Alligatoah

Niemand hat Selbstironie.

In der Musik von Alligatoah trifft bissige Satire auf rockigen Metal-HipHop – eine ungewöhnliche Mischung, mit der es Lukas Strobel jetzt wieder an die Spitze der Album-Charts geschafft hat. Im Interview spricht Alligatoah über humoristische Vorbilder, die Langlebigkeit seiner Texte, politische Statements, seichte Radiomusik und warum er im Studio fast alles selbst einspielt.

Alligatoah

© Norman Z.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ – Alligatoah, wie kommt der große Johann Wolfgang von Goethe in den ersten Song deines neuen Albums „Schlaftabletten, Rotwein V“?
Alligatoah: Das kam durch einen Zufall, der live auf der Bühne entstand. In einer meiner improvisierten, spontanen Ansagen an das Publikum habe ich gefragt: „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ Darauf habe ich mir dann direkt selbst die Antwort gegeben, „Alligatoah, du Fotze“. Diese Äußerung wurde im Netz zitiert und ab da ist es zum Selbstläufer geworden, es gab zum Beispiel Instagram-Kanäle, die so hießen. Und jetzt gibt es von mir den entsprechenden Song dazu.

Du bist also sehr belesen und kennst dich aus mit den Dichtern und Denkern?
Alligatoah: Nein, das möchte ich nicht behaupten. Nur weil man den „Erlkönig“ kennt, zählt man noch nicht zu den belesenen Intellektuellen des Landes. Das würde ich von mir weisen, schon aus Sicherheitsgründen, damit mir jetzt keine Detailfragen zu Goethes Werk gestellt werden.

Sido meinte einmal hier im Interview, im Vergleich zu Goethe damals seien heute die Rapper die „neuen Poeten“. Stimmst du ihm zu?
Alligatoah: Dem kann ich in Teilen zustimmen. Allerdings mache ich mir Sorgen, was die Langlebigkeit betrifft. Goethes Texte werden auch nach Jahrhunderten noch in der Schule rezitiert. Doch die Medien auf denen wir heute unsere Kunst speichern, haben nur eine kurze Haltbarkeit. Zudem leben wir in einer sehr schnelllebigen Zeit, in der vieles im Informationsstrudel untergeht und verschwimmt.
Ich vermute, um wirklich noch in 200 Jahren zitiert zu werden, müsste man einen Text wieder auf Papier drucken. Vielleicht sollte man auch das klassische Medium des Weitersingens wieder stärker bedienen. Als es früher noch keine Möglichkeit gab, Musik auf ein Medium zu bannen, hat Musik deswegen überlebt, weil sie immer wieder interpretiert wurde, weil Leute sie am Lagerfeuer gesungen und nachgespielt haben. Generell sollte man die Leute wieder dazu bringen, mehr zu singen. Denn das Singen scheint im Moment nicht mehr Teil unserer Kultur zu sein. Man singt nicht mehr einfach so vor sich hin, man trifft sich auch nicht mehr zum gemeinsamen Singen.

Goethe steht im Lehrplan – bei welchem deiner Songs würde es dich freuen, wenn der mal im Schulunterricht behandelt würde?
Alligatoah: Ich würde mich bei jedem Song freuen, wenn der im Unterricht drankommt. Tatsächlich passiert das auch schon. Hin und wieder lese ich in Nachrichten von Followern bei Instagram oder Twitter, die mir schreiben, dass sie einen Song von mir in der Schule behandelt haben. Ob das dann vom Lehrer ausging oder von den Schülern, weiß ich nicht, aber es freut mich auf jeden Fall. So etwas hat am ehesten Langlebigkeit, im Gegensatz zu Mp3s.

Zitiert

Ich muss nicht alle Instrumente spielen. Aber ich kann es.

Alligatoah

Deine Texte stecken oft voller Satire. Wenn Satire ein Schulfach wäre, wer waren dann deine besten Lehrer?
Alligatoah: In meiner frühen Phase, sozusagen in der Satire-Grundschule, war es Rüdiger Hoffmann. Mich hat seine Art inspiriert, wie er brutale, harte Themen spielerisch, süffisant und humorvoll anpackt. Er bringt Dinge auf eine bissige Art und Weise rüber, die aber trotzdem nicht belehrend oder unangenehm ist.

