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Zuhause ist niemand mehr an uns interessiert.

Craig Walker von Archive über Arroganz in Großbritannien, Regen in Manchester und warum ihn die britischen Zeitungen frustrieren

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© eastwest records

Craig, auf dem Cover eurer aktuellen Platte "You all look the same to me" sind Fotos, die sehen so aus wie aus einem Schuljahrbuch aus den 70ern. Wer sind die Leute?
Walker: Ja, die Fotos stammen aus einem Jahrbuch einer amerikanischen Highschool, Arizona, 1972. Ich weiß aber nicht, wo der Grafiker die aufgegabelt hat.

Hat sich denn von den Schülern schon jemand bei euch gemeldet?
Walker: Bis jetzt noch nicht. Aber wir haben die CD auch erst vor kurzem in den den USA veröffentlicht. Mal sehen.

Das Debüt-Album von Archive "Londinium" 1997 war damals neben Portishead eine der besten TripHop-Scheiben. Dann gab es wohl leider Probleme mit der damaligen Plattenfirma und das zweite Album "Take my Head" wurde der totale Reinfall. Wie läuft es heute?
Walker: Besser, würde ich sagen. Trotzdem, man hat teilweise immer die gleichen alten Probleme. Solange du nicht potentiell 10 Millionen CDs verkaufen kannst, kümmert sich die Plattenfirma nicht besonders um dich. In Frankreich läuft es im Moment ganz gut, aber das hat auch viel mit uns zu tun. Wir haben ein gutes Album gemacht und wir haben in sehr vielen französischen Städten gespielt, in Paris hatten wir hintereinander zwei ausverkaufte Konzerte, das war großartig.

Aber was ist denn mit Großbritannien, wo ihr doch zu Hause seid?
Walker: Nein, da ist niemand mehr an uns interessiert. Die Band hatte dort früher einen Namen, aber weil keine Platten verkauft wurden, steht der Name jetzt auf der Abschussliste, so nach dem Motto, "die haben wir früher nicht gemocht, was sollen wir jetzt mit denen". Wir verkaufen in Griechenland mehr Platten als in Großbritannien. Man spielt uns nicht im Radio, wir bekommen keine Presse, keine Promotion. Und diese Situation können wir eigentlich nur ändern, indem wir live spielen. Das tun wir auch, aber im Moment höchstens als Support-Band. Das ist sicher etwas frustrierend, aber andererseits — die Welt da draußen ist groß. Ich selbst finde auch gar nicht, dass Großbritannien in der Musik so wichtig ist, wie es das noch vor 10 Jahren war.

Würdest du denn sagen, die Ablehnung die ihr da erfahrt, hat konkret mit eurer Musik zu tun?
Walker: Nein, da geht es mehr um den Namen, der mit Nichterfolg behaftet ist. In Großbritannien ist alles sehr trendbestimmt und für die britischen Medien ist es sehr wichtig, neue Bands, neue Namen, neue Trends zu haben. Ich weiß nicht, ob die Deutschen verstehen, wie das bei uns funktioniert.

Mal zu den Texten, wer schreibt die bei euch?
Walker: Wir schreiben sie alle drei, da arbeiten wir sehr viel zusammen, genauso wie bei der Musik. Wir sitzen zusammen im Studio, einer hat eine Idee für einen Song und an dem arbeiten wir dann alle zusammen.

Beim lesen der Texte fiel mir auf, dass eigentlich alle Songs vom Nichtzusammensein zweier Menschen handeln, nicht etwa vom Zusammensein. Wie würdest du das zentrale Thema benennen?
Walker: Das zentrale Thema ist ganz offensichtlich Liebe, in welcher Form auch immer. Glückliche Liebe, unerfüllte Liebe, unfähig sein, sich selbst zu lieben. Das Album reflektiert auch sehr die Zeit, in der wir es gemacht haben. Und das war schon eine dunkle Phase, wir hatten kein Geld, wir wussten nicht, ob jemand je dieses Album hören wird, wir mussten es selbst finanzieren. Man könnte sagen, die Situation war so grau wie der Himmel hier heute in Berlin.

Ja, Berlin macht London in der Hinsicht manchmal ganz schön Konkurrenz.
Walker: Ich fühle mich wie zu Hause. Aber warst du schon mal in Manchester? Dort regnet es praktisch ohne Unterbrechung! In London regnet es zwar auch oft, aber Manchester …

Hm, einen Song über den Regen habe ich aber auf eurem Album nicht entdeckt.
Walker: Aber trotzdem würde ich sagen, dass das Klima bei uns die Musik auf dem Album beeinflusst hat, die Grundstimmung des Albums. Was dich umgibt, das beeinflusst dich, wenn du kreativ arbeitest. Und in unserem Studio war es dunkel, von morgens bis abends.

Im Tourbus — das las ich kürzlich in eurem Tourtagebuch — seid ihr dann aber doch etwas lustiger drauf. Zum Beispiel, wenn "League of Gentleman" geguckt wird …
Walker: … ja, das ist eine Komödie von der BBC, großartig! Zwei Staffeln wurden bereits gefilmt. Ich würde sagen, die beste Comedy-Serie seit Monthy Python, erstaunlich.

Sprich, backstage geht es schon lustiger zu als auf der Bühne.
Walker: Na klar, wir haben viel Spaß miteinander. Sonst wirst du doch wahnsinnig auf diese Touren. Es ist zwar schön auf Tour zu sein. Aber du verbringst eben auch viel Zeit mit rumsitzen und warten.

Zitiert

Bei uns sind sogar die liberalen Zeitungen fast genauso schlecht, wie die vom rechten Flügel.

