Attila Hildmann

Die Fleischindustrie hat ganz schön zu kämpfen.

Attila Hildmann holt die vegane Küche aus der Öko-Ecke, sein Kochbuch „Vegan for fit“ wurde zum Bestseller. Wie Bio-Produkte und Autorennen für ihn zusammenpassen, warum veganes Essen bald das große Geschäft wird und wie man Pfannkuchen ohne tierische Produkte zubereitet, verrät Hildmann im Interview.

Attila Hildmann

© Justyna Krzyzanowska

Herr Hildmann, Sie sind einer der erfolgreichsten Kochbuchautoren Deutschlands, haben aber weder eine abgeschlossene Kochlehre noch ein Restaurant. Wie haben Sie das gemacht?
Attila Hildmann: Als ich im Jahr 2000 angefangen habe, mich vegan zu ernähren, war das kulinarische Angebot einfach katastrophal. Ich bin mit dem Rad durch ganz Berlin gefahren, um ein veganes Ei zu finden. Wenn ich auf eine Studentenfeier vegane Muffins oder Nudelsalat mitgebracht habe, wollten die Leute das Rezept haben. Irgendwann habe ich neben meinem Physikstudium meine Rezepte aufgeschrieben. Aber eine Kochlehre als Veganer war nicht drin, schon allein weil es keine veganen Köche als Vorbilder gab, von denen ich hätte lernen können oder wollen.

Hatten Sie ein Vorbild beim Kochbücherschreiben?
Hildmann: 2007 habe ich mir wahrscheinlich täglich Jamie-Oliver-DVDs reingezogen. Ich mag seine älteren Sendungen, weil die so undogmatisch sind. 2009 habe ich Oliver bei einer Buchsignierung kurz getroffen. Da habe ich schon gedacht: „Wäre auch ganz cool, wenn ich mal derjenige wäre, der Bücher signiert.“ Er hat mich auf jeden Fall inspiriert, weil er so sympathisch und locker ist. Jetzt bin ich froh, dass ich mittlerweile mein eigenes Ding mache und mich selbst als Marke etabliert habe.

Aber ein Kochduell mit Jamie Oliver…
Hildmann: Wenn sich was ergibt, sag ich nicht nein – der Gedanke, sich mal mit Jamie Oliver zu battlen hat schon was. (grinst)

Stimmt es, dass der Auslöser für Ihre Ernährungsumstellung ein Herzinfarkt Ihres Adoptivvaters war?
Hildmann: Ja, das kann man so sagen. Nach dem Tod meines Vaters habe ich mich mit einem guten Kumpel über Tierschutzskandale und Massentierhaltung unterhalten. Danach habe ich mich erst vegetarisch und später vegan ernährt. Ich war vorher übergewichtig und hatte einen hohen Cholesterinspiegel, beides hat sich drastisch verbessert. Dieses einschneidende Erlebnis mit meinem Vater hat mich zum Nachdenken über meine Ernährung gebracht: „Was ist eigentlich in der Zukunft mit dir?“

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An meinem Bolognese-Rezept habe ich jahrelang gefeilt.

Attila Hildmann

Wenn Sie jetzt in der veganen Staffel von „Das perfekte Promi-Dinner“ Kochtipps geben, erwarten Sie, dass das den Fleischkonsum in Deutschland – zumindest ein kleines bisschen – sinken lässt?
Hildmann: Der Fleischkonsum sinkt zurzeit bereits ziemlich massiv und die Fleischindustrie hat ganz schön zu kämpfen. Jeder kleine Schritt hilft der Gesundheit der Deutschen. Pro Jahr sterben hier eine halbe Million Menschen an ernährungsbedingten Krankheiten, die zum Beispiel mit zu hohen Cholesterinwerten zusammenhängen. Mein Anliegen ist vor allem, dass sich die Deutschen mit ihrer Ernährung befassen. Es geht darum, wieder selbst zu kochen, sich Zeit zum Essen zu nehmen und bewusst zu genießen.

Kochsendungen erfreuen sich seit langem großer Beliebtheit. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Hildmann: Man muss das einfach mit den Formaten vergleichen, die es sonst so gibt. Kochen ist etwas Sinnvolles und man kann immer etwas lernen. Ich finde jede Kochshow besser als irgendwelche Leute, die einen auf „Bachelor“ machen. Zu Beginn meiner Karriere habe ich auch alles aufgesogen, was es an Kochshows gab. Dadurch habe ich viel gelernt, und sei es nur die richtige Technik zum Zwiebelschneiden.