Nach der Lektüre deiner Texte hätte ich auf zynischere Vorbilder getippt, etwa Georg Kreisler, Hagen Rether, Georg Schramm oder Dieter Nuhr.
Alligatoah: Ich habe in der Tat viel Georg Kreisler gehört. Die anderen genannten Kabarettisten schätze ich ebenfalls sehr, würde mich aber mit ihnen nicht vergleichen, weil sie wesentlich mehr politisch engagiert und oft mit einer klaren Linie, einer klaren Message am Start sind.
Was ich mache, hat noch mehr Leichtigkeit, auch Verrücktheit, Unsicherheit und Unwissenheit. Ich lade zum dauerhaften Perspektivwechsel ein, in allemöglichen, auch absurde Richtungen. Zum Beispiel die Welt aus der Sicht eines Terroristen zu sehen, oder aus der Sicht einer Person, die eine Weltanschauung hat, die der eigenen völlig fremd ist.

…so wie im Sketch „Anonyme Ausländerfeinde“ von Rüdiger Hofmann.
Alligatoah: Ganz genau.

Ich las, dass du kein Freund von Verschwörungstheorien bist, aber auch Satiriker verbreiten hin und wieder welche. Georg Schramm behauptete zum Beispiel: Die Bevölkerung wird absichtlich dumm gehalten. Ist da was dran?
Alligatoah: Nein, das glaube ich nicht. Solche Formulierungen implizieren, dass sich irgendjemand mit böser Absicht zur Aufgabe gemacht hat, die Menschen dumm zu halten und zu unterjochen.
Der Schluss, den ich schon auf meinem letzten Album für mich gezogen habe, ist ein anderer: Ich denke, dass alles Schlimme und Furchtbare auf dieser Welt, die Unterdrückung und die Ungerechtigkeiten, im Grunde nicht durch Bösartigkeiten entsteht, sondern durch Dummheit. Durch Unwissenheit und fehlende Empathie. Es gibt Menschen, die Macht haben, sich der Macht aber vielleicht gar nicht bewusst sind, auch nicht der Tragweite ihrer Handlungen. Sie denken, dass sie gerade etwas Gutes tun und bewirken das Gegenteil. Niemand würde von sich selbst sagen, dass er Böse ist und schlechte Dinge tut. Jeder ist der Meinung – sonst würde man es mit sich selbst wahrscheinlich gar nicht aushalten – dass er mit sich im Reinen ist und das Richtige tut. Für denjenigen selbst ist es das Richtige, aber oft nicht für den Rest der Welt.

Zu einer zweiten Verschwörungstheorie: Die Satire-Sendung „Die Anstalt“ hat mal den Eindruck erweckt, dass deutsche Medien unterwandert sind von Lobbygruppen und Think Tanks wie der ‚Atlantik-Brücke‘. Was denkst du darüber?
Alligatoah: Niemand kann Verschwörungstheorien per se ablehnen, denn Verschwörungen können durchaus real sein, siehe die Verschwörung gegen Julius Caesar. In den meisten Fällen bleibt es bei der Theorie, manchmal ist auch etwas Wahres dran.
Was die Unterwanderung von Medien anbelangt: Da wäre ich sehr vorsichtig, solche Theorien zu glauben oder zu verbreiten. Vor allem, weil so etwas eine sehr unangenehme Eigendynamik entwickeln kann. Ich halte viel von der „Anstalt“, ich mag deren Arbeit. Gleichzeitig kenne ich in „den Medien“ auch einige Leute. Und da hatte ich noch nie das Gefühl, dass ich es mit ferngesteuerten Menschen zu tun hatte, die irgendwelche Auflagen erfüllen müssen. Aber vielleicht gibt es das auch hier und da. Ich will das nicht ausschließen.

0_alligatoah_albumcoverKommen wir von der Satire zur Ironie, die ebenfalls in vielen deiner Texte ein Stilmittel ist. Kann man Ironie lernen?
Alligatoah: Das weiß ich nicht. Ich glaube, man kann lernen, Ironie zu verstehen. Man kann auch lernen, wie man sie einsetzt. Allerdings ist das Entschlüsseln einfacher als das Verschlüsseln. Das gezielte und künstlerische Einsetzen von Ironie ist die schwierigere Aufgabe.

Wie ist es mit Selbstironie? Ist die angeboren, der eine hat sie, der andere nicht?
Alligatoah: Ich glaube, niemand hat Selbstironie. Ganz tief drin ist Selbstironie nur ein Versuch zu vertuschen, dass man eigentlich doch immer sehr angegriffen und beleidigt ist, wenn jemand etwas über einen sagt. Auch wenn man absolut der Meinung ist, dass man über sich selbst lachen kann…. Ich selbst bin auch überzeugt, dass ich über mich lachen kann, das tue ich auch. Trotzdem glaube ich, dass irgendwo ganz tief drin immer etwas stirbt in so einem Moment. Ich weiß, das ist jetzt eine steile These – vielleicht sogar eine Verschwörungstheorie.

