Mr. Corbijn, „The American“ ist in den amerikanischen Kinocharts auf Platz 1 eingestiegen. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Mir macht das auch ein bisschen Angst, denn „The American“ ist schließlich ein sehr unamerikanischer Film. Allerdings messe ich Erfolg auch nicht an der Menge verkaufter Kinokarten. Dafür gibt es zu viele großartige Filme, die nie kommerziell erfolgreich waren. Abgesehen davon sind die Reaktionen durchaus gespalten, denn „The American“ besitzt eine Optik aus einer anderen Zeit. Das ist ein Film, wie er heutzutage eigentlich nicht mehr gemacht wird. Viele vermuten aufgrund der Thematik einen Actioner und sind dann enttäuscht. Die Leute gestehen dem Film nicht zu, anders zu sein.
Die Story selbst ist jedoch eine sehr klassische.
Ja, das stimmt. Aber die Art und Weise, wie wir sie erzählen, ist neu. Der Film ist ruhig und bedächtig, bricht aber immer mal wieder aus. Vor allem George hält den Film mit seinem sehr reduzierten Spiel und ganz wenig Text zusammen, sodass man der Entwicklung seiner Figur durchgehend mit Interesse verfolgt. Er hat in seiner Rolle eine unwahrscheinliche Kraft entwickelt. Ich habe George Clooney wirklich noch nie so gut spielen sehen wie in diesem Film. Vielleicht sollte er öfter diese dunklen Charaktere verkörpern. Das scheint ihm zu liegen.
Der Film besitzt eine sehr starke Bildsprache, erzählt viel durch seine Kameraeinstellungen, durch die Schnitte, durch die Lichtsetzung. Wie geht man an so einen Film heran?
Der Film basiert auf dem Buch „A Very Private Gentleman“ von Martin Booth. Mir war es jedoch wichtig, eine Geschichte zu vermitteln, die sich vor allem im Inneren der Hauptfigur abspielt. Es geht um einen Menschen, der sein ganzes bisheriges Leben als Waffenschmied und Profikiller hinterfragt, jedoch von den Schatten seiner Vergangenheit eingeholt wird. Weil verbal jedoch kaum kommuniziert wird, war es wichtig, dem Zuschauer vieles über die Visualität des Films mitzuteilen.
Wie haben Sie denn George Clooney für den Film gewinnen können? Am vielen Geld wird es sicherlich nicht gelegen haben, oder?
Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, wie viel Geld er genau bekommen hat. Das Finanzielle habe ich andere Leute regeln lassen. Er wird wohl eine kleine Gage bekommen und einen Deal ausgehandelt haben, der ihn am Einspielergebnis beteiligt. Solche kleinen Filme wären anders gar nicht finanzierbar. Viele Schauspieler suchen aber die Abwechslung und drehen daher immer einen Film fürs Geld und einen aus Interesse. Und „The American“ war sicherlich keiner fürs Geld.
Clooney hat sich zudem als Produzent am Film beteiligt. Hat er auch inhaltlich noch etwas eingebracht?
Nein. Aber mir hat das die Chance eröffnet, auf sein Wissen übers Filmemachen zurückgreifen zu können. Er ist ja nicht nur Schauspieler, sondern hat selbst bereits bei drei Filmen Regie geführt. Er hat deutlich mehr Erfahrung als ich, genauso wie der Rest meiner Crew. Ich habe irgendwann verstanden, dass ich meine Filme dadurch mache, dass ich das Wissen Anderer benutze, um am Ende die Lorbeeren dafür einzufahren.
Was konnten Sie als erfahrener Fotograf in den Film einbringen?
Ich drängele mich mit den Bildern in meinen Filmen nicht so stark in den Vordergrund, wie es andere Regisseure tun. Viele Filmemacher agieren in meinen Augen viel zu offensiv und übertrieben; das tue ich nicht. Wenn Sie mich aber fragen, was ich nun Neues ins Genre eingebracht habe: Keine Ahnung. Mir persönlich bedeutet der Film einfach unglaublich viel, weil ich dadurch so wahnsinnig viele neue Erfahrung sammeln konnte. Und zwar in jeglicher Hinsicht: Mit so vielen Leuten zusammenzuarbeiten, eine Geschichte zu erzählen oder jahrelang auf so ein Ergebnis hinzuarbeiten. Mir ist das zwar oft zu viel geworden, aber es macht auch unglaublich viel Spaß.
Worin liegt denn für Sie der Unterschied, eine Geschichte mit einem Foto oder mit einem Film zu erzählen?
Bei einem Film kannst du jemanden in einen dunklen Tunnel mitnehmen, weil du weißt, dass es ein Film ist und man irgendwann wieder herauskommt. Ein Foto hingegen kannst du nicht in einem schwarzen Tunnel schießen. Das sind zwei grundsätzlich verschiedene Arten des Geschichtenerzählens. Die Fotografie bietet zudem sehr viel mehr Raum für Interpretation, während man bei einem Film eine genaue Vorstellung davon haben muss, was man die Leute erleben lassen möchte.
