Frau Gheorghiu, Sie haben hin und wieder in Interviews erzählt, dass Sie von Ihrem 18. Lebensjahr an keinen Lehrer hatten, stattdessen haben Sie alles selbst entschieden.
Angela Gheorghiu: Genau, das stimmt. Ich habe auch diesen Spruch: „Ich rate dir, mir besser keinen Rat zu geben.“ Ich frage auch nie. Nicht nur was die Rollen angeht oder die Technik, auch wenn ich eine Fremdsprache lerne. Generell im Leben, was immer ich lerne, ich habe eine Art Instinkt. Und ich habe mich entschieden, diesem Instinkt zu folgen.
Ihr Selbstbewusstsein war also schon sehr früh sehr gut ausgeprägt.
Gheorghiu: Ich wusste schon mit 18, dass ich einen Rat von außen nicht brauche. Weil ich nicht wie jemand Anderes sein will, sondern original. Selbst wenn es ein Fehler ist, den ich mache, dann ist das original Angela.
Das erfordert viel Stärke, oder?
Gheorghiu: Ja, ich muss sehr stark sein. Auch weil die Leute anfangen, sich darüber Geschichten auszudenken, weil ich eben nicht jeden glücklich machen kann. Ich mache nicht alles mit, das bin ich meiner Kunst schuldig. Das ist für viele unbefriedigend.
Woher kommt diese Stärke? Hängt es vielleicht mit Ihren rumänischen Wurzeln zusammen?
Gheorghiu: Nein, ich denke das hat nichts mit der Nationalität zu tun. Der Mensch ist ein komplexes Wesen, Körper und Geist, dann kommen Dinge wie die Familie hinzu, Ausbildung, Dinge, die mir passiert sind. Am Ende ist es ein Resultat von alledem.
Welche Rolle spielte das Hören von Opernaufnahmen für dieses Resultat?
Gheorghiu: Damit habe ich schon früh angefangen. Meine erste Aufnahme stammte von einer rumänischen Opernsängerin, Virginia Zeani. Sie hatte eine wundervolle Stimme, eine Legende, ein Idol, nicht nur für mich. Als ich 24 war und das nötige Geld verdiente, da habe ich mir sehr viele CDs besorgt, da wollte ich alles hören. Ich war verrückt danach, ich wollte wissen: Was ist bis heute passiert? Wände voller CDs hatte ich.
Hat das Ihren Gesang beeinflusst?
Gheorghiu: Ich kenne all die Opernsänger und weiß was sie gemacht haben. Aber wenn ich anfange zu singen, dann denke ich nur daran, diese eine Phrase zum Leben zu erwecken, ich denke da an niemand anderes.
Wenn Sie auf die Lehrermeinung verzichteten, vermute ich, dass Sie an einer Opernrezension ebenso wenig Interesse haben.
Gheorghiu: Nein, habe ich nie gelesen. Ich habe natürlich selbst auch Freunde, die Journalisten sind, und ich verstehe ihre Arbeit. Auf der anderen Seite: Wenn ich auf der Bühne stehe, tausend Zuschauer vor mir – dann darf man dieser einzelnen Person, die mir sagt, ob ich gut war, nicht zu viel Bedeutung beimessen. Ich selbst muss am Besten wissen, was mit mir und meinem Körper geschieht. Auf der Bühne Spaß zu haben und den Menschen Freude zu bereiten ist wichtig, aber ich gebe dort auch immer alles!
Singen bzw. üben Sie jeden Tag?
Gheorghiu: Es gibt viele Tage an denen ich nicht einen Ton singe, manchmal zwei Wochen oder drei. Ich bin nicht diese Art Sänger, der das immerzu trainieren muss. Das kommt ganz natürlich, so bin ich geboren.
Was ist wichtig für die Stimme, am Tag einer Aufführung?
Gheorghiu: Gut ausschlafen! Das ist die beste Medizin. Und nicht zu viel reden, also keine Interviews (lacht).
Sind Sie glücklicher vor oder nach dem Auftritt?
Gheorghiu: Ich bin immer sehr gefühlsgeladen. Ich bin vorher glücklich… Wissen Sie, über diese Frage habe ich noch nicht nachgedacht. Ich würde so antworten: Am glücklichsten bin ich während meiner Aufführung. Wenn ich spüre, dass alles irgendwie in meiner Hand ist und wir alle zusammen glücklich sind. Wir lachen und weinen alle zusammen.
Welche Rolle spielt Applaus für Sie?
