Frau Gundlach, haben Sie „Momo“ gelesen, den Roman von Michael Ende?
Gundlach: Ja.
In der dortigen Phantasiewelt versuchen die Menschen Zeit zu sparen und vergessen dabei, im Jetzt zu leben. Hätten Sie in einem bestimmten Lebensabschnitt auch einmal ein paar Stunden in eine Zeitsparkasse einzahlen wollen, um Sie für später aufzuheben?
Gundlach: In meinem Leben existieren solche Gedanken nie über lange Phasen. Aber in Momenten kenne ich das gut. Natürlich würde ich manchmal eine bestimmte Zeit gerne einfrieren, um sie irgendwann wieder aufzutauen. Zum Beispiel große Glücksmomente, ganz starke Eindrücke, die man festhalten möchte, auch aus Angst, dass man sich später nicht mehr so genau an sie erinnert. Aber ich muss Ihnen sagen: Je älter ich werde, desto mehr lässt das nach. Ich will nicht ewig leben und Endlichkeit ist für mich vollkommen in Ordnung. Ewige Jugend, ewige Schönheit, ewiges Leben – das würde ich nie anstreben. Unter den heutigen Bedingungen reizt mich das überhaupt nicht!
Beschäftigen Sie sich viel mit der vergangenen Zeit?
Gundlach: Nur in Verbindung mit der Gegenwart. Deswegen ist das Buch, das ich geschrieben habe, auch keine Autobiografie, sondern ich erzähle darin Geschichten aus der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, die ich mit dem Heute vergleiche. Ansonsten beschäftige ich mich selten mit der Vergangenheit. Das, was mich geprägt hat, gebe ich weiter. Also ist die Vergangenheit auch ein bisschen Gegenwart. Und diese Gegenwart reicht mir, sie ist spannend genug. Auch die Zukunft als isoliertes Gedankenspiel interessiert mich nicht sonderlich, sondern am meisten in dem, was wir den nächsten Generationen hinterlassen – als Welt, als Kosmos, als Planet.
Sie sprechen in Ihrem Buch viele Themen an – Hartz IV, Bildung, Erziehung, den Klimawandel…
Gundlach: Genau das, womit die nächste Generation fertig werden muss, Probleme, die ihr Alltag sein werden. Wir haben ja für vieles davon den Grundstein gelegt. Vom Jugendwahn, den meine Generation zu verantworten hat, bis hin zu Klimaschäden.
Waren Sie denn schon immer jemand, der gesamtgesellschaftlich gedacht und das große Ganze im Blick gehabt hat?
Gundlach: Bestimmt nicht als ganz junge Frau. Allerdings war ich immer sozial denkend. Das heißt, ich habe nicht in eine konkrete politische Richtung gedacht, aber immer schon an meine Mitmenschen. Es war mir wichtig, dass es meinen Nachbarn und den Menschen um mich herum gut ging, also habe ich schon früh genau hingesehen, wenn sich etwas schlecht entwickelte. Dadurch konnte ich dort helfen, wo es nötig war. Aber je älter ich wurde, desto mehr registrierte ich die Kluft.
In Ihrem Buch schreiben Sie: „Die Kluft zwischen den Menschen wird tiefer“…
Gundlach: …mit der Ergänzung: „wenn wir nichts dagegen unternehmen.“ Denn der Druck nimmt stärker zu. Das heißt, wenn jeder nur um seine Existenz, um sein Plätzchen, um sein kleines Leben kämpfen muss – und das muss fast jeder –, dann fördert das Egoismen. Man wird sich mehr auf sich konzentrieren und weniger um das Drumherum kümmern. Angesichts der wirtschaftlichen Situation und anderer Bedrohungen, von der Umwelt bis zum Terrorismus, neigt der Mensch natürlich dazu, sich auf sich selbst zurückzuziehen. Dadurch wird die Kluft automatisch größer, weil man keine Lust mehr hat, sich um irgendetwas anderes als um sich selbst zu kümmern. Aber so ist keine Zukunft denkbar!
