Asian Dub Foundation

Wir können heute sagen, was uns stört.

Gitarrist Chandrasonic von der Asian Dub Foundation über das Album "Enemy Of The Enemy", politische Statements und die heutige Situation der Asiaten in Großbritannien

Asian Dub Foundation

© Babak / Virgin Records LTD

Chandrasonic, euer aktuelles Album trägt den Titel "Enemy of the Enemy". Was verbirgt sich hinter dem Titel?
Chandrasonic: Das ist gleichzeitig der letzte Track auf dem Album, ein Song, der eine Woche nach dem 11. September entstand. Diese Anschläge haben ja die Stimmung in der ganzen Welt verändert. Das war der Beginn eines neuen Krieges, die Welt wurde von Leuten attackiert, die früher von der CIA unterstützt wurden. Es geht um eine Welt, die sich fragt, "wer ist der Feind?" Es geht auch um Paranoia, die die Leute in Flugzeugen haben, weil vor ihnen jemand mit dunkler Hautfarbe sitzt.

Hast du heute Angst?
Chandrasonic: Ja, ein bisschen schon. Wir wissen ja nicht, was die amerikanische Regierung vorhat, ob sie nicht vielleicht irgendwann die ganze Welt einnehmen will. Im Moment scheint es ja, als könnte sie nichts und niemand stoppen.

Ihr seid in den USA schon auf Tour gewesen, wie waren eure Eindrücke?
Chandrasonic: Wenn man in die USA geht, dann merkt man schnell, wie wenig eigentlich in dieses Land eindringt. Alles auf der Welt kommt aus den USA, aber fasst gar nichts kommt in dieses Land hinein. Es gibt nur wenig Menschen in den USA, die über ein akzeptables Grundwissen verfügen und trotzdem regiert deren Wirtschaft und Kultur die Welt. Die Tourneen dort haben aber trotzdem sehr viel Spaß gemacht, weil wir dort eben auch sehr tolle Leute getroffen haben. Es gibt ja sehr viele Amerikaner, die sich kritisch mit ihrer Regierung auseinandersetzen und dem Mist, den sie Tag für Tag vorgesetzt bekommen. Diese Menschen brauchen unsere Unterstützung, denn leider haben die Regierenden genügend Amerikaner auf ihre Seite ziehen können um ihre Politik durchzusetzen.
Ich bin aber sowohl gegen ignoranten Anti-Amerikanismus also auch gegen ignorante Amerikaner. Und ich hoffe, dass der Widerstand der Leute in den USA bald groß genug sein wird.

In Verbindung mit dem von euch selbst gegründeten Musikerziehungsprogramm "ADFED" seid ihr vergangenes Jahr in Brasilien gewesen und habt in Rio und Sao Paulo Favelas besucht und mit den Menschen dort Musik gemacht.
Chandrasonic: Ja, das war unglaublich, zu sehen unter was für grausamen Bedingungen die Menschen dort leben. Wir haben dort auch mit Jugendlichen Musik gemacht, deren Eltern vor vielen Jahren in einem Massaker gestorben sind, was die Polizei angerichtet hatte. Aber die haben ein großartiges Musikprojekt gestartet, mitten in einem dieser Favelas, Bands mit einem Mix aus Rock, Reggae, Hip-Hop, Capoeira — unglaublich.

Glaubst du, diese Menschen haben so viel Freude an der Musik, weil sie sonst im Leben kaum Freude haben?
Chandrasonic: Ich weiß nicht, ob man das generell so sagen kann. Da spielt sicher auch die Kulturgeschichte Brasiliens eine große Rolle. Da gibt es die afrikanischen Ursprünge, die lateinischen, es gibt eine sehr stark ausgeprägte Musik-Tradition. Musik ist dort aber kein Produkt, wie es das bei uns in Europa ist. Es passiert überall, die ganze Zeit, jeder kann tanzen und jeder kann singen.

Auf dem aktuellen Album habt Ihr mit "19 Rebellions" einen Song über eine Revolte in 19 Gefängnissen in Brasilien gemacht. Wie wichtig war euch der politische Aspekt bei diesem Album?
Chandrasonic: Also, wir mögen es eigentlich gar nicht, wenn man bei uns nur einen "politischen Aspekt" heraus pickt. Aber irgendwie reden Journalisten darüber viel lieber als über unsere Musik. Wir machen Musik über das Leben. Wir singen nicht explizit über Politik, wir singen über das Leben, die Dinge, die passieren. So was ist doch normal in der Musikgeschichte, das gibt es im Blues, im Soul, im Reggae und so weiter. Heute ist es nur so, dass der Großteil der Musikindustrie den Ausdrucksspielraum bei den Musikern sehr begrenzt, der Themenrahmen ist sehr beschränkt. Und mit allen Dingen, die außerhalb dieses Rahmens liegen, hat man es deshalb schwer.

