Ariane Sommer & Esma Annemon Dil

Lieber eine scharfe Omi als eine vertrocknete Pflaume

Ariane Sommer und Esma Annemon Dil über über ihr Buch „Foreign Affairs“, Beuteschema, Kuckuckskinder und Schönheitsoperationen als Status-Symbol

Ariane Sommer & Esma Annemon Dil

© Weissbooks

Frau Sommer, Frau Dil, wenn man Ihr Buch “Foreign Affairs“ in den Händen hält, ist es ja ein geradezu sinnliches Erlebnis, das handtaschenartige Cover zu streicheln. Ein Köder für weibliche Leser?
Ariane Sommer:  Das Cover hat sich entwickelt. Wir haben von unseren Verlegern erst mehrere Vorschläge bekommen und dann entstand die Idee, nicht mit einem Bild, also einem Foto oder einer Grafik zu arbeiten, sondern über die Haptik an das Cover heranzugehen. Wir dachten an Kroko und Schlange…

Esma Dil: …und dann kam meine Handtasche ins Spiel! Wir haben uns sehr bewusst für das Schlangen-Design entschieden, weil sie für Versuchung steht, aber auch fürs Häuten, das Abstreifen von Lebensabschnitten.

Sommer: Die Schlange ist ja ein symbolträchtiges Tier und gerade die gefärbte Schlangenhaut spiegelt die Künstlichkeit vieler der Charaktere und ihrer Umfelder in unserem Buch wider – wir dachten, das passt perfekt.

Aber ist es denn jetzt ein typisches Frauen-Buch?
Sommer: Nein, gerade etliche Männer in unserem Bekanntenkreis fanden das Buch wahnsinnig spannend, weil sie einen Einblick kriegen in eine ganz gerade Denke von Frauen, die sie vielleicht sonst gar nicht so mitbekommen.

Also der bekannte Sex and the City-Effekt…
Sommer: Ja, aber anders…

Dil: Wenn man es mit „Sex and the City“ vergleichen will am Besten so: wir haben nicht auf die Manolos geschaut, sondern auf die schmutzigen Füße, die in diesen Highheels stecken, also auf die Abgründe hinter den schönen polierten Fassaden.

Sommer: Ich fand „Sex and the City“ und Candace Bushnell brilliant. Das ist jetzt schon vor fast zehn  Jahren erschienen und es war das erste Mal, dass in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wurde, wie Frauen über Sex sprechen. Das ist ja nun längst nicht mehr das Spannende. „Sex and the City“ hatte  Archetypen von Frauen, die natürlich ein Schubladendenken mit sich bringen, das man in unseren Charakteren und Protagonisten gar nicht wiederfindet. Die entledigen sich dieser Schubladen und möchten sich nicht für irgendeine Nische entscheiden.

Um noch einmal auf die Schlange zurückzukommen, die steht ja im Allgemeinen auch für Falschheit. Und Falschheit spielt in Ihren Geschichten eine große Rolle, Brüste sind fake, Kinder sind fake, Lippen sind fake. Welche Rolle spielt das „Fake“ heute in unserer Gesellschaft?
Sommer: Es spielt eine große Rolle. Die Auswüchse sieht man ja auch anhand der Wirtschaftskrise. Das Nachjagen von falschen Idealen, die ganzen Statussymbole, alles was einen Ersatz darstellt für wirkliches Glück, zu dem wir von den Medien getriezt werden, die suggerieren, man brauche das alles, um etwas zu sein.

Dil: Fotos mit Airbrushing und Photoshop zu optimieren hat dafür gesorgt, dass wir in unserer gesamten visuellen Welt nur noch perfekte Oberflächen sehen. Wenn man dann in den Spiegel schaut wird man plötzlich mit seiner ganzen Menschlichkeit konfrontiert, man wird sich der Mängel bewusst und es entsteht der Wunsch, sich seinem idealen Abbild immer mehr anzunähern.

