Andrea Sawatzki

Mainstream-Fernsehen interessiert mich nicht.

Andrea Sawatzki über den neuen HR-Tatort „Waffenschwestern“, Märchen und andere Lieblingsbücher, den Alltag eines Schauspielerpaares und die Leichtigkeit eines Lebens ohne übertriebenen Perfektionismus

Andrea Sawatzki

© HR/Bettina Müller

Frau Sawatzki, in der Tatort-Folge „Waffenschwestern“ ermitteln Sie erstmals alleine, ohne ihren Kollegen Jörg Schüttauf. Fritz Dellwo befindet sich laut Drehbuch auf einem Beamtenaustausch. Inwiefern haben sich die Dreharbeiten zu „Waffenschwestern“ von den Dreharbeiten der bisherigen „Tatort“-Folgen unterschieden?
Sawatzki: Vorausschickend muss ich sagen, dass Jörg und ich eigentlich immer gute Teamarbeit leisten und dass wir uns gut verstehen, aber es war natürlich auch einmal sehr aufregend, alleine einen „Tatort“ zu bestreiten. Vor allem hatte ich auf diese Weise natürlich die Möglichkeit, mehr von Charlotte Sänger zu zeigen, da sich quasi der gesamte Film um sie dreht. Es geht in „Waffenschwestern“ weniger um Ermittlungsfragen, sondern vielmehr um die Psychologie der Charlotte Sänger.

Charlotte Sänger ist so etwas wie die graue Maus unter den Kommissarinnen im deutschen Fernsehen. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, die meist als toughe und starke Figuren auftreten, wirkt sie zerbrechlich und scheu. Was reizt Sie an dieser Figur?
Sawatzki: Ich war an der Entwicklung der Figur beteiligt und hatte einfach große Lust, einmal auszuprobieren, wie eine Figur im deutschen Fernsehen funktioniert, die gegenläufig zu den vorherrschenden Sehgewohnheiten angelegt ist und die sich nicht sofort in die Herzen der Zuschauer schmeichelt. Charlotte ist spröde, unnahbar und entspricht vielleicht nicht dem deutschen Schönheitsideal. Eigentlich waren die englischen Kommissarinnen meine Vorbilder; Frauen, die etwas blaustrümpfig und als späte Mädchen auftreten. Frauen, die so große Probleme mit sich und dem Leben haben, dass sie darüber hinaus die Frauenrolle in sich nie gesucht und nie gefunden haben und die auch deshalb eine Aura des Unnahbaren, etwas Verhärmten umgibt. Das fand ich ganz spannend. Ich bin dankbar, dass mir der Hessische Rundfunk die Gelegenheit gegeben hat, so eine Figur zu verwirklichen. Ich möchte generell mit meinen Rollen anecken und überraschen. Mainstream-Fernsehen interessiert mich nicht. Ich möchte auf eine gewisse Weise eine Gegenströmung vom Publikum spüren. Diese Auseinandersetzung interessiert mich.

Ist eine Figur wie Charlotte Sänger nahe an der Realität?
Sawatzki: Ja, ich glaube schon. Mir war von Beginn an sehr wichtig, zu zeigen, dass Charlotte Sänger ein Mensch ist, keine Maschine. Sie funktioniert gewissermaßen wie ein Schwamm und saugt alles Schmerzhafte in sich auf. Sie hat nicht die Gabe, alles von sich abzuhalten. Das liegt auch sicher daran, dass sie ein Mensch ist, der eine große Depression und Todessehnsucht mit sich trägt. Und da ich glaube, dass es vielen Menschen in der heutigen Zeit ähnlich geht, denke ich, dass Charlotte mit ihrer Einsamkeit, Traurigkeit und Desillusioniertheit doch einige anspricht.

In „Waffenschwestern“ erleben wir eine vollkommen neue, teilweise auch sehr komödiantische Seite von Charlotte Sänger. War es Ihr Wunsch, diese neuen Facetten zu zeigen oder wurden Sie vom Drehbuch selbst überrascht?
Sawatzki: Nein. Es war eine Vorgabe von der Redaktion und mir, dass Charlotte Sänger durch das Fehlen von Dellwo dazu gezwungen ist, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen und wir waren natürlich alle gespannt, wie sie darauf reagieren wird. Ich finde es ganz schön, zu beobachten, wie sie sich gegenüber Jule Fischer und den „Waffenschwestern“ immer weiter öffnet, bis sie merkt, dass sie ins Trudeln gerät und sich durch ihre Affinität zu diesen Frauen strafbar macht.

