Mrs. Kidjo, vor gut einem Jahr haben Sie an einem einmaligen Konzert in der New Yorker Radio City Music Hall teilgenommen, das dem Blues gewidmet war und auch verfilmt wurde. Sie standen auf der Bühne neben Musikern wie B.B. King, Solomon Burke, Natalie Cole oder Buddy Guy – was war das für ein Gefühl?
Angelique Kidjo: Das war schon überwältigend. Ich hatte auch nie geglaubt hatte, so etwas mal erleben zu dürfen. Irgendwann hatte mich der Produzent Steve Jordan angerufen und gesagt, eswürde einen Film über den Blues geben und ob ich daran teilnehmen wollte, weil sie den Film gewissermaßen mit der Heimat des Blues beginnen wollten. Ich sagte sofort zu und ich dachte sofort an das Lied, welches wir bei uns am letzten Vollmond singen, bevor ein Mädchen heiratet. Da treffen sich all ihre Verwandte und Freunde, setzen sich in einen Kreis und singen dieses Lied für ihren Verlobten. „Sie war unser Freund, sie wird jetzt deine Frau und wir wollen sicher gehen, dass du sie glücklich machst, dass du dich um sie kümmerst, wie sie sich um dich kümmert usw.
Als ich dann an dem Tag in die Radio City Hall kam, wurde mir bewusst, dass ich eine Menge von Legenden treffen würde. Aber bis zu dem Moment habe ich das gar nicht gegaubt, erst als ich sie wirklich gesehen habe. Im gleichen Raum zu sein, mit so vielen talentierten Musikern, das machte mich winzig und groß zugleich.
Sie haben sich alle verbunden gefühlt, als Musiker.
Kidjo: Ja, es gab auch überhaupt kein Ego, niemand wollte sich besonders präsentieren oder so. Die Radio City Hall hat ja sehr viele Etagen, überhaupt ist das eine riesige Konzerthalle. Du kannst da einen ganzen Tag verbringen, ohne überhaupt jemanden zu treffen. Ich bin dann von einem Stockwerk ins andere gegangen, habe an die Türen geklopft, die Musiker getroffen mit ihnen geredet – das war ein Erlebnis. Und als wir dann das große Gruppenfoto mit Martin Scorsese machten, der das ganze initiiert hatte, ging es erst mal so: ich will bei dir stehen, du kommst zu mir, nein du kommst zu mir … alle waren sehr liebevoll zueinander.
Besteht eigentlich ein großer Unterschied zwischen amerikanischem und afrikanischem Blues?
Kidjo: Der Unterschied liegt nur bei den Instrumenten. Aber sonst, wenn man alle Instrumente, Gitarren und Schlagzeug wegnimmt und dann einem Afro-Amerikaner und einem Afrikaner den gleichen Song zu singen gibt, dann bekommt man am Ende die gleiche Emotion, genau die gleiche.
Wie sind Sie denn das erste mal zum Blues gekommen?
Kidjo: Der Blues war eigentlich schon immer in meinem Leben. Weil in Benin, dem Land, aus dem ich komme ist es so, wenn jemand stirbt, dann kommen wir ein paar Tage vor dem Begräbnis alle zusammen, und singen gemeinsam in Gedenken an den Verstorbenen. Und diese Lieder – da kann man eigentlich nur weinen. Du weißt, dass du diese Person nicht wieder sehen wirst und das, was wir da singen ist der Blues.
Muss man denn eine traurige Person sein, um den Blues singen zu können?
Kidjo: Nein, das denke ich nicht. Aber wir müssen ein bisschen zurück gehen um zu verstehen, wie der Blues entstanden ist. Zur Zeit der Sklaverei, als die Sklaven aus Afrika in verschiedene Teile der Welt verschifft wurden, kamen sie auch nach Nordamerika, wo man ihnen als erstes ihre Trommeln weggenommen und verbrannt hat. Alles was ihnen lieb, war ihre Stimme, die Sprache, der Gesang. Der Blues wurde eine Sprache für sie, in der sie sich unterhielten von einem Baumwollfeld zum anderen. Und wenn man den Blues zu seinen Wurzeln nach Afrika verfolgt, steckt da immer eine gewisse Traurigkeit drin, über den Verlust eines Menschen, der gestorben ist, auf eine lange Reise gegangen ist, oder jemand, der heiratet. Als die Sklaven in Amerika ankamen wurden sie gedemütigt, alles wurde ihnen weggenommen. Aber was sie nie vergaßen, war ihre Musik, sie atmeten weiter mit ihrer Stimme. Ich denke also, dass jemand, der nie in so einer Situation war und diesen Schmerz nicht kennt, den Schmerz vielleicht ausdrücken kann – aber die Emotion ist eine ganz andere und die berührt dich auch auf eine andere Art und Weise.
Ist der Blues nur eine „Musik der Schwarzen“?
Kidjo: Nein, der Blues blieb ja nicht alleine Blues, er ging auch über zu den Weißen, Country-Musik gäbe es ohne den Blues gar nicht – ein wichtiger Punkt im Erbe der Sklaven, wie ich finde. Schmerz ist nicht schwarz, Schmerz ist nicht weiß, Schmerz ist universell. Für mich ist ein Mensch auch nie eine Frage der Farbe, wird es auch nie sein. Ich bin froh, dass meine Eltern mich so erzogen haben, dass Hautfarbe für mich nie eine Rolle gespielt hat – und unter Musikern spielt Hautfarbe erst recht keine Rolle.