Gheorghiu: Ich liebe ihn. Ganz ehrlich. Da will auch nicht scheinheilig tun. Ich bitte Sie, warum auch sollte ich mit so einer Stimme zuhause bleiben und nur in meinem Badezimmer singen? Wegen dieser Stimme bin ich all die Wege gegangen, bin auf die Musikhochschule, auf das Musikinternat. Es war ein hartes Leben, aber mir war immer bewusst, dass ich das alles lernen will.
Und da tut der Applaus gut, wirklich.
Doch was macht man, wenn er irgendwann ausbleibt? Im Film „The Quartet“ von Dustin Hoffmann zum Beispiel gibt es diese Sopranistin, die im Altersheim nur auf ihrem Zimmer sitzt und sich ihre alten Aufnahmen hört.
Gheorghiu: Nein, so fixiert bin ich nicht. Ich könnte nicht ohne Musik leben, aber ich bin nicht bühnenfanatisch.
Musik ist für mich die maximale Kunst, wie wenn man Gott berührt, Engel. In unserem Leben ist heute alles so hektisch und schnell (schnippt mit den Fingern), Dinge wie Göttlichkeit haben wir vergessen. Vielleicht existieren Engel wirklich, und wir haben es nur vergessen, sie zu fragen oder an sie zu denken. Wenn ich gute Musik höre, dann fühle ich, dass Gott existiert. Weil es sonst unmöglich wäre, so eine Perfektion zu kreieren.
Musik ist für mich die maximale Kunst, wie wenn man Gott berührt, Engel. Wenn ich gute Musik höre, dann fühle ich, dass Gott existiert.
Ich möchte Sie auch fragen, welche Rolle die eigenen Wurzeln, die Herkunft für eine Opernkarriere spielt. Ein Beispiel: Wenn die großen Häuser italienische Opern besetzen, fällt die Wahl eher auf einen italienischen Tenor als auf einen deutschen.
Gheorghiu: Halt! Sie haben Jonas Kaufmann. Ich bin ja sozusagen seine Patin, ich habe ihn entdeckt, als er noch ein Tenor aus dem Ensemble war. Nein, das ist keine Frage von Nationalität.
Nun sprach ich darüber mit dem italienischen Tenor Vittorio Grigolo. Und er sagte, die deutschen Tenöre sollten erstmal lernen, richtig zu lieben.
Gheorghiu: Das ist nicht wahr! Nein, ich werde Vittorio persönlich anrufen und ihm sagen: „Da liegst du falsch! Du scheinst die deutschen Jungs nicht gut zu kennen.“ (lacht) Wirklich, das ist eine Legende!
Ich kenne all diese Geschichten, über die Mentalität, die italienische, die lateinische, die rumänische. Zur gleichen Zeit nehme ich wahr, dass wir in der Kunst alle von der gleichen Materie sind. Es spielt keine Rolle, ob Südafrika oder Südamerika. Nat King Cole war wundervoll, aber dann schauen Sie sich eine Frau wie Marlene Dietrich an, so sexy, so schön, so verführerisch, dann ihre sinnliche Stimme..
Nein, ich glaube nicht daran. Außerdem sind die Italiener nicht der Nabel der Welt. Auch wenn sie in Italien gerne so tun, als wüssten sie alles über die Oper – das stimmt nicht.
Dann kommen wir weg von den Wurzeln. Welchen Einfluss haben die eigenen Erlebnisse? Ist die Interpretation einer romantisch-dramatischen Rolle intensiver, wenn auch das eigene Leben turbulent verläuft?
Gheorghiu: Also, andere haben vielleicht einen eher normalen Lebensstil, aber viele Dinge sind einfach Teil meines Lebens. Zum Beispiel muss ich ständig reisen, ich kann diesen Beruf ja nicht von zuhause aus mit einer Webkamera machen.
Mir ging es eher um das turbulente Gefühlsleben.
Gheorghiu: Natürlich bin ich auch hungrig, traurig, glücklich, verzweifelt, in Ekstase. Ich habe ein Privatleben – aber ich denke nicht, dass das für die Leute interessant ist.
Immerhin tragen Sie gerade ein T-Shirt mit der Aufschrift „In Love“.
Gheorghiu: Sehr aufmerksam – aber das ist ein Geschenk, und dass ich es heute trage ist reiner Zufall. Nur ein T-Shirt, keine Botschaft.
Wie war es denn, als Sie mit 18, sozusagen noch ohne große Lebenserfahrung, die Rollen hoffnungslos verliebter Frauen sangen?
