Herr Minghella, Ihr neuer Film "Cold Mountain" hat die diesjährige Berlinale eröffnet, Sie haben Ihren Aufenthalt in Berlin auch genutzt, um im Rahmen des "Talent Campus" der Berlinale mit Nachwuchsfilmemachern zusammenzukommen – gibt es eine zentrale Botschaft, die Sie dem Nachwuchs vermitteln wollen?
Minghella: Nein, ganz im Gegenteil, ich will bei denen nicht die Vorstellung provozieren, es gäbe da ein bestimmtes Geheimnis, etwas, was sie wissen müssten, aber nicht wissen oder Sachen, die ich weiß und sie die aber nie erfahren werden. Ich hoffe, dass ich jedem klar machen kann, dass Filmemachen viel mit Willen zu tun hat, dass man versucht einen Sinn zu machen aus einer sinnlosen Industrie, dass man lernt, mit eigenen Mängeln umzugehen, Material zu finden, andere Leute mit ins Boot zu holen. Letzten Endes braucht man vor allem Entschlossenheit und Ausdauer um im Filmgeschäft überleben zu können.
Ihr Film "Cold Mountain" erinnert bei bestimmten Aspekten wie dem Kriegshintergrund oder dem Verlauf der erzählten Geschichte ein wenig an Ihren oscar-gekrönten Film "Der Englische Patient". Vielen Schauspielern geschieht es ja im Lauf der Karriere, dass sie irgendwann nur noch die ganz bestimmte, ähnliche Rollen angeboten bekommen. Wie sehr sehen Sie diese Gefahr auch für sich als Regisseur?
Minghella: Ich muss sagen, dass diese Frage auf mich selbst nicht wirklich zutrifft, insofern nicht, dass ich keine Filme angeboten bekomme. Es ist nicht so, dass ich Drehbücher zugeschickt bekomme und ich die dann verfilme. Ich finde das Material selbst und wenn es mir gefällt, mache ich es einfach, ich werde also nicht als Regisseur also nicht ‚gecastet‘. Anders sehen die Urteile aus, die über Filmemacher gefällt werden: "derjenige macht nur solche Filme, der andere nur solche Themen …" Aber es liegt nun mal in der Natur der Kritiker, dass sie kommentieren und analysieren, genauso wie ein Fußball-Kommentator ein Fußballspiel kommentiert und analysiert – aber in dem Fall bin ich nur ein Spieler auf dem Feld. Als Regisseur suche ich mir jedenfalls das Material, das für mich Sinn macht und das setze ich um.
Sehen Sie denn eine bestimmte, vielleicht persönliche Verbindung zwischen den Stoffen, die Sie bis jetzt umgesetzt haben?
Minghella: Also, es war oft der Fall, dass ich während der Arbeit an einem Film mit mir selbst in Konflikt geraten bin. "Der talentierte Mr. Ripley" war ein Film, den ich sehr gerne gedreht habe, wo ich sehr tief im Stoff drin war. Aber es war eine sehr düstere Geschichte, ich betrat da ein Territorium in mir selbst, was für mich nicht gerade beruhigend war, es ging viel um Dinge die ich an mir nicht mochte. Aber andererseits brauchte ich das auch, weil ich zuvor den "Englischen Patient" gedreht hatte, der ja sehr lyrisch und romantisch war. Jetzt, nach "Cold Mountain" muss ich mich auch wieder ‚abreagieren‘, eine Geschichte finden, die schneller, stürmischer und vor allem zeitgenössischer ist. Ich würde ja sehr gerne mal einen Film machen, in dem die Leute Jeans tragen, das habe ich so lange nicht gemacht.
Es wäre also möglich, dass Sie nach einer so großen Produktion wie "Cold Mountain" wieder einen ‚kleineren‘ Film drehen, einen Thriller zum Beispiel?
Minghella: Es wäre schwer, sagen wir, vom Temperament her, von der Arbeitsatmosphäre her. Ein Problem ist ja, dass man sich an eine bestimmte Arbeitsweise gewöhnt. Bei "Cold Mountain" haben wir allein mit der Post-Produktion ein Jahr zugebracht, ich war ein Jahr im Schneideraum – da war ich schon sehr gedemütigt, als ich bei einem Newsweek-Gespräch neben Clint Eastwood saß, der erzählte, dass er für die Post-Produktion seines letzten Films nur drei oder vier Woche gebraucht hat. In dem Zeitraum hatte ich bei "Cold Mountain" noch nicht mal mein gesamtes Film-Material gesichtet. Es unterscheidet sich also sehr, wie Clint Eastwood arbeitet und wie ich arbeite, aber beide sind wir eine bestimmte Arbeitsweise gewöhnt, die auch bei beiden effektiv ist.
