Frau Neldel, für die „Rebellin“ mussten Sie zuweilen innerhalb eines Drehtages Ihre Rolle Lena als 16jährige, Mitte 20jährige und über 30jährige Mutter und Geschäftsfrau spielen. Ist das nicht verwirrend?
Neldel: Das stimmt, ja. (lacht)
Was haben Sie dadurch über das Altern gelernt?
Neldel: So extrem musste ich nur an einem Drehtag zwischen den Altersstufen hin und her switchen. Da hat man dann die Kostüme, die einem sehr helfen. Ansonsten wäre es wohl schwieriger gewesen, wenn ich das erste Mal in meinem Leben eine Frau gespielt hätte, die wirklich alt ist. Als achtzigjährige Lena hätte ich mir wirklich noch mal Gedanken über das Alter machen müssen. Aber zum Glück ist die älteste Lena im Film so alt, wie ich jetzt selbst bin. Ich musste mich also nur zurückerinnern, wie ich als 16jährige war.
Allerdings hat man von im Krieg aufgewachsenen 30jährigen eher das Gefühl: die haben so viel erlebt, die haben schon ein gefühltes Alter von mindestens 60.
Neldel: Deswegen finde ich unsere Gegenwart jetzt ja so toll. Heute kann man mit Anfang 30 noch jung sein, das war damals nicht so. Da waren in dem Alter die Kinder schon fast vorm Erwachsenwerden. Lena ist „Die Rebellin“, weil sie zwar auch in jungen Jahren schon ein Kind bekommen hat, aber auch gearbeitet hat – und zwar sehr, sehr viel. Nicht, dass die Frauen in den 50ern nicht gearbeitet hätten, aber sie arbeitet in einem Unternehmen an höchster Stelle mit. Und das war damals nicht normal.
Wahrscheinlich ist dieses Klischee, dass Frauenleben der 50er aus Küche, Kindern, Kirche bestanden hätten…
Neldel: Entschuldigen Sie, wenn ich mich da gleich einmische, aber ich glaube eben nicht, dass die Männer damals nur ihre Rolle gehabt haben, und die Frauen ihre. Gerade nach dem Krieg haben die Frauen ja die Rollen der Männer übernommen. So, wie Lena, die sich um ihre kranke Mutter kümmern musste und um ihre jüngere Schwester, die zur Schule geht. Sie musste alles machen, hat nur gearbeitet, hatte ihren Vater im Hinterkopf, der im Krieg gestorben war, und sie hat einfach nicht so an sich gedacht.
Wir sind hier ja in der Tat in der Situation, über die Zeit unserer Eltern und Großeltern zu reden, also nur über die Bilder, die wir uns von den 50ern machen können. Welches Bild hatten Sie vor der Arbeit an „Die Rebellin“ von den 50er Jahren?
Neldel: Ich dachte wirklich, das war die Zeit des Aufbaus, des Wirtschaftswunders, da sah alles ganz toll aus. Aber man kann sich nur schwer vorstellen, was das wirklich für eine Zeit war, in der Ehefrauen zum Beispiel noch eine schriftliche Genehmigung von ihren Männern brauchten, um arbeiten gehen zu dürfen.
Überspitzt gesagt, scheint das Patriarchat damals für Struktur gesorgt zu haben – in einem zerrissenen Land, dessen Bewohner sich, vom heutigen Verständnis ausgehend, eigentlich komplett einer Psychotherapie hätte unterziehen müssen.
Neldel: Das sieht man in dem Film ja auch an verschiedenen Rollen: Es ist nicht normal, aus dem Krieg zu kommen und mit dem normalen Leben gleich weiter machen zu können. Deswegen finde ich es ja auch gut, die Geschichte der „Rebellin“ als Dreiteiler erzählen zu können, weil es der absolute Wahnsinn ist, was die Menschen da durchmachen müssen und man sich dafür auch die Zeit nehmen muss.
Wer in der Mitte der 1970er Jahre geboren wurde, kann jetzt etwa mit dem Abstand auf seine Kindheit zurückblicken, mit dem die eigenen Eltern Mitte der 70er auf die Nachkriegszeit zurückblickten. Das zeigt doch, dass die Geschichte einem viel näher ist, als es die historische Patina, die auch auf Filmen über diese Zeit liegt, uns weismachen möchte.
