts langweiliger als immer die 39a zu bestellen. Sondern ich möchte ich die Karte irgendwann durch haben, alles gegessen und alles probiert haben. Ich könnte auch nicht immer im gleichen Land Urlaub machen. Klar ist es angenehm, wenn ich weiß, wo im Hotel die Handtücher hängen. Aber es ist auch toll, in ein anderes Land zu fahren, andere Kulturen kennen zu lernen. Das öffnet meine Synapsen und meinen Horizont.

Aber wenn du nun andere Musikstile für dich entdeckst: Ist es nicht so, dass du in deinen Produktionen oft die Ecken und Kanten der Stile abschleifst, um sie für den Mainstream zugänglich zu machen?
Christensen: Die Ecken und Kanten schleife ich ja für mich ab. Mir selber muss es ja gefallen.

Aber geht durch das Abschleifen nicht auch ein Stück Vielfalt verloren?
Christensen: Das mag sein. Aber das muss man dann als seine Aufgabe sehen. Das ist glaube ich nicht meine Aufgabe.

Du hast viel Unterhaltungsmusik produziert: Eurodance, Schlager, Euro-Pop. Hat es dich nie gelangweilt, wenn Musik keinen Tiefgang hat und eher oberflächlich bleibt?
Christensen: Hm… gib mir mal ein Beispiel für nachhaltige, tiefgründige Pop-Musik?

Vielleicht „I Need a Dollar“ von Aloe Blacc.
Christensen: OK. Also, ich finde es gut, dass es so was gibt, aber es ist nicht mein Ansinnen. Meine Musik soll Emotionen wecken, sei es, dass man feiern will, an etwas erinnert sein will, verliebt ist – für mich ist wichtig, dass sie Emotionen weckt.
Die Jagd nach der tiefen Message, die wird meistens bei der zweiten oder dritten Platte lächerlich. Denn es ist ja so: Wenn jemand „I Need a Dollar“ singt, weil es ihm so schlecht geht und wenn derjenige danach mit Dollar überschüttet wird – dann wirkt es aufgesetzt, wenn er beim nächsten Album wieder drüber singt „mir geht’s so schlecht, I need a Dollar“, und gleichzeitig sitzt er im Hilton und isst Kaviar. Das geht für einen Moment gut, aber es kann auch schnell unglaubwürdig werden. Wenn ich mir große Punkbands in Deutschland anschaue, die immer noch punkig sein wollen, das wirkt auf mich nicht glaubwürdig. Wenn da auf einmal Immobilienbesitzer auf der Bühne stehen und sich als Wahnsinns-Punkband darstellen … – Illusion ist alles in unserer Welt. Und auch die tiefgründige Message ist oft eine Illusion.
Bono Vox ist Milliardär geworden, dadurch dass er an Facebook beteiligt ist. Kann ich dem abnehmen, dass er nah am Volk ist und mit dem Volk die Probleme besingt? – Fällt mir schwer. Ich kann es ihm nur abnehmen, wenn ich naiv rangehe. Wenn ich es mir komplett isoliert anhöre und sage: OK, das ist gute Musik, die erreicht mich, die Texte sind tiefgründig, wunderbar. Die Frage, ob er es geschrieben hat, ob er es wirklich empfindet, muss man da wahrscheinlich beiseite stellen. Sonst hat man irgendwann keinen Spaß mehr an Musik.

Bis vor einem Jahr waren einige Songs von dir auf der Plattform Youtube nicht abrufbar, sie waren Teil eines Streits zwischen der GEMA und Youtube um die fehlende Vergütung bei Streams. Inzwischen haben sich die beiden Parteien geeinigt. Bist du, was Vergütung anbelangt, mit der heutigen Situation zufrieden?
Christensen: Es gibt immer noch eine gewisse Schieflage, wenn man sich anguckt, was ein Künstler live an Einnahmen generiert, im Vergleich zu den Einnahmen, die der Autor der Titel bekommt, die der Künstler aufführt. Insbesondere bei DJs: Ein guter DJ, der international auflegt, bekommt 100.000 Euro am Abend. Die Produzenten der Songs, die er auflegt, bekommen davon nur ein Trinkgeld – da stimmt das Verhältnis nicht so ganz.
Zu dem Youtube-Streit muss ich auch sagen, dass das ein bisschen verdrehte Welt war: Alle huldigen Google, einem der größten Konzerne der Welt – und die kleine GEMA, die Autoren vertritt, bekommt den Stempel, rückständig und doof zu sein. Da merkt man, wie mächtig Marketing sein kann. Klar, auch bei der GEMA ist vieles im Argen, aber Google ist eigentlich das Uncoolste überhaupt. Ein Laden, der uns überwacht, ganz gute Suchergebnisse liefert, zufällig im richtigen Moment Youtube gekauft hat, eine reine Aktien-Gesellschaft, an der Leute beteiligt sind, mit denen man wahrscheinlich nicht gut Kirschen essen kann, der wird als cool empfunden und unsere kleine GEMA aus München, wo ein paar Professoren und Alt-Autoren versuchen, sich dagegen aufzulehnen, kriegt eins auf die Nase. Das ist schon eigenartig.