Schätzungen zufolge leben nur 800 000 Veganer in Deutschland, aber es gilt gerade als hippe Lebensart. Was meinen Sie: Wie viele Menschen schmücken sich nur mit einem Ihrer Kochbücher und wie viele kochen wirklich danach?
Hildmann: Wenn jemand 30 Tage mein Programm aus „Vegan for Fit“ gemacht hat und es ihm dadurch besser geht oder er einfach nur weiß, wie man eine vegane Sahnesoße aus Mandelmus macht, dann finde ich das super. Man muss diese ideologiebeladene Ernährungsweise, bei der es in den letzten Jahren immer nur um Zwang ging, attraktiv machen für den Mainstream. Die Anzahl der Veganer wird total unterschätzt, denn es gibt ganz viele Leute, die das probieren, aber sich nicht so bezeichnen. Ich würde sagen, inzwischen gibt es ein paar Millionen Menschen, die etwas mit veganer Ernährung anfangen können.

Wenn Fleischesser für vegane Gäste kochen wollen, was ist die größte Stolperfalle?
Hildmann: Das Wichtigste sind gute Rezepte. Man sollte reichlich würzen und viel Fett nehmen. Denn Tofu und Gemüse haben nun mal weniger Fett als tierische Produkte. Nussmus ist toll für Sachen, die cremig werden sollen. Wenn man es richtig macht, hat man nicht das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen.

Sie legen viel Wert auf Bioprodukte. Wenn Sie die Wahl haben, nehmen Sie den Bioapfel aus Neuseeland oder den konventionellen Apfel vom Hof um die Ecke?
Hildmann: Da würde ich dann den konventionellen Apfel nehmen, auch wenn ich sonst Bio immer vorziehe. Dieser weit hergeflogene Apfel hat wahrscheinlich so viel Höhenstrahlung und Abgase abbekommen, dass die Biobezeichnung keinen Sinn mehr macht. Regionale Bioprodukte sind natürlich eine Budgetfrage. Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir durch eine höhere Nachfrage dafür sorgen, dass bio bald nicht mehr teurer ist, sondern zum Standard wird. Es kann nicht sein, dass Kinder in Kitas mit Pestiziden belastetes Gemüse essen müssen. Eine ungespritzte Tomate, wie sie unsere Großeltern angebaut haben, kann doch nicht auf einmal Luxus sein!

Viele assoziieren ein XXL-Schnitzel oder ein gegrilltes Steak mit Männlichkeit. Wie macht die Frau ihrem Mann die Tofu-Bolognese schmackhaft?
Hildmann: Ich habe jahrelang an meinem Bolognese-Rezept gefeilt. Stefan Raab hat die schon mit verbundenen Augen gegessen, er hat zwar erkannt, dass sie kein Fleisch enthält, aber konnte trotzdem nicht mehr aufhören sie zu essen. Frau kann ja einfach etwas Veganes kochen und wenn der fleischverliebte Mann nichts davon weiß, isst er es vielleicht einfach. (lacht) Im Privaten hänge ich meine vegane Ernährung auch nicht an die große Glocke.

Der amerikanische Popmusiker und Veganer Moby erzählte uns im Gespräch, dass eine Ex-Freundin zum Beziehungsende sagte: „Und deine Pfannkuchen habe ich nie gemocht.“ Hat Ihr Lebensstil sich auch schon mal auf Ihre Beziehungen ausgewirkt?
Hildmann: Nein, ich kann aber Moby empfehlen, mal bei mir einen Kochkurs zu machen. Dann zeige ich ihm, wie man richtige Pfannkuchen macht. Natürlich kommt es bei dem weiblichen Geschlecht super sexy an, wenn jemand um die Ecke kommt, der nicht nur austrainiert ist und einen geilen Wagen fährt, sondern auch ein gutes Essen kochen kann. Deswegen kann ich nur jedem Mann empfehlen, sich da ein bisschen zu bilden. Davon wird der Date-Ausgang definitiv profitieren.

Aber können Sie einmal verraten, wie man Pfannkuchen ohne Milch und Eier schmackhaft hinbekommt?
Hildmann: Der Grundteig ist mit Sojamilch ganz einfach zu machen, den kann man sich dann zum Beispiel mit Vanille und Agavendicksaft versüßen. Und für Experimentierfreudige gibt‘s mit gepopptem Amaranth im Teig auch noch den ultimativen Crunch-Effekt.

