Ein Interview übers Telefon zu führen, kann den Vorteil haben, dass beide Seiten noch konzentrierter bei der Sache sind und die Gesprächszeit dadurch effizienter genutzt wird. Im ungünstigen Fall verstärkt die fehlende körperliche Präsenz Missverständnisse. Um Ana Lily Amirpour, die Regisseurin des bemerkenswerten Vampir-Dramas „A Girl Walks Home Alone at Night“ 20 Minuten sprechen zu können, musste man sich zur verabredeten Zeit in eine Art Telefonkonferenz einwählen – und platzte mitten in das Interview eines Journalistenkollegen mit Amirpour. Man macht sich kurz bemerkbar und hört den beiden noch ein paar Minuten zu, bis sie ihr Gespräch beenden und das eigene beginnen kann. Es war durch diese Umstände wohl nicht zwangsläufig dazu verurteilt, aber es entwickelte sich in eine Richtung, die am Ende vor allem das Gefühl zurückließ, gescheitert zu sein. Doch auch ein verunglücktes Interview über das Bedürfnis nach Autonomie, religiöse Symbolik und einen Lionel-Richie-Song kann mitunter lesenswert sein…
Ana Lily Amirpour, Sie werden als Iranisch-US-Amerikanische Regisseurin bezeichnet, da drängen sich Fragen zu Ihrem familiären Hintergrund auf…
Ana Lily Amirpour: Ich weiß nicht, ich selbst habe mich nicht so bezeichnet. Ich bin ein seltsames Wesen auf diesem Planeten mit all den anderen seltsamen Wesen. Es ist interessant wie besessen die Menschen von Klassifizierungen und Definitionen sind. Gerade Kunst verstehen zu wollen, in dem man Künstler biografisch festzulegen versucht, halte ich nicht für besonders zielführend. Schon wenn man das Wort Iran hört – denkt man dann auch an seine Geschichte, zum Beispiel daran, dass dieses Land einst von Dschingis Khan geplündert worden ist? Der Iran steht für eine gewaltige Summe vieler einzelner Teile, so wie jedes Individuum auch. Es ist kompliziert. Ich habe mich nie irgendwie genannt, anscheinend hatte es da jemand für nötig gehalten, mich irgendwie zu nennen…
Zumindest funktioniert diese Zuschreibung als Werbung. Wir führen dieses Interview ja nicht zuletzt, weil Sie gerade als „Iranisch-Amerikanische Regisseurin“, die einen Vampirfilm gedreht hat, für Aufmerksamkeit sorgen.
Amirpour: Ich bin einfach ein Eintopf. Eine Suppe aus vielen Zutaten, die immer weiter kocht.
Das erinnert mich an ein Gespräch mit dem deutschen Filmemacher Romuald Karmakar. Er hat iranisch-französische Eltern, weigerte sich aber, darüber zu sprechen, weil er davon ausgeht, dass man seine Filme dann nicht mehr unvoreingenommen betrachten würde.
Amipour: Ja, mir geht es da genauso. Ich liebe zum Beispiel das Lied „Hello“ von Lionel Richie seit ich ihn als Kind zum ersten Mal gehört habe. Mögen Sie den Song?
Ich mochte ihn als Teenager…
Amirpour: (Lacht) Sie können ihn immer noch mögen, wenn Sie wollen. Aber müssen Sie dafür wissen, für wen Lionel Richie diesen Song schrieb, an welchem Tag, welchen Stift er dafür benutzte? Muss ich wissen, wo er geboren wurde? Nein! Ich brauche das alles nicht, um mit diesem Stück Musik zu interagieren, um mit ihm eine Beziehung einzugehen.
Und bei Filmen geht Ihnen das genauso?
Amirpour: Zumindest die Filme, die ich mache oder mit denen ich mich verbunden fühle, sind persönlich. Aber was Sie dann in diesen Filmen sehen, hat mehr mit Ihnen zu tun, als mit der Person, die den Film einmal gemacht hat. Ein Film ist wie ein Spiegel. Ein Lied ist wie ein Spiegel, in dem man sich selbst sehen kann. Wir müssen das Universum erklären, das steht auf unserer niemals endenden Agenda.