Charlotte lässt sich sogar auf ein nächtliches Treffen mit den „Waffenschwestern“ ein. Tut sie dies aus Interesse am Fall oder eher aus Sympathie für Jule Fischer?
Sawatzki: Ich denke, in diesem Moment ist es eher der Fall, der sie zu dem nächtlichen Treffen im Wald gehen lässt. Schließlich ahnt Charlotte zu diesem Zeitpunkt bereits, dass die „Waffenschwestern“ etwas mit dem Fall zu tun haben könnten.

Wie war die Zusammenarbeit mit Nina Kronjäger, die die Jule Fischer spielt?
Sawatzki: Sehr gut. Wir beide kennen uns ja noch von der Schauspielschule und mögen und schätzen uns sehr. Wir haben beide jeweils zwei kleine Kinder, da war also während der Drehpausen auf jeden Fall genügend Gesprächsstoff vorhanden. (lacht)

Sie hantieren im Film mehrmals mit schweren Waffen. Haben Sie sich auf diese Szenen speziell vorbereitet?
Sawatzki: Ja, wir hatten für den Film richtiges Schießtraining mit verschiedenen Waffen und allem Drum und Dran – mit Ohrenschützern, Sichtschutz, Platzpatronen und scharfer Munition. Ich muss zugeben, dass das großen Spaß gemacht hat.

Im September hat der Tatort in der JVA Oldenburg in Anwesenheit von Strafgefangenen seine Premiere gefeiert. Wie war es für Sie, sich in einem Gefängnis aufzuhalten? Alle Anwesenden wurden vor Betreten des Gefängnisses nach Waffen durchsucht…
Sawatzki: Ja, aber das ist man ja auch von den Flughäfen schon ein bisschen gewohnt (lacht). Insofern war mir das nicht so fremd, wie man vielleicht annehmen könnte. Ungewohnt war für mich jedoch, dass ich mein Handy abgeben musste. Ansonsten ist die JVA Oldenburg aber eine ganz großartige Justizvollzugsanstalt, weil es dort vor allem darum geht, die Häftlinge zu resozialisieren. Dort wird zum Beispiel darauf gedrungen, dass die Häftlinge im Gefängnis eine Ausbildung machen und jeden Tag arbeiten – von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Wenn die Gefangenen schließlich entlassen werden, haben sie oftmals eine Berufsausbildung, von der sie niemals geträumt hätten, weil sie unter normalen Umständen gar nicht die Möglichkeiten gehabt hätten, so eine Ausbildung zu machen. Dadurch ist auch die Rückfallquote relativ gering, die Strafgefangenen werden nach ihrer Entlassung im sozialen Netz aufgefangen. Sie kommen als Jemand und nicht als Niemand aus dem Gefängnis. Sie haben also nach ihrer Freilassung die Möglichkeit, einen Beruf auszuüben, ihr eigenes Geld zu verdienen und ihre Familie zu ernähren. So können manchmal Ehen gerettet werden. Die Häftlinge dürfen auch von ihren Partnerinnen besucht werden und sich alle paar Monate unbeobachtet in einem dafür speziellen Raum aufhalten. So können sie trotz Gefangenschaft Kinder zeugen und sich gemeinsam mit ihren Frauen eine Perspektive für die Zukunft schaffen.

Im diesjährigen ARD-Weihnachtsprogramm werden Sie in der Märchenfilm-Reihe „Sechs auf einen Streich“ in der Verfilmung von Grimms „Brüderchen und Schwesterchen“ als böse Stiefmutter zu sehen sein. Welche Beziehung haben Sie zu Märchen?
Sawatzki: Ich finde Märchen unheimlich wichtig und meine Kinder kennen auch alle – sowohl Grimms Märchen, als auch Andersens Märchen. Mittlerweile gibt es auch sehr viele, sehr schön illustrierte Märchenbücher, die ich nur empfehlen kann. Ich finde die Idee, einen Teil der Märchen fürs Weihnachtsprogramm zu verfilmen, großartig. Und ich finde die Art und Weise wunderbar, wie sie verfilmt wurden – nämlich wirklich ernsthaft, mit viel Liebe, großartiger Ausstattung und Maske und tollen Drehorten. Zu Beginn hatte ich Angst, dass das so eine Märchenstunde nach dem Motto „Kasperle springt aus der Kiste“ werden würde. Als die Anfrage kam, habe ich deshalb auch erst einmal abgesagt, weil mir vor allem diese Märchenveralberungen in den Sinn kamen, die vor einiger Zeit auf Pro7 liefen. Doch dann habe ich das Drehbuch gelesen und habe mir gedacht, dass das vielleicht doch seriös und gut sein könnte. Und die Dreharbeiten haben mich dann wirklich überzeugt. Ich denke, dass viele Kinder, die heutzutage nicht mehr selbst lesen oder vorgelesen bekommen, über diese Reihe Zugang zu Grimms Märchen bekommen können. Zumal der 25. und 26. Dezember natürlich ideale Sendetage sind.