Für "Enemy of the Enemy" ist auch ein Track mit Sinead O’Connor entstanden, "1000 Mirrors". Wie kam es dazu?
Chandrasonic: Das ist leicht zu erklären, Adrian Sherwood hat unser Album produziert. Und der hat auch schon Sinead O’Connor produziert, so kam der Kontakt zustande. Ich muss allerdings zugeben, dass wir nicht zusammen mit ihr im Studio waren, sie hat die Vocals einfach für uns auf Band gesungen.

Wird sie auch einmal live dabei sein?
Chandrasonic: Ich hoffe sehr, dass sie einmal dabei sein wird, das wäre großartig. Wir sind aber so schon sehr stolz, dass sie überhaupt diesen Track für uns gesungen hat.

Wie produziert ihr eigentlich?
Chandrasonic: Das ist sehr unterschiedlich. Jeder macht eigentlich sein eigenes Ding, produziert Loops, Samples — irgendwann setzen wir uns zusammen und schauen, wie es zusammen passt. Wir haben da keine festgelegte Methode.

Gibt es oft Diskussionen, immerhin seid ihr acht Musiker?
Chandrasonic: Gegen Ende der Arbeit an einem Track kommt es manchmal zu Streitereien. Klar, jeder hat seine Meinung, seinen Geschmack. Das ist natürlich fürchterlich, der Song ist im Kasten und alle fangen sich an zu streiten. Naja, irgendwann fällen wir dann aber Entscheidungen und normalerweise sind das auch die richtigen Entscheidungen.

Auch das aktuelle Album ist geprägt von bewegende Rhythmen — kommen die Drums bei euch inzwischen häufiger aus dem Computer?
Chandrasonic: Das kommt mal so mal so, mal spielen wir die live ein, ein anderes mal programmieren wir die.

Aber was denkst du über den elektronischen Einfluss gegenüber der live-produzierten Musik?
Chandrasonic: Mir ist das relativ egal, für mich zählt das, was am Ende rauskommt. Ich fände es ignorant zu sagen, dass eine Live-Gitarre immer besser ist als ein Sample. Das ist doch total irrelevant. Es ist egal was du benutzt, wichtig ist, dass es ehrlich ist und du dich ausdrückst. Ansonsten würdest du doch die elektronische Musik von ihrem emotionalen Gehalt trennen, das geht nicht.

Auf eurer Website gebt ihr euren Fans auch Informationen über euer Equipment. Wie wichtig ist es für euch mit anderen Musikern darüber auszutauschen?
Chandrasonic: Ich war früher Musik-Lehrer, weshalb ich mich heute auch noch gerne mit anderen über so etwas unterhalte. Wir haben keine Geheimnisse, wie es andere Musiker ja manchmal haben.

Schaut man in das Gästebuch eurer Website findet man dort Einträge in sehr vielen verschiedenen Sprachen.
Chandrasonic: Ja, ich glaube auch, dass wir für diese Internationalität bekannt sind.

Beeinflusst das euren kreativen Prozess?
Chandrasonic: Es gibt immer wieder ganz verschiedene Zusammenarbeiten, Tracks die an verschiedenen Orten entstehen, die aber natürlich nicht alle auf dem neuen Album sind, sondern irgendwo herum schwirren. Wir haben einen Song gemacht mit kubanischen Rappern oder auch einen mit Musikern aus Tuva, das ist ein Land, das zwischen der Mongolei und Sibirien leigt. Von dort kommt auch die Band "Yat-Kha", das ist mittlerweile meine absolute Lieblingsband. Die Tuvier beherrschen ja dieses zweistimmige Singen, eine Art Obertongesang – das lässt sich jetzt allerdings schlecht beschreiben.

Deine schönsten Tour-Erfahrungen?
Chandrasonic: Brasilien, Kuba. Osteuropa, Bulgarien, Serbien, obwohl die Reise dorthin ein Alptraum war. Man hat uns immer für vier bis fünf Stunden an den Grenzen festgehalten. Aber die Gigs waren wunderbar — wenn die Show gut ist, dann regt dich nichts mehr auf, dann kannst du dich über nichts mehr beklagen. Wobei, zwei Tage hintereinander im Tourbus, das kann ein bisschen viel sein.