Hätte eine fleischessende Frau bei Ihnen eine Chance?
Hildmann: Klar, ich beurteile Leute nicht danach, was sie essen, sondern was sie für Menschen sind. Ich glaube sogar, dass sie sich am Ende sowieso gerne vegan ernährt, weil ich ja die Küche übernehme. (lacht) Dann gibt es halt andere fleischliche Genüsse.

© Justyna Krzyzanowska

© Justyna Krzyzanowska

Sie haben mal gesagt „Vegan ist das neue Viagra“. Können Sie das wissenschaftlich untermauern?
Hildmann: Unsere Adern und Venen werden durch tierische Fette über die Jahre zugekleistert. Das erhöht das Risiko, an diversen Krankheiten wie Schlaganfall oder Herzinfarkt zu sterben. Wenn man sich vegan ernährt, dann bleiben die wichtigen Zuleitungen frei und das hilft natürlich auch dem gewissen Teil in der Körpermitte des Mannes. Außerdem ist die vegane Ernährung so vitalstoffreich und energetisch, dass sie definitiv die Ausdauer erhöht.

Sie achten sehr auf Ihre Fitness und machen viel Sport. Wie steuern Sie Ihre Energiezufuhr?
Hildmann: Man muss dem Körper das geben, womit er am besten arbeiten kann. Pflanzenstoffe in Blaubeeren, in Kurkuma oder Grünkohl können den Körper vor Alterungserscheinungen schützen, so bleibt man lange fit. Im Aufbausport wird ganz viel mit Kohlenhydraten gearbeitet, das kann man natürlich auch vegan machen.

Sie nehmen auch Nahrungsergänzungsmittel für wichtige Stoffe, die bei Ihrer veganen Ernährung zu kurz kommen können. Welche sind das?
Hildmann: Studien haben gezeigt, dass bei Veganern auf lange Sicht vor allem Vitamin B 12 ergänzt werden muss, weil es in pflanzlichen Lebensmitteln nicht vorkommt. Bei Frauen kann zudem der Eisenwert kritisch sein. Deutschlandweit ist ein Problem, dass wir im Winter zu wenig Vitamin D haben. Als Sportler suche ich nach der optimalen Lösung, deswegen nehme ich ein Kombipräparat, das zum Beispiel auch Omega-3-Fettsäuren enthält.

Wäre es dann nicht doch gesünder diese ganzen Stoffe in ihrer natürlichen Form mittels tierischer Produkte zu sich zu nehmen?
Hildmann: Nein. Mit einem Rindersteak bekommt man ja nur super geringe Mengen von dem Vitamin B 12, dafür erhöht man zum Beispiel sein Risiko an Darmkrebs zu erkranken. Für nur ein Vitamin mir eine Armada von Problemen einzuverleiben, ergibt für mich keinen Sinn. Mir hat Fleisch auch immer gut geschmeckt, aber gesundheitlich kann es mit einer veganen Ernährung nicht mithalten.

Halten Sie die vegane Ernährung plus Zusatzstoffe wirklich für jeden Menschen am gesündesten?
Hildmann: Das kann ich nicht sagen, aber das, was ich so sehe, ist immer positiv. Ich kann nur jedem empfehlen, es mal zu probieren.

Mit dem Kauf eines Porsches mit Lederbezügen erregten Sie den Unmut
der veganen Community – wie groß ist Ihre Lust an der Provokation?
Hildmann: Das war vor allem die Lust auf deutsche Ingenieurskunst. Mittlerweile habe ich einen GT3, der hat keine Ledersitze. Ich habe absolut Spaß am Motorsport, ich bin gerade in Oschersleben mein erstes Rennen gefahren. Es ist immer wichtig, dass man das tut, was man selbst für richtig hält und sich nicht danach richtet, was andere definieren.

