Frau Kallwass, Sie haben viele Jahre sehr erfolgreich die Sendung „Zwei bei Kallwass“ moderiert, in der Sie Menschen halfen, fiktive Konflikte zu lösen. Könnten Sie sich vorstellen, eine TV- Sendung zu moderieren, die das Thema Tod zum Inhalt hätte?
Ja, weil ich mich mit dem Thema – theoretisch wie praktisch – sehr gut auskenne. Der Tod ist ein Thema, das uns alle betrifft und dem keiner von uns ausweichen kann. Es könnte eine Sendung sein, in der ich Hinterbliebene in der Phase der Trauer und des Abschieds begleite. In meiner Phantasie schreibe ich eine Serie, in der das alltägliche Sterben und der alltägliche Tod das zentrale Thema sind. Wichtig wäre – bei jeder Art von Sendung – dem Tod mit einem schwarzen, aber warmherzigen Humor zu begegnen.
Humor im Umgang mit dem Tod? Sind wir Deutschen dafür nicht viel zu ernsthaft?
Das könnte so sein. Im Umgang mit dem Tod ist nur eine Form des schwarzen Humors denkbar, der sich ja eher ernster und tabuisierter Themen bedient und sie satirisch darstellt. Und für den schwarzen Humor ist Großbritannien zuständig. Der deutsche Humor gilt als gemütlich und harmonisch bis sehr „tiefsinnig“. Die amerikanische Fernsehserie „Six feet under – Gestorben wird immer“ hatte in Deutschland nur eine mäßige Quote. Vielleicht hätte eine Serie zum Sterben und Tod eher Erfolg in der Tradition Loriots, der seine Komik aus den kommunikativen, verrückten Tücken des Alltags herleitete.
Warum glauben Sie, dass eine ernsthafte Sendung nicht funktionieren würde?
Das weiß ich aus eigener Erfahrung. In den ersten sechs Folgen von „Zwei bei Kallwass“ drehten wir echte psychologische Fälle mit echten Betroffenen. Uns haben die Sendungen sehr berührt, aber die Zuschauer haben abgeschaltet. Die Themen und der Sendungsverlauf waren offenbar zu ernsthaft und zu anstrengend für die Zuschauer um 14.00 Uhr – kurz nach dem Mittagessen. Vielleicht hätten diese Sendungen um 23:00 Uhr mehr Erfolg gehabt.
Meine Mutter wollte eine aktive Sterbehilfe, die ich ihr nicht geben konnte.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Was am Ende zählt“: „Das Leben ohne Tod wäre langweilig“…
Das habe ich etwas provokant formuliert. Es stellt sich die Frage, ob wir das Leben auch als so wertvoll erachten würden, wenn es nicht endlich wäre, wenn wir nicht um unsere Sterblichkeit wüssten. Abgesehen von der Frage, was ein Leben ohne den Tod für die Menschheit und die Welt bedeuten würde. Eine unbegrenzte Menschheit angesichts einer begrenzten Welt? Die Frage ist ohnehin akademisch. Wir Menschen sind dadurch gekennzeichnet, dass wir geboren werden und dass wir sterben. Das vereint uns.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ich habe keine Angst vor dem Tod, da ich davon ausgehe, dass ich mit dem Tod aufhöre zu existieren. Wovor sollte ich also Angst haben? Meine Angst bezieht sich eher auf die Art meines Sterbens: ich möchte nicht plötzlich tot umfallen, ich möchte mein Sterben erleben, ich möchte nicht mit großen unerfüllten Sehnsüchten und in Unfrieden sterben, sondern lebenssatt und in Frieden mit mir und meiner Umwelt, ohne Schmerzen und umgeben von Menschen, die mich mögen. Seit meine Mutter in meinen Armen gestorben ist, weiß ich, dass es ein gutes Sterben gibt.
Was meinen Sie mit „gutem Sterben“?
Meine Mutter hatte eine schwere Lungenerkrankung und litt unter extremer Atemnot. Sie war fast blind, sie zeigte Merkmale einer dementiellen Erkrankung. Sie wusste um ihren Zustand und wollte nicht mehr leben. Sie wollte eine aktive Sterbehilfe, die ich ihr nicht geben konnte. Sie wählte die ihr verbliebene Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbens: Sie aß und trank nicht mehr. Eine Magensonde hätte ihren Sterbeprozess nicht aufgehalten, sondern ihr Leiden nur verlängert. Sie starb zu Hause, umgeben von Menschen, die sie liebte, sehr friedlich und sehr ruhig. Und es war Alles gesagt.
Ihre Mutter wünschte sich eine aktive Sterbehilfe, hatte Sie sogar gebeten, ihr Zyankali zu besorgen. Wie haben Sie reagiert?