Gheorghiu: Ich habe das einfach gemacht, auch ohne Lebenserfahrung. Meinen ersten Freund hatte ich mit 23. Und bis dahin habe ich schon viel gesungen, in meiner Heimat hatte meine Karriere da schon begonnen.
Wir können das auch auf Komponisten übertragen, Mozart hat geniale Sachen komponiert als er noch ein Kind war. Für mich existiert das in der Kunst nicht, da gibt es kein Mann oder Frau, es gibt auch kein Alter. Ich war 25 als ich Sir Georg Solti traf. Er war 80. Nach fünf Minuten, die wir gemeinsam musizierten sagte er „Nenn mich einfach George“. Wir haben wie Freunde miteinander gesprochen, ich habe nicht mehr gefühlt, dass er älter und ich jünger bin. Wir musizieren zusammen, das ist so, als wenn man ein und der gleiche Körper wird, mit der gleichen Seele. Da merkt man nicht mehr, ob Mann oder Frau, alt oder jung…
…oder mehr oder weniger Lebenserfahrung.
Gheorghiu: Nein, das ist nicht wichtig, unsere Motivation ist die Partitur. Da ist Goethes Faust, da ist der französische Komponist und wir Interpreten kreieren diese geniale Geschichte mit dieser genialen Musik.
Nun bringt das romantische Opernrepertoire mit sich, dass man häufig Geschichten darstellt, die mit unserem heutigen Leben nicht viel zu tun haben. Wie gehen Sie damit um?
Gheorghiu: Ich würde schon eine moderne Geschichte vorziehen, denn tatsächlich sind einige Geschichten in der Oper ziemlich simpel, beinahe dumm. Doch wenn ich eine Rolle akzeptiere, dann fälle ich die Entscheidung in erster Linie für meine Stimme. Die Partie muss zu meiner Stimme passen, da bin ich immer sehr vorsichtig, weil ich meine Stimme nicht zerstören will.
Welches Repertoire würden Sie denn gerne singen, das Sie Ihrer Stimme nicht zutrauen?
Gheorghiu: Ich mag zum Beispiel Wagner sehr. Doch, bei all meinem Respekt für ihn, er hat diese Kultur für die Stimme nicht im gleichen Maße wie Puccini oder Verdi.
Ein Komponist muss wissen, wie er für die menschliche Stimme schreibt. Bei Wagner ist es ja so, dass er eben oft nicht von den schönsten Stimmen gesungen wird. Die schönsten Stimmen in der Geschichte – also mindestens was die Geschichte der Tonaufzeichnung angeht – haben sich nicht entschieden, Wagner zu singen. Mich ärgert das richtig: Wagner hat so wundervolle Musik geschrieben, aber es ist einfach zu schwer, es würde meine Stimme ruinieren.
Im Prinzip warte ich immer noch. Ich weiß nicht, ob ich das noch erlebe, aber vielleicht haben wir irgendwann eine junge Generation von Komponisten, die so intelligent sind, dass sie schöne Musik für Sänger schreiben.
Was halten Sie von den Opern eines John Adams oder Philip Glass?
Gheorghiu: Also, wenn es nur noch Komponisten wie Philip Glass geben würde, dann hätte die Oper ein Problem, das muss ich ehrlich sagen. Da vermisse ich wirklich diese Kultur, da fehlt es an Wissen, wie man für die menschliche Stimme schreibt.
Gibt es noch Genies wie Mozart oder Verdi es waren?
Gheorghiu: Genie? Heute? Gute Frage. Sicher gibt es heute gute Komponisten. Sie lernen auf der Schule Harmonie und Kontrapunkt sozusagen wie das Alphabet oder das Einmaleins. Da gehört auch dazu, den Umgang mit der Stimme zu erlernen, doch das wollen sie nicht, das interessiert sie nicht. Und das Schlimme darin ist: Ihre Werke kannst du nur einmal singen, dann sind sie weg, sie gelangen nicht in das Repertoire.
Und vielleicht fehlt den neuen Komponisten noch etwas: Mozart, Puccini oder Verdi waren inspiriert durch bestimmte Sänger. Als Puccini Tosca schrieb, war er verliebt, er dachte an Hariclea Darclée, er hatte eine Frau im Kopf, eine Stimme. Und das hat die Musik sehr beeinflusst.
Konzerthinweis Angela Gheorgiu
07.11.2013 München Philharmonie