August Diehl

Wenn man einen Film macht, begibt man sich auf eine Reise.

Schauspier August Diehl über den Film "Slumming", Österreich und seine Neugierde

August Diehl

© Lotus-Film/Andrea Gurtner

Herr Diehl, in „Slumming“ spielen Sie in Wien einen wilden Mittzwanziger, der einen etwas ungewöhnlichen Lebensstil pflegt: er trifft zahlreiche Frauen, nur um sie beim Date unter dem Tisch zu fotografieren, hält sich hauptsächlich in Nachtclubs auf – und in einer Winternacht kidnappt er einen schlafenden Obdachlosen vor dem Wiener Hauptbahnhof, um ihn kurz darauf vor dem Bahnhof einer tschechischen Kleinstadt wieder auszusetzen. Was treibt diesen jungen Mann an?
Diehl: Also, der Sebastian, den ich spiele und der Obdachlose, verhalten sich ja wie zwei Kehrseiten. Sebastian, der vom Leben relativ wenig fühlt und sich deswegen immer ritzen, sich verletzen muss, oder etwas tun muss, was eine Art von Grenze überschreitet, um irgendetwas zu fühlen. Und auf der anderen Seite der Obdachlose, der Gedichte schreibt, der so viel fühlt, dass er das nicht mehr kontrollieren kann. Diese beiden treffen durch Zufall aufeinander. Und irgendwo ist der Sebastian genauso obdachlos, wie der wirklich Obdachlose.
Und Sebastians Tat hat damit zu tun, dass er jemand ist, der sich eigentlich außerhalb der Konventionen bewegen will. Mit einer Art poetischer Kraft – die der Dichter ja auch hat – macht er etwas sehr Amoralisches und für uns erst mal schwer Nachvollziehbares. Er bringt dadurch aber etwas durcheinander, so, dass Menschen plötzlich die Möglichkeit haben, sich auch wirklich zu begegnen. Und da finde ich den Charakter von Sebastian, bei all seinem Zynismus auch sehr, sehr spannend. Er ist sehr konsequent, er steht auch zu seiner Tat. Er sagt am Ende eben nicht, dass ihm das alles Leid tut, dass er das gerne rückgängig machen würde – sondern er steht dazu und sagt: „Bitte nehmt mich so an, wie ich bin.“

Sehen Sie ihn denn als eine Art Spinner oder ist Sebastian auch das Abbild einer Generation?
Diehl: Sebastian tickt vielleicht ein bisschen anders, als wir es tun, aber ich würde nicht sagen, dass er ein Spinner ist, das ist mehr so eine Sicht von außen.
Der Film hat sicher etwas mit unserer Generation und mit einer Orientierungslosigkeit zu tun, bzw. verlagert sich die Orientierung verlagert: im Film zeigen das die Navigationssysteme im Auto, die Fahrscheinkontrollen, also die Verlagerung auf all das, was unser Leben systematisiert. Dadurch entsteht zwar viel Kommunikation, aber wenig wirkliche Begegnung.

Sebastian sucht auch viele Ort auf, die er normalerweise nie betreten würde, um eben ganz andere Menschen und Situationen kennen zu lernen. Gibt es so was auch in Ihrem Leben?
Diehl: Das „Slumming“, ist ja ein Begriff ist für das Aufsuchen von fremdartigen Orten, egal ob das nun äußere oder innere sind. Und das ist natürlich auch etwas, was man als Schauspieler dauernd macht und was ich auch gerne mache. Gerade wenn man einen Film macht, begibt man sich ja auch auf eine Reise. Für diesen Film hatte ich zum Beispiel die Möglichkeit, in den Slums von Jakarta zu drehen, wo ich in meinem Leben wahrscheinlich nicht so ohne weiteres hingekommen wäre. Dieses Aufsuchen solcher Orte ist bei mir also auch immer stark mit dem Beruf verknüpft. Und diese Neugierde von dem Sebastian, die teile ich ganz sicher. Auf Reisen mache ich das gerne, dass ich Orte betrete, die seltsam sind. Das ist bei mir einfach eine Neugierde und hat weniger mit einem Überwinden von einer Hemmung zu tun. Da ist bei Sebastian ja auch so: er hat keine Hemmungen, diese Dinge zu tun. Zum Beispiel ein voll besetztes Café von außen zu verriegeln und den Schlüssel einfach wegzuwerfen. Er macht das, um die Welt durcheinander zu bringen, um etwas zu fühlen, etwas zu spüren. Ich persönlich würde so weit nicht gehen – aber ich kann ihn verstehen.