Wir müssen das Universum erklären, das steht auf unserer niemals endenden Agenda.
Aber kann eine Geschichte, in der zum Beispiel ein Paar den Iran nach der Revolution 1979 verlässt, nach England geht, eine Tochter bekommt und dann in die USA auswandert, nicht auch Einiges erklären?
Amirpour: Naja, was soll ich sagen: All das ist passiert und vieles andere aber auch. Ich möchte aber viel lieber hören, was die Menschen über meinem Film denken. Das würde mich sehr viel mehr interessieren.
Nun, als ich Ihren Film sah, dachte ich zunächst: Wow! Ein schwarzweißer Vampir-Western, der in einem Städtchen irgendwo in den USA spielt, wo aber alle Farsi reden – was für eine tolle Idee! Dann wurde mir klar, dass diese Stadt eine iranische Stadt sein soll…
Amipour: Ja, aber da gibt es einen Vampir in dieser Stadt… Also denke ich, dass es auch in Ordnung ist, wenn man sich da von der realen Welt ein wenig verabschiedet. (lacht) Es gibt keine Vampire, weder im Iran noch in den USA.
Sie glauben nicht an Vampire?
Amipour: Ich wünschte, es gäbe welche. Würden Sie sich nicht von einem Vampir beißen lassen, wenn er Ihnen das anbieten würde? Würden Sie dann nicht ewig leben wollen?
Nein. Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich in einer Pastoren-Familie aufgewachsen bin und dort galt die Erlangung des ewigen Leben als das ultimative Ziel. Ich habe das nie so recht verstanden, ewiges Leben wäre doch in jedem Fall die Hölle. Würden Sie ewig leben wollen?
Amipour: Oh ja! Ich denke darüber nach, seit ich 12 bin. Ich würde nicht einmal zögern. Von einem Vampir würde ich mich sofort beißen lassen.
Ich habe gelesen, dass Sie mit 12 angefangen haben, Filme zu machen. War das also in gewisser Weise auch ein Versuch, sich unsterblich zu machen?
Amipour: Mein Vater hat zu mir neulich genau das gleiche gesagt. (lacht) Wie lustig. Aber wenn Ihr Vater ein Pastor war, hatten Sie dann die Möglichkeit, hinter den Vorhang zu gucken und all diesen seltsamen, geheimen Kirchenkram zu sehen, der normalerweise verborgen bleiben soll?
Zum einen ist mein Vater evangelisch und nicht katholisch. Das macht es wahrscheinlich weniger mysteriös. Als Kind habe ich meinen Vater wohl eher als eine Mischung aus Verwaltungsangestellten und Therapeuten wahrgenommen.
Amipour: Bezeichnen Sie sich als religiös oder als Christen?
Weder noch. Ich kann Religionen akzeptieren, weil sie aus dem Bedürfnis entstanden sind, die Menschen und die Welt, in der wir leben, zu verstehen. Aber sobald die Religion nicht mehr für die Menschen da ist, sondern die Menschen für die Religion da sind…
(An dieser Stelle unterbricht der nächste Journalisten-Kollege, der sich in die Konferenz eingewählt hat, das Gespräch.)
Kollege: Hallo?
Ich glaube, wir haben den nächsten Kollegen in der Leitung…
Amirpour: Oh…
Kollege: Es tut mir leid, zu unterbrechen…
Amirpour: Ja, wir sind gerade auf einer anderen Ebene, in einem verrückten, existentialistischen Diskurs über Religion…
(alle lachen)
Amirpour: Aber ist es nicht interessant, dass die großen Erzählungen in den Religionen nicht erklärt werden müssen? Sie werden nicht hinterfragt. Ich mache nur einen Film und soll aber meine Geschichte erklären (lacht). Aber so ist es eben.
