Mr. Geffen, auf Ihrem aktuellen Album befindet sich ein Lied über Berlin. Auf welche Art und Weise inspiriert Sie die Stadt?
Geffen: Dieser Ort bringt mich zum Nachdenken. Ich war schon mehrere Male hier und habe Konzerte mit der Band „Blackfield“ gespielt und ich spüre hier irgendwie immer noch, dass eine Mauer gefallen ist. Es gab den Osten und den Westen und dann kam der große Knall, es liegt etwas künstlerisch revolutionäres in der Luft, wie im New York der 70er.
Gibt Ihnen die Geschichte Berlins auch Hoffnung für die zerrissene Stadt Jerusalem?
Geffen: Berlin kann man nur mit Tel Aviv vergleichen, einer wirklich liberalen Stadt und einem der besten Orte auf der Welt. Überall gibt es Gebäude die eine wahre Geschichte erzählen, die Stadt ist echt und deswegen verehre ich sie.
Mehr als Jerusalem?
Geffen: Ja, Tel Aviv ist für mich heiliger als Jerusalem. Ich bin fast nie in Jerusalem, vor allem nicht in Ost-Jerusalem. Ich bin gegen die Besatzung, sie ist ein Krebsgeschwür in der israelischen Gesellschaft. Wir sollten uns aus allen Siedlungen zurückziehen und Ost-Jerusalem den Palästinensern geben, sie verdienen ihr eigenes Land.
Laut Umfragen befürworten eine große Mehrheit der Israelis den Frieden, sehen aber keinen Partner auf der palästinensischen Seite.
Geffen. Irgendwann ist es eben schwierig in einem Volk, das täglich zu einem Checkpoint muss und manchmal nicht genug Wasser, Nahrung und Medizin hat, einen Partner zu finden. Wir sollten ihnen einfach als Zeichen des Respekts ihr Territorium geben. Dann wird es auch Partner geben.
Sie haben nun auch eine englische Version von „We are a fucked up generation“ aufgenommen. Das hebräische Original hat 1993 Israel aufgewirbelt – war es ein Lied über die spezifische Situation der Jugend in Israel oder ist es beliebig international ausdehnbar?
Geffen: Das Lied handelte nie nur von Israel. Es geht um uns alle in diesem beschissenen Leben. Ob in Israel oder in Deutschland, wir sind eine abgefuckte Generation. Es gibt diese große Leere zwischen den Informationsmöglichkeiten und dem Individuum. Ich bin ein Offline-Junge in einer Online-Welt und ich habe dieses Lied für alle geschrieben, die sich auch verloren fühlen.
Stimmt es, dass manche Ihrer Lieder in Israel verboten sind?
Geffen: Ein paar Lieder werden im Radio nicht gespielt, aber ich kann nicht sagen, dass sie gesetzlich verboten sind. Es geht natürlich um die Texte, die kritisch mit der Regierung oder der Armee ins Gericht gehen. Aber wenn du an dem Punkt bist, dass deine Lieder nicht gespielt werden, dann hast du wohl etwas gesagt das manche Leute verletzt hat. Du hast vielleicht eine Wahrheit aufgedeckt, die manche lieber verstecken würden.
Eine Songzeile Ihres Album lautet „Don´t send your son when the country calls you“. Befürchten Sie als Vater, dass Ihr Sohn auch Militärdienst wird leisten müssen?
Geffen: Ja, ich habe Angst davor dass er sich mit der gleichen Situation auseinandersetzen muss, die wir jetzt haben.
In „Heroes“ geht es auch darum, lebendigen Menschen mehr Wert als Steinen beizumessen. Deshalb bin ich ein neuer Israeli: ich glaube nicht an Gott, sondern wir sind alle Götter und haben Gott nur als Mittel gegen unsere Einsamkeit erfunden.
Glauben Sie, dass Künstler mit einem politisch linken Image wie Sie oder Hadag Nachash einen großen Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess in Israel haben?
