Frau Röpke, Sie beobachten seit vielen Jahren die Neonazi-Szene und haben 2011 gemeinsam mit Andreas Speit das Buch „Mädelsache“ über Frauen in der Neonazi-Szene veröffentlicht. Woher kam dieser Fokus auf das weibliche Geschlecht?
Röpke: Wir haben festgestellt, dass Frauen als überzeugte rassistische, fanatische Gesinnungstäterinnen viel zu wenig wahrgenommen werden. Dabei sind viele in der rechten Szene sehr engagiert, treiben die menschenverachtende Ideologie aktiv voran und beteiligen sich an Aktionen, Kampagnen und Straftaten. Beispielweise waren bei dem 2003 von Martin Wiese geplanten Sprengstoffanschlag zur Grundsteinlegung der Münchner Synagoge junge Frauen beteiligt, auch in der Wehrsportgruppe Hoffmann waren in den 70er Jahren Frauen aktiv und die 1994 verbotene, militante Wiking-Jugend bestand zu 40 Prozent aus Mädchen und Frauen.
Wurde die Rolle der Frau in der rechten Szene bis dato unterschätzt?
Röpke: Es gab nach 1945 schon immer überzeugte Neonazistinnen, ebenso wie im Dritten Reich, das von Frauen aktiv mit unterstützt wurde. Die Rolle der Frauen wurde in den letzten Jahrzehnten unterschätzt, weil sie als Heimchen am Herd oder als unpolitische Freundin eines Skinheads wahrgenommen wurden.
Sie meinen, wenn beispielsweise die „Bild“-Zeitung die verhaftete Beate Zschäpe konsequent als „Nazi-Braut“ bezeichnet.
Röpke: Ja, in den Medien und auch der breiten Öffentlichkeit wird immer davon ausgegangen, dass Frauen in die Szene nur reinrutschen, weil sie die Freundin eines Rechten sind und sie auch fast nichts über dessen Ansichten wissen. Es fällt uns schwer, einzugestehen, dass Frauen fanatisch sein können, dass sie die Strategien der Nazis ganz bewusst mittragen und mit dieser Einstellung sogar in sensiblen Bereichen wie Schulen und Kindergärten arbeiten. Unter dem Deckmantel der lieben, weichen, sozialen Frau, den die Öffentlichkeit bereitwillig gibt, breiten sich die Neonazistinnen ungeniert aus.
Aber könnte es sein, dass sich nun durch Beate Zschäpe die öffentliche Wahrnehmung der Frauen in der Neonazi-Szene ändert?
Röpke: Durch ihre Person nicht. Sie erfüllte ja das Klischee: Eine junge Frau, die mit zwei bösen Neonazis zusammenlebte, das wurde zunächst boulevardistisch gerne verbreitet. Aber Gott sei Dank haben die Medien begonnen, dieses Bild zu hinterfragen und sich kritisch mit der Rolle der Frau in der rechten Szene auseinanderzusetzen. Dazu haben auch die Enthüllungen der Verbrechen der NSU und ihren weiblichen Unterstützerkreis beigetragen. Das mediale Umgehen mit einer Frau als Rechtsterroristin hat in den letzten Monaten dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit sich erstmals mit dem Gedanken auseinandersetzten muss, dass es nicht nur Neonazis, sondern auch überzeugte und zur Tat bereite Neonazistinnen gibt.
Gehen Sie davon aus, dass der Anteil von Frauen in der Neonazi-Szene wächst?
Röpke: Es gibt kaum Statistiken, da das Thema rechte Frauen auf allen Ebenen stark vernachlässigt wurde. Daher können wir uns nur auf unsere eigenen Beobachtungen stützen. Die Recherchen und wissenschaftlichen Auswertungen des „Netzwerks Frauen und Rechtsextremismus“ bestätigen unsere Einschätzungen, dass der Anteil stetig steigt. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass jeder 5. Neonazi weiblich ist. In Großstädten sind Frauen meistens mehr vertreten als in ländlichen Regionen und in manchen Bundesländern ist eine rechte Gesinnung eher weiter verbreitet als in anderen. Frauen sind nicht weniger rassistisch als Männer. Sie haben die gleichen rechtsextremen Ansichten wie ihre Gesinnungsgenossen. Frauen sind sogar, was Ausländerfeindlichkeit angeht, oft radikaler als Männer.