Zitiert

In meinem Beruf ist es wichtig, dass man sich zwischendurch auf das Eigentliche besinnt und nicht einfach querbeet dreht, nur um dabei und im Geschäft zu bleiben.

Andrea Sawatzki

Gibt es eine Märchenfigur, die Sie als Kind besonders gerne mochten?
Sawatzki: Ich mochte die Andersen-Märchen immer sehr gerne und dort das Mädchen mit den Schwefelhölzern, die Meerjungfrau, den kleinen Zinnsoldaten, das hässliche kleine Entchen oder den Tannenbaum, der dann verbrannt wird. Ich mochte diese Märchen eigentlich alle, obwohl sie natürlich allesamt sehr traurig sind.

Ihr Lebensgefährte Christian Berkel ist ebenfalls Schauspieler. Lernen Sie Ihre Texte manchmal gemeinsam?
Sawatzki: Nein. Wir sprechen zu Hause eigentlich so gut wie nie über unsere jeweiligen Rollen. Wenn wir neue Rollen annehmen, ist für uns vor allem die Terminabsprache wichtig, damit immer irgendjemand bei den Kindern ist. Und ansonsten sprechen wir zu Hause eigentlich ausschließlich über andere Dinge. Wir haben jetzt zum Beispiel ein ganzes Jahr lang nur über unser Haus gesprochen. Wir haben eine alte Villa gekauft, die wir selbst entkernt und für die wir mit dem Architekten alle Möbel selbst entworfen haben. Das war eigentlich unser hauptsächliches Gesprächsthema. Wir sprechen zu Hause natürlich schon auch viel über Kunst, aber dann eher nicht über unsere eigene Schauspielkunst, sondern vielmehr über andere Filme oder auch bildende Kunst.

Gibt es Plätze oder Orte, die Sie zum Lernen Ihrer Texte bevorzugen?
Sawatzki: Eigentlich nicht, aber meist lerne ich meine Texte gezwungenermaßen im Flugzeug. (lacht)

Eine Rolle, die Sie gerne einmal spielen würden?
Sawatzki: Ich bin momentan eigentlich ganz zufrieden, da ich mir immer ganz unterschiedliche Rollen auswähle und damit eine sehr große Bandbreite abdecken kann. Als nächstes drehe ich unter anderem mit Doris Dörrie.

Erinnern Sie sich noch, wann in Ihnen der Wunsch erwachte, Schauspielerin zu werden?
Sawatzki: Ich glaube, das fand während der Schulzeit statt, da gab es eine Theatergruppe, die sich „Dramatisches Gestalten“ nannte. Da muss mein Wunsch Konturen angenommen haben. Vorher hatte ich sicherlich auch einmal den Gedanken, Schauspielerin zu werden, es war aber nicht mein Lebenstraum.

Sie haben an der Neuen Münchner Schauspielschule studiert und anschließend – von 1988 bis 1992 – in Stuttgart, Wilhelmshaven und München Theater gespielt. Es folgten schlagartig unzählige Filmrollen. Würde es Sie nach all den Jahren reizen, wieder einmal auf der Theaterbühne zu stehen?
Sawatzki: Reizen würde es mich natürlich schon. Allerdings muss ich auch ganz ehrlich sagen, dass mir das Theater momentan nicht solche tollen Rollen bieten könnte wie das Fernsehen. Aber wer weiß, irgendwann werde ich vielleicht auch wieder Theater spielen.