Um nochmal auf deine Studio-Arbeit zurückzukommen: Wie schnell kann man heute einen Remix produzieren?
Christensen: Ein Remix kann drei Stunden brauchen und dann ist er gut, ich kann aber auch mal eine Woche brauchen und dann ist er immer noch nicht gut. Das Arbeiten an sich geht bei mir sehr schnell, aber das Zufriedensein, das dauert immer ewig.
Entscheidend ist doch: Usain Bolt braucht für die 100 Meter zwar nur Sekunden, aber das schafft er nur, weil er dafür jahrelang trainiert hat. Wenn also jemand in zwei Stunden einen guten Remix produzieren kann, dann auch, weil er sich vorher schon seine Gedanken gemacht und seine Hausaufgaben gemacht hat.

Gibt es für dich auch ein ‚Remix-Sakrileg‘, einen Original-Song oder bestimmten Künstler, den man nicht remixen sollte?
Christensen: Nein, denn das kann man immer erst hinterher beurteilen. Irgendwann gibt es bestimmt nochmal ein Beatles-Remix-Album – eigentlich graut es mir davor, dass wird bestimmt schrecklich sein. Aber dann ist vielleicht ein Genie dabei, der einen Beatles-Song in so einen tollen Kontext bringt, dass man es gut findet. Ich habe auch bei Elvis gedacht, das kann nie was werden, aber der Remix von „A Little Less Conversation“ von Junkie XL, der war doch eigentlich ganz geil.

Chris de Burgh sagte einmal, dass man heutzutage beim Songschreiben vorsichtig sein muss, da die Anzahl von Akkorden begrenzt und viele Melodien sozusagen schon ‚verbraucht‘ seien. Ist das vielleicht ein Grund, warum es im Pop-Geschäft häufig zu Plagiatsvorwürfen kommt?
Christensen: Also, wenn man sich darüber Gedanken macht kann man ja gar keine Akkorde mehr spielen. Das sind immer nur diese 56 verschiedenen, die immer in den Charts sind, immer die gleichen. Und es liegt alles so nah beieinander, dass man immer wieder einen auf die Nase kriegt. Robin Thicke hat bestimmt nicht damit gerechnet, dass er wegen „Blurred Lines“ verklagt wird. Und so was ist mir auch schon passiert.

Du wurdest schon mal verklagt?
Christensen: Ja, wobei wir uns geeinigt haben, bevor es zur Verhandlung kam. Wir hatten bei U96 „Love Sees No Colour“ ein Sample drin, das erinnerte sehr an „Fade to Grey“ von Visage, geschrieben von Midge Ure. Und da hatte er auch Recht. So etwas passiert, da habe ich nicht aufgepasst. Bin eben DJ. Stockfehler. (lacht)

Ich hatte nur von dem Vorwurf gehört, dein Song „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ sei ein Plagiat von „Runaway“ von The Soundlovers.
Christensen: Nein, ein Plagiat war das nicht. Bei dem Song standen die Songwriter von vornherein in den Credits, mit denen habe ich damals einen Deal gemacht.

Welcher Song von dir ist deiner Meinung nach völlig unterbewertet?
Christensen: „Club Bizarre“ von U96. Der lief völlig unterm Radar, obwohl er eine Qualität hat. Aber das gibt es ja manchmal, wenn ein Song einfach zum falschen Zeitpunkt rauskommt.

Letzte Frage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur bist du?
Christensen: Hm, wie hieß nochmal der Typ bei Asterix, der mit dem Zaubertrank?

Miraculix.
Christensen: Ja, genau der bin ich. Die Leute kommen zu mir, kriegen den Zaubertrank und bumms sind sie erfolgreich. (lacht)

Ein Kommentar zu “Gute Dinge entstehen nur durch Querdenker und ein bisschen Wahnsinn.”

  1. Marcel Schindler |

    Alex Christensen. Ich finde ihn ja total super. Als Producer ist er über jeden Zweifel erhaben und als DJ ist er ziemlich gut. Und tatsächlich super bodenständig. Ich hab den irgendwann mal im ZAK auf ner 90er Party getroffen und wir haben uns echt gut über Musiksoftware unterhalten.

    Toller Typ.

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