Frau Mühe, im Film „Sternstunde ihres Lebens“ begleiten Sie als Sekretärin Irma Lankwitz die Abgeordnete Elisabeth Selbert (Iris Berben) beim Kampf um die Aufnahme des Artikels 3 Absatz 2 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das deutsche Grundgesetz. Inwiefern wussten Sie vor dem Film um die mühevolle Entstehung des Paragraphen?
Anna Maria Mühe: Ich wusste, dass es ein mühsamer Weg war, aber mir war nicht bewusst, dass eine einzelne Frau diesen Kampf um Gleichberechtigung so mutig und unermüdlich angeführt hat. Ich habe mich vor den Dreharbeiten dann aber intensiv mit der Thematik beschäftigt und viel darüber gelesen.
Selbert wurde trotz ihres Erfolges von der SPD nie für den Deutschen Bundestag nominiert und arbeitete nach 1949 wieder als Juristin. Ihr Name blieb bis heute relativ unbekannt. Wie erklären Sie sich das?
Mühe: Ich glaube, es war nie ihr Bestreben im Rampenlicht zu stehen. Ihr ging es mehr um die Sache. Es gibt ja auch heute Politiker, die das Blitzlichtgewitter suchen, und andere arbeiten lieber im Hintergrund. Aber sicherlich wäre sie auch nicht gegen Menschen vorgegangen, die ihr ein bisschen mehr Anerkennung hätten ermöglichen wollen.
Irma interessiert sich am Anfang mehr für die Männerwelt, als für die Politik. Am Ende kämpfen beide Seite an Seite. Wie würden Sie den Wandel beschreiben, den sie durchmacht?
Mühe: Irma ist in einer Familie aufgewachsen, in der es immer klare Strukturen und Muster gab. Da lernt die Frau einen Mann kennen, heiratet ihn, kriegt drei Kinder, kümmert sich um Haus und Hof und der Mann geht arbeiten. Sie glaubt, dass auch ihr Leben so aussehen muss. Und dann kommt ein Mensch wie Selbert, stellt alles auf den Kopf und sagt: „Moment mal, du hast doch auch Talente! Warum nutzt du die denn nicht? Warum willst du das Hausmütterchen spielen?“. Dadurch wird sie überhaupt erst auf die Idee gebracht, dass es noch viel mehr im Leben gibt. Durch Selbert werden ihr neue Türen geöffnet. Und zum Glück ist sie mutig genug, da durchzugehen.
Selbert ist 1986 in Kassel gestorben. Welche Fragen hätten Sie Ihr gerne gestellt?
Mühe: Ich würde sie fragen, ob sie mit den Entwicklungen der vergangenen Jahren zufrieden ist. Und mich würde sehr interessieren, ob sie für oder gegen die Frauenquote ist, die ab 2016 gelten soll.
Was würde sie antworten?
Mühe: Ich glaube, sie wäre über die Frauenquote nicht gerade entzückt. (lacht)
Das Ziel sollte sein, dass es irgendwann selbstverständlich ist, dass Männer und Frauen die gleichen Positionen erreichen können, auch ohne Quote.
Iris Berben spielt die Juristin Selbert und sagt zum Thema Frauenquote: „Mir wäre es bedeutend lieber, wenn Frauen über ihre jeweilige Qualifikation in ihre Ämter kämen.“ Hat sie Recht?
Mühe: Ich kann das nicht klar bejahen, aber auch nicht klar verneinen. Es sollte im Arbeitsleben immer mehr um Qualität gehen, als um Quantität. Aber natürlich müssen Männer und Frauen auch von Anfang an die gleichen Chancen bekommen. Da werden in Bezug auf Führungspositionen Männer sicher oft bevorzugt. Aber ob eine Quote deshalb der richtige Weg ist? Das weiß ich nicht.
Offenbart die Einführung einer Frauenquote nicht auch in gewisser Weise ein Scheitern der Bewegung?
Mühe: Es zeigt auf jeden Fall, dass es in dieser Hinsicht noch sehr viel zu tun gibt. Dieses Thema muss weiter publik gemacht werden. Die Einführung der Frauenquote alleine, kann und wird dieses Problem nicht lösen. Das Ziel sollte sein, dass es irgendwann selbstverständlich ist, dass Männer und Frauen die gleichen Positionen erreichen können, auch ohne Quote.
Als großer Erfolg der Frauenbewegung wird oft gesehen, dass Angela Merkel 2005 zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde. War das ein wichtiger Schritt?
Mühe: Ich habe darüber nie nachgedacht. Das war für mich nie Thema. Es ist mir egal, ob wir einen Mann oder eine Frau als Bundeskanzler haben. Er oder sie soll einfach einen guten Job machen.
Sind Sie manchmal genervt von der Gleichberechtigungs-Debatte?
Mühe: Es hat mit mir einfach relativ wenig zu tun. Meine Freunde und ich haben uns nie mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben auch nie darüber diskutiert.
Für viele junge Menschen ist das neue Image der U.S-Popsängerin Miley Cyrus ein Thema. Sind ihre aufreizenden Auftritte, wie im Video „Wrecking Ball“, eher förderlich oder hinderlich im Bezug auf die Entwicklung hin zur Gleichberechtigung?
Mühe: Dieses Mädchen befindet sich in einem Ausnahmezustand. Das kann man nicht als als Beispiel in dieser Debatte heranziehen. Ich kann es sogar verstehen, dass sie so austickt. Das könnte jedem passieren, wenn er ständig beobachten wird.
Sie würden nicht sagen, dass Miley Cyrus durch ihr Auftreten der Entwicklung der Gleichberechtigung schadet?
Mühe: Das ist für mich einfach kein Thema. Wer sich durch dieses Auftreten in seiner Rolle als Frau gestört fühlt, muss sich vielleicht einfach mal seiner selbst sicherer werden und nicht ständig nur kämpfen. Jeder hat seinen eigenen Kopf und jeder weiß, was er will. Es gibt eben Frauen, die gern hinter dem Herd stehen, aber eben auch Frauen, die gerne arbeiten. Und es gibt Frauen wie Miley Cyrus. Es gibt für sehr viele verschiedene Frauen sehr viele verschiedene Wege. Und die sollte man akzeptieren. Miley Cyrus räkelt sich auf einer Kugel. Das ist natürlich ein Ereignis, weil sie jung und knackig ist, aber man kann ihr deshalb doch nicht vorwerfen, dass sie eine Entwicklung aufhält. Das ist eben ihr Weg.
Warum funktioniert die „Sex Sells“-Strategie immer noch so gut?
Mühe: Da sind wir wieder Adam und Eva. Es scheint weiterhin ein interessantes Thema zu sein, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.
Aber können Sie dieser Strategie etwas abgewinnen?
Mühe: Es gibt für mich nicht „gut“ oder „schlecht“. Ich denke nicht in diesen Kategorien. Die Strategie funktioniert und wird deshalb angewendet. Mich spricht sie nicht an, aber Millionen andere schon. Jeder muss selbst für sich entscheiden, ob er damit was anfangen kann.