Andrej Kurkow

Im Geheimdienst habe ich viele Leser.

Autor Andrej Kurkow über seine Sprachkenntnisse, die junge Literaturszene in der Ukraine und warum in seinen Büchern viel gestorben wird

Andrej Kurkow

© Regine Mosimann / Diogenes Verlag

Herr Kurkow, Ihre Lesungen in Deutschland finden in deutscher Sprache statt – lesen Sie gerne auf Deutsch?
Kurkow: Ja. Ich mache ganz viele Lesungen auf Deutsch, vielmehr als auf Englisch oder Französisch. Und ich glaube, ich habe auch mehr Leser im deutschsprachigen Raum.

Seit wann sprechen Sie Deutsch?
Kurkow: Das war die letzte Fremdsprache, die ich gelernt habe. Das war vor etwa zehn Jahren, da habe ich drei Wochen einen Intensivkurs in Bayern, in Prien am Chiemsee gemacht und danach gleich meine erste Lesereise auf Deutsch. Nach diesem Kurs konnte ich aber nur auf Deutsch vorlesen, ich habe nicht verstanden, was ich gelesen habe – das war schrecklich. Am Ende der Reise konnte ich dann aber schon fast alles verstehen und auch etwas auf Deutsch sagen, ohne einen Text vor mir zu haben

Auf den Klappentexten Ihrer Bücher ist zu lesen, dass Sie elf Sprachen sprechen.
Kurkow: Das war früher, heute sind es sieben. Ich habe zum Beispiel vor 20 Jahren Rumänisch gesprochen, aber ich aber diese Sprache brauchte ich heute nicht mehr – so ist sie verschwunden. Auch Dänisch und Holländisch sind weg. Aber jetzt mache ich Lesungen auf Deutsch, Polnisch, Französisch und Englisch. Ich kann auch Italienisch, ich spreche – aber lese nicht – Japanisch, weil ich die Dolmetscherschule für die japanische Sprache absolviert habe…. und natürlich Ukrainisch. Meine Muttersprache ist zwar Russisch und ich schreibe auch auf Russisch, aber die einzige offizielle Sprache in der Ukraine ist eben Ukrainisch.

Und im Russischen fühlen Sie sich zu Hause, nicht im Ukrainischen.
Kurkow: Ja, das stimmt. Ich wurde oft gefragt, warum ich in der Ukraine nicht auf Ukrainisch schreibe und ich habe dann erklärt, dass die Muttersprache fast so etwas ist wie eine genetische Sache. Auf Ukrainisch kann ich nicht so gut experimentieren und ich liebe es neue Wörter zu entwickeln oder etwas mit der Grammatik zu machen – das kann ich nicht mit der ukrainischen Sprache.

Können Sie ein bisschen von der Literaturszene in der Ukraine erzählen? Gibt es viele junge Autoren?
Kurkow: Nun, es gibt etwa 20 interessante Autoren, die so 20, 25 Jahre alt sind. Die werden natürlich nur von der jungen Generation gelesen. Die alte Generation liest russische Literatur oder Übersetzungen. Aber es gibt jetzt diese neuen Kultfiguren. Die sind nicht überall in der Ukraine bekannt, sondern hauptsächlich in der Westukraine und in Kiew.

Worüber schreiben sie?
Kurkow: Ja, das ist die, man könnte sagen, ‚verspätete’ Generation von Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll (lacht). Wir hatten früher keine solche Literatur.

Sie haben vor kurzem Ihr Buch „Myzelistan“ veröffentlich, das zum Teil im Gefängnis spielt. Warum haben Sie sich für diesen Schauplatz entschieden?
Kurkow: Als ich meinen Militärdienst gemacht habe, war ich selbst für 18 Monate Gefängniswärter. Das war 1985 im Gefängnis von Odessa. Und „Myzelistan“ war für mich die erste wirkliche Möglichkeit diese Erfahrungen aufzuschreiben. Aber es ist auch eine Weihnachtsgeschichte über die orangene Revolution (lacht) – im Nachgeschmack.

… also eine politische Weihnachtsgeschichte im Gefängnis. Und was ist „Myzelistan“, ein Land, eine Erfindung …?
Kurkow: Ja. Das ist wie „Turkmenistan“, ein Name eines Landes. Mein eigentlicher Titel war aber etwas anders. Ich habe diese Geschichte auf Russisch in einer Literaturzeitschrift als „Pilze der Freiheit“ veröffentlicht.