Kann man sagen, dass wir in vielen Bereichen heute eher eine Gegeneinander- als eine Miteinander-Gesellschaft sind, in der verschiedene gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausgespielt werden? Jung gegen Alt, Arm gegen Reich, Stark gegen Schwach, die aktuelle Hartz IV-Debatte ist ja auch geprägt davon.
Gundlach: Ja, in vielen Bereichen geht es im Moment eher gegeneinander. Vor zwei Jahren habe ich eine Bühnenshow mit 40 Menschen aus aller Welt und verschiedenen Generationen inszeniert. Da hat es an gegenseitigen Vorurteilen wahrlich nicht gemangelt, aber es hat keine Woche gedauert, um alle miteinander zu verbinden. Die Klammer war Respekt, meiner Meinung nach die wichtigste Grundlage zwischen Menschen. Später haben sich sogar richtige Freundschaften ergeben, das hat mich sehr beeindruckt.
Ich denke, dass das, was im Kleinen funktioniert, auch im Großen funktionieren könnte. Und ich glaube fest daran, dass es nur miteinander geht, denn wenn wir uns immer weiter auseinanderentwickeln, werden wir vieles nicht bewältigen. Angesichts der Globalität ist ja auch nichts mehr, das in der Welt vor sich geht, nur auf den Ursprungsort beschränkt, sondern alles berührt und betrifft alles. Mit Konsequenzen. Das ist noch gar nicht genug in den Köpfen der Leute drin. Als es ins Millennium ging, gaben bei Umfragen viele „Angst vor der Globalität“ an. Das ist jetzt schon wieder zehn Jahre her, aber die Menschen haben sich immer noch nicht richtig damit beschäftigt.
Warum existieren diese Angstgefühle immer noch?
Gundlach: Weil die meisten einfach zu wenig darüber wissen. Ich glaube grundsätzlich, dass alles, womit man sich beschäftigt, die Angst reduziert. Wenn man weiß, womit man es zu tun hat, kann man sich auch besser darauf vorbereiten, kann man besser mit den Konsequenzen umgehen. Ich denke, dass Globalität für viele nur ein Begriff ist und sie nicht kapiert haben, dass sie ein Teil davon sind.
Wenn man die Diskussion über den demografischen Wandel betrachtet, hat man es ja auch oft mit einem Schreckensszenario zu tun, das da heraufbeschworen wird. Wir werden immer älter – aber es wird kaum positiv gesehen, sondern meistens im Zusammenhang mit der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme. Ist das auch ein Beispiel dafür, dass wir als Gesellschaft immer nur alles negativ sehen und Angst haben, vor dem, was kommt?
Gundlach: So ein Verhalten ist ja auch viel einfacher, und es liegt ein bisschen an der Mentalität. Deutschland ist gern etwas „tiefgründiger“, wie das dann genannt wird. Ich würde es eher als negativ bezeichnen. Ernstes hat einfach mehr Gewicht als Unterhaltsames, das gilt für alle Bereiche. Ich finde das sehr deutsch. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Finanzierung des Älterwerdens schwierig wird, hat es bisher in allen Epochen für alle Probleme immer Lösungen gegeben, die sich auf dem Weg herauskristallisierten und die man vorher nicht kannte. Sie ergaben sich aus bestimmten Entwicklungen. Nach meiner Meinung ist es – ohne Schönfärberei – durchaus möglich, dass sich bestimmte Probleme gar nicht als so groß erweisen. Sonst wäre die Menschheit längst ausgerottet.
Ein Beitrag, dass Älterwerden nicht als etwas Negatives gesehen wird, ist das konstruktive Miteinander. Junge und ältere Menschen können sich wunderbar ergänzen und einander viel geben. Dann würden sich auch diese Kontroversen – wer zahlt wessen Rente und warum haben junge Leute keine Manieren mehr? – sehr schnell in Luft auflösen und den positiven Dingen weichen.