Wenn ich meine Arbeitsweise ändern wollte, hinge das auch von meinem Team ab. Ich habe wunderbare Leute um mich herum, die auch ihre Besonderheiten haben, sei es der Editor Walter Murch, mein Kameramann John Seale, Ann Roth, die die Kostüme entworfen hat oder Gabriel Yared, der den Soundtrack komponiert hat. Diese Leute beeinflussen mich alle, weshalb ich es auch immer wieder lächerlich finde, wenn Regisseure von ihren eigenen Filmtechniken sprechen – denn in Wirklichkeit ist das immer ein Resultat der Crew. Und wenn ich meine Technik verändern will, müsste ich auch diese Leute bitten, sich zu ändern.
Aber um auf ihre Frage zurück zu kommen, ich könnte sicher einen kleinen Film machen, das habe ich ja sogar zwischen "Der talentierte Mr. Ripley" und "Cold Mountain" gemacht. Ich habe einen kleinen Beckett-Film mit Alan Rickman und Kristin Scott Thomas gedreht, mit einem ganz anderen Team, wo wir sehr schnell gedreht haben, schnell geschnitten haben … Aber das war auch fantastisch. Da muss man sich halt manchmal ein bisschen selbst überlisten und einsehen, dass ganz verschiedene Wege möglich sind, einen Film zu machen. Generell sehe ich ja keine Verbindung zwischen Aufwand und Resultat, ich sehe doch, dass genügend Leute mit viel weniger Aufwand und viel weniger Geld sehr gute Filme machen können. Und auch wenn ich von einem Film, einem Thema, einem Bild ganz besessen bin heißt das noch lange nicht dass der Film am Ende gut wird.
"Cold Mountain" spielt in den Wirren des amerikanischen Bürgerkriegs. Ist es für Sie ein Bürgerkriegsfilm?
Minghella: Nein, ich bin an diesen Film nicht rangegangen mit dem Gedanken, "ich mache jetzt meinen Bürgerkriegs-Film". Ich dachte eher daran, eine Art Odyssee zu verfilmen, ein Stück mittelalterlicher Wanderliteratur, auch eine Reise zu spirituellen Zielen, bis hin zum Gedanken der Kulturrevolution – alles Dinge, die nur wenig mit dem Bürgerkrieg an sich zu tun haben. Ich wusste auch gar nicht, dass der Bürgerkrieg für die Amerikaner ein so unantastbares Ereignis in ihrer Geschichte ist und eben kein Tummelplatz für Filmemacher. Ein amerikanischer Filmemacher hätte darauf vielleicht mehr Acht gegeben, eben dass man den Bürgerkrieg nicht für allegorische Bezüge oder Metapher benutzt. Der Bürgerkrieg ist heute noch viel deutlicher im kollektiven Gedächtnis der Amerikaner, als ich das vermutet hatte.
Sie haben den größten Teil des Film auch nicht in den USA gedreht, sondern in Rumänien.
Minghella: Ja, ich hatte mich zuerst in North Carolina nach Drehorten umgeschaut, wo die Geschichte von Charlez Frazier spielt und nichts geeignetes gefunden. Dann erinnerte ich mich, wie ich vor 20 Jahren einmal in Polen war und ich erinnerte mich an diese irgendwie mittelalterliche Landschaft. Das war damals wie eine Zeitreise für mich und als ich mich dann in Rumänien umschaute, sah ich, dass es in der dortigen Landschaft noch immer viele Zeichen der Vergangenheit gibt. Meistens haben die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, die Industrialisierung auch die Natur verändert, also nicht nur die Gebäude, sondern auch die Architektur der Landschaft. Aber in Osteuropa sind ganze Landstriche von dieser Entwicklung unberührt geblieben, die heute immer noch an das 18., 17. oder 16. Jahrhundert erinnern, weshalb sie sich für unseren Film sehr gut eigneten.