Zeigen aber seine Taten nicht auch das Böse, was in jedem Menschen steckt?
Diehl: Ich empfinde das im Film nicht so, ich empfinde die Tat von Sebastian auch nicht wirklich als eine böse Tat. Natürlich, man kann auch sagen, das ist furchtbar, weil der obdachlose Mann fast erfriert. Für mich ist das aber innerhalb des Films eine sehr poetische Tat. Es geht ja soweit, dass er diesen Obdachlosen filmt und ein Gedicht dieses Obdachlosen auf dieses Bild drauf spricht. Insofern gibt er diesem Menschen plötzlich eine Art Rahmen gibt, einen Sinn und eine Geschichte. Er ist also genau so eine Art Dichter, wie der obdachlose Zetteldichter. Da sind sie sich komischerweise auf einmal ganz nah.
Aber in diesem Film sind so viele verschiedene Ebenen drin, die der Regisseur Michael Glawogger da reingebracht hat – ich entschlüssele die auch erst so nach und nach. Denn der Dreh ist bereits ein Jahr her und ich habe den Film hier auf der Berlinale das erste Mal gesehen. Mir fallen jetzt verschiedene Themen auf: das Verlieren der Unschuld, das Reh, was immer wieder auftaucht, dass Liebe auch eine Art von Terror ist, und Terror auch immer eine Art von Zärtlichkeit …

Zitiert

Österreich ist schon Ausland. Das ist eine andere Kultur, ein anderer Humor, andere Menschen. Das ist nicht deutsch.

August Diehl

Es gibt diese Liebeserklärung, wo er ihr „Ich liebe dich“ aufs Auto sprüht…
Diehl: …und die zeigt das ja: seine Art von Liebe hat eine Art von Gewalttätigkeit. Und gleichzeitig ist es aber auch ganz klar gesagt, was er fühlt. Aber es verletzt immer ein bisschen die Privatsphäre, was Liebe ja immer tut. Insofern macht sich Sebastian nichts vor. Er sagt mit solchen Aktionen, auch mit 100 SMS in einer Minute: Ja, ich bin Terror – aber bitte reagier mal drauf.

Und wie war für Sie der erste Ausflug in den österreichischen Film?
Diehl: Österreich ist schon Ausland. Das ist eine andere Kultur, ein anderer Humor, andere Menschen. Das ist nicht deutsch. Und trotzdem haben wir diese gemeinsame Sprache, die uns aber eigentlich nicht so unbedingt näher bringt.
Ich bin immer gern im Ausland, gern an vielen verschiedenen Orten, weil das ja eine Art von frischer Luft ist. Zu Österreich habe ich da auch eine besondere Beziehung, durch die Zeit, die ich dort am Theater war und die Menschen, die ich in der Zeit dort kennen gelernt habe. Trotzdem war es jetzt wieder etwas ganz Neues für mich, mit einem österreichischen Filmteam zu arbeiten, weil auch die Sprache und der Humor anders sind und dadurch eine andere Filmsprache entsteht, als wir die hier in Deutschland haben.

Inwiefern ist diese Filmsprache anders?
Diehl: Sie müssen sich Slumming nur angucken: das ist ein Film, der in Deutschland nie so gemacht werden würde. Der ist weniger pointiert, viel surrealer, auch inkonsequenter in bestimmten Dingen und andererseits konsequenter in Dingen, wo wir es nicht sind. Es ist eindeutig ein Film aus dem Ausland, das ist kein deutscher Film und das spürt man. Das liegt daran, dass die Österreicher einen anderen Humor, eine andere Sicht auf Menschen haben und sich auch anders begegnen, als wir es tun

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