Hat die Jugend heute oft zu wenig Respekt vor der älteren Generation?
Gundlach: Man bekommt den Eindruck, wenn man Berichte oder Statistiken liest. In meinem Umfeld – und ich bin sehr wach und gucke wirklich sehr gut hin, was um mich herum passiert – sehe ich das nicht. Im Gegenteil; viele gehen durchaus respektvoll miteinander um. Es geht ja auch gar nicht darum, dass man als Jugend nur Respekt vor dem Alter hat, sondern ein Älterer kann genauso gut Respekt vor der Jugend haben.
Vielleicht mal ein Beispiel: Ich habe außer meinen eigenen Kindern fünf so genannte „Liebeskinder“. Diese fünf Menschen sind heute 27 bis 38 Jahre alt und mir in Phasen ihres Lebens begegnet, als sie zwischen 14 und 18 waren und vor einer Weggabelung standen. Aus mehr oder weniger zufälligen Gründen war ich da und konnte bei ihnen etwas anschieben. Das hat offensichtlich das Leben dieser Fünf beeinflusst, denn wir sind die ganzen Jahre immer zusammengeblieben, ich habe sie begleitet und sie mich. An dieser Beziehung sehe ich, was man einander geben kann, wenn man auf beiden Seiten bereit ist, mit dem, was der andere hat, respektvoll umzugehen. Ich glaube, dass es auch nur so funktioniert. Wenn ältere Leute nur untereinander sind und zu Jungen gar keinen Zugang mehr haben, nichts über sie wissen, und auch umgekehrt Junge nichts über Ältere, dann werden Vorurteile nie abgebaut. Je mehr man miteinander zu tun hat und je mehr man auch erkennt, dass andere ihren Weg gehen und dass der zwar anders ist als der eigene, aber deshalb nicht schlechter, desto besser funktioniert das Miteinander.
Ist dieser Austausch mit den Jüngeren auch etwas, das Sie jung hält?
Gundlach: Ja, bestimmt. Ich glaube, dass alles Aktive, Neugierige jung hält. Wahrscheinlich hatte ich schon immer eine alte Seele, auch als junge Frau, aber ansonsten war ich extrem jung. Mit dreißig hat man mich zehn Jahre jünger geschätzt, mit 40 auch – im Grunde hatte ich immer diese zehn geschenkten Jahre. Was mich mit 20 gestört hat, finde ich mit zunehmendem Alter immer angenehmer. Das liegt natürlich auch daran, wie man mit der Welt umgeht. Ob man sich an ihr beteiligt und ob man sich selbst noch irgendwie fit hält. Indem man sich bewegt und seinen Geist und seinen Körper trainiert, anstatt nur im Sessel zu sitzen und fern zu sehen. Und das versuche ich auf jeden Fall.
Sie sind die ersten Jahre bei ihren Großeltern in Italien aufgewachsen, für Sie hat Familie immer eine große Rolle gespielt. Wenn Sie nun einmal vergleichen, wie prägend die ältere Generation für Sie war – wie sehr unterscheidet sich das von der Generation Ihrer Enkel, was ist heute anders im Verhältnis zwischen Jung und Alt?
Gundlach: Ein Problem ist auf jeden Fall die räumliche Entfernung. Heute guckt Oma nicht mal eben über den Gartenzaun oder macht ganz spontan Gemeinsames mit der Familie. Auch die Kinder können nicht mal schnell zu Oma und Opa gebracht werden. In der heutigen Zeit müssen alle flexibel und mobil sein und wohnen nicht mehr neben Oma.
