Frau Huffington, Ihr aktuelles Buch trägt in der deutschen Ausgabe den Titel „Neuerfindung des Erfolgs“ und Sie haben schon früher über sehr erfolgreiche Persönlichkeiten – Maria Callas und Pablo Picasso – geschrieben. Wie kam die Faszination für den Erfolg in Ihr Leben?
Huffington: Ich war fasziniert davon, Schriftstellerin zu werden. Mein erstes Buch war sehr erfolgreich, doch das zweite wurde von 36 Verlegern abgelehnt – das war ein Auf und ab von erfolgreichen und erfolglosen Büchern. Was mich angetrieben hat, war mein Bedürfnis, Ideen und Geschichten zu kommunizieren.
Wollten Sie auch Karriere machen?
Huffington: Als ich den großen Erfolg mit meinem ersten Buch hatte, kam ich in eine Midlife-Crisis – im Alter von 23. Ich fragte mich: Ist das jetzt schon alles?
Mein Gedanke ist, dass wir uns ja alle sehnen, nach etwas Größerem, einer größeren Bedeutung in unserem Leben. Und mit diesem Buch sage ich: Wir können diese Dinge in unser Leben einbeziehen, schon zu Beginn der Reise. Es geht darum, ein mehr ganzheitliches Leben zu führen.
Das Time Magazine führte Sie 2011 als eine der einflussreichsten 100 Personen auf der Welt. Geschah dieser Aufstieg etwa nebenbei?
Huffington: Es gab dafür keinen Plan. Was erstaunlich an meinem, aber auch an unser aller Leben ist, sind die vielen Zufälle, die geschehen. Ich wurde ja nur zufällig Schriftstellerin, weil mich ein englischer Verleger damals fragte. Oder als mein zweites Buch abgelehnt wurde, schwand mein Geld, doch ich bekam einen Dispokredit, der mir erlaubte, Schriftstellerin zu bleiben – es war immer eine Folge von unerwarteten Ereignissen.
Waren Sie von Ihrer Landsfrau Maria Callas inspiriert?
Huffington: Callas‘ Geschichte war für mich sehr lehrreich. Ich war 30, als ich das Buch über sie schrieb, ich wollte unbedingt Kinder. Und ich war betroffen von der Tatsache, dass sie eine Abtreibung hatte, in ihren 40ern, was sehr schmerzhaft für sie war. Sie wollte immer ein Kind haben. Das war die wichtigste Lektion, die ich durch sie bekam.
Wie würden Sie heute Ihre Ambitionen beschreiben?
Huffington: Im Moment ist meine Ambition das Wachstum der Huffington Post. Und ich will die Botschaft weiter tragen, dass wir Erfolg neu definieren. Und ich will meine Töchter sehen, wie sie aufwachsen und ihr Leben ausfüllen. Das wäre so in etwa die Zusammenfassung.
2003 spielten Sie offensichtlich mit dem Gedanken, in die Politik zu gehen, als Sie zwischenzeitlich für das Governeursamt in Kalifornien kandidierten – wofür Sie die Medienkarriere hätten aufgeben müssen.
Huffington: Ich bin froh darüber, dass ich nicht gewählt wurde (lacht).
Haben Sie denn damals wirklich gedacht: „Jetzt werde ich Politiker“?
Huffington: Ja, habe ich. Aber manchmal treffen wir Entscheidungen, die nicht die besten für uns sind. Und das war genau so eine Entscheidung. Ich würde es hassen, heute Politiker zu sein.
Also keine zweite Kandidatur?
Huffington: Definitiv nicht.
Sie sind Autorin seit den 70er Jahren und haben die zunehmende Digitalisierung erlebt. Nun schreiben Sie über Erschöpfung und Burnout-Syndrom. Ist die Digitalisierung letztlich die Ursache für diese Probleme?
Huffington: Nein. Das Burnout-Problem hat vor allem damit zu tun, wie wir es verherrlicht haben, wenn jemand rund um die Uhr arbeitet. Tatsächlich benutzen wir ja diese Sprache, wir beglückwünschen Leute, die 24/7 arbeiten.
Der Burnout kam also noch vor unserer Abhängigkeit von Technologie. Dann hat es sich damit vermischt, es hat sich verschlimmert, dadurch dass wir verkabelt sind mit der Technologie. Es ist nicht nur die Digitalisierung, es sind die Emails, dass ständige Verbundensein mit unseren technischen Geräten.
Das Internet hat das Problem ganz sicher verstärkt. Aber an sich entstand das schon vor dem Internet. Die Leute überarbeiten sich, achten nicht auf sich selbst, insbesondere Männer, die damit prahlen, wie wenig Schlaf sie brauchen. All das entstand unabhängig vom Internet.