Neldel: Das ist auch nah. Bei mir in der Familie war es aber so, wie in vielen Familien, dass gar nicht so viel über diese Zeit gesprochen wurde. Meine Oma hat mir erzählt, dass sie eine Trümmerfrau war, aber sie hat nur kurz angerissen, was sie erlebt hat. Das war eine Zeit in ihrem Leben, über die sie echt nicht gerne geredet hat.
Man kann diesen ahistorischen Reflex auch bei vielen beobachten, die zur DDR-Zeit erwachsen waren und sofort abwinken, wenn sie nach ihren Erinnerungen befragt werden. Wer die Wende als Kind erlebt hat, erinnert sich da schon viel lieber.
Neldel: Stimmt. Davon könnte ich erzählen. Damals war ich allerdings erst 13. Ich bin in Berlin-Steglitz aufgewachsen. Mir war schon bewusst, dass da die Grenzen aufgehen, aber wenn ich ein paar Jahre älter gewesen wäre, hätte ich das Ganze sicherlich noch mal anders aufgenommen.
Fühlen Sie sich durch Ihre Schulzeit nicht genug geschichtlich informiert?
Neldel: Da hat man ein bisschen was mitbekommen, man musste die ganzen Jahreszahlen auswendig lernen und hat Filme und Dokumentationen gesehen. Aber die Dokumentationen, die mir meine Regisseurin Ute Wieland zur Vorbereitung für „Die Rebellin“ gegeben hat, waren ganz anders, da habe ich viel mehr entdeckt. Ich saß davor und dachte: Ach, da kam erst dieses Auto und da der Fernseher. Allerdings bin ich nun auch in einem Alter, in dem mich das mehr interessiert, als damals in der Schule.
Hätten Sie gerne in den 50er Jahren gelebt?
Neldel: Früher hätte ich wahrscheinlich gesagt: Ja. Da gab’s schöne Kleider und neue aufregende Musik kam auf. Ich konnte jetzt aber 75 Drehtage in die 50er eintauchen und ich bin sehr froh, im Hier und Jetzt zu leben.
Im Hier und Jetzt könnten Sie nun zum Kiosk gehen und sich die „Missy“ kaufen, das neue feministische Magazin für junge Frauen. Da gibt es eine Rubrik zu der Frage: „Wann haben Sie sich zuletzt aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligt gefühlt?“ Was wäre Ihre Antwort?
Neldel: Ich fühle mich mit meinem Geschlecht ganz wohl (lacht). Und ich fühle mich auch nicht benachteiligt.
Wo wäre denn heutzutage Rebellentum als solches noch gebraucht?
Neldel: Ob es gebraucht wird, weiß ich nicht. Ist man dann ein Rebell, wenn man sich gegen irgendetwas durchsetzt?
Ich bin sehr diszipliniert und wenn ich etwas mache, dann mache ich es auch hundertprozentig.
Was zumindest Lena in „Die Rebellin“ für ihre Zeit untypisch erfolgreich macht, ist ihre Eigenschaft, zu insistieren, sich nicht mit erstbesten Antworten zufrieden zu geben. Hat Ihnen diese Eigenschaft auch selbst geholfen?
Neldel: Ich weiß nicht, ob ich wie Lena wäre, die vor ihrem Chef Sattler steht und hartnäckig auf ihren Job beharrt. Ich darf nun mal in meinem Job arbeiten, wie ich jetzt arbeite und ich habe auch sehr viel Glück gehabt.
Glück alleine ist es aber auch nicht, oder?
Neldel: Ich bin auf jeden Fall sehr diszipliniert und wenn ich etwas mache, dann mache ich es auch hundertprozentig.
„Die Rebellin“ ist nicht nur eine Hommage an durchsetzungsstarke Frauen, man kann den Film auch als eine mythologisch aufgeladene Imagekampagne für das Fernsehen verstehen. Schließlich werden in Lenas Unternehmen mit die ersten TV-Geräte für den Massenkonsum hergestellt. Welche Bedeutung hatte das Fernsehen für Sie, bevor Sie darin auftraten?
Neldel: Ich selbst hatte als Kind noch einen Schwarzweißfernseher. Für mich war das was normales, so, wie die Kiddies heutzutage mit Computern groß werden. Ich habe in den 80er Jahren ferngesehen, habe da meine „Sesamstraße“ gehabt und mich glücklich gefühlt. Ich habe mich auch immer gefreut, wenn Samstagabend „Wetten, dass?“ mal wieder ein bisschen länger ging. Es gab bei uns nie zu viel Fernsehen, aber es war auch nicht verboten.
Von gewissen Sendungen mal abgesehen, die Sie dann auf Ihrem Schwarzweißfernseher unter der Bettdecke sehen konnten?
