Herr Fuchs, Sie sind im Jahr 2000 der Route der Shackleton-Expedition gefolgt. Nun kommt Shackletons dramatische Expedition als IMAX-Film "Gefangen im Eis" ins Kino. Wo sehen Sie den Reiz an so einer Verfilmung?
Fuchs: Es gibt ja verschiedene Annäherungen an das Thema Shackleton. Man schreibt darüber, Biografien oder ähnliches, ohne jemals in der Antarktis gewesen zu sein. Und es gibt die Form der Annäherung, wo gesagt wird, "wir wollen dieses Projekt, diese Expedition, dieses historische Ereignis möglichst plastisch für den Zuschauer darstellen". Und das hat IMAX getan. Schließlich gibt es natürlich noch die Möglichkeit sich anzunähern, wie wir das gemacht haben. Wir beschränken uns auf ganz wenig Ausrüstung, ähnlich wie Shackleton das gemacht hat und segeln die gleiche Strecke nach und durchqueren die Insel Süd-Georgien, wie er das gemacht hat.
Ich finde es schon sehr interessant, wie IMAX es schafft, das alles filmisch umzusetzen. Wichtig war dabei allerdings auch, dass an den Originalschauplätzen gedreht wurde, denn so etwas hätte man nicht an einem anderen Ort inszenieren können.
Aber kann man im warmen, weichen Kinosessel denn überhaupt etwas von dem nachvollziehen, was Shackleton und seine Leute damals erlebt haben?
Fuchs: Es wird natürlich immer ein Unterschied sein, ob man so etwas auf einer riesigen betrachtet oder in so einem kleinen Boot von 7 Meter Länge sitzt, bei Kälte und 15 Meter hohen Wellen. Aber ich glaube, der Film ist eine gute Annäherung an Shackleton, einen außergewöhnlichen Menschen und eines der außergewöhnlichsten Projekte in der Polargeschichte, die ja reich ist an Dramen. Das ist eine ganz besondere Form der Dokumentation, die ich als sehr eindringlich empfinde. Und was der IMAX-Film unserer Expedition sogar voraus hat, sind die Kamerafahrten durch diese grandiose Natur. Das hat man natürlich nicht, wenn man in einem kleinen 7 Meter-Boot auf schaukelnden Wellen segelt. Da hat man vielleicht auch gerade nicht die Muße, zu sagen "oh wie toll", weil man viel mehr Sorge damit hat, dass einen die nächste Welle umdrehen könnte.
Wovor hatten Sie denn am meisten Angst auf Ihrer Shackleton-Expedition?
Fuchs: Die größte Sorge hatte ich eigentlich vor der Annäherung an Süd-Georgien mit unserem Boot, was ja ein Nachbau des Bootes von Shackleton ist. Diese Annäherung ist deshalb schwierig und gefährlich, weil das dort Hochgebirge ist. Die Küste liegt wie so ein Wellenbrecher in der Zugbahn der Sturmtiefs und der hohen Wellen. Dort brechen sich die Wellen, man wird von den Seen auf die Klippen geworfen und man muss sich einfädeln zwischen den ganzen Scheren und Inselchen. Das ist bei dem dortigen Seegang sehr gefährlich und wirklich schwierig. Davor hatte ich schon in der Planungsphase Sorgen – wie Shackleton ja übrigens auch.
Angenommen, ein Kinozuschauer lässt sich von diesem IMAX-Film inspirieren – welche Eigenschaften müsste der mitbringen, für solch eine Expedition?
Fuchs: Man muss Neugierde mitbringen, man muss Spaß an der Auseinandersetzung mit der Natur haben, man muss raus wollen und man muss über seinen persönlichen Tellerrand hinweg blicken wollen. Man muss aber auch bereit sein, hart zu trainieren und sich mit der Sache intensiv auseinandersetzen. Man wacht nicht morgens auf und sagt: "Heute gehe ich zum Nordpol". Das funktioniert nicht, so kommt man gar nicht erst an, jedenfalls nicht aus eigener Kraft. Man braucht einen langen Atem um wirklich zum Ziel zu kommen. Genauso wie Shackleton ich hatte.
Wie muss man sich diesen Ernest Shackleton eigentlich vorstellen?