Ist dann der Turbo-Kapitalismus das Problem?
Huffington: Ich denke nicht, dass der Kapitalismus das Problem ist. Sondern es ist grundsätzlich die Tatsache, dass wir aufgehört haben, unser Leben in einem größeren Kontext zu sehen. Wir stellen nicht mehr die Frage: Was ist ein gutes Leben? Jene Frage, die die Philosophen sich früher gestellt haben. Wir haben alles auf Erfolg reduziert. Auf Geld und Macht. Die Definition, was es heißt, Mensch zu sein, ist heute viel enger geworden. Das ist der Kern des Problems.
Ist auch ein Problem, dass die Medien zu sehr den Erfolg glorifizieren?
Huffington: Ja, die Medien, die Erziehung, das Schulsystem, standardisierte Lehre… Die Schüler werden nicht als menschliche Wesen betrachtet, sondern als Maschinen, die man mit Wissen vollstopft.Dabei steckt ursprünglich in dem Wort Ausbildung bzw. Education – vom Lateinischen educare – etwas herauszubringen; rauszubringen, was immer auch da ist. Wir besitzen ja auch eine Weisheit, die wir kultivieren können.
Wir haben alles auf Erfolg reduziert.
In Deutschland wird an einigen Schulen das Fach Glück unterrichtet. Gibt es Vergleichbares in den USA?
Huffington: Es gibt das Äquivalent in Kanada und in ein paar Schulen in den USA, wo Empathie unterrichtet wird. Es ist nicht das gleiche wie das Fach „Glück“, hat aber auch damit zu tun, das Beste in uns zu kultivieren. Das unterscheidet sich von dem sehr engen Bildungskonzept, bei dem aus Kindern nur effiziente Maschinen werden sollen. Natürlich ist Lesen, Schreiben und Rechnen sehr wichtig. Aber das ist wie ein Hocker mit zwei Beinen: es braucht das dritte Bein, nämlich wie man mit seinen Mitmenschen verbunden ist. Insbesondere in einer Welt, die immer facettenreicher wird. Nicht jeder Mensch ist gleich aufgebaut.
Es geht auch darum, die eigenen Emotionen steuern zu können, damit man nicht sofort jeder Situation ausgeliefert ist, was immer auch in deinem Leben passiert – was ein Kerngedanke der stoischen Philosophie ist. So lernt man schon im jungen Alter, Stress zu reduzieren.
Sie schreiben auch ausführlich über Meditation, wie viel meditieren Sie?
Huffington: Mindestens eine halbe Stunde am Tag, manchmal länger.
Fällt es Ihnen leicht, andere von den Vorzügen zu überzeugen?
Huffington: Ich versuche gar nicht, die Leute zu überzeugen. Ich lege nur Fakten dar, wissenschaftliche Fakten über die Bedeutung von Schlaf und Meditation, bezogen auf unsere Gesundheit, unsere Kreativität, unser Vermögen glücklich zu sein und Freude zu empfinden. Die Leute fällen am Ende ihre eigene Entscheidung. Meine Aufgabe ist es, die Beweise zu sammeln, wissenschaftliche Belege zu präsentieren, meine eigene Geschichte zu erzählen und die Dinge aufzuzeigen, die um uns herum passieren.
Sie schreiben über diese Dinge auch in der Huffington Post…
Huffington: Ja, wir haben Dutzende Sektionen, die sich mit dem Thema beschäftigen, da haben wir ein unglaublich großes Archiv. Wir haben die „Schlaf“-Rubrik 2007 gestartet, heute schreiben auch viele andere Publikationen über Schlaf, weil so viel erforscht wurde. Dr. Roenneberg in München zum Beispiel hat Wegweisendes erforscht, was den sogenannten „Social Jetlag“ betrifft: die Lücke zwischen dem, was unser Körper und unsere Seele braucht um wieder aufzutanken, und wie viel Schlaf wir tatsächlich bekommen.
Sie sehen also eine Verantwortung, als Redakteurin Ihre Leser über diese Themen zu informieren?
Huffington: Ja. Die habe ich gesehen lange bevor ich das Buch schrieb. Wir haben gleich nach meinem eigenen Burnout angefangen, über diese Dinge zu schreiben, in der Zeit begann ich, mehr und mehr über diese Dinge zu lernen.
Wenn wir heute auf Nachrichten-Websites gehen ist das oft eine sehr unruhige Erfahrung. Was tun Sie dagegen bei der Huffington Post?