Vielleicht kommen wir noch zu ein paar letzten Fragen, bevor der Kollege in der Leitung übernimmt. Sehen Sie den Tschador, das schwarze Tuch, das vor allem von muslimischen Frauen im Iran und auch von der Titelheldin Ihres Films getragen wird, als religiöses Symbol?
Amipour: Alles was mit „-ismen“ zu tun hat, mit einer Ideologie oder sonstigen starren Systemen, ist nicht mein Ding. Es ist doch nur die Oberfläche der Dinge, die uns dazu bringt sie zu definieren. Welche Kleidung man trägt, welches Auto man fährt, wie man sich in der Öffentlichkeit zeigt. Das bringt die Menschen dazu, vorschnelle Schlüsse aus ihren Mitmenschen zu ziehen. Aber jeder einzelne von uns, hat seine Geheimnisse, viele Schichten. Wenn man unter die Oberfläche schaut ist jeder voller Überraschungen. Für mich ging es bei diesem Motiv in meinem Film niemals um Religion sondern um eine Tarnung und wie sie die Menschen dazu bringt, den, der sie trägt zu unterschätzen. Das trifft auf die Menschen im wahren Leben genauso zu, wie auf die Charaktere in meiner Geschichte.
Durch ein Urteil des Verfassungsgerichts kam in Deutschland vor kurzem die gesellschaftliche Diskussion um das Kopftuch wieder auf die Tagesordnung. Umstritten ist, ob eine Lehrerin im Unterricht ihr Kopftuch als Ausdruck ihrer Religion tragen darf…
Amipour: Das ist eine schwierige Frage und ich werde sie beantworten und sie können mit dieser Antwort anstellen, was immer Sie wollen. Ich bin keine Politikerin, meine Meinung sollte nicht mehr zählen als die von jedem anderen, aber ich sage, was ich denke und ich denke: Menschen die einer mittelalterlichen Mentalität und irgendeinem Extremismus nachhängen, die ängstigen mich zu Tode. Ich mag das nicht und ich habe keine Lösung dafür. Aber ich werde mit diesen Reaktionen konfrontiert. Ich bin nicht einer dieser Leute, die einfach nur hier sitzen und… Und ich bin Iranerin, mein Vater ist ein Wissenschaftler, er ist sehr pragmatisch und wir reden über diese Themen die ganze Zeit. Wissen Sie, meine Eltern haben damals den Iran verlassen, weil sie diesen ganzen Mist hinter sich lassen wollten.
Das verstehe ich…
Amipour: Wir sind nicht mehr im Mittelalter. Warum sollte man nach Deutschland gehen, wenn man das gleich… Das ist so verwirrend für mich. Ehrlich, wir könnten uns über diese Dinge noch Stunden unterhalten…
Kollege: Es tut mir leid, da nochmal unterbrechen zu müssen. Aber ich habe einen Interview-Termin bekommen um 20.40 Uhr. Das ist jetzt…
Amirpour: Es tut mir leid, es wäre wahrscheinlich an der Zeit, dass wir jetzt weitermachen.
Kollege: Es wäre wirklich nett von Ihnen wenn Sie jetzt… Ich hatte 20 Minuten Zeit, jetzt sind es nur noch 17 und ich weiß es gibt einen weiteren Kollegen, der gleich noch dran ist…
Ja, wir sind da alle in der gleichen Situation, ich musste auch ein paar Minuten warten, bis der Kollege vor mir fertig war. Da müssen wir uns vielleicht alle den Umständen anpassen. Ich möchte nur noch kurz festhalten, dass ich es großartig finde, dass in Ihrem Film ein Tschador zu einem Vampir-Kostüm, sozusagen zu einem Accessoire der Pop-Kultur wird. Das öffnet eine andere Perspektive, auch wenn Sie das so vielleicht nicht beabsichtigt hatten…
Kollege: Entschuldigung, ich würde jetzt wirklich gerne mein Interview anfangen.
Amipour: Ja, ich denke, das muss nun wohl so sein.
Nun denn, vielen Dank für das Interview. Auf ein nächstes Mal, vielleicht nach Ihrem nächsten Film.
Amirpour: Farewell.