Ich habe ihr gezeigt, dass ich ihren Wunsch in ihrer Situation verstehe, vielleicht hätte ich den gleichen Wunsch, dass ich ihr diesen Wunsch aber nicht erfüllen könne, da mir die Mittel und das Wissen fehlten, und ich mich nach deutschen Recht strafbar machte. Eine aktive Sterbehilfe in der Schweiz lehnte sie ab. Mein Versprechen, sie im Sterbeprozess nicht leiden zu lassen, hat sie beruhigt. Sie wusste, dass sie sich auf mich verlassen konnte.
Im November 2015 hat der Bundestag die Frage der Sterbehilfe verschärft. Eine große Mehrheit der Deutschen wünscht sich, dass die Gesetze erleichtert werden. Sind Sie für eine Legalisierung?
Die Beihilfe zum Suizid muss nicht legalisiert werden, sie ist genauso wenig illegal wie der Suizid selbst. Es geht um eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids durch genau festgelegte juristische Regeln. Eine solche Legalisierung müsste allen Beteiligten volle Rechtssicherheit vermitteln, dem Sterbenden, den Angehörigen und dem behandelnden Arzt. Keiner darf sich durch diese Tat strafbar machen.
Wie möchten Sie sterben?
Des Lebens müde, weil ich mein Leben und meine Wünsche gelebt hätte, mit einem Rückblick auf ein Leben, in dem ich etwas bewirkt habe, in dem ich vor allem geliebt habe und geliebt worden bin, ohne Schmerzen, ohne Selbsthass und Reue, mit dem Gefühl: „Es war schön, aber jetzt möchte ich gehen.“ Und ich würde gerne zu Hause sterben, in Gegenwart der Anderen, die ihr Leben weiterleben, die um mich herum kochen, Gespräche führen, fernsehen, Radio hören oder am PC sitzen. Ich habe es als Kind geliebt, wenn abends die Tür noch ein bisschen auf blieb, und ich das Gemurmel der Erwachsenen gehört habe. Das Wichtigste wäre für mich, nicht alleine zu sein.
So wie Ihr Vater, der 1979 einen Tag vor seinem Geburtstag ganz plötzlich starb? Am Tag zuvor hatten sie sich am Telefon entsetzlich gestritten…
Mein Vater war im Moment seines Sterbens allein, vielleicht war er unglücklich, vielleicht hatte er Schmerzen. Vielleicht erinnerte er, dass ich ihm am Abend zuvor gesagt hatte, dass ich ihn hasse, dass ich nicht zu seinem Geburtstag kommen würde. Am nächsten Tag rief mich die Polizei an. Mein Vater war unter einem Baum tot zusammengebrochen und dort alleine gestorben. Er hatte viele Jahre ein Alkoholproblem, das immer wieder ein Grund für unsere Streitigkeiten war. Bei seinem Tod hatte er 2,6 Promille Alkohol im Blut. So möchte ich nicht sterben.
Hatten Sie Schuldgefühle?
Ja, ich hatte schwere Schuldgefühle. Ich habe meinen Vater sehr geliebt, manchmal habe ich ihn gehasst. Am Vorabend seines Todes habe ich ihm meinen Hasse entgegen geschleudert. Ich habe mich in Wut und Streit getrennt. Nach seinem Tod tröstete mich die Erinnerung an einen Abend, an dem ich ihm gesagt hatte, wie sehr ich ihn auch liebte. Die Schuldgefühle habe ich lange bearbeitet, irgendwann habe ich mir verziehen. Geblieben ist eine Trauer und eine Entschlossenheit, mich nie wieder in dieser Form von einem Menschen zu verabschieden. Es ist mir bisher gelungen.
Immer häufiger werden junge, todkranke Menschen zu Youtube-Stars, indem sie ihr Sterben öffentlich machen, darüber im Internet bloggen oder Videos einstellen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Einerseits positiv: Die Community wird zur großen Familie, mit der man die Angst, den Zorn, den Schmerz, die Hoffnung, die Traurigkeit und dann vielleicht auch das Sterben teilen kann, indem man sich mitteilt und Mitgefühl erfährt. Der Kranke ist nicht allein. Andererseits sind die Reaktionen der User nicht steuerbar. Es kann durchaus sein, dass den kranken, jungen Menschen, die sich offen und schutzlos im Netz äußern, auch Ablehnung und Verletzung widerfährt, was traumatisch sein kann. In der Regel überwiegt aber die Empathie.
Die Familie der ermordeten 17-jährigen Unternehmertochter Anneli hat eine Website eingerichtet, auf der es auch ein Gästebuch gibt. Entsteht so etwas wie eine neue Trauerkultur?