Wie bereits angesprochen, Sie schreiben die Drehbücher selbst – hilft Ihnen das bei der späteren Umsetzung, weil Sie bereits eine bestimmte Vorstellung von Bildern im Kopf haben, während Sie schreiben?
Minghella: Nun, ich kenne es gar nicht anders. Es schicken mir verschiedene Leute Drehbücher und fragen mich, ob ich es nicht verfilmen möchte. Da ist meine Antwort aber immer dieselbe: ich wüsste nicht wie. Viele Regisseure können das, aber ich muss selbst mit dem Drehbuch beginnen, den Film sozusagen von Anfang an aufschreiben. Das ist dann so, wie ein Architekt, der auch auf seiner eigenen Baustelle arbeitet und das entstehende Gebäude schon im Kopf hat. Das beeinflusst natürlich auch die Art und Weise wie ich schreibe, man könnte das als eine Art Code bezeichnen, den ich aufschreibe – ich verkaufe das Buch ja nicht an jemand anderen. Und so bin ich dann der Einzige, der diesen Code wieder dekodieren kann.
Im Zentrum des Films steht eindeutig Nicole Kidman – was ist für Sie das Besondere an ihr?
Minghella: Ich denke, sie gehört zu den ganz wenigen Schauspielerinnen, die in historischen Rollen überzeugen kann. Nicht jede Frau kann ein Korsett tragen und darin auch aussehen. Dazu kommt, sie ist intelligent, das merkt man ihren Filmen auch an. Und speziell in "Cold Mountain" ist es so, dass Nicole in das kleine Dorf Cold Mountain kommt und sich alle sofort nach ihr umdrehen und fragen "Wer ist das?" Es gibt nur wenige Frauen, die das können, so eine starke Wirkung auf ein kleines Dorf haben. Das ist wie in der Realität, wenn Nicole jetzt in Berlin über die Straße laufen würde, die Leute würden sich alle nach ihr umdrehen, weil sie so etwas Exotisches hat, etwas ganz Besonderes, ein bisschen wie eine Prinzessin.
Am Set ist es sehr lustig mit ihr, sie lacht sehr viel und man merkt, in ihr steckt ein australisches Mädchen, dass gerne Spaß hat.
Aber wie sieht das aus, wenn sie sich für einen Schauspieler interessieren, ihm oder ihr den Film anbieten wollen – trifft man sich zum Dinner, telefoniert man nur …?
Minghella: Ich treffe die Schauspieler natürlich gerne selbst. Denn die Erfahrung vom Casting her, wo Regisseur, Produzent und Casting-Agent in einem Raum sitzen und der Schauspieler kommt rein – furchtbar! Das macht den Prozess des Auswählens so unflexibel und starr. Wenn ich mich allein mit den Schauspielern treffe, dann sind wir unter vier Augen, wir können uns unterhalten, ich kann demjenigen zuhören, kann feststellen ob er in dem Drehbuch das gleiche sieht wie ich, oder ob er es gar nicht versteht. Andersherum muss ich als Regisseur auch wissen, ob das, was ich sage, für einen Schauspieler Sinn ergibt und er so mit mir arbeiten will. Bei "Cold Mountain" habe ich vor Drehbeginn mit fast allen Hauptdarstellern eine gewisse Zeit unter vier Augen verbracht.
Und haben Sie an diese Treffen irgendwelche besonderen Erinnerungen?
Minghella: Jetzt wo Sie es sagen – ja. Noch bevor ich anfing das Drehbuch zu schreiben, hatte ich ein Treffen mit Renée Zellweger vereinbart. Jemand hatte mir erzählt, dass sie die Filmrechte an dem Buch "Cold Mountain" von Charlez Frazier kaufen wollte, da wollte ich sie schon mal treffen, sie kennen lernen. Also haben wir uns zu einem Mittagessen verabredet, und wie ich da saß und auf sie wartete, geriet ich auf einmal in Panik, weil mir einfiel, dass ich gar nicht wusste, wie Renée in Wirklichkeit aussieht. Ich habe sie in mehreren Filmen gesehen, aber ich wusste nicht, ist sie in Realität groß, klein, welche Haarfarbe hat sie … Ich hatte Angst, dass sie ins Restaurant kommt und ich sie nicht erkennen würde. Na ja, als sie dann schließlich hereinkam, merkte ich dann aber irgendwie sofort: das ist Renée Zellweger.