Herr Wajda, oft liest man, Sie selbst seien mit ihrem filmischen Werk nur teilweise zufrieden. Stimmt das?
Wajda: Ich sehe weniger die Filme kritisch als viel mehr einzelne Szenen und Lösungen. Die Filme leben für mich weiter, ich denke aber immer darüber nach, wie ich bestimmte Probleme hätte besser lösen können.
Ich bin aber sehr zufrieden, dass ich einige Filme zur richtigen Zeit gemacht habe, eben in einer Zeit, als man diese Filme machen musste. Und mich freut, dass sie das Interesse erreicht haben, Filme wie „Der Kanal“, „Asche und Diamant“, „Der Mann aus Marmor“ und vor allem „Der Mann aus Eisen“, der ja während der Geschehnisse der Solidarnosc-Bewegung realisiert wurde, von denen man nicht wusste, wie sie ausgehen. Diese Filme hätten auch gar nicht zu einem anderen Zeitpunkt entstehen können.
Sind Filme immer ein Resultat ihrer Zeit?
Wajda: Ich denke, jeder politische oder soziale Film nimmt Bezug auf einen politischen oder sozialen Kontext. Und zu einem bestimmten Zeitpunkt ist er interessant, und irgendwann später wird er nur eine Erinnerung sein von der damaligen Zeit. Wobei das auch kein eisernes Gesetz sein muss, zum Beispiel „Asche und Diamant“: das war damals ein politisches, künstlerisches Ereignis – und heute ist das immer noch ein lebendiger Film, gerade durch die die Rolle von Zbigniew Cybulski, die immer lebendig bleibt und die immer aufs Neue lebendiger wird.
Ging es Ihnen denn darum, politische Filme zu drehen, oder wollten Sie mehr die Einzelschicksale zeigen?
Wajda: In dem System, in dem wir die Filme damals gemacht haben, war das einzelne Schicksal nie getrennt von der Gesellschaft. Alles hing ab von dem totalitären System, von dieser einen Partei, die alles befohlen hat. Und unsere Pflicht, wie auch die Pflicht des Einzelnen, war es, dieses System zu hinterfragen. Und das Resultat, welches ich heute sehe, beweist doch, dass sich das gelohnt hat. Ich will jetzt nicht behaupten, ich hätte das kommunistische System in Polen mit meinen Filmen zerstört, aber ich glaube, ich habe da schon dazu beigetragen. Und darüber bin ich froh.
Wären Sie heute gerne ein junger Filmemacher?
Wajda: Wenn ich heute jung wäre, weiß ich gar nicht, ob ich diesen Beruf hätte. Damals, als ich Regisseur wurde, war das schon eine Ausnahme, der Beruf Filmregisseur war unheimlich rar gesät. Aber heute kann das jeder machen: man kauft sich eine Kamera, Digibeta, Film …
Sehen Sie diese Entwicklung, die heute bessere Zugänglichkeit des Equipment, positiv?
Wajda: Ich denke, das Medium Film hat heute bereits seine eigene Sprache, seine Vollkommenheit und sein Profil nicht nur erreicht, sondern auch verschärft. Sowohl technisch als auch künstlerisch wird man da nicht mehr viel weiter gehen können. Ich denke aber, die Zugänglichkeit es Equipment kann sich heute gegen das Private des Menschen richten. Diese Übersättigung der technischen Möglichkeiten kann schon bedrohlich werden und man kann nie wissen und keine Sekunde sicher sein, dass man nicht selbst zum Gegenstand von einem Film wird – und ob sich das am Ende nicht gegen einen selbst richten kann. Das erweckt eher meine Unruhe.
Für Ihre 80 Jahre sind Sie – Kompliment – erstaunlich gut auf den Beinen. War es der Film, der Sie fit gehalten hat?
Wajda: Ich glaube, Arbeit als solche, Beschäftigung, ist sehr wichtig und gibt einem normalerweise auch eine Bestätigung im Leben, wie auch eine Zufriedenheit. Ich glaube, das ist gesünder, als sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Sie unterrichten in Polen an einer Filmschule, sind aber natürlich in anderen Zeiten groß geworden. Was geben Sie Ihren Schülern mit auf den Weg?
Wajda: Ich glaube, die Fragen, die man damals gestellt hat, ähneln sich mit den Fragen von heute. Weil man sehr viele soziale und gesellschaftliche Probleme auch heute noch nicht gelöst hat. Und es gibt Fragen, die man beim künstlerischen Arbeiten, gerade im Film, auch heute weiter stellen sollte.
Ich glaube, dass das Publikum heute auch auf Filme wartet, die Fragen stellen, ich denke da vor allem an die europäischen Filme. Der Vereinigungsprozess von Europa wird ja noch sehr lange dauern und da stehen unheimlich viele Schwierigkeiten noch vor uns.
Standen Sie in Ihrer Karriere eigentlich jemals vor der Frage, einen Film in den USA zu realisieren?
Wajda: Ich dachte schon immer, man sollte vor allem über sein eigenes Land erzählen. Das Land, wo man geboren ist und worüber man etwas weiß. Es stimmt zwar, dass der Adaptionsprozess in Amerika viel einfacher ist als anderswo, weil dort wirklich eine totale Mischung der Kulturen herrscht. Aber trotzdem, es wäre für mich absolut unmöglich, und auch lächerlich, wenn ein Elektriker bei mir am Set mehr über das Land wüsste, in dem ich drehe, als ich selbst, der Regisseur.
Außerdem wurden meine Filme ja auch überall gezeigt. Das heißt, wenn jemand Interesse hatte, einen solchen Film zu sehen, dann konnte er das. Insofern: warum sollte ich Polen verlassen, wenn meine Filme trotzdem überall gezeigt werden?
Ist es schwierig für Sie, mit dem Filmemachen aufzuhören?
Wajda: Ja, weil ich immer noch den Eindruck habe, dass einen großen Bedarf für solche Filme gibt, wie ich sie gemacht habe. Immer noch steht die Vergangenheit in der Tür und wartet und will nicht weggehen – und das heißt, man muss das noch bearbeiten.