Wenn eine Kultur sich verändert, verändern sich auch die Gewohnheiten und die Rituale. Wir leben im Zeitalter der digitalen Revolution, die mit hoher Mobilität, Schnelligkeit und Veränderung von sozialen Strukturen verbunden ist. Die alte Trauerkultur ist im Wandel, neue Formen der Trauer entstehen. Die Website wird zu einem Ort der Begegnung mit dem Verstorbenen. Es entsteht eine neue Form der Unsterblichkeit. So wird etwas Bleibendes geschaffen, das über ein Grab oder eine Friedwald hinausgeht und Schutz und Trost bietet.
Wie meinen Sie das?
Trauer hilft, belastende Erlebnisse zu verarbeiten – und der Tod ist ein belastendes Erlebnis. Die Trauer kann heftig und kurz sein, sie kann in Wellen verlaufen, der Trauernde kann erstarren und sich dann der Trauer öffnen – wir Menschen trauern sehr unterschiedlich. Bei nahen Angehörigen sieht das Gesetz zwei Tage Sonderurlaub vor, der allerdings durch den Tarifvertrag modifiziert werden kann. Es ist wichtig, dass neben den Erfordernissen des Alltags neue Freiräume gefunden werden, um den Prozess der Trauer zu integrieren.
Gibt es überhaupt noch so etwas wie ein Trauerjahr?
Das Trauerjahr diente dem Abschied, denn jede Jahreszeit, jedes soziale Ereignis wie Geburtstag, Ostern und Weihnachten wurde einmal ohne den verstorbenen Menschen durchlebt. So konnte sich die Seele allmählich mit der schmerzhaften Realität arrangieren. Das Trauerjahr umfasst die Zeit, in der die Beziehung beerdigt und in der Regel keine neue Beziehung begonnen wird.
… und ein Jahr lang ausschließlich schwarze Kleidung getragen wurde…
…die auch die Trauer sichtbar machte. Ich trage sehr viel Schwarz, aber heute käme keiner auf die Idee, mich zu fragen: „Tragen Sie Trauer?“ Ich stehe manchmal im Supermarkt an der Kasse und frage mich, wie viele Menschen in der Warteschlange einen geliebten Menschen verloren haben, die wie abwesend dort stehen und hören: „Entschuldigung, ich war vor Ihnen dran!“ Ich würde sicher in anderer Form mit einem trauernden Menschen umgehen, mit mehr Empathie, mit mehr Respekt, wenn es ein sichtbares Zeichen von Trauer gäbe.
Im Buch schreiben Sie, dass der Kinderarzt Ihrer Tochter seinen zehnjährigen Sohn bei einem Verkehrsunfall verlor. Ihre Tochter war damals im gleichen Alter. Sie fühlten eine Art Überlebensschuld, dachten, er würde Sie hassen…
Mein Mann und ich hatten dem Arzt unserer Töchter schriftlich unser tiefes Mitgefühl ausgedrückt, die nächste Untersuchung hatte ich aber weit hinausgeschoben, ich wusste nicht, wie ich ihm begegnen sollte. Ich fühlte eine eigenartige Form von Schuld. Sein Sohn war tot, unsere Tochter lebte.
Wie sind Sie bei Ihrem nächsten Besuch damit umgegangen?
Ich habe den Arzt offen auf meine Unsicherheit und Sprachlosigkeit angesprochen, ihm gesagt: „Sie müssen doch wütend auf mich sein, vielleicht mich sogar hassen, denn mein Kind lebt, und ihr Kind ist tot. Wie kann ich Ihnen begegnen?“ Seine Antwort: „ Ich danke Ihnen, dass Sie den Tod meines Sohnes ansprechen. Ich habe darauf gewartet, dass ich angesprochen werde. Sie sind eine der Ersten, die mit mir darüber redet.“ Die meisten Angehörigen wollen den Tod nicht totschweigen, sie wollen sich mitteilen und über den Toten reden.
Gehen Männer anders mit dem Tod um als Frauen?
Vielleicht zeigen Männer ihre Trauer weniger offen, trauern stiller, weinen weniger und erstarren eher in ihrer Trauer. Aber das lässt sich nicht generalisieren. Der Umgang mit Trauer ist eher eine Frage der Persönlichkeitsstruktur und der Kultur als eine Frage des Geschlechts. Von entscheidender Bedeutung ist sicher die Beziehung zu dem Verstorbenen. Männer trauern vielleicht anders, aber nicht weniger.
Bei großen Unglücken, wie dem Absturz der Germanwings-Maschine, werden Betreuungszentren für die Angehörigen eingerichtet. Glauben Sie, dass Fremde in so einem Moment überhaupt helfen können?