Hinzu kommt, dass sich die Erziehungsmethoden auch sehr geändert haben. Ich sehe das an meinen Enkelkindern. Eine Zehnjährige heute ist permanent verliebt, ernsthaft mit Liebeskummer und all diesem Gedöns – etwas, das ich mir mit 15 noch nicht vorstellen konnte. Und sie kennen sich super mit Technik aus, haben schon ihr eigenes Handy, bedienen den PC. Das, was ich dagegensetzen möchte – gegen frühes Gefühlschaos und zu viel Technikeinfluss – ist Natur. Ich gehe mit den Kindern raus und zeige ihnen die Maserung eines Blattes oder die Risse eines Baumstammes. So wie ich es von meinen Großeltern gelernt habe. Aber es ist mühsam. Ich fand es noch richtig toll, als mein Großvater mir die Natur erklärt hat und habe mich überhaupt nicht gelangweilt. Bei meinen Enkelkindern muss ich schon irre Geschichten dazu erfinden, um sie bei Laune zu halten. Trotzdem ist es eine richtige Großelternaufgabe, ein bisschen Natur, ein bisschen Wertegefühl, etwas Ruhe und Geduld in ihren fordernden Alltag zu bringen.
Mit was für Gefühlen denken Sie an die Zeit zurück, als Sie ein kleines Mädchen waren?
Gundlach: Mit zärtlichen! Für mich war die Kindheit ein großer Abenteuerspielplatz, und es gab immer eine Ansprechperson. Fiel mal eine in unserer großen Familie aus, war immer eine anderer da, während die Kinder heute ja oft nicht einmal eine einzige Person haben. Sie bleiben allein mit ihren Problemen, während ich damals mehrere Menschen zur Auswahl hatte, die mich auch ernst nahmen und denen ich meine dummen kleinen Geschichten erzählen konnte. Heute haben die Kinder selten Erwachsene als Ansprechpartner, weil oft beide Eltern arbeiten und die Großeltern weit weg sind. In sozialschwachen, kinderreichen Familien gibt es regelrechte Vernachlässigung. Die soziale und emotionale Kinderarmut nimmt extrem zu. Mit Zahlen, die einem Tränen in die Augen treiben.
Sie beklagen, dass auch Sitten wie gemeinsames Essen aus Zeitgründen heutzutage kaum mehr möglich sind…
Gundlach: Das finde ich auch deswegen so schade, weil ich mich daran erinnere, dass das Essen etwas war, wo man über den Tag gequatscht hat. Die Dinge, die einem wichtig waren und die passiert sind, hat man bei den gemeinsamen Mahlzeiten ausgetauscht. Dieses Gemeinsame, in dem es auch darum geht, dass man sich miteinander unterhält, wird immer weniger. Das hat nichts mit „Früher war alles besser“ zu tun; ich fand früher manches überhaupt nicht gut und finde auch heute manches nicht gut. Es ist eben anders und es geht darum, dass man mit dem „anders“ umgehen kann. Das musste jede Generation in jeder Zeit und gilt heute ebenso. Ich würde mir aber wünschen, dass mit den Kindern mehr Zeit verbracht, mehr mit ihnen gesprochen wird, damit sie eine echte Chance bekommen, mit ihren Gefühlen und den Eindrücken in der Welt zu Recht zu kommen.
Ich habe früher auch einsam mit einer Wäscheklammer gespielt, aber nach einer Weile war dann wieder ein Mensch da, der sich um mich gekümmert hat. Heute ist es oft so, dass die Kinder Stunden mit Pflichten verbringen, weil die Schule höhere Anforderungen hat. Aber auch die restliche Zeit verbringen sie mit Dingen ohne Austauschmöglichkeit, und dadurch wird vieles geschluckt. Es wird innen gestapelt und kommt nicht raus – das finde ich immer gefährlich.
Ewige Jugend, ewige Schönheit, ewiges Leben – das würde ich nie anstreben.
Was lernen Sie hingegen heute von den Jungen?
