Anika Decker, beim Drehbuch zu „Keinohrhasen“ sollen Sie eher für die witzigen Dialoge zuständig gewesen sein, während Til Schweiger die romantischen Szenen schrieb…
Anika Decker: In der Tendenz trifft das zu, ja. Zumindest, wenn es darum geht, wer von uns eine größere Neigung in eine bestimmte Richtung hatte. Aber das heißt natürlich nicht, dass wir nur eins von beiden können. Außerdem soll es ja vorkommen, dass Witz und Romantik sich miteinander mischen…
Es hätte auch sein können, dass Sie für „Traumfrauen“ nicht nur ihr Drehbuch allein geschrieben, sondern auch noch Regie geführt haben, weil sie einen möglichst unromantischen Film machen wollten.
Decker: (Lacht) Nein, das war nicht der Sinn und Zweck. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren war ich eigentlich immer sehr glücklich mit meinen Regisseuren. Es waren ja auch nur zwei, Til Schweiger und Detlev Buck. Aber diesmal ist mir selbst die Regie angeboten worden und bei diesem durch und durch hundertprozentigen Frauenstoff habe ich gedacht: Wann, wenn nicht jetzt? Ich habe mich aber bemüht, nicht nur Witze zu reißen, sondern auch romantisch zu sein. Ich hoffe, das ist gelungen.
Ich hatte den Eindruck, dass Sie nicht nur romantische Szenen eher vermeiden wollen. Mehrfach ist in Ihrem Film ein Lehrbuch des Drehbuchautors Syd Field zu sehen…
Decker: Ja, das ist eines von mehreren Büchern über das Drehbuchschreiben, die Joseph immer bei sich hat, die Figur von Elyas M’Barek.
Field schreibt beispielsweise: „Eine starke mitreißende Figur ist wesentlich für jedes Drehbuch.“ Ihre „Traumfrauen“ wirken zuweilen, wie ein bewusster Gegenentwurf dazu.
Decker: Ja, mich interessieren Figuren mit Brüchen, Schwächen, in ihrer Verlorenheit tatsächlich sehr viel mehr, als die glatte, fertige Oberfläche vermeintlich starker Typen, die fertigen Gestalten, die alles schon irgendwie abgehakt haben. Stärke bedeutet ja auch nicht, dass man zu allem immer hundertprozentig eine Meinung und eine Haltung hat. Ich glaube, es liegt auch eine absolute Stärke darin, mal verwirrt sein zu dürfen. Das kommt ja in der heutigen Zeit, in der man so viel Möglichkeiten hat, durchaus mal vor.
Insofern üben Sie in „Traumfrauen“ auch Gesellschaftskritik?
Decker: Ich habe mit diesem Film versucht, unsere aktuellen Lebensprobleme so ein bisschen abzubilden, ein bisschen zu übersteigern, ein bisschen auf die Schippe zu nehmen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das, was im Allgemeinen als Schwäche und Stärke bezeichnet wird, immer so zutrifft oder nicht auch sehr klischeehaft ist. Was Syd Field eigentlich in seinem „Handbuch zum Drehbuch“ meint, ist ja auch, dass eine interessante Figur eine ist, die Empathie erzeugt und einen Konflikt hat. Das war für mich eher das, womit ich gern gearbeitet habe. Auch im Leben interessieren mich die zerrissenen Gestalten mehr.
Ich muss mein Leben nicht dramatischer gestalten, als es ohnehin schon ist.
Steht diesen zerrissenen Gestalten das „Konzept Traumfrau“ oder auch ihr jeweiliger eigener Traum eher im Weg, als dass sie dadurch angetrieben würden?