In diesen Betreuungszentren arbeiten aus- und fortgebildete Trauma-Therapeuten. Mit den Verwandten kann man gemeinsam trauern, sich gegenseitig stützen, Fremde wie die Mitarbeiter der Betreuungszentren sind nicht persönlich betroffen, aber sie haben Mitgefühl und hören den Betroffenen zu, wenn sie zu sprechen beginnen. Ob sie den Piloten oder Gott verfluchen, schreien, weinen, etwas kaputt treten wollen, alles ist möglich, alles ist besser als zu erstarren. Der Fremde wird zum Trauerbegleiter.
Würden Sie Menschen generell dazu raten, den Verstorbenen noch einmal zu sehen?
Ich würde es empfehlen, aber diese Empfehlung nicht generalisieren. In der Regel empfiehlt man heute, dass sich die Angehörigen von dem Toten verabschieden, auch, um den Tod stärker in das Leben zu integrieren. Es hängt aber von der Beziehung zu dem Toten und von den Umständen des Todes ab, ob es wirklich sinnvoll ist, den Verstorbenen anzuschauen. Für mich war der plötzliche Tod meines Vaters nicht fassbar, weil ich ihn nicht tot gesehen habe. Für mich war er nicht tot, auch wenn mein Verstand mir etwas anderes sagte. Den Tod meiner Mutter habe ich miterlebt, danach wusste ich, wie der Tod aussieht und wie er sich anfühlt.
Als 1997 Prinzessin Diana und 2005 Papst Johannes Paul II starben, entwickelte sich eine weltweite Trauerdynamik. Hundertausende säumten die Straßen bzw. standen Stunden lang vor dem Petersdom an, um den Leichnam des Papstes im offenen Sarg zu sehen.
Ein solches Trauerverhalten ist sicher mehrfach determiniert. Es ist im Zweifel eine Mischung aus Solidarität und Liebe gegenüber einem Menschen – wie bei Prinzessin Diana, der „Prinzessin der Herzen“ – und der Ehrerbietung gegenüber einem verehrten Würdeträger – wie bei Papst Johannes Paul II – sowie einer Neugier gegenüber dem Tod an sich. Als junges Mädchen stand ich mit Freundinnen fünf Stunden in einer Warteschlange, um den verstorbenen Altbundeskanzler Konrad Adenauer im Kölner Dom sehen zu können, doch dann standen wir vor dem geschlossenen Sarg, der von einer deutschen Flagge bedeckt war. Wir waren sehr enttäuscht, dass der Sarg verschlossen war.(lacht).
Sie sagten, die Community wird zur großen Familie. Wird sie die traditionelle Familie langfristig ersetzen?
Viele Kinder verbringen heute mehr Zeit in der Kinderkrippe, in der Kindertagesstätte und in der Ganztagsschule als zu Hause mit ihren Eltern und Geschwistern. Ich gehe davon aus, dass Freunde im Leben der jungen Generation von großer Bedeutung sein und die frühere Großfamilie erweitern, vielleicht sogar ersetzen werden. Es wird eine neue Wahlverwandtschaft entstehen.
Was kann jeder Einzelne tun, damit man sich später keine Vorwürfe machen muss?
Selbstvorwürfe und Zweifel wie „Hätte ich doch…“ oder „Warum habe ich nicht…?“ weisen den Weg dazu, was jeder Einzelne tun kann. Es ist wichtig, zu Lebzeiten – nicht erst am Sterbebett –, das zu sagen und zu tun, was uns am Herzen liegt, und damit mit dem Anderen in Frieden zu sein.
Ist es das, „was am Ende zählt“?
Fremd- und Selbstvorwürfe, innerer Zorn und Zweifel, offene Fragen und verweigerte Antworten vergiften die Trauer. Für den Sterbenden wie für den Hinterbliebenen zählt am Ende der innere Frieden.
Liebe Frau Kallwas,
Ihr Informationsstand ist leider recht fehlerhaft:
1. Natürlich dürfen Sie (auch heute noch!) als Angehörige einem Menschen beim Sterben helfen, ohne sich strafbar zu machen! Und: Sie hätten sich dafür kundig machen können, z.B. auf der Seite http://www.sterbenduerfen.de
2. In der Schweiz gibt es KEINE aktive Sterbehilfe!!! Aktive Sterbehilfe gibt es – gesetzlich geregelt – weltweit NUR in den Beneluxstaaten! Allerdings können dort Deutsche KEINE Hilfe erwarten!
Mit freundlichem Gruß
Peter Puppe
(einer von nur fünf namentlich bekannten Sterbehelfern in Deutschland)