Bemühen sich denn die rechten Parteien auch aktiv um Frauen?
Röpke: Die NPD und auch die Kameradschaften haben sich mit ihren neuen sozialen Themen wie Familie, nationale Erziehung, nationaler Heimatschutz verstärkt für die Frauen geöffnet. Sie haben das weibliche Potenzial erkannt, diese können die kommunale Verankerung durch Akzeptanzgewinnung vorantreiben. Das ist Teil der Strategie der Neonazis – so können sich Frauen Anerkennung in der rechten Gesinnungsgemeinschaft erwerben.
Auf welche unterschiedlichen Frauenrollenbilder sind Sie bei Ihren Recherchen gestoßen?
Röpke: Nach wie vor ist die rechte Szene eine Männerbastion, es herrscht ein absolut biologistisches Weltbild. Frauen können sich noch so sehr bemühen, sie können an Aktivitäten, aggressiven Kampagnen und Demonstrationen mitwirken, ihnen stehen formal alle Optionen offen – aber irgendwann werden sie wieder in die Rolle der deutschen Mutter gedrängt. Das wird den Frauen pathetisch eingeimpft: Die Frauen haben die Verpflichtung einem angeblichen deutschen „Volkstod“ vorzubeugen und zum Erhalt der „weißen Rasse“ beizutragen. Also möglichst viele deutsche Kinder zu gebären. Das ist eine sehr biologistische Betrachtungsweise, die Geburt entscheidet so schon über die künftige Rollenverteilung. Diese Einstellung tragen die rechten Frauen sehr bewusst mit.
Lässt eigentlich das optische Erscheinungsbild von Neonazi-Frauen Rückschlüsse auf ihre Gesinnung zu?
Röpke: Nein, wie sie auftreten, wie sie sich geben, das ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Man findet normale Mädchen, Skingirls, Zopfträgerinnen, Frauen in Dirndl, Lack oder Leder. An Äußerlichkeiten kann man neonazistische Frauen kaum noch erkennen, höchstens durch Symbole und Zeichen beim Schmuck, der Kleidung oder den Tattoos.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie rechte Frauen vermehrt im Erziehungssektor, in Schulen oder Vereinen tätig werden. Was ist der Grund für diese Entwicklung?
Röpke: Zum einen ist da die traditionelle Einstellung, dass Frauen für die Erziehung der Kinder und für das Wohl der Familie als wichtiger Lebensort zuständig sind. Dazu kommt die ganz bewusste Strategie der NPD, dass Erziehung eine „nationale Lebensaufgabe“ sei. Es wird regelrecht dazu aufgerufen, dass junge Neonazistinnen in soziale Berufe gehen, um ihre Gesinnung zu verbreiten und zu verankern. Rechtsextreme Eltern sollen gezielt Verantwortung übernehmen – als Elternbeirat im Kindergarten oder in der Schule. Die Gesinnung soll nicht mehr nur von oben, über die politische Schiene Verbreitung finden, sondern auf freundschaftlicher, menschlicher Ebene. Quasi auf ein Du und Du mit dem netten Neonazi.
Es gibt markante Fälle, die belegen, dass Frauen als Lehrerin, Erzieherin oder Elternvertreterin versuchen, die Gesellschaft und ihre Kinder zu indoktrinieren.
Müssten da aber nicht die zuständigen Behörden Alarm schlagen?
Röpke: Das Thema Rechtsextremismus war in den letzten Jahren keine Herzensangelegenheit in Deutschland, die Verfassungsschutzbehörden haben das Thema sogar verharmlost. Das andere Problem ist: Wenn schon der Rechtsextremismus allgemein nicht ernst genug thematisiert wurde, dann wurde die Frauenproblematik in der rechten Szene nahezu ignoriert. Wir finden keine Erwähnung von Frauen in den Berichten der Verfassungsschutzämter. Dabei gibt es durchaus ernst zu nehmende Frauen in der mittleren Ebene der Szene, die viel zu wenig wahrgenommen wurden. Da müssen Behörden, Polizei und Jugendämter umdenken.