Nun besteht nicht jede Schönheitsoperation aus einem Aufpumpen der Brüste auf Doppel-D. Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages den einen oder anderen dezenten, minimal sichtbaren Eingriff vornehmen zu lassen?
Sommer: Ich muss zwar gestehen, dass ich wirklich eine eitle Kuh bin, doch ich habe furchtbare Angst vor Messer und Skalpell. Aber es gibt ja heutzutage auch sanftere Methoden wie Lichtbestrahlung und Laser, und auf Dauer bin ich dem gegenüber nicht grundsätzlich abgeneigt. Solange es mit einer gewissen Grundhaltung, jugendlicher Kraft und gesundem Lebensstil zusammenkommt. Lieber eine scharfe Omi als eine vertrocknete Pflaume, die dann auf gewissen Spaß verzichten muss.
Natürlich ist es auch eine Gratwanderung und man muss sich fragen: Tut einem das gut, hilft es einem oder wird man ein Sklave dieses Images, dem man sowieso nicht ewig nachjagen kann? Irgendwann kommt die Zeit, in dem du auch mit Spritzen und Schnitten nicht mehr dein wahres Alter kaschieren kannst. Dem muss man  mit der richtigen Einstellung begegnen, sonst kommt ein schlimmer Absturz. Sterblichkeit und Verfall ist ja in unserer Gesellschaft ein Tabu.

Dil: Auch ich wünschte, ich könnte zu OPs sagen „Niemals“ und so in Würde altern wie meine Mutter, die übrigens fantastisch aussieht. Und das nur mit Nivea-Creme. In L.A. sieht man die schlimmen Beispiele, da scheint es fast eine neue Lebensform zu geben, OP-Aliens, die weder jung noch alt aussehen. Insofern werde ich versuchen, mich im Zaum zu halten…

Während man hierzulande bei Schönheits-OPs die Nase rümpft, gehört das Ganze in L.A. also schon zum Alltag…
Sommer: Ja, es wird dort geradezu als unanständig angesehen mit Falten auf die Straße zu gehen.

Dil: L.A .ist eine Ansammlung vieler unterschiedlicher Städte: Im Westen, Beverly Hills und Bel Air, fallen die von Schönheitsoperationen gezeichneten Menschen besonders auf. Je weiter man sich aber in Richtung Osten bewegt –nach West Hollywood – desto geringer wird die OP-Dichte, und in Downtown ist sie dann kaum noch vorhanden. Dafür steigt gleichzeitig das Interesse an Independent-Kunst und Literatur.

Zitiert

In L.A. wird es geradezu als unanständig angesehen, mit Falten auf die Straße zu gehen.

Ariane Sommer & Esma Annemon Dil

Und in Berlin–Charlottenburg?
Sommer: Also, gestern war ich mit Freunden unterwegs und da habe ich schon ein paar glattgebügelte, ballonlippige und sehr rundbrüstige Damen gesehen. Das gibt es hier auch, vielleicht nur ein bisschen dezenter.
In den USA kommt dazu, dass viele diese überzeichneten, auffälligen OP s als Status-Symbol sehen. „Ich kann mir das leisten und die Leute sollen sehen, dass es gemacht wurde.“ Wie ein fetter Heckspoiler am Wagen. Das ist ja eine bewusste Entscheidung: „Will ich diese fußballartigen Brüste schaukeln?“ Das sind längst nicht alles Fehl-OPs. Aber die eine oder andere Delle an der Nase sieht man hier auch.

Frau Sommer, Sie haben 2001 , quasi in der Spaßgesellschaft eine „Benimm-Bibel“ geschrieben, heute in der Zeit der Wirtschaftskrise schreiben Sie über Liebesaffären. Besteht da ein Zusammenhang?
Sommer: Gutes Benehmen ist zeitlos aktuell. Das Bewusstsein, dass man nicht alleine auf der Welt ist, im Zug nicht ins Handy schreit oder laut mit dem Kaugummi schmatzt, sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht.
„Foreign Affairs“ ist kein Spaß-Buch, sondern eher tragisch-komisch. Wir haben unsere Beobachtungen über die letzten Jahre gesammelt und verarbeitet, sie sind Spiegel eines bestimmten Teils der Gesellschaft, dessen Haltung zu dem geführt hat, was heute in der Welt passiert. Insofern ist es ein sehr zeitgemäßes Buch.