Decker: Man steht sich doch wahnsinnig oft selber im Weg und ich glaube, das gehört zum Leben auch dazu. Jeder, der bereit ist, sich zu hinterfragen und auch mal aus einem Lebensentwurf auszubrechen, ist für mich ein Traummann oder eine Traumfrau. Das Leben ist ja auch nicht immer fair, man wird ab und zu irgendwo reingeworfen, wo man gar nicht rein wollte und dann muss man sich da irgendwie durchkämpfen. Deswegen stehen meine Figuren in „Traumfrauen“ alle so ein bisschen neben sich und versuchen verzweifelt, sich in etwas Neues hinein zu kämpfen oder an dem Alten festzuhalten. Das klappt allerdings nicht mehr so ganz und auf diesem Weg begleiten wir sie. Sie haben schließlich alle gemeinsam, dass sie Kämpfer sind, eher leise, feine Kämpfer, um genau zu sein.
Allerdings verhalten sich Ihre „Kämpfer“ auffallend passiv. Sie warten darauf, dass die Männer ihnen so entgegenkommen, wie sie es sich heimlich erhoffen, statt heldenhaft für ihr Glück zu kämpfen.
Decker: Ich finde gerade das manchmal so langweilig. Nur weil man die Regel kennt, dass ein Film eine bestimmte Art Helden braucht, heißt es ja nicht, dass man sie stoisch befolgen muss. Ich finde es manchmal auch wahnsinnig langweilig, dass jede dritte Drehbuchfigur… keine Ahnung… den Traum hat, einmal mit dem Motorrad über die Route 66 zu brausen. In meiner gesamten Autorenlaufbahn bin ich in jeder Drehbuchbesprechung gefragt worden: Welchen Traum hat die Figur? Irgendein Traum sollte es immer sein.
Dieser Forderung scheinen sich erstaunlich viele Filmemacher zu beugen. In den meisten deutschen TV- und Kinofilmen fällt ein Satz wie: „Das ist mein großer Traum“. Es gibt sogar einen Film, der sich gleich „Der ganz große Traum“ nennt. Woher kommt das?
Decker: Dahinter steckt, glaube ich, die Sehsucht nach der Vereinfachung des Lebens. Man sagt dann am Anfang: Da ist dieser Typ, der träumt von Freiheit. Was ist das beste Bild für Freiheit? Natürlich ein Motorrad. Wo ist es am schönsten lang zu fahren? Auf der Route 66. Und wenn er sich den Traum dann erfüllt, ist sein Problem gelöst. Daran glauben anscheinend manche Leute wirklich. Ich kenne aber gar nicht so viele, die einen solchen Traum haben. Mich interessiert auch nicht so sehr, ob dieser Traum wirklich wahr wird, mich interessiert, was den Leuten auf ihrem Weg so alles dazwischen kommt.
Was ist für Sie das beste Bild für „Freiheit“?
Decker: Wenn ich eine möglichst geringe Anzahl von Drehbuchbesprechungen in meinem Leben habe. Für mich ist es Luxus, wenn ich mich hinsetzen und eine Buchfassung schreiben darf, wenn ich ohne irgendwelche finanzielle oder zeitlichen Nöte entscheiden darf, welchen Film ich persönlich als nächstes machen möchte. Das wünscht sich wohl jeder Kreative. Wobei, das ist Quatsch. Eine Freundin von mir, eine Romanautorin, braucht manchmal ein bisschen Unheil. Ein bisschen Druck. Dann schreibt sie besser, sagt sie.
Vor den Dreharbeiten zu „Traumfrauen“ sollen Sie mit Ihrem Produzenten vereinbart haben, dass am Set „nicht gebrüllt“ werden dürfe. Glauben Sie nicht an Konflikte als kreativen Motor?
Decker: Nein. Ich habe genug Konflikte mit dem Stoff, mit meiner Verantwortung und meinem Zeitmanagement. Ich bin auch nicht wild darauf, privat Bungee-Jumping zu machen, oder so. Ich muss mein Leben nicht noch künstlich dramatischer gestalten, als es ohnehin schon ist. Und wenn es nicht um Leben oder Tod geht, bin ich der Meinung, man braucht nicht zu brüllen sondern kann auch normal miteinander reden. Das ist für mich die angenehmste Arbeitssituation. Wenn man konzentriert ist, eine Ruhe hat und allen Ego-Quatsch draußen lässt, soweit es geht.