Wie vertreibt ihr euch dann die Zeit?
Chandrasonic: Filme und Videospiele. Was willst du im Bus sonst groß machen. Ich spiele aber eigentlich am wenigsten von uns. Und wenn, dann sind das meistens die Ballerspiele, die sind so schön einfach. Obwohl ich wirklich keine aggressive Person bin.

Zehn Jahre Asian Dub Foundation — gegründet habt ihr euch vor einem politischen Hintergrund, wie habt ihr die vergangenen zehn Jahre erlebt, was ist heute eure Motivation Musik zu machen?
Chandrasonic: Ich weiß es nicht. Sicher hat es noch immer mit unserem Backround zu tun, mit unseren Erfahrungen, dass man frustriert ist. Besonders die Generation von Asiaten, die in den späten 70ern und den 80ern in Großbritannien aufgewachsen ist, wurde nicht besonders gut behandelt. Seit den 90ern hat sich natürlich einiges geändert, wo ich auch sagen würde, dass wir ein Teil dieser Veränderung sind. Wir können heute sagen, was uns stört, das war früher nicht so einfach gewesen. Die Kultur in Großbritannien hat sich auch sehr verändert, ohne Zweifel. Es sind ja heute auch viel mehr asiatische Menschen im Fernsehen zu sehen als früher.

Und die Behandlung der Asiaten in Großbritannien?
Chandrasonic: In den ärmeren Schichten gibt es da noch große Probleme, es gibt sehr arme asiatische Gemeinschaften für die sich die Situation wirtschaftlich gesehen noch verschlechtert hat, wo die Polizei auch sehr brutal ist. Aber für die meisten würde ich sagen, hat sich die Situation gebessert. Ich wurde vor zehn Jahren noch gefragt, "wieso sitzt du nicht mit verschränkten Beinen und spielst Sitar, wie es sich gehört?" — so etwas passiert mir heute nicht mehr. Die Leute wissen, wer wir sind, Asian Dub Foundation, und die Leute kennen unseren Sound. Da finde ich, haben wir etwas Großes erreicht. Wir haben es geschafft, aus dem auszubrechen, was manche Leute wegen der Hautfarbe von uns erwarten. Insgesamt haben da sehr viele an dieser Entwicklung mitgewirkt, Musiker, Komiker, Filmemacher, Autoren. Ich bin zum Beispiel sehr stolz auf Manoj Night Shyamalan, der bei Filmen wie "Unbreakable" und "The 6th Sense" Regie geführt hat. Er ist zwar in Hollywood, aber er hat seine Wurzeln nicht vergessen. Überhaupt befinden sich heute schon viele der Immigranten im Mainstream. Asian Dub Foundation allerdings nicht, glaube ich.

Früher habt ihr Großbritannien in euren Songs hin und wieder als "narrow-minded" bezeichnet.
Chandrasonic: Ja, das war aber früher mehr der Fall als es das heute ist. Die Musik hat sich geändert, die Akzeptanz für viele Einflüsse ist größer geworden. Als wir begonnen haben, da hatten wir noch mit dem ganzen Britpop-Kram zu kämpfen, was grausam war — und leider gibt es den Britpop ja heute noch.

Magst du kommerzielle Musik?
Chandrasonic: Also, diesen Begriff "kommerzielle Musik" benutze ich gar nicht. Ich beurteile die Musik nicht danach, ob sie kommerziell ist oder nicht. Klar, manche Musik klingt wie vom Fließband, aber so entsteht manchmal auch sehr geniale Musik. Nehmen wir die Motown-Platten. Motown hat doch genauso funktioniert, wie Autos am Fließband produziert werden, aber guck dir an, welche Musik da entstanden ist. Und auch heute produzieren nicht alle Bands mit einem aufgebauten Image schlechte Alben, nehmen wir zum Beispiel AllSaints oder die Sugababes. Ich denke aber, das System der Musikindustrie ist einfach schlecht, aber nur wenige Bands wie AllSaints oder die Sugababes waren taff genug zu sagen, "wir machen nicht alles mit". Die meisten dieser Bands werden von dem System ausgenutzt, da werden Kinder auf irgendeiner Schauspielschule aufgegabelt, die können kaum singen, bekommen aber alle möglichen Produzenten, eine Live-Show … — und wenn sie sich nicht mehr verkaufen, dann werden sie einfach wieder abgestoßen.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur bist du?
Chandrasonic: Ich wäre vielleicht einer von den "Invisibles" von Grant Morrison. Oder Silversurfer, der ist cool. Obwohl, nein, mein großer Favorit wäre der Black Panther von Marvell.

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