Herr Skipis, was unterscheidet das Buch von anderen Konsumgütern?
Skipis: Das Buch ist sowohl eine Ware, also ein Wirtschaftsgut, als auch ein Kulturgut. Das zeigt schon, dass das Buch im Wesentlichen inhaltsgesteuert ist. Das heißt, wir, die Buchbranche, generieren und verbreiten Inhalte, und tragen damit zum Diskurs in der Gesellschaft, zur Bildung und zur Kultur bei. Das Buch an sich ist dabei nur das Trägermedium.
Was ändert das E-Book?
Skipis: Das E-Book ist auch nur ein Trägermedium, ein neues Trägermedium, das im Moment auf der Schwelle zur Marktgängigkeit steht. Das heißt, es ist komfortabel und es ist so gut lesbar, dass es wirklich ernst zu nehmen ist. Wir wissen natürlich nicht, in welchem Umfang das vom Kunden wahrgenommen werden wird – letztendlich entscheidet darüber der Leser. Aber wir sind überzeugt davon, dass wir ein Angebot im Bereich E-Content machen müssen. Im Gegensatz zur Film- und Musikbranche in der Vergangenheit sind wir gut aufgestellt, wenn die neue Entwicklung auf den Markt kommt. Was wir noch brauchen, sind sichere Rahmenbedingungen, da ist die Politik gefragt.
Glauben Sie, dass das E-Book das klassische Buch eines Tages komplett ablösen wird?
Skipis: Das ist eine sehr schwere Frage. Mittelfristig mit Sicherheit nicht. Für die langfristige Entwicklung in diesem Bereich ist die weitere technische Entwicklung entscheidend. Wir alle sind aufgewachsen mit dem Buch als einem Gegenstand, den man fühlen und riechen kann. Man hat etwas in der Hand, man erlebt etwas mit einem Buch. Daher ist auf lange Sicht auch weiterhin das konventionelle physische Buch der absolute Favorit. Ich denke, dass das E-Book erst einmal Nischen besetzen wird. Es wird dort erfolgreich sein, wo es seine Vorteile ausspielt – beispielsweise auf Reisen.
Inwiefern wird das E-Book in der Lage sein, seine Nachteile gegenüber dem herkömmlichen Buch auszugleichen – die fehlende Haptik bzw. sinnliche Präsens und die fehlende Repräsentabilität in Form von Cover und Buchrücken?
Skipis: Ich kann mich noch erinnern, als Handys auf den Markt kamen. Da war das Handy ein Statussymbol und es gab Handyattrappen für diejenigen, die es sich nicht leisten konnten. Wenn wir das auf das E-Book übertragen, könnte es künftig auch extrem chic sein, mit einem E-Book-Reader unterwegs zu sein und darin zu lesen. Auf der einen Seite gibt man mit dem E-Book auch zu erkennen: Ich bin auf den neuesten Stand der Technik. Vielleicht aber auch: Ich lese. Bücherwände in den Wohnungen geben etwas über den intellektuellen Anspruch des jeweiligen Bewohners Auskunft. In diesem Feld will das E-Book mit Sicherheit nicht konkurrieren.
Welche Zielgruppe sehen Sie momentan für das E-Book?
Skipis: Es ist ein Medium für professionelle Leser und wird zuerst bei technik-affinen Menschen Erfolg haben, die seine Vorteile nutzen wollen. Wenn Sie unterwegs sind, können Sie ohne weiteres mehrere Bücher dabei haben, die Sie für Ihre Akten- oder Handtasche viel zu schwer wären. Das E-Book können Sie – egal wo Sie sind – sofort lesen. Das halte ich für einen enormen Vorteil. Das elektronische Buch wird viel verfügbarer sein als das gedruckte Buch.
Sind die E-Book Reader aber nicht eigentlich schon überholt durch die Entwicklung der Netbooks, die fast genauso klein und von der Nutzung her noch komfortabler sind?
Skipis: Die Netbooks sind nicht genauso klein wie die Reader. Das ist eine sehr schwierige Abstufung. Es gibt sehr verschiedene E-Books mittlerweile. Letztendlich entscheidet das alles immer der Kunde. Möchte ich drei Geräte mit mir herum tragen oder werde ich alles nur noch auf dem Handy lesen?
Es gibt also keine Prognosen, auf die sich der deutsche Buchhandel einrichtet?