Aber wie passen Autorennen mit vielen Abgasen und einem hohen Spritverbrauch zu jemandem, der sagt: „Die vegane Ernährung ist das Beste für den Planeten“?
Hildmann: Das ist das Problem, woran unsere Welt aktuell scheitert. Wenn sich Menschen für eine positive Sache engagieren, dann wird ihnen nicht applaudiert, sondern sie werden gefragt: „Warum fährst du nicht nur mit dem Rad?“ Ich finde diese Denkweise total absurd. Es ist absolut demotivierend, wenn aufgrund meiner veganen Ernährung – die Menschen, Tiere und die Umwelt positiv beeinflussen kann – gleich der Anspruch an mich gestellt wird, ein Engel zu sein. Der bin ich aber nicht. Ich finde es wichtig, dass wir alle etwas Kleines in unserem Leben verbessern und die Unkenrufe der Leute nicht mehr hören, die dann sagen: „Du musst aber auch das und das machen.“

Warum wird die Debatte über Fleisch und tierische Produkte eigentlich mit so einer Vehemenz und Leidenschaft geführt?
Hildmann: Ich glaube, dass viele Leute für sich das Tierleid in den Mittelpunkt stellen. Das heizt Emotionen an. Das war bei mir am Anfang auch nicht anders. Aber man erreicht nichts, wenn man versucht, auf andere Leute einzudreschen. Es wird von den Hardcore-Leuten immer nur die 100-Prozent-Lösung angeboten: „Entweder ernährst du dich zu 100 Prozent vegan oder du bist ein böser Arsch.“ So verändert man die Menschen nur in die Richtung, dass sie statt einem Steak zwei essen.

Stehen Sie jetzt nach Ihrem Physikstudium vor der Wahl Physiker zu werden oder ein veganes Restaurant zu eröffnen?
Hildmann: Nein, ein Restaurant mache ich jetzt erst einmal nicht auf. Für mich steht erst einmal USA an, wo ich meine Bücher auf Englisch vorstelle. Der nachhaltige Ernährungsmarkt ist aktuell der Megatrend in Hollywood: Natalie Portman, Mike Tyson, James Cameron, Oprah Winfrey oder auch Bill Clinton – sie sind alle Veganer geworden. Dieser Trend liegt in der Luft, früher oder später wird er sich auch im Rest der Gesellschaft etablieren.

Denken Sie, dass sich vegane Restaurants in Deutschland bereits jetzt, auch abseits der Ballungszentren, rentieren?
Hildmann: Auf jeden Fall. Wir haben zurzeit eine riesige Welle von Menschen, die sich gesundheitsbewusst ernähren möchten. Selbst die Lebensmittelhersteller werben mit „Vegan“-Kennzeichnungen. Ich glaube, in der Großstadt ist das Angebot so groß, dass es schwierig ist, dort Geld zu verdienen. Aber wenn man einen guten Hotspot auf dem Land hat, dann pilgern die Leute dorthin.

Was ist für Sie der entscheidende Verbindungspunkt zwischen Physik und Kochen?
Hildmann: Auf den ersten Blick passen die beiden Themen überhaupt nicht zusammen. Kochen war für mich erst nur ein Hobby und eine Leidenschaft, von der ich jetzt zum Glück sogar leben kann. Aber ich interessiere mich nach wie vor für die Wissenschaft. Man kann mit physikalischen Messmethoden zeigen, dass man sich mit der veganen Ernährung verjüngen kann. Wir haben zum Beispiel die Schutzstoffe für die Zellen, so genannte Antioxidantien, mit spektroskopischen Verfahren in der Hand gemessen. Es war für mich genial, meine beiden Welten zusammenzuführen. Ich würde dazu gerne irgendwann Studien im größeren Maßstab machen. Irgendwann wird bestimmt auch die vegane Molekularküche für mich ein Thema.

Was war Ihre letzte Ess-Sünde? Ich habe gelesen, bei Schokoladentorte werden Sie schwach?
Hildmann: Ja, (lacht), aber natürlich vegane Schokoladentorte. Ich mag einfach süße Sachen. Und manchmal haue ich mir auch einen riesigen Teller Pasta rein.

2 Kommentare zu “Die Fleischindustrie hat ganz schön zu kämpfen.”

  1. Matthias Schuster |

    Ich vergewaltige keine Kinder mehr, dafür verhaue ich meine Frau täglich und das ist gut so. Schießlich finde ich es schlimm, wenn jemand versucht, mir seinen Willen aufzuzwingen. Weil jemand also jetzt weniger Schaden anrichtet, als vorher, soll er/sie automatisch ein Freilos für jeden anderen Schaden erhalten, welcher durch unbewussten Konsum entsteht ? o.O

    http://www.vcoe.at/de/publikationen/vcoe-factsheets/details/items/Factsheet2011-02?print=true

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  2. Christoph Nack |

    Ein toller Artikel, es freut mich dass die Menschheit auf dem Weg in die „richtige“ Richtung ist ;) – Zumindest wenn es um Ernährung und nachhaltige Lebensweise geht.

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