Huffington: Ich finde, die Huffington Post ist sehr gut organisiert. Sie hat die drei Säulen: links den Blog, in der Mitte Politik und Finanzen und rechts die Spaß-Geschichten: Entertainment, Videos… Ich denke, der Benutzer kann da schnell navigieren und auswählen wo er hinwill.
Zu sagen, dass auf einer Website viel passiert, dann können Sie auch auf die Straße gehen, da geschieht genauso viel – aber das muss einen nicht automatisch beunruhigen. Das hängt von deinem Daseinszustand ab: Du kannst auch mitten auf dem Times Square stehen und völlig friedlich sein, während ein anderer auf einem Berggipfel steht und völlig aufgewühlt ist. Wegen solchen Dingen finde ich ja auch das angesprochene Empathie-Training wichtig. Denn wenn du immer unruhig wirst, sobald in der Straße eine Sirene heult oder wenn im Browser ein Video erscheint, dann hast du ein Problem.
Sie erwähnen die drei Säulen der Huffington Post. Gehören Promis und Tiervideos heute einfach zu einer Nachrichtenseite dazu?
Huffington: Die Huffington Post ist unmissverständlich ein Mix aus Intellektuellem und leichter Kost („highbrow and lowbrow“). Die leichte Kost gibt es nur in der rechten Spalte, wenn man also nur Intellektuelles will, muss man dort nicht klicken.
Aber was sagen Sie zur Tendenz, dass uns immer mehr Nachrichten-Websites Tier- und Katastrophenvideos zeigen?
Huffington: Unsere meistgelesenen Inhalte sind die „Good News“: Dort teilen die Leute Geschichten mit den Lesern, die von Mitgefühl handeln, von Genialität, Kreativität… In Deutschland ist das die Rubrik „Impact“, dort geht es zum Beispiel darum, was Gemeinnützige und Freiwillige tun. Ich denke, es ist unsere Verantwortung als Medienmacher, den Scheinwerfer auch auf die guten Dinge zu richten, die geschehen. Also nicht nur Katastrophen und Dinge zu zeigen, die falsch laufen.
Hat ein Katzenvideo heute die gleiche Relevanz wie ein Bericht über den IS-Terror?
Huffington: Habe ich das gesagt?
Nein, aber auf Ihrer Website steht das alles direkt nebeneinander.
Huffington: Das steht nicht nebeneinander sondern ist in Spalten organisiert. ISIS finden Sie in der mittleren Spalte, und die Katze in der rechten. Wir vermischen das nicht.
Außerdem: Gedruckte Zeitungen hatten immer auch eine Seite mit Unterhaltung, Sport oder Cartoons – sofern Sie jetzt nicht Literaturzeitschriften zum Vergleich nehmen. Das liegt in der Natur der Sache, Nachrichten waren schon immer ein Mix.
Es gibt viele deutsche Zeitungen, die ohne Gossip und Tiergeschichten ihre Leser finden.
Huffington: Sie haben keinen Gossip?
Nein.
Huffington: Sie wollen mir erklären, dass „Bild“ keine Promi-Geschichten macht?
Ich würde die „Bild“ nicht als Beispiel für Journalismus bringen, weil sie regelmäßig journalistische Prinzipien verletzt. Ich rede eher von Süddeutscher Zeitung, FAZ, Die Zeit. Die brauchen die Katzen nicht.
Huffington: Ich denke, man kann den Leuten einen Mix anbieten und sie entscheiden, worauf sie klicken.
So einfach ist das? Dem Leser zu vermitteln, was Relevanz hat, ist nicht wichtig?
Huffington: Nein. Wir sind nicht paternalistisch. Es ist doch auch offensichtlich, was die Leute als wichtiger ansehen. Der Aufmacher, das ist die wichtigste Geschichte des Tages – und das ist bei uns nie ein Katzenvideo. Jede unserer über 70 Rubriken hat einen Aufmacher, dafür wählen die Redakteure aus, was in dem Moment die wichtigste Geschichte ist.
Sie haben ja mal vermutet, dass jemand, der täglich Philosophen liest, auch neugierig auf Promiklatsch ist.
Huffington: Nein, ich habe gesagt, dass es Leute geben kann, die Kierkegaard lesen, sich aber auch für das Leben einer Schauspielerin interessieren. Vielleicht. Ob sie am Ende die Gossip-News lesen, entscheiden die selbst, nicht wir. Das ist mein Punkt.
Sie schreiben viel über Schlaf und Schlafmangel, auch darüber, dass dies ein wirtschaftlicher Faktor ist.