Gundlach: Ich bin computerfit und schreibe meine Bücher am PC. Alles Technische könnte ich nicht, ohne dass es mir meine Kinder und Enkel beigebracht hätten. Von meinen Enkelinnen werde ich über die heutige Situation beim Ballett informiert. Sie machen ja jetzt vieles, was auch mir früher wichtig war. Ich finde nur, dass das übertrieben wird. Neben der Schule haben sie noch zig Aufgaben, die sie wahrnehmen, sind in tausend Vereinen und Gruppen. Ich sage da schon mal: Wir werden für euch Manager wohl noch einen Terminkalender einführen müssen – weil ihr Zeitfenster uns Berufstätigen in nichts nachsteht. Das ist doch erschreckend, oder?
Da wären wir wieder beim Thema Zeit, das Sie in Ihrem Buch als das „große Thema unseres Lebens“ bezeichnen.
Gundlach: Man muss eben richtig damit umgehen. Das ist schwer genug. Ich selbst verplempere auch reichlich Zeit und mache nicht immer das, was ich mir vornehme. Aber bei den Kindern sage ich: Kampfsport, Musikunterricht, Turnen – das muss doch nicht alles parallel sein. Denn die Summe dessen ergibt eine komplett ausgefüllte Woche. Man merkt es auch daran, wie nervös die Kinder heute sind. Oft hektisch und mit zuckenden Augenlidern.
Wie gehen Sie heute mit Ihrem Zeitbudget um? Planen Sie sehr genau, was Sie wann machen wollen?
Gundlach: In beruflichen Anforderungen bin ich total präzise und pingelig, das plane ich genau. Alles Private überhaupt nicht, weil ich auch gesehen habe, dass Planung im Grunde nicht funktioniert. Es passiert irgendetwas Unvorhergesehenes und schon ist alles für den Mülleimer. Darum versuche ich, privat so spontan wie möglich zu sein, was mir sehr gut bekommt, weil es eigentlich nicht meinem Wesen entspricht. Ich habe das richtig lernen müssen. Je spontaner ich sein kann, desto besser wirkt es sich auf mich und mein Umfeld aus. Das hat mich das Leben gelehrt.
Was aus Ihrem Buch heraus spricht ist auch der pure Lebensoptimismus, trotz der Rückschläge – Sie waren ja sehr lange krebskrank – die Sie in Ihrem Leben immer wieder erlitten haben.
Gundlach: Ja, da hab ich schon mein Päckchen abbekommen. In allen Phasen, in denen ich schlimm dran war, half mir mein Überlebenswille oder ein Gefühl von „Ich bin noch nicht dran“ – also eher eine Art Zweckoptimismus. Aber sobald ich wieder ein bisschen Land sah, war auch gleich wieder der echte Optimismus da. Für mich ist es auch immer ein Anschub, wenn ich sehe, dass es anderen schlechter geht als mir. Keine Situation in meinem Leben, keine lebensbedrohliche, keine Verlustsituation, ist nur mir widerfahren, sondern immer auch anderen – und oft eben noch viel schlimmer. Dadurch habe ich mir gesagt: Wenn das kein Grund zum Optimismus ist. Man kann aus jedem Tief wieder auftauchen, aus jeder Lage wieder positiv in die Welt schauen, weil es immer wieder neue Chancen gibt. Man ändert ja nichts an seiner Situation, wenn man sich durch die Tage jault. Ich glaube, dass ich einen sehr starken Lebenswillen habe und aus diesem Lebenswillen heraus auch der Optimismus erwachsen ist.
Sie haben die Verlusterfahrung ja relativ früh gemacht – durch den Tod Ihres Vaters, der starb, als er 40 war, später starb ihre Tochter als Baby an einem Herzklappenfehler. Was für ein Verhältnis haben Sie dadurch zum Tod bekommen?
Gundlach: Der Tod hat seinen Schrecken für mich verloren. Ich weiß, dass er immer nebenher geht, und das hat nur zu einem geführt: dass ich jeden Tag zu genießen versuche. Die Zeit, die mir bleibt, will ich so sinnvoll und so gut wie möglich nutzen. Mich hat der Tod gelehrt, mit dem Leben besser umzugehen.
Sie schreiben auch: Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird. Haben Sie denn andererseits Angst davor, irgendwann nicht mehr so vital und aktiv zu sein wie heute, vielleicht sogar pflegebedürftig?