Als ihr Vater starb, waren Sie erst 14 Jahre alt. Haben Sie überhaupt noch eine Erinnerung an ihn?
Sawatzki: Ja, durchaus. Ich weiß zum Beispiel, dass ich ihm sehr ähnlich sehe, ich also quasi alles von ihm geerbt habe: Körper, Figur, Knie, Ohren, Nase, Augen. Deshalb ist er mir sehr nahe.

Sie sprechen regelmäßig Hörbücher und sagen von sich selbst, dass Sie auch in der Freizeit eine begeisterte Leserin sind. Gibt es ein Buch, das Sie in letzter Zeit ganz besonders beeindruckt hat?
Sawatzki: Ich hätte sehr gerne schon „Der Turm“ von Uwe Tellkamp gelesen, bin aber leider noch nicht dazugekommen. Das Buch reizt mich, es klingt sehr spannend. Ansonsten hat mich, da ich mich sehr für Photographie und Architektur interessiere, zuletzt der neue Bildband des britischen Fotografen Tim Walker beeindruckt. Und ich lese gerade die gesamten Maigret-Romane von George Simenon, das habe ich mir im Sommer angewöhnt. Diese Bücher sind die ideale Urlaubslektüre und immer wieder fantastisch. Und auch der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan hat mich sehr gefesselt. Die beiden gehörten zu jener Schriftstellergeneration, zu der auch mein Vater zählte, der ja auch Schriftsteller und Journalist war. Mit den Büchern von Bachmann und Celan bin ich praktisch aufgewachsen, da sie bei uns in der Wohnung standen. Die Generation, der die beiden entspringen, ist eine Generation, die mich nach wie vor sehr interessiert und die auch sehr viel mit meiner Kindheit zu tun hat. Einfach großartige Literatur und der Briefwechsel zwischen den beiden ist wirklich sehr aufschlussreich.

Sie gelten als eine der renommiertesten deutschen Schauspielerinnen und haben das Privileg, dass Sie sich ihre Rollen aussuchen können. Gab es in Ihrem Leben dennoch Phasen, in denen es nicht ganz so rosig für Sie aussah und wo Sie vielleicht auch mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatten?
Sawatzki: (überlegt lange) Eigentlich nicht. Die Schauspielerei ist der einzige Beruf, der mich wirklich reizt, insofern habe ich auch nie gedacht: „Hättest du doch bloß etwas Anständiges gelernt.“ Es gab schon auch quälende Zeiten, in denen ich Angebote nicht annehmen konnte, weil sie in meinen Augen zu schlecht waren. Das war besonders schlimm, weil ich damals noch keine Familie hatte. Da habe ich mich dann schon gefragt, ob ich jetzt zu seichteren Fernsehspielen übergehen muss, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass sich Warten immer lohnt und in meinem Beruf manchmal auch ganz gut ist. Im nun zu Ende gehenden Jahr habe ich zum Beispiel nur vier Filme gedreht – eben auch weil wir unser Haus gebaut und da wahnsinnig viel Zeit rein gesteckt haben und weil ich einfach auch mal bei meinen Söhnen sein wollte, die jetzt fast sechs und neun Jahre alt sind – also in einem Alter, wo sie ihre Mutter brauchen. Und auch Christian hat viel gedreht. Diese Zeit konnte ich jetzt erstmals so richtig zum Rückzug nutzen. Ich denke, in meinem Beruf ist es wichtig, dass man sich zwischendurch auf das Eigentliche besinnt und nicht einfach querbeet dreht, nur um dabei und im Geschäft zu bleiben.

Frau Sawatzki, Sie gelten als Perfektionistin…
Sawatzki: Ich habe mich in letzter Zeit ein bisschen vom Perfektionismus abgewandt. Ich glaube, wir haben unseren letzten Funken Perfektionismus in unser Haus gesteckt. (lacht) Wie gesagt, das ist eine alte Villa, die innen jedoch ganz modern und ganz leer ist. Wir haben alle Altlasten verkauft und haben uns nach zehn Jahren völlig neu eingerichtet, haben nichts Altes mitgenommen. Das ist manchmal ganz gut, wenn man denkt, man ist zu verkrampft oder zu belastet durch die Dinge, die man im Laufe eines Lebens gesammelt hat. Wenn man sich von allem befreit und nach vorne schaut, dann wird man auch insgesamt lockerer und legt den Perfektionismus ein bisschen ab. Das befreit einen ungemein und man hat auch mehr Raum für sich. Man sollte nicht über das Vergangene nachdenken, sondern nach vorne schauen.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.