Verlieren Sie sich manchmal in Ihrer Arbeit?
Klar, aber bei Fotos mehr als am Film-Set. Wenn ich Fotos mache, passiert vieles ausschließlich im Kopf. Da geht es nicht mehr um mich als Person. Man vergisst irgendwann seine eigene Körperlichkeit, wenn man etwas wahnsinnig Schönes vor der Linse hat.
Wenn man sich Ihre Kunst ansieht, wirkt immer alles sehr perfekt. Sie haben in einem Interview jedoch mal gesagt, dass Kunst vor allem aus dem Unperfekten entsteht. Wie passt das zusammen?
Fotos zu machen hat sehr viel mit Unvollkommenheit zu tun. Da plane ich nie sonderlich viel. Beim Film ist das anders, weil beim Zusammenspiel so vieler verschiedener Leute ein gemeinsames Arbeiten ansonsten kaum möglich wäre. Dennoch ist es mir wichtig, dass die Schauspieler ihre Freiheiten haben. Ich bin am Set stets offen für Vorschläge oder Veränderungen. Ich will kein typisches Hollywood-Kino machen.
Es heißt ja, der zweite Film sei der schwerste – besonders, wenn der erste so erfolgreich war.
Aus wirtschaftlicher Sicht war mein erster Film „Control“ nicht erfolgreich. Ich habe sogar mein Haus in England deswegen verloren. Er war jedoch ein persönlicher Erfolg, weil ich immer noch sehr zufrieden und glücklich darüber bin. Dieses Mal war jedoch vieles leichter. Den ersten Film haben wir in einer kleinen Stadt in England gedreht, haben unser eigenes Geld hineingesteckt und nur mit unbekannten Leuten zusammengearbeitet. Es war eine Story, die mir persönlich sehr am Herzen lag. Das war das komplette Gegenteil von „The American“: Diesmal war alles riesengroß, es war Hollywood – auch wenn es wie ein Independent-Film anmutet. Vieles war neu, und das ist immer ein Abenteuer, weil man seine eigene Handschrift in die Geschichte legen und sie zu seiner eigenen machen muss. Der Film sollte einfach anders aussehen.
Sie haben durch „Control“ wirklich ein Haus verloren?
Ich musste einiges aus eigener Tasche zahlen, weil der Produzent kurz vor Drehbeginn plötzlich sagte, dass kein Geld mehr da sei und ich nicht alle Leute wieder nach Hause schicken wollte. Und das Geld habe ich bis heute nicht mehr wiedergesehen. Also musste ich mein Haus verkaufen.
Man vergisst seine eigene Körperlichkeit, wenn man etwas wahnsinnig Schönes vor der Linse hat.
Dabei hatte man durchaus den Eindruck, „Control“ sei ein Erfolgsfilm gewesen.
Das war er auch. Er hat bloß kein Geld abgeworfen (lacht). Ich möchte daraus aber eigentlich keine so große Sache machen, denn ich bin sehr glücklich darüber, was der Film mir für mein Leben gebracht hat. Das war ein unglaubliches Abenteuer, an das ich nur gute Erinnerungen habe. Ich lebe jetzt wieder in Holland und bin dort sehr glücklich. Ich bin damals wegen Joy Division nach England gezogen, bin dort zu einem angesehenen Fotografen geworden, habe dann über die Band einen Film gemacht und musste daraufhin wieder wegziehen. Es schließt sich also ein Kreis. Das ist doch wunderbar.
Als Fotograf lichten Sie echte Personen ab. Als Filmemacher haben Sie nun die Möglichkeit, die Personen so zu erschaffen, wie Sie sie haben möchten. Ist das eine neue Faszination?
Ich habe durchaus auch Fotos gemacht, die nicht zwangsläufig die Realität abgebildet haben. Auch das Posieren vor einer Fotokamera hat immer etwas von Schauspielern. Aber klar, im Vergleich zu „Control“ war es diesmal eine rein fiktionale Geschichte, die es zu erzählen galt. Das verschafft dir auf der einen Seite viele Freiheiten, auf der anderen Seite ist es aber auch wahnsinnig schwierig, weil eben alles möglich ist und man aufpassen muss, dass man sich am Ende nicht verrennt.
Ist die Verbindung zur Musik nun ein Teil der Vergangenheit, mit der Sie komplett abgeschlossen haben?
Wenn Sie wissen wollen, ob ich weiterhin Interesse an Geschichten habe, die mit Musik zu tun haben: Nein. Mir sind viele Filme über früh verstorbene Musiker angeboten worden. Aber Joy Division und Ian Curtis hatten eine enge Verbindung zu meinem eigenen Leben. Deshalb konnte und musste ich diesen Film machen. Aber ich habe kein generelles Interesse an Biopics.
Es gibt zwischen den Protagonisten Ihrer beiden Filme einige Parallelen. Beides sind sehr tragische Figuren, deren Leben sich verändert.
Ja, und beides sind Einzelgänger. Mich interessieren solche Einzelgänger-Geschichten, weil sie mich ein wenig an mich selbst erinnern; ich denke daher, etwas in der Richtung wird es auch beim nächsten Mal wieder werden. Doch die Art und Weise, wie man eine Geschichte darum herum baut, sollte möglichst eine andere sein.