Wie betrachten Sie im Nachhinein die Aufdeckung der Zwickauer-Neonazi-Zelle mit zehn Getöteten? Hätten Sie so etwas für möglich gehalten?
Röpke: Terror in der Neonazi-Szene hat es schon immer gegeben, auch dass Frauen sich an rechten Verbrechen beteiligen, ist nicht neu. Jedoch dieses strategische Vorgehen, die Kaltblütigkeit dieser Zelle samt ihrem Unterstütznetzwerk ist neu. Das Schlimme daran ist, dass nur durch Zufall aufgeflogen ist. Sie lebten nur 100 Kilometer von Jena entfernt, haben ein scheinbar bürgerliches Leben geführt, mit Urlaub an der Ostsee, Klatsch über den Gartenzaun. Dann quasi „nebenher“ diese Morde zu begehen, diese brutalen Banküberfälle und auch noch menschenverachtende Bekennervideos zu erstellen, das zeugt von einem purem Fanatismus, der mich sehr überraschte.
Sehen Sie in der Mordserie des NSU einen Beleg für eine allgemeine Radikalisierung der Neonazi-Szene?
Röpke: Anzeichen einer beginnenden Radikalisierung hat es ja schon in den 90er Jahren gegeben, u.a. bei den entsetzlichen Taten in Solingen, Mölln und Hoyerswerda. Die Radikalisierung war schleichend, die Behörden ignorierten die Anzeichen und die Entwicklung innerhalb der Szene. Die Täter des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ haben sich über die Jahre in diesen Strukturen radikalisiert und in ihrer Gesinnung weiterentwickelt – sie sind ja nicht vom Himmel gefallen. Sie sind Teil der radikalen, gefährlichen ‚Bewegung‘ gewesen, haben sich dann wohl irgendwann abgespaltet und als terroristische Speerspitze der ‚Bewegung‘ gesehen. Von daher hätte man das Ganze vielleicht absehen können. Nicht nur die Behörden, auch wir als Fachjournalisten und die Bevölkerung.
Wobei das Vertrauen in die Behörden in diesen Tagen immer wieder erschüttert wird.
Röpke: Wir als Fachjournalisten haben bei der Zusammenarbeit mit Behörden immer wieder die Erfahrung gemacht, dass das Thema gerne verharmlost wird, nach dem Motto, es betreffe nicht die Allgemeinheit. Ich habe fünf Jahre zur „Heimattreuen Deutschen Jugend“ recherchiert, die mit vielen, hunderten Kindern Lager durchgeführt haben. Sie sollen die neuen Anführer von morgen werden. Als ich mit den Recherchen begann, war von den Behörden keinerlei Interesse da, sich mit dieser gefährlichen, auf Kinder und Jugendliche Einfluss nehmenden Gruppierung auseinanderzusetzen. Als die HDJ im Jahr 2009 verboten wurde geschah das nur aufgrund des massiven öffentlichen Drucks. Oder nehmen wir die Aufdeckung der Schulhof-CD der NPD: die wurde als Erfolg der Verfassungsschutzbehörden gefeiert, dabei waren es Fachjournalisten, die das aufgedeckt hatten.
Mir kommt es so vor, als herrsche bei Behörden und der Polizei ein informelles Defizit in Sachen Rechtsradikalismus. Oder aber der Wille fehlt, mit den Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen.
Ich bekomme oft zu hören, dass Rechtsextremismus ein Quotenkiller ist, dass die Zuschauer kein Interesse daran haben.
Im Zuge der Ermittlungen zu der NSU-Mordserie kommt nun immer mehr das Versagen des Verfassungsschutzes ans Tageslicht. Was trauen Sie dem Verfassungsschutz im Kampf gegen die rechte Szene in Deutschland überhaupt zu?