Neldel: Nein, dann bin ich ins Bett gegangen. Und zwar wirklich.
Sie waren ein folgsames Kind, Frau Neldel?
Neldel: Ja. (lacht)
Würde es Ihnen gefallen, wenn Sie Ihre Disziplin etwa als Regisseurin oder Produzentin auf andere übertragen könnten?
Neldel: Ich mag meinen Beruf wirklich wahnsinnig gerne. Und über das Produzieren habe ich mal nachgedacht, aber da merkt man ja auch, wie viele Leute bei so einem Projekt noch mitreden. Ich habe früher immer gedacht, produzieren ist toll, man kann sich seine Leute suchen, den Film durchziehen und das war’s. So ist es ja leider nicht. (lacht) Jetzt bin ich froh, Schauspielerin zu sein, aber mal sehen, was die Zukunft noch bringt.
Noch mal kurz zu „Wetten, dass?“: im Dezember saßen Sie selbst bei Thomas Gottschalk auf der Couch. Nimmt einen das rein privat den Zauber von TV-Unterhaltung?
Neldel: Das war schon etwas Besonderes, weil ich mit der Familie Samstag abends ja auch schon zu Frank Elstners Zeiten immer „Wetten, dass?“ geguckt hatte. Plötzlich hieß es: du gehst da hin. Ich war so richtig nervös an dem Abend. Ich kam auch als letzter Gast, hatte ein bisschen Zeit, mich vorzubereiten und dann ging alles ziemlich schnell. Er war nett zu mir, der Herr Gottschalk und jetzt war ich eben mal da. (lacht) Und es war etwas Besonderes.
Sie hätten sich bei „Wetten, dass?“ mit Johannes Heesters über die 50er Jahre unterhalten können.
Neldel: Das stimmt. Aber ich kam gar nicht dazu, mit ihm zu reden (lacht).
Zum Bild der 50er Jahre gehört ja auch, dass man von Amerika träumte. Das Land von Elvis und James Dean wurde zum Sehnsuchtsort. Was ist heute an diese Stelle getreten? Australien zum Beispiel, finden auffallend viele Frauen toll.
Neldel: Ja, das stimmt, und Neuseeland.
Warum eigentlich?
Neldel: Ich glaube früher fand man die USA spannend, weil da so wahnsinnig viel passiert ist. Jetzt stellt man sich vielleicht etwas Ruhiges vor, den größtmöglichen Gegensatz.
Das Empire State Building spielt ja auch in „Die Rebellin“ eine Rolle, weil Lenas Vater mit ihr da gerne mal hinauf wollte, auf das damals höchste Gebäude der Welt. Haben die im Film regelmäßig eingeblendeten Klatschmohnfeldern auch eine symbolische Bedeutung, zum Beispiel für das Anbrechen des Drogenzeitalters?
Neldel: (lacht) Nein, ich glaube das war einfach nur ein schönes Bild und wenn die Blütenblätter abfallen, sollte das nur einen Zeitsprung signalisieren.
Zweitletzte Frage: Welche Hoffungen verbinden Sie mit dem neuen Jahr 2009?
Neldel: Wenn alles so läuft, wie 2008, bin ich sehr zufrieden.
Letzte Frage: Wenn Sie Ihre Schauspielkarriere, von „GZSZ“ über Kinofilme, wie „Bang Boom Bang“ bis hin zu „Die Rebellin“ Revue passieren lassen, was haben Sie bei „Verliebt in Berlin“ gelernt, das Sie vorher über Ihren Beruf nicht wussten?
Neldel: Früher wurde ich oft so besetzt, dass ich gut aussehen musste und die Klamotten gut zu sitzen hatten. Bei „Verliebt in Berlin“ war es so: Ich konnte einfach nur spielen, ich musste mir keine Gedanken machen, ob ich gut aussehe oder nicht. Da ging es einfach um etwas anderes, da ging es wirklich um die Person.
Aber braucht man bei so einer beherrschten Rolle, wie Ihrer Anwältin in der Serie „Unschuldig“ nicht auch eine erlernte Technik?
Neldel: Ich lerne von jeder Rolle. Und gerade weil ich keine gelernte Schauspielerin bin, habe ich immerhin gelernt, auch ohne Scheu Fragen zu stellen. Ich gucke auch bei anderen Kollegen ab und bei Filmen, die ich mir anschaue. Und das funktioniert ganz gut, solange Kollegen nicht im Hintergrund stehen und faxen machen (lacht).