Wenn der Innenminister Horst Seehofer heißt, in Bayern wieder Kreuze aufgehängt werden und die AfD genauso viel Wähler hat wie die SPD – ist Ironie dann überlebensnotwendig?
Alligatoah: Sie kann einem auf jeden Fall Halt geben und die Sachen ein bisschen erträglicher machen. Ironie kann in solchen Zeiten aber auch ein gefährlicher Begleiter sein, sie kann schnell wie Arroganz rüberkommen. Es kann passieren, dass der Diskurs und der Dialog zwischen den gespaltenen Teilen des Landes verhindert wird, wenn jeder nur noch ironisch und sarkastisch spricht. Dann redet man nicht mehr miteinander sondern nur noch übereinander. Diese Gefahr sehe ich auch.

Auf deinem aktuellen Album gibt es zum Thema Flüchtlinge von dir eine satirisch gefärbte Bestandsaufnahme, in dem Song „Füttern verboten“ heißt es: „Komm an den Zaun, wo die Flüchtlinge wohnen, Fotos sind erlaubt, aber füttern verboten“. Wenn ich dich nun nach deiner Meinung außerhalb eines Song-Textes frage: Tut Deutschland genug, um das Leid von notleidenden Menschen zu lindern oder wünschst du dir mehr?
Alligatoah: Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ganz beurteilen. Wenn ich mich damit befasse, versuche ich immer alle Seiten zu betrachten, mit Menschen darüber zu reden und alles zu sehen. Interessant ist, dass die Linken im Moment sagen, dass die derzeitige Regierung total rechts ist, dass viel zu wenig getan wird. Während die Rechten sagen, es wird zu viel gemacht und die Regierung ist total links. Ich denke, wenn man das ganze Bild betrachtet, wird die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen.
Aus der Sicht meines Herzens kann für notleidende Menschen natürlich nie genug getan werden.

Marteria, Max Herre u.a. haben sich kürzlich mit Schwimmwesten und dem Schriftzug „#together for rescue“ fotografieren lassen, um die Seenotrettunsorganisation SOS Méditerranée zu unterstützen. Ist so ein Statement für dich ebenfalls denkbar?
Alligatoah: Ich habe von der Aktion noch nicht mitbekommen, aber das klingt gut. Es klingt nach einem schönen Statement.

…oder entziehst du dich dem lieber, weil du es nicht magst, politisch verortet zu werden?
Alligatoah: Das mit der politischen Verortung ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Wie gesagt, dieses Statement von Marteria und den anderen ist mir sympathisch, ich kann das unterschreiben. Ich bin aber generell als Alligatoah sehr vorsichtig, mich in irgendeiner Weise außerhalb meiner Musik zu engagieren, zu positionieren, zu platzieren, auf irgendein Plakat setzen zu lassen. Denn ich habe vor langer Zeit entschieden, dass ich kein Prominenter sein möchte. Ein Prominenter hat natürlich eine Meinung, einen Kopf, er denkt, er hat eine Position. Doch das will ich eigentlich nicht, ich will nur Musiker sein und mich von allem anderen frei machen. Damit die Musik noch mehr für sich stehen kann. Das sehe ich in Gefahr, wenn man sich als Prominenter für irgendetwas hinstellt.

Ist Alligatoah nach wie vor eine One-Man-Show? Sprich, du bist Komponist, Textdichter, Instrumentalist und Sänger in einem?
Alligatoah: Ja, auf dem neuen Album gibt es davon aber zwei Ausnahmen: Auf einem Song hat ein Musiker aus meiner Live-Band Schlagzeug gespielt und es gibt ein Rap-Feature.

Und das Schlagzeug in den übrigen Songs spielst auch du?
Alligatoah: Ja, allerdings kann ich das nicht so gut. Die Hand-Fuß-Koordination ist bei mir ein großes Problem, da arbeite ich noch dran. Wenn ich selbst Schlagzeug einspiele, dann nacheinander: zuerst in einem Durchgang nur die Snare, dann nur die Bass-Drum und dann nur die Hi-Hat. Anschließend schiebe ich mir das Ganze zurecht. So mache ich das mit vielen Instrumenten.