Skipis: Nein, belastbare Prognosen gibt es dazu nicht. Zum Beispiel wird der Sony-Reader in seinem Herkunftsland Japan gar nicht mehr verkauft, weil die Japaner nicht mehr auf dem Reader lesen, sondern auf ihren Smartphones. Das ist wiederum etwas, was wir uns hier überhaupt nicht vorstellen können – auf derart kleinen Flächen zu lesen. Es hat sich sogar in Japan schon eine spezielle Literaturkultur dazu entwickelt. Es ist daher sehr schwer, momentan eine Entwicklung zu prognostizieren.
Angesichts der besprochenen Entwicklungen sind einige Mitglieder der Buchbranche davon überzeugt, dass wir unmittelbar vor einer Revolution unserer Lesegewohnheiten stehen. Halten sie derartige Annahmen für übertrieben?
Skipis: Von einer Revolution würde ich nicht sprechen, weil es sich bei den Veränderungen um Prozesse handelt, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Eher sollte man in diesem Zusammenhang von Evolution sprechen. Die Lesegewohnheiten haben sich schon mit dem Computer verändert und sie werden sich zusätzlich verändern mit der Möglichkeit, E-Books zu lesen. Aber auch da muss ich sagen, wie das im Einzelnen ablaufen wird, kann man maximal für die nächsten zwei Jahre vorhersagen.
Haben Sie eine Idee davon, wie sich die Einführung des E-Books wirtschaftlich auf den Buchhandel und auf die Autoren auswirken wird?
Skipis: Die Erfahrungen, die Amazon in den USA gesammelt hat, weisen darauf hin, dass das physische Buch keine Nachteile dadurch haben wird. Das heißt, die Leute werden parallel und sogar gesteigert klassische Bücher kaufen. Durch die Möglichkeit, ein E-Book anzuschauen, entsteht auch der Wunsch, das wirkliche Buch zu besitzen. Das Verhältnis zum Buch ist ein anderes als zu Musik. Musik realisiert sich durch das Hören, das auch beiläufig geschehen kann. Zum Buch aber gibt es oft eine wesentlich intimere Beziehung, wie ich finde. Und diese realisiert sich auch darin, dass es sich anfassen lässt.
Wie sehen die Verkaufsstrategien des deutschen Buchhandels für das E-Book aus?
Skipis: Die deutsche Buchbranche hat mit Libreka die Grundlage dafür geschaffen, dass Bücher elektronisch verfügbar sind. Libreka stellt die Plattform seinen Mitgliedern zur Verfügung, und Buchhandlungen, Verlage und Zwischenhändler können die Plattform nutzen, sie in ihren Shops einbauen oder sich dabei von uns helfen lassen. Damit wird Libreka in erster Linie der Vertriebskanal für ein E-Book. Andere Anbieter wie Thalia zum Beispiel können daran genauso teilnehmen und die Plattform in ihre Shops einbauen.
Das E-Book wird erst einmal Nischen besetzen.
Was heißt das für den Benutzer?
Skipis: Sie können über drei Ebenen zu Libreka gelangen. Entweder Sie suchen direkt über Libreka ein Buch, klicken auf „Kaufen“ und werden dann zu einer Buchhandlung geleitet, über die das abgewickelt wird. Der zweite Weg ist, das Buchhändler hat Libreka in ihrem Onlineshop einbauen. Und als dritte Möglichkeit realisieren wir den Online-Shop für den Buchhändler. Parallel dazu können wir ihm eine Libreka-Station in seinem Buchgeschäft aufbauen, mit der er seinen Kunden Zugang zu sämtlichen verfügbaren Werken ermöglichen kann. Das heißt, der Kunde kann dort Einsicht in jedes Buch nehmen. Das ist für uns ein ganz wesentlicher Aspekt, weil wir sagen: Das Kulturgut Buch ist ein sehr beratungsintensives Gut, bei dem es auf die Kompetenz der Buchhändler ankommt. Sie werden in den normalen Buchhandel gehen können, legen ihren Reader hin und haben im Anschluss die gewünschten Titel auf dem Gerät.
Und wahlweise vielleicht auch nur ein Kapitel? Im Musikbereich laden sich viele Kunden schließlich auch nur einzelne Songs herunter, nicht das ganze Album…
Skipis: Ich denke, dass man im Bereich Ratgeber und Sachbuch genau diese Möglichkeiten haben wird. Sie interessiert zum Beispiel in einem Reiseführer über New York nur das Thema Jazz-Kneipen, dann werden Sie eben nur diesen Teil kaufen können. Diesen können Sie gleichzeitig herunterladen, ausdrucken und auf Ihre Reise mitnehmen.