Gundlach: Ja, klar. Aber ich würde nicht das Wort Angst benutzen, weil Angst bei mir nicht sehr stark ausgeprägt ist. Jemand, der gern was riskiert oder so lange Jahre Fallschirm springt wie ich, ist relativ angstfrei. Mein Impetus ist fast immer Neugier. Schlimmer als ein körperlicher Verfall wäre für mich zum Beispiel so etwas wie Alzheimer. Wenn man viel mit dem Kopf gearbeitet hat und sein ganzes Leben lang schnell denken konnte, für den ist es schrecklich, zu merken, wie seine geistigen Kräfte nachlassen. Alle Demenzkrankheiten sind ja so, dass man sie die erste Zeit noch wahrnimmt. Man weiß, was mit einem passiert, bis man irgendwann in den Zustand gerät, in dem es nur noch die anderen merken. Und da muss man sich schon überlegen, was man dann macht, weil man ihnen dann ja alles überlässt. In dem Moment, wo ich mit meinem Kopf ausfalle, kann ich keine Entscheidungen mehr treffen. Meine Familie muss das für mich tun, daher kommt man nicht drumherum, sich irgendwann mit Patientenverfügungen und solchem technischen Gedöns zu beschäftigen. Und das tue ich jetzt schon langsam.
Fällt es Ihnen schwer, sich mit solchen Themen zu befassen?
Gundlach: Ich finde es schon sehr abstrakt und seltsam, wenn wir zusammensitzen und darüber reden. Etwas in meinem Kopf sagt: Wer weiß, ob ich die Dinge dann immer noch so sehen würde wie heute – zum Beispiel, dass ich auf keinen Fall möchte, dass Maschinen zum Einsatz kommen.
Wenn ich schwer demenzkrank wäre, würde ich lieber in einer Institution sein, in der Menschen bezahlt werden, die sich auskennen und einem das Notwendigste zukommen lassen, bis man, wenn es denn irgendwie geht, möglichst schnell stirbt. Die Verantwortung für die Familie wäre einfach viel zu groß.
Genau wie ein jüngerer hat auch ein älterer Mensch nicht die große Angst vor dem Tod, sondern wir fürchten uns alle gleichermaßen vor einem langen Siechtum. Insofern ist es eigentlich ganz selbstverständlich, dass man rechtzeitig sagt, wie man damit umgehen will, wenn man wirklich pflegebedürftig ist und nicht mehr für sich selbst entscheiden kann. Aber das geht nur, wenn man diesen ganzen Themenkomplex nicht tabuisiert, sondern sich damit auseinandersetzt und in der Familie bespricht.
Als mein Vater starb, gab es keine Versicherung. Finanzielle Nöte waren vorprogrammiert, weil meine Mutter immer gesagt hat: „Ich möchte nicht über den Tod sprechen. Wenn man über den Tod spricht, dann kommt der auch.“ Es gibt ja wirklich die albernsten Argumente, warum man solche Gedanken ausklammert.
Wie kann man dieses Tabu brechen?
Gundlach: Das geht nur mit Hilfe von Medien, auch von einem Buch wie meinem. Es muss immer wieder Menschen geben, die daran erinnern, dass man eben über diese Dinge sprechen muss. Dabei reden ja gerade Ältere ganz gern über Krankheiten und unterhalten sich in Wartezimmern über ihre Wehwehchen. Das finde ich wiederum total müßig und auch destruktiv. Während meiner Krebskrankheit habe ich überhaupt nicht darüber geredet – manch anderer in der Klinik über nichts anderes. Einen Zustand, an dem sich nichts groß ändert, dauernd zu thematisieren, bringt aus meiner Sicht überhaupt nichts.
Wobei viele sich ja auch gar nicht trauen, weil Krankheit als Schwäche angesehen wird – das Thema Depression war in dem Zusammenhang zuletzt ein viel diskutiertes.