Geffen: Ja, ich glaube schon das ich etwas verändert habe und meiner Generation ein bisschen die Augen geöffnet habe. Musik kann die Welt verändern. Lennon, Hendrix und Dylan haben mein Leben verändert. Eine Gitarre, ein Stift und ein Blatt Papier sind die tödlichsten Waffen die man haben kann.
Ich glaube schon das ich etwas verändert habe und meiner Generation ein bisschen die Augen geöffnet habe
Sie sind der Neffe des Kriegshelden Moshe Dayan, während Ihre Eltern eher als Hippies beschrieben werden. Wie kamen Sie in der Familie klar?
Geffen: Wir haben die Kette gebrochen. Mein Onkel Moshe Dayan war ein typischer Macho-Führer, es gibt die Fotos wie er Jerusalem erobert – und dann gibt es eben Bilder von mir mit Make-up. Das ist Israel, ein sehr kleiner Ort mit sehr weit auseinandergehenden Meinungen.
Ihre Musik klingt sehr europäisch und erinnert an „The Smiths“. Können sich die Hörer in Israel, einem Land wo es nicht so grau und verregnet ist, damit identifizieren?
Geffen: Ich sehe meine Wurzeln in den 70ern, bei eher dunkler Musik wie der von Nick Cave. Man kann von meiner Musik nicht darauf schließen, dass ich aus Israel komme. Aber es kann ja auch niemand von Björks Musik darauf schließen, dass sie aus Island stammt. Mein Produzent wollte jetzt einfach ein Album mit meinen besten Liedern herausbringen, um mich dem Rest der Welt vorzustellen.
Leben Sie momentan in Israel?
Geffen: Nein, in London.
In Israel sind Sie ein Star während man Sie hier erst noch kennenlernen muss. Fangen Sie gerade eine zweite Karriere an?
Geffen: Ja, es ist ein zweites Leben. Kapitel B. Es ist sehr erfrischend, ich drücke sozusagen auf Neustart. Ich habe ein Lied von mir in Frankfurt im Radio gehört und auch in München auf Bayern3 – das ist eine schöne neue Welt.
Können Sie sich auf Englisch so gut ausdrücken wie auf Hebräisch?
Geffen: Das ist für mich das Gleiche. Ich lebe in London, mein Vater hat in London und Manhattan gelebt – wir waren immer in Bewegung.
Viele israelische und jüdische Künstler haben intensive Gefühle wenn sie zum ersten mal in Deutschland spielen. Erging es Ihnen ähnlich?
Geffen: Ja, beim ersten Mal war es merkwürdig, da wir die Sprache nur aus den Geschichtsfilmen kennen. Und weil ich auch einen Teil meiner Familie im Holocaust verloren habe.
Aber als ich dann die junge Generation hier kennengelernt habe, hat sich mein Bild drastisch verändert. Ich ging auf Tour in Deutschland und habe hier eines meiner besten Konzerte gegeben. Mittlerweile habe ich viel Kraft, Zeit und Liebe in dieses Land investiert, was man auch auf dem Album hört, wie ich finde.
Ist London für Sie auch eine Liebes-Beziehung?
Geffen: Eher ein One-Night-Stand mit einer alten Frau, die hässlich ist aber dir den besten Sex deines Lebens bietet.
Es würde also nicht für eine Fernbeziehung reichen?
Geffen: London ist ein toller Ort für Künstler mit all den Studios. Es wäre für mich hart in Israel zu leben und zu versuchen, es von dort aus in Europa zu schaffen.
Sie sind nicht religiös und betonen auch nicht besonders Ihre Herkunft – können Sie trotzdem die starken emotionalen Bande von Juden in der Diaspora mit Israel nachvollziehen?
Geffen: Ja, aber manchmal ist es überzogen. Wenn Leute von Außerhalb während des Krieges schreien, dass wir es den Arabern mal richtig zeigen sollen. Denn sie leben eben nicht in dieser Situation. Aber manchmal ist es emotional sehr schwierig, wenn man so weit weg von Zuhause ist und dann reagiert man über.