Dieses flexible Angebot wird es in Zukunft geben?
Skipis: Ja, unbedingt. Denn das ist ein Vorteil dieses Systems, den sie sonst nicht haben.
Wird es die Buchpreisbindung auch für E-Books geben?
Skipis: Buchpreisbindung ist jetzt schon für das E-Book geregelt: Es gibt eine Buchpreisbindung. Dabei legt jeder Verlag einen E-Book-Preis fest. Wir empfehlen, dass dieser unter dem physischen Buchpreis liegen soll, aber das ist eine Entscheidung des Verlages.
Aus der Musikbranche ist bekannt, dass aus illegalen Downloads Schäden in Millionenhöhe entstehen. Halten Sie in diesem Problemfeld die Medien Buch und Musik für vergleichbar?
Skipis: Vergleichbar, wenn auch nicht in Einzelheiten. Wir sind in Sorge, dass das Thema illegale Downloads, also der Rechtediebstahl im Netz, auch in der Buchbranche überhand nehmen wird. Je mehr Nachfrage nach E-Content da ist, umso mehr wird es auch illegale Anbieter geben. Deswegen haben wir auf der Buchmesse angekündigt, dass wir mit allen rechtlichen Mitteln gegen illegale Up- und Downloader und gegen die unterstützenden Plattformen vorgehen werden.
Kann man etwas über die Höhe des Schadens sagen, der durch illegale E-Book-Downloads verursacht wird?
Skipis: In der Buchbranche noch nicht, da fehlen uns noch die Untersuchungen. Wir wissen aber, dass es etliche Wissenschaftsverlage gibt, die in Existenznöte geraten, weil ihre Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren. Wenn Sie einen Anatomieatlas mit einer Auflage von vielleicht 2000 Exemplaren auflegen und dieser sofort elektronisch verfügbar ist, dann haben Sie kaum eine Chance, diese 2000 Exemplare für 60 oder 70 Euro zu verkaufen.
Welche Lösungen sehen Sie in diesem Zusammenhang?
Skipis: Wir fordern die Politik auf, uns dabei unbedingt zu unterstützen. Zwar bemerken wir eine gewisse Sensibilität, registrieren aber kein Handeln. Das Thema illegale Downloads wird bagatellisiert und immer auf das Thema Schulhof und den Austausch unter Schülern reduziert. In Wahrheit steckt dahinter das organisierte Verbrechen und an dieser Stelle ist der Staat gefordert. Das Internet ist mittlerweile ein verwahrloster, rechtsfreier Raum, er braucht rechtsstaatliche Regeln, die beachtet werden müssen.
Welche Lösung wäre eine ideale, die Sie sich beispielsweise in Zusammenarbeit mit der deutschen Politik vorstellen könnten?
Skipis: Wir möchten eigentlich nicht den Klageweg gehen. Unser bevorzugter Weg wäre eine internetzeitgemäße Maßnahme, nämlich Aufklärung durch Mails an Up- und Downloader, die illegal handeln. Nach einer zweiten Mail werden dann Konsequenzen angedroht. Das heißt wir klären auf, wir schrecken ab und wenn das nicht hilft, dann wird auch konkret gehandelt. Das heißt, dann wird entweder geklagt oder der Internetzugang abgestellt.
Sie wünschen sich eine Lösung nach dem Vorbild Frankreichs (wo zukünftig ein Gesetz Abmahnungen und Internetsperren für Raubkopierer regeln soll)?
Skipis: Absolut, das ist unser Favorit. Wir brauchen diese Möglichkeit, zwei Mal abzumahnen und bei Nichtbeachtung den Internetzugang des Nutzers für eine bestimmte Zeit abzustellen.
Ein Problem bei der Digitalisierung ist der Kopierschutz, beim Musikdownload haben sich Digital Rights Management-Systeme als wenig benutzerfreundlich erwiesen. Wird dies beim E-Book anders sein?
Skipis: Wir empfehlen unseren Verlagen, auf sämtliche DRM-Maßnahmen zu verzichten, um dem Nutzer den größtmöglichen Komfort zu bieten. Es ist nicht zumutbar, dass man in der Nutzung der Ware behindert wird, wenn man etwas kauft. Allerdings raten wir, ein digitales Wasserzeichen einzusetzen, ein psychologisches DRM sozusagen, bei dem wir genau verfolgen können wer, wann, was gekauft hat.
Was war das erste E-Book, das Sie gelesen haben?
Skipis: Das war von Sherko Fatah, "Das dunkle Schiff".