Wäre Drehbuchschreiben noch mal eine Option für Sie?
Nein. Ich bewundere die Leute, die das können. Aber ich gehöre leider nicht dazu. Ich habe noch nicht einmal meinen ersten Liebesbrief zu Ende geschrieben und bin wirklich nicht gut darin, meine Gedanken in Worte zu fassen. Viele meiner Musikvideo-Ideen sind an diesem Unvermögen gescheitert. Das beste Beispiel dafür ist das „Enjoy The Silence“-Video von Depeche Mode. Die Band hat mir drei Mal gesagt, dass sie nicht so ein blödes Video machen wollen, aber ich habe sie letztlich doch überreden können. Und jetzt ist es ihr erfolgreichstes Video. Bei Herbert Grönemeyers Video zu „Mensch“ war es ähnlich. Ich habe den Song von ihm damals mit irgendwelchen Quatsch-Lyrics bekommen, hatte also nur die Musik und kam dann auf die Idee mit dem Eisbären. Am Ende hieß das Ganze dann „Mensch“, aber wir haben es dennoch dabei gelassen, weil es im Zusammenspiel mit der Musik trotzdem funktioniert hat.
Herbert Grönemeyer ist auch bei „The American“ involviert und hat den Score dazu beigesteuert. Wie kam es dazu?
Herbert und ich sind seit langem sehr gut befreundet und ich wusste, dass er zu sehr viel mehr imstande ist, als die Leute ihm zutrauen. Es gibt nicht viele Leute, die großartige Popsongs schreiben und gleichzeitig den Score zu einem Film machen können. Herbert aber kann das. Durch seine Schauspielerfahrung bringt er außerdem ein großes Verständnis für das Medium Film mit und kann sich in bestimmte Szenen wahnsinnig gut hineinfühlen. Aber zugegegeben: Das Studio in L.A. hatte anfangs ein wenig Angst. Als sie erfuhren, dass ich einen deutschen Rocksänger den Score schreiben lassen möchte, haben sie mich für verrückt erklärt. Herbert sollte ihnen dann testweise drei Stücke zukommen lassen – und die haben sie umgehauen. Sie haben mir dann gesagt, sie hätten soeben die Musik eines tollen neuen Hollywood-Komponisten gehört. Ich denke, das ist ein wundervolles Kompliment.
Sie haben bereits mit Musikern wie David Bowie, Kurt Cobain und Frank Sinatra zusammengearbeitet. Empfinden Sie bei einem Zusammentreffen mit jemandem wie George Clooney noch Nervosität?
Nein. Dafür habe ich in meinem Leben wohl einfach schon zu viele berühmte Menschen kennengelernt. Ich war nervös, als ich Nelson Mandela kennengelernt habe, aber ansonsten habe ich meine Aufregung mittlerweile abgelegt. Man kann die Arbeit von jemand anderem jedoch auch bewundern, ohne deshalb Nervosität zu verspüren.
Gibt es denn noch lebende Personen, mit denen Sie gerne mal zusammenarbeiten würden?
Als Fotograf würde ich sicherlich bessere Fotos von Bob Dylan hinbekommen als die, die gerade von ihm in Umlauf sind. Aber eigentlich gibt es nicht mehr allzu viele Leute auf meiner imaginären Liste. Bei Schauspielern kommt es ja auch vor allem darauf an, dass sie in die Rolle passen. Gerade bei A-Liga-Darstellern muss man höllisch aufpassen, dass ihre Popularität nicht der Intention des Films zuwiderläuft. Denn viele Leute haben Schwierigkeiten damit, hinter das Image eines Stars zu sehen und ihn als den jeweiligen Film-Charakter zu begreifen.
Erinnern Sie sich noch daran, welchen Star Sie als erstes ablichten durften?
Ich denke nicht in solchen Popularitäts-Kategorien. Ich fotografiere Leute, deren Arbeit ich bewundere. Jemand wie Herbert Grönemeyer ist kein Star für mich, sondern ein Freund, der zufällig tolle Musik schreibt. Das gleiche gilt für Bono. Ich versuche, die Menschen nicht durch diese Celebrity-Brille zu sehen.
Sie haben mal gesagt, dass Sie drei Filme machen und danach Bilanz ziehen möchten.
Das stimmt, einer steht also noch aus. Ich werde dann entscheiden, ob es für mich Sinn macht, weiterhin Filme zu machen, oder ob ich das Ganze lieber bleiben lasse. Fotografieren tue ich ja sowieso immer noch nebenbei. Ich habe gerade eine Kampagne für G-Star gemacht und demnächst eine Ausstellung in Frankfurt. Ich liebe die Fotografie nach wie vor. Damit kann ich nicht einfach aufhören.
Haben Sie denn schon eine Ahnung, was Ihr nächster Film werden wird?
Momentan sind Animationsfilme ja der große Renner. Ein Animationsfilm wird es daher auf keinen Fall.