Archive

Wieso heißt eure Band eigentlich "Archive", zu deutsch "Archiv"?
Walker: Ich kann es gar nicht so genau sagen, weil ich ja nicht vom Anfang an dabei war. Aber es geht in gewisser Weise um Dokumentation. Alles was du tust ist ein Archiv für sich, es ist Geschichte. Und ich finde "Archive" klingt ganz gut.

Was ist denn dein Lieblingsbuch?
Walker: Schuld und Sühne von Dostojewski. Ein Meisterwerk!

Ich habe zwei Versuche gebraucht, bis ich es durch hatte.
Walker: Das ist ja auch wie eine Belohung, wenn man es durch hat. Ich habe bei Dostojewski nur ein bisschen Probleme mit den russischen Namen. Ich habe "Die Brüder Karamasow" danach gelesen, da war das mit den Namen fast noch schlimmer. Ich vergesse dann immer, wer jetzt eigentlich wer ist.

Du lebst in London, gehst du dort oft in Clubs?
Walker: Ich bin lange Zeit sehr viel in Clubs gewesen. Als ich das erste Mal nach London kam, 1989, da war das eine super Zeit für mich. Mir gefiel die Atmosphäre dieser Warehouse-Partys sehr. Heute ist mir die Clubszene aber zu kühl, zu schnell, zu chic geworden. Früher war eine Art neuer Punkrock, niemanden hat interessiert, wie du aussiehst, du hattest einfach Spaß beim Tanzen, das war eine große Gemeinschaft auf der Tanzfläche. Ich komme ja aus Irland. Und besonders in Belfast habe ich damals gesehen, welche Wirkung dieses Clubleben auf die Stadt hatte. Das erste Mal überhaupt haben sich die Leute sozialisiert, Katholiken und Protestanten, sie waren alle im gleichen Club und haben alle zusammen getanzt.

Werdet ihr in euren Texten denn auch einmal auf den Nordirland-Konflikt eingehen?
Walker: Ehrlich gesagt, versuche ich das zu vermeiden. Denn ich bin heute nicht in einer Position, das zu kommentieren, weil ich dort seit elf Jahren nicht mehr lebe. Ich habe meine Ansichten, aber die will ich niemandem aufdrängen.

"Bloody Sunday", der Film über das Drama, das sich 1972 in Derry abspielte, gewann hier in Berlin ja zuletzt den Goldenen Bären als bester Fim.
Walker: Ein sehr guter Film und es ist wichtig, dass man ihn gemacht hat. Denn lange Zeit, das hab ich in London mitbekommen, war die Berichterstattung bezüglich Nordirland sehr einseitig. Ich habe sehr schnell begriffen, wie Propaganda funktioniert. Die Engländer wussten im Grunde gar nichts über Nordirland. Ich hatte eine englische Freundin, englische Freunde, die wussten gar nichts über diesen Konflikt. Mittlerweile hat man die Leute ein wenig aufgeklärt und die Leute denken heute anders als vor 15 Jahren.

Was für eine Zeitung liest du? Ich habe vorhin im Backstagebereich die aktuelle Ausgabe des "Daily Mirror" liegen sehen.
Walker: Oh, ein verdammtes Käseblatt! Mit Zeitungen ist es in Großbritannien sehr schwierig, denn es gibt ja eigentlich nur zwei Parteien, die den ganzen Markt kontrollieren, Rupert Murdoch und die Mirror-Gruppe. Und die ganze Boulevardpresse, das ist schon eine schreckliche Kultur. Wie ist das bei euch in Deutschland?

Vielleicht nicht ganz so schlimm, aber die meistgelesene deutsche Zeitung ist eben auch ein übles Boulevardblatt, sehr große Bilder, sehr große Buchstaben und die meisten Reportagen handeln von einem deutschen Sänger namens Dieter Bohlen.
Walker: Bei uns sind sogar die liberalen Zeitungen fast genauso schlecht, wie die vom rechten Flügel. Unsere Zeitungen frustrieren mich, wenn du mal anfängst so ein Blatt jeden Tag zu lesen, dann merkst du spätestens nach einer Woche, dass dir die Zeitung ihre eigene politische Linie aufdrücken will.

Schreib doch mal einen Song darüber.
Walker: Die Sache mit den Zeitungen ist doch ganz offensichtlich. Und ich bin nicht gerne offensichtlich. Aber generell die Frustration beeinflusst natürlich unsere Musik. Ich bin ja auch — wie die meisten Engländer — sehr frustriert darüber, dass Tony Blair George W. Bush unterstützt. George Michael hat das zuletzt mit "Shoot the dog" zum Ausdruck gebracht und dafür bewundere ich ihn.

Genauso wie das Video zu "Shoot the dog" ist euer Video zum Song "Again" ein Comic. Wie kam es dazu?
Walker: Es haben uns einige Leute Storyboards geschickt. Davon hat uns keins zugesagt, aber dann hat uns ein Comic-Zeichner einen sehr kurzen Ausschnitt Comicfilm geschickt. Das sah wunderbar aus, ein bisschen im Manga-Stil und der Zeichner hatte genau erkannt, worum es in dem Song geht. Schon drei Wochen später war das Video dann fertig.

Das Leben ist ein Comic, welche Figur bist du?
Walker: Dennis the Menace aus den Beano-Comics.

Warum gerade der?
Walker: Ich wollte immer dieser freche Kerl sein, der anderen einen Streich spielt. Ich bin bei uns auch derjenige, der die Band immer ein bisschen aufmischt.

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