Wir reden jetzt von Schlagzeug, Gitarre, Keys…
Alligatoah: …Klarinette und Geige. Ich habe bei diesem Album zum ersten Mal Geige gespielt, auch wenn ich das überhaupt nicht kann. Ich habe immer nur drei Töne gespielt, auf Pause gedrückt, dann die nächsten drei Töne usw.

© Norman Z.

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Wie kommt es zu dieser Einstellung ‚ich muss alle Instrumente spielen‘?
Alligatoah: Ich muss nicht alle Instrumente spielen. Aber ich kann es. Oder anders gesagt: Ich habe die Möglichkeit, sie alle zu spielen, weil ich eine Musik mache, die erlaubt, dass ich dafür einen Spielplatz habe. Warum sollte ich das nicht tun, wenn es mir doch Spaß macht?

Hast du für jedes Instrument einen Lehrer oder bist du Autodidakt und greifst auf Youtube-Tutorials zurück?
Alligatoah: Ich will gar nicht den Eindruck wecken, als wäre ich auf jedem Instrument virtuos unterwegs. Nein, ich nehme die Instrumente in die Hand und versuche ihnen Töne zu entlocken, so lange, bis etwas rauskommt. Irgendwas kommt immer raus.
Ich habe irgendwann begriffen, dass man Instrumente eigentlich nicht mit den Fingern spielt, sondern mit dem Gehör. Als ich das gemerkt habe, war es mir plötzlich möglich, jedes Instrument irgendwie ein bisschen zu spielen. Ein geschultes Gehör, das erkennt, welche Töne jetzt dran wären, findet dann auch irgendwie diese Töne auf dem jeweiligen Instrument. Es ist natürlich auch wichtig, ein Instrument mit Selbstvertrauen zu spielen. Denn wenn man mit Selbstvertrauen den falschen Ton spielt, dann ist es nicht der falsche Ton.

Auf Konzerten bist du mit kompletter Band auf der Bühne. Spielen deine Tour-Musiker dann manchmal zu perfekt?
Alligatoah: Ich habe mir extra sehr, sehr schlechte Tour-Musiker geholt (lacht). Nein, Spaß beiseite. Ich habe sehr gute Tour-Musiker und die schaffen es irgendwie trotzdem, diesen Vibe, den ich in meinen Produktionen habe, live umzusetzen. Da spielt auch die ungewöhnliche Konstellation eine Rolle, es ist ja nicht die Standard-Besetzung mit Schlagzeug, Gitarre, Bass, sondern ich habe eine Klarinette in der Band, einen Gitarristen, DJ und Schlagzeuger. Diese Formation ist so ungewöhnlich, dass sie eben auch diesen Alligatoah-Flavour transportiert.

Was hältst du von dem anderen, sehr weit verbreiteten Weg: Für den Text engagiert man einen tollen Textautoren, für die Musik einen tollen Komponisten und auf der Bühne steht ein sympathischer Sänger.
Alligatoah: Das ist eine sehr ökonomische, effiziente Herangehensweise. Wahrscheinlich führt das auch zu maximalen Ergebnissen, wenn man so rechnerisch an die Sache rangeht, sich den besten Texteschreiber und den besten Beat-Produzenten ranholt. Dabei geht aber eine Sache verloren: Persönlichkeit. Und deswegen mache ich genau das Gegenteil. Ich mache ganz bewusst Sachen, von denen ich weiß, dass andere das besser könnten. Die Instrumente könnten andere besser spielen, andere Produzenten könnten die Musik größer und pompöser produzieren. Ich mache das mit Absicht alles selbst, weil ich dadurch einen Sound bekomme, den ich so noch nie gehört habe.

Nun muss man dazu sagen, dass du ja tatsächlich schon mal mit Deutschlands erfolgreichsten Beat-Produzenten zusammengearbeitet hast, mit Robin Schulz der einen Remix deines Songs „Willst du“ produzierte. Wie kann man diesen Ausflug von dir ins seichte Radiogewässer bewerten?
Alligatoah: Robin Schulz hat damals, das hat er auch selbst gesagt, meinen Song genommen und einfach ein Standard-Drum-Set darunter gelegt. Das war alles, was er an meinem Song gemacht hat. Es hat aber funktioniert, weil es natürlich seichter war, weil es gut ankam in einer Welt, wo man nicht gestört werden möchte, als Radiohörer.