Fuchs: Shackleton ist ein unglaublich guter Krisenmanager gewesen. Er ist nicht jemand, der unheimlich gut geplant hat, vieles hätte sich im Voraus auch vermeiden lassen. Aber wenn einmal etwas passiert war, dann wuchs er wirklich über sich hinaus. Er ist eigentlich auch gar nicht der angepasste, kumpelhafte Typ gewesen, sondern eher ein bisschen introvertiert. Das konnte er aber irgendwie zurückstellen, wenn es darum ging, die Gruppe zusammen zu halten. Und er hat es verstanden, allen 27 Leuten in seiner Mannschaft zu vermitteln, dass ihm nichts so wichtig war, wie der Umstand, dass alle heil nach Hause kommen. Und er hat sich mit manchen richtig gestritten und gefetzt, er ist kein einfacher Mann gewesen, nicht einer, der immer nur Heiterkeit versprühte. Er war eckig und kantig und hat sich durchgesetzt. Aber auch dann, wenn er energisch wurde, dann hat er gesagt, "Ich tu das nur, um alle nach Hause zu bringen". Das hat er nicht nur gesagt, sondern das hat er so gelebt, so überzeugend, dass ihm auch die Leute, die ihn nicht mochten, geglaubt haben. Am Ende hat ihm dann auch keiner behauptet, dass er das Überleben nicht Shackleton zu verdanken hätte.
Sie sprachen bereits von der Gefahr, dass einen die nächste Welle umdrehen kann, was in der Arktis den sicheren Tod bedeuten würde. Wie gehen Sie auf solchen Expeditionen mit der Angst vor dem Tod um?
Fuchs: Das Gefühl, alleine auf sich gestellt zu sein, das ist mir ja nichts Fremdes, da ist man reingewachsen. Und man plant so eine Reise sehr lange und so intensiv, dass man weiß, wenn ich einmal unterwegs bin, dann bin ich alleine. Damit habe ich auch keine Probleme, ich kann gut in dieser Natur leben. Aber es gibt immer wieder Krisensituationen, wo ich weiß, es kann ganz besonders kritisch werden, wie eben die Annäherung an Süd-Georgien. Vorher gibt es auch die Phasen, wo man nachts wach wird und sich sorgenvoll Gedanken macht – hast du an alles gedacht, ist die Sache nicht doch zu heiß? Aber wenn man dann unterwegs ist, dann ist es auch gut so. Dass dann vielleicht auch die Todesgefahr irgendwo lauert, da geht man eigentlich ganz ’normal‘ mit um. Denn, wenn wir uns hier auf der Autobahn bewegen, wissen wir auch, dass wir uns einem Risiko aussetzen, das statistisch gesehen gar nicht so gering ist. Ich will das jetzt nicht bagatellisieren oder verniedlichen, aber der Umgang mit diesen Risiken ist für uns doch normal geworden.
Was war die niedrigste Temperatur, die Sie bisher erlebt haben?
Fuchs: Das Kälteste, was ich je erlebt habe, waren -60°C, auf meiner Nordpol-Expedition. Das ist schon sehr kalt, wenn man da eine Tasse mit heißem Tee in die Luft wirft, kann man zugucken, wie der in der Luft kristallisiert und als Eisklumpen auf den Boden fällt.
Man wacht nicht morgens auf und sagt: "Heute gehe ich zum Nordpol". Das funktioniert nicht.
Hat eigentlich Ihre Frisur in gewisser Weise mit den klimatischen Bedingungen auf solchen Expeditionen zu tun? Auf einigen Bildern gibt es ja schon eine Ähnlichkeit mit Abenteurern wie Reinhold Messner.
Fuchs: Teils, teils. Der Vollbart ist teilweise auch etwas hinderlich. Aber sich unterwegs zu rasieren ist natürlich eine nervige Sache, weil die Haut meistens spröde und gereizt ist. Man hat auch nicht die Zeit und Lust dazu. Der Bart vereist natürlich schnell, der Atem gefriert sofort und abends hat man richtige Eiszapfen im Bart hängen. Deshalb schneidet man sich den Bart eigentlich auch kurz. Aber ein bisschen Fell im Gesicht ist auch nicht schlecht, weil das verhindert, dass die Wärme so schnell abgeleitet wird. Der Bart wärmt tatsächlich, er bricht ein bisschen den Wind und schützt ein bisschen vor der Kälte.
Im Tagebuch, dass Sie während Ihrer Nordostpassage geführt haben, schreiben Sie, dass Sie immer wieder auf Anzeichen der Erderwärmung gestoßen sind.