Ist das normalerweise anders?
Decker: Ja, besonders die Filmbranche ist sehr hierarchisch. Aber ich glaube nicht, dass die Leute mehr Respekt vor einem haben, wenn man rumbrüllt. Mir liegt das auch grundsätzlich nicht so. Das heißt nicht, dass ich nicht durchgreifen kann. Aber ein einfaches „Nein“ hat ja oft auch genug Kraft, wenn man es ganz normal sagt. Das haben wir während der Dreharbeit probiert, das war im Sinne aller und es hat auch funktioniert. Wir sind jetzt sogar nominiert, nebenbei gesagt, für den Hoffnungsschimmer-Award.
Den Hoffnungsschimmer-Award?
Decker: Das ist ein Preis, der ausschließlich von Crew-Mitgliedern vergeben wird. Die stimmen anonym darüber ab, welche Produktionen des Jahres die besten Arbeitsbedingungen hatten. Dazu zählen Arbeitszeiten, Bezahlung, Respekt und der Tonfall. Da wird leider sehr wenig drüber berichtet. Wir sind eine der nominierten Produktionen und sehr stolz darauf.
Sie haben einmal von den Schwierigkeiten erzählt, bei der Filmförderung Nora Tschirners Rolle in „Keinohrhasen“ durchzusetzen. Dort würde man keine Öko-Kindergärtnerinnen akzeptieren, die witzig und schlagfertig sind…
Decker: Als schlagfertig gilt dort eher der Typ „ehrgeizige Karrierefrau.“ Das hat in den Achtzigern angefangen, als sich die „Powerfrau“ entwickelte. Ich glaube, die war im Zuge der Emanzipation auch ganz wichtig. Daraus ist dann aber später diese komische sogenannte „starke Frau“ geworden. Ich erfinde jetzt auch nicht gerade das Rad neu, aber es ist auch mal wieder an der Zeit, diese Konvention zu brechen. Nur kommt es jetzt eben vor, dass Leute in den Gremien mit Frauenfiguren, die bestimmte Gefühle ausdrücken, gar nicht mehr umgehen können, weil sie diese vermeintlich „starken Frauen“ gewohnt sind. Deshalb haben es Frauenbilder, die etwas ungewöhnlicher sind, oft schwer. Für mich hat es aber auch etwas sehr starkes, souveränes und auch liebenswertes, wenn man mal aus der Rolle fällt, hier und da eine Schwäche hat und auch mal mit einer Situation nicht umgehen kann.
Wie Ihre Protagonisten in „Traumfrauen“?
Decker: Genau. Vivienne, zum Beispiel, die Figur von Palina Rojinski, ist im Drehbuchsinne die klassische Männerfigur. Das ist der Typ mit den Bindungsproblemen, der eines Besseren belehrt wird. Diese Umkehrung, dass das eine Frau ist, war auch hier und da schwierig zu vermitteln, wurde nicht verstanden.
Dabei hätten Sie doch sagen können: Guckt mal, in „Rubbeldiekatz“ war die Figur von Alexandra Maria Lara ganz ähnlich. Das hat auch funktioniert.
Decker: Erstens das und zweitens ist das ja auch ganz real ein großes Thema unserer Zeit. Durch die ganzen Optionen, die sich einem jungen Menschen bieten, entsteht eben auch das Unvermögen, sich überhaupt irgendwann entscheiden zu können. Das ist doch jedem schon mal begegnet, jeder kennt das selbst so ein bisschen. Ich finde das hoch interessant und würde am liebsten in jeden meiner Filme so jemanden rein schreiben, der sich nicht leicht entscheiden kann.
Haben Sie so eine Liste heimlicher Lieblingscharaktere oder Szenen, die Sie unbedingt mal in einem Film verwenden wollen? Ist so vielleicht die bemerkenswerte Freiluft-Orgie in „Rubbeldiekatz“ entstanden?