…eine Welt, wo du normalerweise nicht hinkommst, aber in dem Moment hinkommen wolltest?
Alligatoah: Nein. Ich war total überrascht, als sich Radio-Sender dann mir gegenüber geöffnet haben, mit mir sprechen wollten und meine Musik gespielt haben. Wie man auf meiner neuen Platte hören kann, gibt es keinerlei Versuche, mich dieser seichten Welt anzubiedern.

Um so mehr verwundert es ja, wenn von einem Musiker, dessen Alben stets prall gefüllt sind mit anspruchsvollen Texten und Satire, plötzlich ein Song im Robin Schulz-Remix auftaucht.
Alligatoah: Ich verstehe, dass das zu Nachfragen führt. Es ist so: Robin Schulz hat diesen Remix einfach gemacht und hochgeladen. Es ist nicht unbedingt meine Art von Musik, aber ich habe, was Bearbeitungen angeht, diese Sichtweise: Musik muss leben und weitergeführt werden. Ich habe selbst als Rapper schon Songs gesamplet, man verwendet Musik von anderen und macht etwas Neues daraus. Manche Kritiker lehnen das ab, weil sie sagen, man darf das Original, den heiligen Gral, nicht anfassen und nichts Neues aus ihm machen. Doch im Endeffekt ist das der Weg, wie Songs überleben, in einer Zeit von kurzlebigen Medien wie CDs oder MP3s. Es überleben die Songs, die immer wieder aufgelegt, gecovert und neu interpretiert werden.

Apropos Cover: Zu deinem aktuellen Album gibt es (in der Deluxe-Box) eine Bonus-CD auf der du verschiedene Songs coverst, u.a. von Popstar Sia. Ist das ehrliche Liebhaberei oder doch nur Ironie?
Alligatoah: Das ist ehrlich gemeinte Liebhaberei. Ich habe schon seit Längerem dem Wort „guilty pleasure“ abgeschworen. Man hört das ja öfter von Freunden: Es gibt diesen Song, bei dem ich mich nicht traue, zuzugeben, dass ich den gerne mag. Sozusagen ein peinliches Vergnügen. Da denke ich: Eigentlich gibt es nur Vergnügen. Man muss das überwinden, dass man Songs nicht hören ‚darf‘, weil sie ‚uncool‘ sind, weil sie aus einem Genre kommen, dass angeblich ‚gar nicht geht‘. Ich finde gut, was ich gut finde, und das ist Musik aus den unterschiedlichsten Richtungen, aus Popmusik genauso wie aus Metal und Kinderliedern von Rolf Zuckowski. Das wollte ich auch mit diesem Cover-Album zum Ausdruck bringen.

Du coverst darauf auch die Humoristen Heinz Erhardt und Monty Python. Sind das, um auf den Anfang unseres Gesprächs zurück zu kommen, auch Humor-Lehrer von dir gewesen?
Alligatoah: Durchaus. Gerade Monty Python war in meiner Jugend der Moment, wo ich gemerkt habe, dass es da noch was gibt, eine andere Art von Humor, die sich von den blöden Sketch-Shows, die im deutschen Fernsehen liefen, total absetzte. Monty Python haben mich sehr geprägt, insbesondere „Das Leben das Brian“ ist ein von mir gern zitierter Film.

Letzte Frage: Ed Sheeran hören die Leute, weil er unglaublich sympathisch ist. Farid Bang, Kollegah & co hören die Leute, weil sie so schön antiautoritär sind. Warum hören die Leute Alligatoah?
Alligatoah: Ich gebe mir immer die größte Mühe, dass man mich möglichst wenig einordnen und mir nicht den einen Stempel aufdrücken kann, der es leicht macht, eine Hörerschaft zu definieren. Was ich allerdings wahrnehme: Die Leute, die zu meinen Konzerten kommen, wissen mittlerweile worauf sie sich einlassen. Die sind sich sehr bewusst darüber, was ich in meinen Texten sage und sie können sehr gut zuhören. Das war aber auch ein Prozess, den ich durchgemacht habe. Denn nach dem großen Erfolg mit dem Song „Willst du“ waren auch viele Moment-Hörer dabei, die nur den Song kannten, dazu tanzen wollten und den Rest nicht verstanden haben. Danach habe ich mir größte Mühe gegeben, mit komplizierten und ungriffigen, unpoppigen Momenten in meiner Show und in meinen Songs diese Leute auszusortieren und die Spreu vom Weizen zu trennen. Ich habe halt einfach mal zehn Minuten lang blöde, schlechte Witze erzählt – und dann waren irgendwann die Leute weg, die nur tanzen wollten.
Inzwischen kann ich sagen, dass auf meinen Konzerten nur noch Leute sind, die das wirklich annehmen, die zuhören wollen und können – und das sind nicht wenige.