Manche Ihrer Geschichten haben in mir ein leichtes Unwohlsein ausgelöst. Man(n) kennt das ja aus den Bildern von Gustav Klimt, also Frauen die so etwas Nicht-zu-Befriedigendes und Atavistisches ausstrahlen. Man hofft manchmal doch insgeheim, dass Frauen so ein wenig das gute Korrektiv zu uns Männern sind…
Sommer: Ich glaube, da macht ihr Männer es euch ein bisschen zu leicht. Wenn ich daran denke, was mein Beuteschema war, mit 18. Da war mir doch völlig egal was der im Kopf hatte, solange er eine bestimmte Ausstrahlung hatte und bestimmte physische Attribute. „I don´t want a long time, I want a good time.” Das ist dann eben auf ein bis sieben Nächte beschränkt, und das leben Frauen auch immer mehr aus. Man muss schließlich wissen, was man nicht will um dann später das festhalten zu können, was man will. Ich kenne viele Frauen, die nach der Maßgabe gelebt haben, dass sie nicht mehr als fünf, sechs Freunde gehabt haben sollen bevor sie heiraten. Und die sitzen dann zehn Jahre später da mit ihrem Mann, und es juckt dann doch irgendwo, weil sie nicht genug erlebt haben. Für manche ist es natürlich wunderbar, nur einen Seelenpartner oder sogar nur einen Sexpartner für das ganze Leben zu haben. Je nachdem wie man geartet ist, sollte man sich natürlich mit Vorsicht und Respekt ausleben.

Dil: Das Unwohlsein, kommt daher, dass man diese Frauen nicht ganz greifen kann, weil sie sich vielleicht selber gar nicht wirklich kennen und man sie deshalb auch weder kennen lernen noch kontrollieren kann. Ich kann mir schon vorstellen, dass das Männer beunruhigt, aber das kann ja auch mal ganz spannend sein. Wie haben Sie das denn empfunden?

Manche Frauen erscheinen mir attraktiv, andere unverständlich. Zum Beispiel die Frau in der Geschichte „Tamariske“, sie erfüllt zusammen mit ihrem vermeintlichen Liebhaber alle Kriterien des „Gold Diggers“, aber am Ende bleibt sie geradezu heilig und die Affäre ist platonisch. Geht es da um das Ideal?
Sommer: In dieser Geschichte geht um Menschen, die ihr Leben nicht aus sich selbst heraus leben,  sondern sich beobachten als würden sie einen Film anschauen. Und sie lassen sich dann mit Dingen, Personen und Szenen ein, weil ihr Leben wie ein Film sein soll. Eine interessante Haltung, die ich oft beobachten konnte. Das Leben als Avatar.

In einer anderen Geschichte spielt ein Mädchen mit der Absicht, sich die Arme zu ritzen.  Wie erklären Sie so ein Verhalten?
Sommer: Ich kann nachvollziehen, dass Menschen manchmal im Leben ein Loch haben und sich mit nichts anderem davon ablenken können, als mit dem Schmerz. Andere stopfen sich Essen zu, andere haben wilden Sportsex. Es beruhigt dann, sich selbst zu spüren.

Sie schreiben auch über künstliche Befruchtung, Vaterschaft und die Ur-Angst des Mannes, dass das eigene Kind gar nicht das Eigene ist. Glauben Sie, es gibt Frauen, die ihren Mann hierbei betrügen, aber trotzdem lieben?
Dil: Absolut. Es geht ja nicht um den Betrug, sondern wie mit den OPs um das Optimieren der Realität.

Sommer: Da sind wir wieder bei der alten Frage: Können Frauen Sex von Liebe trennen? Mein eigener Freundeskreis zieht sich über verschiedene Kulturen und Länder und ich habe immer wieder festgestellt, dass Frauen, solange sie gesellschaftlich nicht eingeschränkt werden oder Angst haben, schlecht dazustehen, das genauso können, wie Männer. Das heißt nicht, dass man dem Mann den man liebt, in der Liebe untreu sein muss. Jedes zehnte Kind ist ein Kuckuckskind.