Decker: (Lacht) Ja, „Strangers in the Night“ haben wir die Szene genannt, Detlev Buck und ich. Das Lied liegt auch drunter…
Es ist nacht, es schneit und die besten Freunde des Hauptprotagonisten vergnügen sich mit fremden Männern im Park. Die Szene ist sehr zärtlich und witzig zugleich….
Decker: Und sie wird gegengeschnitten mit der Sexszene mit Matthias Schweighöfer und Alexandra Maria Lara. Ich liebe diese Szene. Ich liebe auch, wie alle gucken, ihre entgleisenden Gesichtszüge. Das ist vielleicht meine Form von Romantik. Ich fand es auch romantisch, dass die eigentlich alle nicht mehr so genau wissen, was da passiert. (lacht)
Sie haben ein Herz für Swinger…
Decker: Ja, ich finde es generell immer gut, wenn man sich ein Stück Freiheit im Kopf bewahrt und tolerant ist. Zum Beispiel war mein Vater jetzt auch Komparse bei der Szene im Senioren-Computerkurs, gemeinsam mit meiner Mutter. Die sitzen hinter Iris Berben. Im Film wird ja gesagt: „Nur Frauen machen diese Kurse im Alter, weil sie da Männer kennenlernen wollen.“ Also musste ich irgendwie begründen, warum mein Vater da jetzt mit drin sitzt. Er hat dann ein T-Shirt gemacht bekommen auf dem in Regenbogenschrift steht: „I’m gay, it’s okay.“ Das hat er mit Stolz getragen. Wir haben schöne Fotos gemacht, mit Iris und meiner Mutter zusammen. Ich finde es gut, wenn man jedem seine Bedürfnisse lässt, jeder machen kann, was er gerne möchte.
Die letzten drei Filme, an denen Sie als Drehbuchautorin mitgewirkt haben, wurden von 12 Millionen Zuschauern im Kino gesehen. Ist der deutsche Film in den letzten Jahren weiblicher geworden?
Decker: Ich hoffe es. Nicht, dass ich da in irgendeiner Weise verbissen wäre. Aber der prozentuale Anteil von Frauen bei der Regie und in wirklichen Machtpositionen ist auf jeden Fall noch verbesserungsbedürftig. Ich weiß aber eigentlich gar nicht, ob sich da in den letzten Jahren so viel getan hat. Ich war früher so gut informiert, ich weiß nicht, wann mir das abhanden gekommen ist…
Vielleicht hatten Sie mit wachsendem Erfolg einfach zu wenig Zeit?
Decker: Ich glaube, das hat vielmehr mit meiner Erkrankung zu tun gehabt.
Sie hatten vor einigen Jahren eine Blutvergiftung, lagen eine Woche im künstlichen Koma…
Decker: Ja. Ich wollte das jetzt auch gar nicht so als Thema aufdrängen. Ich meine nur, Erfolg ist ja etwas wahnsinnig Abstraktes. Mir ist einfach wichtig, dass ich mir mein Leben leisten kann. Aber… Ich bin branchenmäßig etwas zurückgezogener, seit ich so krank war und habe auch mehr Privatleben als früher. Das ist etwas Schönes.
Eine letzte Frage: In „Traumfrauen“ taucht in einer Szene ein Paar Schuhe auf. Auf dem einen steht „CK“, wie ein Imitat des Logos von Calvin Klein. Auf dem anderen steht „FU“ – was einen vielsagenden Effekt ergibt, wenn die Füße nebeneinanderstehen. Sind das Ihre Schuhe?
Decker: Jetzt gehören sie mir. Ich habe sie nach dem Dreh geschenkt bekommen. Mit einem Entwurf dieser Schuhe hatte sich meine Kostümbildnerin bei mir vorgestellt. Da habe ich sie natürlich sofort engagiert.