In Deutschland sind Sie vor allem mit „Picknick auf dem Eis“ bekannt geworden. Wie kam es eigentlich zu dieser Geschichte – kennen Sie jemanden, der Nachrufe schreibt oder einen Pinguin besitzt?
Kurkow: Ich habe eine gute Phantasie, glaube ich. Als Kind habe ich sehr viele Geschichten erfunden und ich liebe Absurditäten, Paradoxien und schwarzen Humor. Das ist der literarische Baustoff, mit dem ich arbeite.

Würden Sie selbst gerne einen Pinguin als Haustier haben?
Kurkow: Nein. Ich habe drei Kinder und unser letztes Haustier war ein rosa Kaninchen und das ist leider gestorben (lacht). Daher weiß ich, dass Haustiere bei uns nie glücklich sind. Das Beste ist also, keins zu haben.

Aber die sonstigen Gewohnheiten Ihrer Protagonisten, denken Sie sich diese jeweils zu den Figuren aus oder sind die an Ihre eigenen Vorlieben angelehnt?
Kurkow: Es gibt einige Figuren, die in der Realität meine Freunde sind. Ich benutze auch ihre wirklichen Namen und Familiennamen. In „Die letzte Liebe des Präsidenten“ gibt es zum Beispiel zwei solcher Figuren. Auch die Gewohnheiten der Leute, die ich in meinen Büchern beschreibe, sind sehr realistisch – das ist der realistische Teil meiner Bücher. Alles andere ist – normalerweise – surrealistisch .

Was auffällt ist, dass in Ihren Büchern immer leicht gestorben wird und dass man es als Leser gut ertragen kann, dass die Figuren gehen. Warum spielt der Tod immer mit in Ihren Geschichten?
Kurkow: Das ist vielleicht ein bisschen der Einfluss meiner russischen Herkunft. Ich bin nicht wirklich Fatalist, sondern mehr ein Existenzialist. Ich habe einen Bruder, der ist sieben Jahre älter. Als ich dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, zur Zeit der Sowjetunion, war er Dissident und hatte Freunde, die sehr antisowjetisch eingestellt waren und selbstgedruckte Manuskripte und Bücher verteilten. Ich las also viel seriöse Literatur als ich selbst noch nicht seriös war. Ich war beeinflusst von Schopenhauer, von Kierkegaard und von den Existenzialisten. Und was ich auch mag, ist, wie die Leute in Lateinamerika die Leute den Tod ertragen. Dort gibt es ein Fest der Toten – generell machen die sehr freudige und lustige Begräbnisse.

Es hat also nichts damit zu tun, dass ein Leben weniger bedeutet in Russland oder der Ukraine?
Kurkow: Doch auch. Der russische Fatalismus hat auch damit zu tun. Der Preis des Lebens ist sehr niedrig. Wenn man sich an den Anfang der 90er Jahre erinnert – jemanden zu töten kostete zwischen 300 und 500 Dollar. Und dann sind die Preise so bis 15000 Dollar hoch gegangen.

Hat man das auch als ‚normaler’ Mensch erfahren?
Kurkow: Das war nicht normal, aber die ganze Situation war nicht normal. 1993, 1994 – damals wurden jeden Tag viele Leute getötet, die erste Phase des postsowjetischen Kapitalismus war mit viel Blut verbunden. Mein Roman „Ein Freund des Verblichenen“, den ich damals geschrieben habe, handelt von dieser Zeit.

Hat man sich denn damals daran ‚gewöhnt’, dass die Menschen schneller sterben?
Kurkow: Ja, weil diese Nachrichten jeden Tag kamen. Ich erinnere mich, als ich noch jeden Morgen Zeitungen kaufte, sah ich zuerst nach, wer gestern ermordet worden war oder was Kriminelles passiert ist.

… und war das Leben trotzdem lebenswert?
Kurkow: Ja. Die Ukrainer haben ein wenig eine mediterrane Mentalität. Sie denken nicht über morgen nach, sondern genießen das Leben von heute.

Warum sollte man die Ukraine besuchen?
Kurkow: Gastlichkeit, wunderschöne alte Städte wie Kiew und vielleicht auch die Krim, das schwarze Meer, die Karpaten. Es gibt, glaube ich, sehr viele interessante Sachen in der Ukraine.

Was vermissen Sie am meisten, wenn Sie nicht in der Ukraine sind?
Kurkow: Meine kleine Kellerkneipe, in die ich täglich gehe. Ich schreibe am Morgen – jetzt nicht mehr, weil ich meine Kinder auf die Schule vorbereiten muss – aber früher bin ich um 5 Uhr morgens aufgestanden und dann zehn Minuten zu Fuß zu meinem Studio gegangen. Dort habe ich bis um elf Uhr gearbeitet, um dann immer in das gleiche Café zu gehen. Ich kenne die Besitzer und die Kellner die dort arbeiten schon seit Jahren. Und der Besitzer bietet mir am Morgen immer einen Cognac an – das ist eine westukrainische Gewohnheit. Immer wenn man in der Westukraine bei jemanden zu Gast ist, gibt es am Morgen eine Flasche Cognac.