Und wenn du in deinem Musik-Video zu „Vor Gericht“ mit Zipfelmütze die Figur des deutschen Michel zitierst, dann erkennen das deine Fans?
Alligatoah: Es werden in meinen Liedern mehr Dinge erkannt, als ich selbst erkannt habe. Es gibt Websites wie genius.com, wo Song-Texte interpretiert werden, auch Texte von mir. Das finde ich sehr interessant und schön. Weil ich da merke, dass viele Sachen, die ich in meine Songs packe, wertgeschätzt werden. Und zusätzlich lerne ich dadurch Dinge über meine Texte, die ich noch gar nicht wusste. Ich habe eine Hörerschaft, die sehr interpretierfreudig ist. Die machen einen richtigen Sport aus der Interpretation meiner Texte.

9 Kommentare zu “Niemand hat Selbstironie.”

  1. Brünni |

    Schönes Interview. Einiges was Herr Gatoah sehr gut erklärt und beantwortet hat und zugleich die eigentliche Antwort verwehrte :D

    Ich werde gerne sagen, warum ich Alligatoah anhöre (obwohl ich mit Rapp sonst nichts am Hut habe): Seine Musik ist musikalisch (Instrumental, Melodiös) absolut Spitze und eingängig!

    Zudem mag ich Songs, die einfach albern sind, ohne mit ihrer Satire eine handfeste Message ans Volk bringen wollen (was nicht heißt, dass ich messagelastige Songs ablehne). Wie schon bei J.B.O. und Nanowar of Steel kam ich auch zu Alligatoah durch eine Bekanntschaft. Bei Alligatoah war ich zwar unmittelbar von dessen gesanglichen Fähigkeiten beeindruckt und die Melodien des ein oder oder anderen Liedes gingen mir sofort ins Ohr, aber da mir nicht sofort aufging, dass seine Songs inhaltlich anders sind, als die anderer Rapper (ich brauche ein paar Wiederholungen, bis ich alles in einem Lied von ihm verstehe; und Alligatoah schalte nebenbei aus den Autoboxen, als mich jemand nach Hause fuhr), brauchte ich über ein Jahr, bis ich ihn mir endlich richtig zu Gemüte führte.
    Seitdem gehört er zu meiner persönlichen Elite und droht auch nicht, sobald degradiert zu werden!

    Zu einem Konzert von ihm möchte ich, wegen der eindrucksvollen Bühnenshows. Ich liebe Musicals! Alligatoah hat nicht nur einen klassischen Gesangsstil (wie ich selbst, was optimal beim Mitsingen ist, im Gegensatz zu den Metalsongs, die ich sonst höre ), seine Show präsentiert er auch wie kleine kabaristische Musicalsketches! Also genau mein Ding!
    Als großen Nachteil empfinde ich, dass ich befürchte, bei Alligatoah aufgrund der Masse nicht viel seiner Show tatsächlich zu sehen, was mich tatsächlich etwas grübeln lässt, ob ich wirklich dahin möchte. Bei seinen Konzerten ist mir das Sehen wichtiger als das Hören.

    Bei dem Teil über seine tanzwütigen Beinahfans musste ich lachen :D Ich gehöre nämlich gewöhnlich zu jenen, die ausgehen, um zu tanzen und genervt davon sind, wenn Musiker zwischen ihren Songs zu viel labern XD Dann ist man ja völlig ausm Schwung raus!

    Aber es gibt eben auch jene Künstler, zu denen ich gehe oder möchte, weil mich deren Show begeistert.
    Youtube sei Dank weiß man ja heutzutage, worauf man sich einlässt.

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  2. Anonymos |

    Alligatoah ist wirklich einzigartig^^
    Er inspiriert mich.

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    1. Drachenritter |

      12 Robben Babys

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  3. Jelena |

    einfach ein bewundernswerter Mensch

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  4. User |

    Tolles Interview

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  5. User |

    Danke für das ausführliche Feedback

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    1. heiner (RBB-Netz) |

      Bitte

      Antworten
  6. Sara (RBB-Netz) |

    Ich finde es recht langweilig. Aber immerhin wurde mal nicht wieder die ARD „interviewt“. Muss man ja auch mal loben.

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  7. heiner (RBB-Netz) |

    welch ein schönes interview

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