Röpke: Die Verfassungsschutzbehörden haben seit Jahren eine durchaus infrage zu stellende Politik verfolgt. Beispielsweise sind die V-Leute keine eingeschleusten Agenten aus den eigenen Reihen sondern angeworbene, finanziell klamme Neonazis, die mit einer monatlichen Apanage von den Geheimdiensten unterstützt werden und dafür dann plaudern sollen. Für uns lässt sich die Effektivität dieser Maßnahmen nicht immer erschließen, vor allem nicht, wenn unter den V-Leuten Straftäter sind. Das ist die eine Seite, die man kritisch beleuchten muss. Hier erhoffe ich mir von den Untersuchungsausschüssen sehr viel. Es ist ja schon herausgekommen, dass im Geheimdienst sofort nach Bekanntwerden der Terrorzelle wichtige Akten vernichtet wurden. Nicht nur der Abschlussbericht der Schäferkommission in Thüringen hat klar offengelegt, dass es neben Chaos und Inkompetenz sogar Warnungen des Verfassungsschutz an seine V-Leute z.b. vor Hausdurchsuchungen gab. Das sind Straftaten, die müssen aufgeklärt werden.
Ebenfalls fragwürdig ist, warum sich die Verfassungsschutzbehörden in ihrer Informationspolitik der Öffentlichkeit und den ermittelnden Beamten verschließen? Warum ermitteln oft drei Behörden an einer Geschichte und wissen überhaupt nichts voneinander?
Die Aussagen von Thüringer Verfassungsschützern im Untersuchungsausschuss zeichnen ein erschreckendes Bild von der Arbeit der Behörde – hat Sie das überrascht oder hatten Sie solche Zustände längst vermutet?
Röpke: Nein, überrascht hat mich das nicht, aber sehr empört! Wir haben einen großen Geheimdienstapparat mit zahlreichen weiteren Landesbehörden. Seit Jahren wird uns weis gemacht, fanatische, organisierte Islamisten seien z.B. in Sachsen-Anhalt oder Thüringen ein größeres Problem als die vielen, verankerten Neonazis. In diesen Apparaten gibt es viele Eigenmächtigkeiten, Machtgehabe und diverse unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema Rechtsextremismus. Was fehlt ist Transparenz. Viele Menschen fragen sich inzwischen: Was treiben die eigentlich da auf unsere Kosten?
Wie groß ist eigentlich der Kern der deutschen Neonazi-Szene, lässt sich das beziffern?
Röpke: Laut Studien vom Bundesamt für Verfassungsschutz geht man von einem gefestigten Inner Circle von 26.000 bis 30.000 Neonazis aus, Männer und Frauen, deren gemeinsames Ziel die Ausweitung ihrer Gesinnung ist. Wir vermuten aber, dass es mehr sind. Neonazis sind keine Sekte, die sich abschotten möchte, sondern sie wollen die „ganze Nation“. Sie wollen die Demokratie stürzen, zurück zu einem mächtigen „Deutschen Reich“, daraus machen sie immer weniger einen Hehl. Sie wollen eine homogene, arische „Volksgemeinschaft“ schaffen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sie beim Anwerben von Gleichgesinnten immer professioneller vorgehen…
Röpke: Gefährlich sind vor allem ihre neuen bürgerlichen Methoden, die Strategie der kommunalen Verankerung. Die Neonazis spielen sich – vorrangig in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen aber auch mit bundesweiter Tendenz – als Kümmerer auf. Wo sich die Wir-Gesellschaft zurückzieht, wo Ehrenämter nicht mehr besetzt werden und Vereinsstrukturen nicht mehr am Leben gehalten werden, da docken sie an und besetzen die weißen Flecken. Aufmärsche und Demonstrationen werden für sie immer uninteressanter, stattdessen haben sie ein riesiges Freizeitangebot, wie zum Beispiel Wanderungen, Rechtsrock-Konzerte, Wehrsportlager, Brauchtumsveranstaltungen oder Volkstanz, sozusagen ein riesiges Spektrum brauner Erlebniswelt. Über diesen Aktionismus lassen sich Jüngere sowie Ältere gewinnen.
Was macht eine nationalsozialistische Erziehung aus Kindern, die in Lagern wie denen der HDJ betreut wurden?