… immer Cognac, nie Wodka?
Kurkow: Nein, nein. Wodka ist ein ostukrainisches und russisches Getränk. Zuerst kommt die Wodkazone in der Ostukraine, dann Cognac und natürlich Wein im Westen der Ukraine und auch in den Karpaten und dann wieder eine Wodkazone in Polen.

Gibt es in diesem Café Ihre Lieblingssorte Cognac?
Kurkow: Ja. Ich mag wirklich guten Cognac, aber es ist mir auf der anderen Seite eigentlich auch egal. Meine Protagonisten trinken oft Hennessy und als Resultat davon wurde ich schon mal von der Familie Hennessy nach Cognac in Frankreich eingeladen. Ich war dort fünf Tage und musste sehr viel Cognac trinken. Da habe ich verstanden, dass auch die Franzosen zum Frühstück viel Cognac trinken, aber sie trinken ihn mit Tonic Water gemixt. Oder sie machen sich morgens und abends einen Cocktail.

Vom Alkohol zur Politik. Wie sehen Sie die Ukraine in der Beziehung zu Europa?
Kurkow: Von der Mentalität her ist die Ukraine europäisch, aber geopolitisch sind sie eine Zwischenzone. Weil das Vereinte Europa keine gemeinsame Grenze mit Russland haben möchte. Außerdem hat man Angst vor der Ostukraine, die sehr postsowjetisch oder fast sowjetisch eingestellt ist. Die Intellektuellen sind eigentlich alle sehr pro-europäisch, auch die Oligarchen sind pro-europäisch, aber das Proletariat und die Lumpen sind meistens pro-russisch (lacht).

Ihr Buch „Die letzte Liebe des Präsidenten“ kam schon vor dem Beginn der orangenen Revolution heraus…
Kurkow: … ja sieben Monate vorher….

… wurden sie schon vor der Revolution von politischer Seite zu diesem Buch befragt?
Kurkow: Nein, erst danach. Ich wurde nach der Revolution zu Kaffee und Cognac mit zwei Generälen des Geheimdienstes geladen …

… Sie haben jetzt also neue Leser?
Kurkow: Ja, ich habe viele Leser im Geheimdienst der Ukraine. Aber früher haben sie auch schon viel meine Bücher gelesen (lacht), weil ich einen Roman über den Kampf zwischen dem russischen und ukrainischen Geheimdienst in Europa geschrieben habe, die beide das Geld suchen, das früher vom KGB in die europäische Industrie investiert wurde.

Sie schreiben auch Kinderbücher – das ist in Deutschland wenig bekannt, da Ihre Kinderbücher noch nicht auf Deutsch erschienen sind.
Kurkow: Ein Buch erscheint jetzt im französischen Verlag Actes Sud, das heißt: „Abenteuer von kleinem Staubsaugerchen Borja“. Meine Kindergeschichten haben auch ganz viele Absurditäten und Humor – aber nichts Schwarzhumoriges. Und niemand stirbt. Alle meine Helden machen dumme und interessante Sachen. Außerdem gibt es noch fliegende Katzen. Genauer ein Hund, der von einer Katze unterrichtet wird, wie man fliegt. Es gibt auch eine ökologische Kindergeschichte über kaputtes Spielzeug, dass mit viel Abfall in einen Wald geworfen wurde und noch einige andere.

Woran arbeiten Sie gerade?
Kurkow: Ich schreibe einen Roman.

Worüber?
Kurkow: Eigentlich habe ich versucht, eine Liebesgeschichte zu schreiben – mal ohne Politik. Aber das habe ich nicht geschafft. Jetzt wird es ein Roman mit viel Politik, zwei Liebesgeschichten und mit einem Krimimotiv. Und es gibt drei Handlungslinien. Alles beginnt mit einem Mord an einem Apotheker, der an einer neuen politischen Arznei arbeitet (lacht).

Und welches Buch haben Sie selbst zuletzt gelesen?
Kurkow: Ich schreibe Rezensionen für den „Guardian“ in London und lese daher gerade ein Buch über Beslan, über diese Tragödie als die Schule von Terroristen angegriffen wurde. Und davor habe ich ein Buch über die erste Frau von Daniil Charms gelesen, ein sehr interessanter Schwarzhumor-Autor der dreißiger Jahre. Und ich lese sehr gerne ukrainische junge Autoren.

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