Dil: Es gibt Frauen, die von ihrem Mann einfach nicht schwanger werden. Manche 40-Jährige sucht sich dann vielleicht aus purer Verzweiflung einen jüngeren Lover. In anderen Fällen sagen Männer viel zu lange „Lass uns noch warten, lass uns noch warten“, bis die Menopause plötzlich anklopft. Damit nimmt ER billigend in Kauf, dass SIE ihren Lebenswunsch nicht erfüllen konnte. Manche Frauen greifen da in weiser Voraussicht vielleicht zu anderen Mitteln.

Und der Samenspender ist ehrlicher als der Lover…
Sommer: In dieser Geschichte ist es eigentlich noch schlimmer. Die Frau negiert die Fortpflanzung ihres Mannes, nach dem Motto: „Dein Material ist nicht gut genug. Damit probieren wir es gar nicht erst.“ In der Geschichte hätte sie ja das Material ihres Mannes nehmen können.
Die Protagonistin ist übrigens nicht unserer besten Freundin nachempfunden, wir geben da  kein Urteil ab, ob ihr Handeln gut oder schlecht ist.

Haben Sie selbst Kinder, wenn man fragen darf? Oder spielen Sie zumindest mit dem Gedanken?
Dil: Nein danke.

Sommer: Kinder habe ich nicht, Interesse grundsätzlich Ja! Aber nicht von der Samenbank.

Die Gesellschaft, die Sie beschreiben, ist eine des Reichtums und der Dekadenz. Klingt da ein bisschen Fin de siècle mit, also ein Feiern kurz vor dem großen Absturz, wo jeder nochmal versucht, den Moment zu nutzen?
Sommer: Viele tanzen sicherlich in den Abgrund, aber generell steht diese Gesellschaft nicht vor einem Absturz. Sie ist ja schon abgestürzt und dreht sich um Äußerlichkeiten, die den Anschein erwecken sollen, als ob es um das ganz Große geht.

Dil: Die Sorge um die Jugend und die Zukunft ist Jahrtausende alt, die Befürchtung, kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen, ist etwas sehr menschliches, gerade in Gesellschaften, die Obsessionen und Abgründe pflegen.

Früher waren Romanzen eine Sache des Adels, die man Bürgerlichen und Bauern nicht zugestand. Wenn die Schere zwischen Arm und Reicher wieder breiter wird, machen wir dann eventuell wieder einen Rückschritt in Richtung dieser Zeiten?
Dil: In jeder Gesellschaft, in der die Grundbedürfnisse von Unterkunft und Nahrung gesichert sind, wird es für die, die es wollen die Freiheit geben, die echte Liebe, was auch immer das sein mag, zu suchen und zu finden. Andererseits reichen die Überlebensbasics oft nicht und wer nicht glaubt, sich seine Träume selbst erfüllen zu können, lässt sich vielleicht eher auf einen „Beziehungsdeal“ ein. Man tauscht Sex gegen Sicherheit oder Luxus – das ist ein altes Phänomen.

Sommer: In der Geschichte „Shanghaied“ geht es genau darum. Liebe als ein Privileg, das außerhalb der Ehe wahrgenommen wird. Die Ehe als Business-Merger, als ein Pakt, der geschlossen wird, der mit Liebe of gar nichts zu tun hat – die sucht man außerhalb.

Ihr Buch gliedert sich in verschiedene Teile wie unter anderem „Aufrüsten“, „Stellvertreterkrieg“ und „Kollateralschaden“. Sind das nicht die Termini der vergangenen Bush-Epoche? Jetzt mit dem Bio-Präsidenten Obama müsste doch eigentlich mehr gekuschelt werden…
Sommer: Obama ist sicher ein Hoffnungsträger, aber ich wage zu bezweifeln, dass die Leute, die im Vordergrund stehen, auch tatsächlich an den Strippen ziehen. Meiner Meinung nach sind das die großen Corporations und da ist es egal, wer jetzt gerade Präsident ist. Diesen über Jahrzehnte gewachsenen Machtstrukturen kann Obama sich mit Sicherheit nicht ganz entziehen.

Dil: Er ist ja deswegen auch schon in die Kritik geraten, da vielen nicht bewusst ist, dass auch seine Entscheidungsfreiheit eingeschränkt ist.

Sommer: Obama wird hoffentlich Einiges durchbringen können, aber er wird mit Sicherheit nicht das System verändern.

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