Röpke: Vor allem in den alten Bundesländern gibt es neonazistische „Sippen“. Das sind Familien, die schon in der zweiten und dritten Generation im Nationalsozialismus verhaftet sind. Die Großeltern hatten Funktionen im Dritten Reich. Ihre Kinder und Enkel haben nichts anderes kennengelernt, sie sind mit dieser Gesinnung aufgewachsen. Sie suchen sich ihre Ehepartner aus der selben Szene, deren Kinder wachsen mitten im demokratischen Deutschland neonazistisch auf. Kinder aus sogenannten Kaderfamilien – und das sind Tausende – können von klein auf Lieder wie „Ein junges Volk steht auf“ singen, sie können aus „Mein Kampf“ zitieren – sie sind sehr schwer zu erreichen, weil sie keine Autoritäten außerhalb ihrer Szene anerkennen.
Sie leisten seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit, doch generell betrachtet: Ist die Berichterstattung der deutschen Medien ausreichend?
Röpke: Wir im Medienbereich müssen uns sehr kritisch damit auseinandersetzen. Ich finde es sehr fragwürdig, wenn man es sich so einfach macht und z.B. in der Tagesschau über einen NPD-Parteitag berichtet, als sei dies eine normale Partei wie jede andere. Das wollen die Nazis ja: Raus aus der Schmuddelecke, Akzeptanz bis hin zu einer Normalisierung ihrer Partei. Wenn wir als Journalisten uns da nicht tief einarbeiten, hinter die Kulissen schauen, nachhaltig an dem Thema dranbleiben, dann passiert so etwas: eine normale, oberflächliche Berichterstattung über die NPD. Ihnen ein Sprachrohr zu geben ist der falsche Weg und hinterlässt einen falschen Eindruck – auch bei Opfern von Nazi-Gewalt. Wir müssen kontinuierlich berichten, aber intensiv und wirkungsvoll.
Immer wieder verlassen Politiker an Landtagswahlabenden die „Elefantenrunde“ im Fernsehen, wenn auch ein Vertreter einer rechten Partei anwesend ist. Ist das die richtige Reaktion?
Röpke: Wir müssen uns nicht einbilden, dass man Neonazis überzeugen kann. Mit ihnen konstruktiv über ihre Gesinnung zu diskutieren – das geht nicht.
Ich bin für klare Absprachen der politischen Parteien, wie sie sich gegenüber Neonazis verhalten. Die NPD finanziert sich momentan zu 48 Prozent über Steuergelder, sie sitzen in zwei Landesparlamenten, besitzen über 500 kommunale Mandate – sie haben sich unglaublich professionalisiert. Die Politiker müssen diese Entwicklung wahrnehmen und sich damit im Alltagsgeschehen intensiv auseinandersetzen. Auch Grenzen sind da wichtig: Bis hierhin und nicht weiter. Aber vor allem müssen wir eine sozial offene Gesellschaft schaffen. Wenn wir als Bürger aktiv sind, mit Herzblut an einem vielfältigen kulturellen Milieu arbeiten, dann werden Neonazis und Alltagsrassismus immer uninteressanter.
Aber nochmal zurück zur Frage: Wie sollte an Wahlabenden damit umgegangen werden, wenn eine Partei den Sprung in ein Landesparlament schafft?
Röpke: Dann sollten die betreffenden Moderatoren und Redakteure gut vorbereitet sein und vor allem die vielen Schwächen der rechten Partei und ihres Umfelds bestens kennen. Sie sollten ihnen Redezeit geben, aber nur in begrenztem Maße. Sie sollten ihnen kein Podium bieten, um menschenverachtende Sprüche abzulassen. Aber es ist schwierig, weil sich die Neonazis lange und intensiv darauf vorbereiten. Sie haben viele Fachleute und Akademiker in ihren Reihen, die sie schulen. Am besten wäre es, bereits im Wahlkampf – und davor – den Wählern klarzumachen, dass Neonazis und populistische Parteien keine Alternative sind. Doch allzu oft achten Politiker und Medien viel zu sehr auf Umfragewerte und Wahlprognosen, als mal wirklich ins Land zu schauen und zu beobachten: Was ist da los? Wie gefestigt ist die NPD mit ihren Hintergrundstrukturen?
Ignoranz kann daneben gehen, wie im letzten Jahr in Mecklenburg-Vorpommern, als die NPD den Wiedereinzug in den Landtag schaffte und kaum vorher recherchiert und gewarnt wurde. In Thüringen und Sachsen-Anhalt verfehlten sie nur knapp den Einzug, waren aber schwuppdiewupp kein Thema mehr.