Huffington: Wir haben Daten, dass Schlaf die Gesundheit der Leute verbessert. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Schlafmangel und Krankheiten, Stress – auch zu Alzheimer gibt es eine Verbindung. Und wir haben heute Firmen, die sich mit dem Einfluss durch Wohlbefinden und Achtsamkeitspraxis beschäftigen. Die amerikanische Versicherung Aetna beispielsweise hat dadurch bei einer 12-wöchigen Studie einen Rückgang der Gesundheitskosten um sieben Prozent, sowie eine Erhöhung der Produktivität um 69 Minuten pro Tag festgestellt.
Das heißt, es ist profitabler, wenn man die Arbeiter rechtzeitig nach hause gehen lässt?
Huffington: Ich denke, wenn die Firmen bemerken, dass es nicht nur gut für ihre Arbeiter ist, sondern auch für ihren Gewinn, dann werden sie diese Veränderungen schneller einleiten. Und da gibt es schon Firmen, die das tun: Daimler hat bestimmte Urlaubsregeln, Volkswagen gibt seinen Arbeitern Smartphones, die sich nach 18 Uhr abschalten… Es gibt viel Innovation, nicht schnell genug, aber das Thema ist jetzt im Zeitgeist angekommen.
Sie zitieren in Ihrem Buch mehrfach den Apple-Gründer Steve Jobs. Was denken Sie, wie viel Jahre oder Jahrzehnte es dauern wird, dass auch die Menschen, die Apple-Geräte produzieren, von den Erkenntnissen in Ihrem Buch profitieren?
Huffington: Ich würde sagen, dass die Botschaft von Belastbarkeit für jeden relevant ist, heute. Klar, je schlechter die Umstände, desto härter dein Leben. Um so wichtiger ist es aber, deine inneren Ressourcen anzuzapfen, deine Belastbarkeit zu kennen. Ich zitiere da ja auch Viktor Frankl, der über Menschen in Konzentrationslagern geschrieben hat, Menschen, die sogar in diesen schrecklichen Umständen fähig waren,ihre innere Stärke zu finden. Insofern denke ich, Leute, die dazu keinen Zugang haben, sind verloren, sie sind nicht überlebensfähig und können ihre Situation nicht ändern.
Firmen wie Apple stehen in dem Ruf, die Arbeiter in chinesischen Fabriken auszubeuten. Wie stehen Sie dazu?
Huffington: Natürlich ist das ein sehr großes Problem. Ich habe darüber ein Buch geschrieben, „Third World America“, in dem ich über die Gefahren der wachsenden Ungleichheit spreche, auch die Gefahr der Ungerechtigkeit gegenüber Arbeitern. Und in der Huffington Post berichten wir über diese Dinge schonungslos. Auch global.
Wie optimistisch sind Sie, dass sich an dieser Situation etwas ändert?
Huffington: Ich weiß nicht, wie viele Jahre es braucht, das kann ich nicht voraussagen. Es erfordert auf jeden Fall eine Kombination von Regierungswechseln und sozialen Bewegungen.
Sie expandieren ständig mit der Huffington Post. Wäre eine russische Ausgabe denkbar?
Huffington: Wir sind nicht in Länder gegangen, wo man uns zensieren wird, wie China oder Russland. Denn ein zentraler Bestandteil der Huffington Post ist die Möglichkeit, frei zu sein, frei zu schreiben. Wir geben Menschen unsere Plattform, damit sie ihre Sicht erklären können.
Wir werden im Januar die Huffington Post für den Nahen Osten launchen, Huffington Post Arabic. Die Website wird auf Arabisch sein, Blogger werden dort veröffentlichen können, aber die Büros dafür sind in London.
Gibt es Pläne, nach Russland zu gehen?
Huffington: Im Moment nicht. Nach Indien, Griechenland und dem Nahen Osten gehen wir nach Australien. Und dann sehen wir weiter.
Was treibt Sie an, zu dieser Expansion?
Huffington: Ich finde die Idee eines globalen Newsrooms sehr aufregend. Die Verbindungen zu sehen zwischen unseren Redakteuren. In Deutschland haben wir nur ein kleines Team, aber das kann alle Ressourcen des Global Newsroom nutzen, sie können die Berichterstattung übernehmen und übersetzen. Die Welt durch einen globalen Newsroom zu verbinden, ist etwas, womit ich mich sehr beschäftige. Und wir wollen das normale Nachrichtengeschäft zusammenführen mit Diskussionen darüber, wie wir leben, und wie wir mit mehr Erfüllung und weniger Stress ein empathischeres Leben führen können.
Ist es auch auch der Gedanke, die Welt auf diese Weise besser verstehen zu können?
Huffington: Nein. Ich lerne die Welt vor allem durch das Reisen kennen. Und das kann ich alleine, ohne die Huffington Post.
[Das Interview entstand im September 2014.]