Gundlach: Da ist bestimmt was dran. Bei mir war es im Endeffekt eine Mischung aus drei Punkten: Zum einen fürchtete ich die Stigmatisierung, als Zweites wollte ich kein Mitleid und das Dritte war, dass ich grundsätzlich solche Dinge privat finde und sie nicht öffentlich ausbreiten möchte, weil man ja ohnehin schon vieles öffentlich macht. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und sage: Okay, das gehört zu meiner Vita, darüber kann ich auch sprechen, vor allem, weil es mittlerweile verwunden ist. Sicherlich gibt es Krankheiten, über die man leichter spricht und welche, über die man lieber schweigt. Depression hat ja immer noch was von „Klappsmühle“. Andererseits weiß ich, dass manche Prominente auch selbst die Presse anrufen und erzählen, sie hätten Krebs, wenn zuerst nur ein Knoten in der Brust, und überhaupt noch kein Krebs diagnostiziert ist. Das ist in der Branche nicht unüblich.
Aus Marketinggründen.
Gundlach: Ja, die wollen dann einfach in der Zeitung stehen, und dafür müssen eben auch vermutete Krankheiten herhalten. Dabei wird unterschieden, was vorzeigbar ist und was nicht. Mit Prostatakrebs würde wohl niemand freiwillig an die Öffentlichkeit gehen. Depressionen gehören auch dazu. Mit Krankheiten wie Depression können viele Leute nichts anfangen, halten es für Schwäche und deswegen wird das auch eher stigmatisiert.
Vermissen Sie eigentlich das Fernsehen, Frau Gundlach?
Gundlach: Nee. Ich bin ja andauernd als Gast im Fernsehen und sehe nach über dreißig Jahren die ganze Fernsehwelt zum ersten Mal so gründlich von der anderen Seite. Es ist schon eindrucksvoll, was ich da alles erlebe, von dem ich vorher gar nichts wusste, weil ich in meinem schönen Kokon eingespannt war und vieles gar nicht mitbekommen habe.
Zum Beispiel?
Gundlach: Heute haben 98 Prozent der Moderatoren einen Knopf im Ohr, durch den ihnen die Redaktion Fragen rein bläst. Sie haben oft einen – für den Zuschauer unsichtbaren – Monitor in ihrem Tisch, in dem alles draufsteht. Wäre man ein Kameradenschwein, könnte man die Frage, die der Moderator einem stellen will, schon vor ihm in den Raum rufen und bekäme bestimmt Applaus. Ich hab früher noch jedes Buch eines Autors gelesen oder bin ins Kino gegangen, wenn ein Schauspieler bei mir zu Gast war, um mir seinen Film anzuschauen. Meine Fragen musste ich mir früher ja noch selbst ausdenken.
Sie hatten als Moderatorin nie einen Knopf im Ohr?
Gundlach: Nein! – ich kenne das gar nicht. Alles war so, wie ich auch meine Musik mache: echt, handmade. Das heißt: ohne Tricks. Man hat seine Schularbeiten vorher gemacht und etwas über seinen Gast in Erfahrung gebracht – anschließend hat man sich auf das Gespräch eingelassen. Es gab immer ein paar Dinge, die man von ihm unbedingt wissen wollte, und der Rest ergab sich. Je mehr man sich auf ein Gespräch einlassen konnte, desto besser war man als Interviewer.
Ist Fernsehen heute weniger authentisch?
Gundlach: Ich finde es überhaupt nicht authentisch. Das Handwerkszeug, das man früher brauchte, ist heute in viel geringerem Maße nötig. Es gibt nur noch wenige Moderatoren, die sich selbst ihre Fragen überlegen, die restliche Arbeit übernimmt eine Redaktion. Wenn ich das alles damals gewusst hätte, hätte ich mich doppelt so hoch bezahlen lassen. Für mich war es schließlich doppelt so viel Arbeit wie für die Kollegen heute. Die gehen ins Studio, haben 43 Berufe – einer davon ist eben Moderator – und lesen alles vom Teleprompter ab oder haben einen Mann im Ohr. Und das soll dann der gleiche Job sein. Außerdem ist dadurch kaum noch eine Überraschung möglich, die ich in meiner Ära am spannendsten fand.