Die „Bild“-Zeitung hat in der Vergangenheit immer wieder Stimmung gegen Ausländer gemacht, mal geschieht das subtil, mal offensiv. Trägt die Zeitung Ihrer Meinung nach zu einer fremdenfeindlichen Haltung der Leser bei?
Röpke: Da muss man fair bleiben, dazu trägt nicht nur die „Bild“ bei. Auch der „Spiegel“ titelte schon „Das Boot ist voll“. Viele Medien unterstützen die Stimmungsmache, beispielsweise in Reportagen zur Anti-Islam-Debatte, und haben ihren Anteil dazu beigetragen, dass wir uns populistisch gegen Muslime und Migranten aufbringen lassen. Auch die Hetze gegen Pädophile, die inzwischen nur noch „Kinderschänder“ heißen, spielt den Neonazis in die Hände. Über solche Themen muss sensibel berichtet werden, nicht reißerisch. Wie leicht ein gefährlicher Mob entstehen kann, das sehen wir ja leider immer wieder. Da muss ein Umdenken her, wir müssen selbstkritischer werden. Ethik sollte auch in den Medien eine größere Rolle spielen.
Sind die deutschen Medien links genug?
Röpke: Ob man das so bezeichnen muss? Auf jeden Fall stecken die meisten Medien zu wenig Geld in investigative Recherchen, sind zu wenig nachhaltig und reagieren zu hysterisch auf thematische Hypes anstatt sich zu fragen: Wie gehen wir souverän damit um? Die als links-alternativ geltende „tageszeitung“ hat da schon eine leichte Vorbildfunktion, sie ist ständig am Thema dran und hat im Nordteil sogar eine wöchentliche Kolumne zum Thema, das ist einzigartig. Sie verlässt sich nicht auf die Aussagen des Verfassungsschutzes, sondern stellt eigene Recherchen an. Aber es gibt auch gute Internet-Fachportale wie „Blick nach Rechts“, die oft als links verschrieen werden, weil sie aus dem Umfeld der SPD oder anderer Parteien initiiert wurden. Dabei ist das Understatement, denn der „Blick nach Rechts“ klärt ganz aktuell und kontinuierlich zum Thema Neonazismus auf. Tagesredaktionen könnten viel häufiger auf solche Informationsquellen zurückgreifen.
Viele Medien ignorieren aber auch wichtige Dinge, wenn zum Beispiel Migranten abgeschoben werden, rassistische Gewalttaten geschehen, wenn Obdachlose verprügelt werden – da würde ich mir einen demokratischeren Umgang wünschen und nicht eine scheinbar an Verkaufszahlen ausgerichtete Berichterstattung.
Wann haben die Medien besonderes Interesse an Ihrer Arbeit?
Röpke: Wenn der Hitlergruß zu sehen ist (lacht), dann gehen unsere Fotos oder Filme am besten weg. Ich bekomme oft zu hören, dass Rechtsextremismus ein Quotenkiller ist, dass die Zuschauer kein Interesse daran haben. Und wenn schon unbedingt das Thema, dann soll es bitte mit Action sein, dann soll es einen aktuellen Aufhänger geben, Brandstiftungen, Anschläge oder schlimme Übergriffe. In der Medienwelt ist Rechtsextremismus ein ungeliebtes Thema. Allerdings hat durch den NSU bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ein Umdenken stattgefunden. Sie sehen jetzt eher die Wichtigkeit und Brisanz des Themas.
Sie recherchieren in einem Milieu, in dem viele Menschen gewaltbereit sind. Wie schützen Sie sich als Person?
Röpke: Die Öffentlichkeit schützt bis zu einem gewissen Maße, aber auch die Redaktionen, die immer wieder Stellung für uns beziehen. Ich schütze mich auch durch die Arbeit in Gewerkschaften und durch mein bewusst öffentliches Auftreten. Und dann gibt es bei den Recherchen vor Ort natürlich bestimmte Vorsichtmaßnahmen. Diese Arbeit muss sehr genau geplant sein.