Fuchs: Ja, in der Tat. Es wird im übrigen auch von wissenschaftlichen Instituten – die ja immer sehr vorsichtig sind mit solchen Einschätzungen – mittlerweile nicht mehr bestritten, dass sich im Nordpolargebiet einiges verändert. Das wird von der NASA so gesehen, das sieht auch das Wegener-Institut für Polarforschung so. Fakt ist, dass das Eis, was auf den polaren Meeren schwimmt, in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten in einer Größenordnung von vier Prozent abgenommen hat, was sehr viel ist. Grönlands eisfreie Flächen haben bis zu 16 Prozent zugenommen, die Vegetation im Norden Sibiriens verändert sich, der Permafrostboden taut weiter auf, die Wetterlagen ändern sich. Und das heißt ja nicht, dass es schöner weil wärmer wird, nach dem Motto, dass wir dann irgendwann unter Palmen sitzen, sondern die Zusammenhänge sind ja viel komplizierter. Ich kann in meiner Laufbahn jedenfalls visuell und subjektiv Veränderungen feststellen. Ob diese Veränderungen jetzt menschengemacht oder aber eine Laune der Natur sind, dass kann ich nicht sagen.
Wie sehen Sie denn Ihr Verhältnis zur Natur? Wenn Sie da draußen zwischen den Eisschollen segeln, fühlen Sie sich dann "eins mit der Natur" wie man so schön sagt?
Fuchs: Man muss vorsichtig sein, dass man das jetzt nicht zu romantisch verbrämt. Aber irgendwie taucht man schon in die Natur ein. Das ist ja nicht die Liebe Mutter Natur, der Natur ist es ja egal, ob ich ertrinke oder erfriere. Wenn ich etwas falsch mache, dann lässt sie es halt passieren. Auf der Ebene muss ich mich mit und in der Natur zurecht finden, ich muss wissen, wie ich mich zu verhalten habe, wie ich richtig damit umgehe, wenn ich im Sturm bin. Ich muss das richtige Schiff haben, muss wissen, wie ich es Schiff segle, das ist ja nicht immer nur ein Zuckerschlecken. Aber wenn man dann das ganze Spektrum der Natur, diesen malerischen, idyllischen Sonnenuntergang, oder die wild aufgewühlten Eisschollen herumtreiben sieht, dann begreift man dieses Geschehen auch. Dann sieht man das einfach als eine grandiose, einzigartige Szenerie, in der man sich irgendwie selbst einordnet, in der man sich mit seinem Know-how auch einigermaßen selbstsicher bewegen kann. Aber Überheblichkeit oder Übermut wird sofort ganz unnachgiebig von der Natur bestraft. Insofern sind diese Expeditionen eigentlich eine gute Erfahrung, als Mensch, der aus so einer technisierten Welt kommt.
Ins Kino scheinen Sie ja aber zu gehen.
Fuchs: Ich gehe gerne ins Kino, auch gerne in die Kneipe. Man fragt mich oft, ob ich denn Asket sei – nein, ich trinke gerne mal ein Bier oder einen Wein. Ich lebe völlig normal.
Wenn das Leben ein Comic ist – welche Figur sind Sie dann?
Fuchs: Hägar, der Schreckliche.
Wieso der?
Fuchs: Ja, ich finde den witzig, weil seine Figur so ein bisschen die Schwächen eines jeden Menschen im Alltag charakterisiert. Er ist der große Wikinger-Häuptling, der aber eben manchmal eingefangen wird von den profanen Dingen und Problemen des Alltags.
Aber dafür, dass Sie zum Beispiel als erster Mensch in einem Jahr den Nord- als auch den Südpol zu Fuß erreicht haben repräsentieren Sie ja eigentlich viel mehr Stärke als Schwäche.
Fuchs: Aber ich bin ja kein Mensch, der total anders lebt, als alle anderen. Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch. Ich lebe einen Teil des Jahres nach anderen Gehsetzmäßigkeiten, aber werde ja auch von dem Leben hier eingefangen, und das gerne, weil ich dieses Leben mag. Ich finde zum Beispiel dieses Hotel hier auch schön gemütlich. Ich komme gerne immer wieder in das hiesige Leben zurück.
Wo liegen denn Ihre Schwächen?
Fuchs: Die verrät man natürlich ungern. Und bei mir ist das ein Widerspruch an sich. Auf der einen Seite habe ich eine Tugend gelernt auf meinen Expeditionen, die lautet: Geduld haben. Auf der anderen Seite tendiere ich aber dazu, viel zu ungeduldig zu sein.