Gibt es ein Talkformat, das Ihnen heute gut gefällt?
Gundlach: Ja, „Thadeusz“ finde ich Klasse – er ist ein richtig guter Moderator. Auch Frank Elstner finde ich immer noch sehr gut. Unter den Frauen ist es Bettina Böttinger, die noch ohne doppelten Boden arbeitet. Das sind einige derjenigen, die ihre Arbeit noch so machen, wie sich das gehört.
Muy estimada Señora Alida Gundlach,
gestern habe ich in einem Readers Digest ihre Geschichte von Toya und Shuba gelesen…und Perlchen und Braunchen undundund….ich hoffe diese ignorante Tante , die Shubas Tod verursacht hat ist auf irgendeine Weise bestraft worden… ich lebe seit 1974 auf den kanarischen Inseln,erst auf La Palma und nun mit meinem 2.Mann, Spanier, auf Tenerife…und kannte Sie bis gestern nicht…schade, da habe ich wohl einiges versäumt…mein Mann ist – unter anderem Schriftsteller (Sachbücher über keltische Toponomie) und ein Fan von ihm hat uns 2013 nach Mallorca eingeladen…im Moment wo ich dieses Licht sah habe ich es zutiefst bereut auf die vulkanischen Kanaren ausgewandert zu sein…aber blöderweise hatte Mallorca damals diesen
bescheuerten“Putzfrauen Urlaubs Insel“ Ruf….und deswegen Massentourismus..die Kanaren waren noch relativ unberührt…vor allem kannte kein Mensch La Palma…wurde per Post sehr oft mit Palma de Mallorca verwechselt…Ich bin übrigens Jahrgang ‚ 45 August und ehemalige Journalistin….eigentlich wollte ich nur wissen,ob Sie noch Ihr Haus auf Mallorca haben…ich habe ..auch…trotz Brustkrebs vor 10 Jahren ..immer noch vor dieses Licht eines Tages …bis zu meinem Lebensende …zu geniessen…para chuparlo
Wer weiss ob Sie das erreicht… wenn aus technischen Grúnden nicht, dann für alle unsere geliebten Tiere…hatte ähnliches wie Sie in La Palma
un abrozo fuerte :) :)
Hallo Frau Gundlach,
ich habe Sie zuletzt in Tiere suchen ein zu Hause gesehen und das Bedürfnis Ihnen zu schreiben. Ich wollte nur sagen, sie waren und sind mir immer sehr sympathisch gewesen.
Mir ging es ähnlich wie Ihnen. Ich bin Jahrgang 44 und weiß nicht wo die Zeit geblieben ist. Ich arbeite auch noch. 2016 musste ich unser Haus verkaufen, das hatte 220 qm aber weil ich zwischen 2015 und 16 wegen eines versteinerten Tumors nicht laufen konnte kam ich auch die Treppen nicht mehr hoch. 2015
wurde ich von schweizer Geschäftskunden betrogen, bekam vorZorn noch einen Herzinfarkt, dann ereilte es meinen Mann, Jahrgang 56 er hatte bereits 2014 einen Schlaganfall und im letzten Jahr einen Infarkt.
Ich habe immer noch Rachegefühle, aber leider keine Kraft und kein Geld mehr, gegen diese schweizer Kunden anzugehen. Seit einem 1/2 Jahr haben wir wieder einen Hund, dieses mal aus Portugal. Vier Hunde und 2 Katzen hatten wir, dann ist
unser letzte 2017 im Januar gestorben. Aber jeder war und ist etwas besonderes!
Alles ist gut – auch ohne Villa! Aber mit Hund!
Viele Grüße und alles Gute für Sie.
Ingrid Arians