Sie wurden einmal in einem Supermarkt von einem Neonazi angegriffen, niemand kam Ihnen zu Hilfe…
Röpke: Das war 2006 bei Recherchen zur Heimattreuen Deutschen Jugend. Wir hatten erschreckende Fotos der Zeltlager veröffentlicht und als wir dann an einem anderen Ort weiter recherchieren wollten, haben die uns bis in den Supermarkt verfolgt. Das war morgens um zehn, mitten in Brandenburg. Wir hatten die Polizei über das große Neonazi-Treffen informiert, sie waren dennoch nicht präsent. Niemand half, viele schauten starr zu. Das alles war ziemlich erschreckend für mich. Ich spürte zum ersten Mal dieses Opfergefühl, völlig hilflos zu sein. Ich hatte glücklicherweise eine Kamera um, die ich anschalten konnte. So konnte der Täter letztlich überführt und verurteilt werden. Es war eine harte Erfahrung für mich. Andere Kollegen hat es noch schlimmer getroffen: Manche von ihnen wurden vor den Augen der Polizei angegriffen, diese blieb tatenlos. Wir Fachjournalisten werden von der Polizei oft als Störenfriede angesehen, weil wir am Ball bleiben und immer wieder aufrütteln. Das macht uns unbeliebt, wir seien die „Nestbeschmutzer“ heißt es nicht selten, die Neonazis im Ort dagegen „nette Kerle“.
Warum setzen Sie sich auch nach 20 Jahren noch immer dieser Gefahr aus?
Röpke: Weil ich wohl eine Idealistin bin. Ich möchte die Gesellschaft mitgestalten, möchte sie menschenfreundlicher machen. Das ist mein Beitrag zu einem offenen Miteinander. Mir ist es wichtig, mich vor allem für engagierte Jugendliche einzusetzen, die sind das Bollwerk gegen die Neonazis.
Viele andere Berufsgruppen sind aber mindestens genauso gefährdet: Lehrer, Richter, Polizisten. Auch die haben Schwierigkeiten und müssen mit ihnen entgegengebrachten Aggressionen umgehen.
Sie haben durch Ihre Arbeit sehr viel Kontakt zu Rechtsextremen. Gibt es darunter auch „nette Nazis“, Menschen mit einer tollen Persönlichkeit, die eben „nur“ ein verqueres Weltbild haben?
Röpke: Natürlich haben Neonazis auch ein freundliches Gesicht und sind nett. Vor allem scheint das bei den Frauen so, viele sind beliebt, engagiert und anerkannt, trotz ihres rassistischen Weltbildes. Beate Zschäpe war Teil des gewalttätigen und mordenden NSU, unterhielt sich aber nett mit anderen Menschen, auch Migranten, über den Gartenzaun oder feierte sogar mit ihnen. Von dieser Maske darf man sich nicht täuschen lassen.
Ich persönlich versuche, mich Rechten gegenüber immer sehr korrekt zu verhalten. Denn mir geht es nicht darum, sie als Menschen anzugreifen, sondern ihre menschenverachtende, gefährliche Ideologie zu enttarnen und ihre Hintergründe offen zu legen. Denn ein neues Drittes Reich möchte ich nicht erleben.
Mich stört, dass das Wort „rechts“, was schlimmes sein soll, denn z.B. rechtens und Recht gehören zur gleichen Wortfamilie. Dem Wort „links“ dagegen haftet eindeutig etwas negatives an. Wenn einer z. B. als links bezeichnet wird, dann handelt es sich umgangssprachlich um einen „falschen Typ“.
Sie meinen Damen und Herren von der Linken bestätigen auch durch dieses extrem einseitige Interview, dass es sich bei Euch um linke bzw. verlogene Typen handelt.
Re: Links genug?
Die Frage ist vielleicht etwas missverständlich formuliert. Es ging darum, inwieweit Medien sich in Deutschland ausreichend am Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus beteiligen. In ihrer Antwort erwähnt Röpke dann ja auch die Vorbildfunktion der „taz“.
Links genug?
Ein gutes, aufschlussreiches Interview. Gestolpert bin ich über die Frage „Sind die deutschen Medien links genug?“. Sollen sie das denn sein, die Medien: links? Wenn ja, warum denn? Eine Antwort der Interviewerin würde mich freuen.