Herr Prahl, kennen Sie „Die Supernanny“?
Prahl: Ja.
Was halten Sie von dieser Reality-TV-Show, in der überforderte Eltern vor laufender Kamera zur Erziehung erzogen werden?
Prahl: Gewisse Sachen kann man da durchaus lernen. Man kommt eben immer wieder an Grenzen im Umgang mit Menschen, die man liebt, wo man sich nicht mehr zu helfen weiß, wie man auf den anderen reagieren soll.
Piet, der allein erziehende Vater den Sie in „Mondkalb“ spielen, reagiert manchmal zu hart. Wie hätte er das vermeiden können?
Prahl: In dem Moment, wo man merkt, dass man überfordert ist und kurz davor ist, sich körperlich gegen dieses Gefühl zu wehren, ist es das Klügste, sich aus der Situation raus zu ziehen. Da muss man kurz mal Abstand gewinnen, sich beruhigen und die Situation erstmal für sich lösen und dann mit dem anderen.
Auch wenn die Vernachlässigungen und Tötungen von Kindern, die in der letzten Zeit die Schlagzeilen beherrschten über das Geschehen in ihrem Film weit hinaus gehen, ist die Hilflosigkeit der Täter doch vergleichbar, oder?
Prahl: Dass der Film diese erschreckende Aktualität bekommen würde, hätten wir damals nicht für möglich gehalten. Diese Probleme sind allerdings auch ein Produkt unserer Mediengesellschaft. Computer und das Internet fördern nicht nur die Vereinsamung. Sie ermöglichen Kommunikation ohne wirkliche Auseinandersetzung mit einem anderen Menschen und die ist entscheidend für die Bildung einer eigenen Identität. So sehr das Internet einem einerseits Freiheiten bietet, auch die eigenen Abgründe anonym auszuleben, so wenig hilft es uns dabei, mit diesen Abgründen umzugehen.
Der Preis der zunehmenden Unabhängigkeit durch Technik ist also eine verminderte Lebensfähigkeit derer, die sie nutzen?
Prahl: Sozusagen. In Deutschland kommt noch ein weiteres Problem dazu. Hier mokieren sich viele Menschen über die Höhe des Arbeitslosengeldes, was in gewissen Relationen ja auch berechtigt sein mag. Aber in Italien zum Beispiel gibt es diese Form sozialer Sicherung nicht. Wir pflücken eben nicht mehr selbst die Äpfel von Bäumen, oder holen uns Feuerholz aus dem Wald, man ist gewohnt, dass es einem besorgt wird. Wir sind eine Nehmergesellschaft und dementsprechend unfähig ist man dann oft, wenn ein Kind da ist, dem man erstmal immens viel geben muss, an Zeit und Kraft Aufmerksamkeit.
Was die Höhe des Arbeitslosengeldes angeht, wäre ein pauschales Bürgergeld, das immer wieder diskutiert wird eine Lösung?
Prahl: Dass es sich für den Staat letztlich rechnen würde, jedem Bürger pauschal 1000 Euro im Monat zu zahlen, kann ich mir schon vorstellen. Aber die Menschen wollen ja nicht nur Geld. Sie wollen eine Beschäftigung, sie wollen gebraucht werden, sich sinnvoll fühlen. Wenn ein Mensch etwas gelernt hat, möchte er in dem Beruf auch gerne tätig sein. Da ist es mit Geld nicht getan. Das ist eben ein Trugschluss der heute herrscht. Wenn jemand etwas investiert, investiert er eher in Maschinen, aber nicht in menschliche Arbeitskraft, Talente, Geschick. Das ist ein falscher Weg.
Sie haben selbst vier Kinder. Können Sie denen noch glaubhaft vermitteln, dass es sinnvoll ist, zum Beispiel eine Ausbildung zu machen?
Prahl: Ich versuche ihnen eher einen realistischen Blick auf die Welt zu vermitteln, dass ihnen auch mit einem Abschluss niemand eine Arbeit garantiert. Ich versuche ihnen ein breiteres Verständnis von Arbeit zu geben. Man kann eben auch Zeitungen austragen und Erntehelfer sein, wie ich es selbst früher gemacht habe.
Aber diese Flexibilität erfordert Selbstbewusstsein und ein wenig ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis.
Prahl: Kinder sind sehr, sehr verschieden und kommen schon mit einem unterschiedlichen Selbstbewusstsein auf die Welt. Man kann sie nur in ihrer Persönlichkeit stärken in dem man sie fragt: Was ist deine Qualität, deine Fähigkeit, was kannst du 24 Stunden am Tag tun, ohne dass es dich langweilt? Auch Ausdauer kann eine Fähigkeit sein. Selbst TV-Junkie zu sein ist eine Begabung, mit der man es zu etwas bringen kann, wie man an Stefan Raabs „TV Total“ sieht. (lacht)
Selbst TV-Junkie zu sein ist eine Begabung, mit der man es zu etwas bringen kann, wie man an Stefan Raab sieht.
Sehen Sie selbst viel Fern?
Prahl: Ich komme fast nie dazu, weil ich viel zu tun habe. Und wenn ich mal zu Hause Zeit habe, lese ich ein Buch. Meistens ein Drehbuch (lacht). Aber natürlich habe ich manchmal auch das Bedürfnis, wenn ich nach Hause komme, mich einfach vor die Glotze zu setzen. Und dann schlafe ich auch meistens irgendwann davor ein. Das Fernsehen ist eben eine Betäubungsmaschine, aber eben auch ein Beschäftigungsapparat, der ganz gut funktioniert, vor dem Bildschirm und in der Fernsehindustrie. Das ist ja durchaus positiv.
Um auf „Mondkalb“ zurück zu kommen: da geht es nicht nur um einen Vater-Sohn-Konflikt. Piet verliebt sich auch in seine Nachbarin Alex. Fasziniert sie ihn, weil sie gerade aus dem Gefängnis entlassen worden ist?
Prahl: In erster Linie entwickelt sich seine Zuneigung über ihren Zugang zu seinem Sohn Tom. Ich habe mir überlegt, dass Piets Frau, Toms Muter, die sich umgebracht hat, schwer depressiv war. Und so wie Tom die neue Nachbarin Alex als eine Mutterfigur zunächst annimmt, sieht Piet in ihrer Verschlossenheit auch Ähnlichkeiten zu seiner Frau. Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass man sich vor allem für einen gewissen Menschenschlag interessiert. Sie ist sehr verschlossen und weckt in ihm den Willen, zu ihr durchzudringen – vielleicht auch, weil er das bei seiner Frau nicht geschafft hat.
Alex versucht sich hingegen wieder im Leben zurechtzufinden, in dem sie sich von anderen Menschen abschottet. Kann das funktionieren?
Prahl: Nein, auf keinen Fall. Kommunikation mit anderen ist lebensnotwendig.
Könnte man analog zur vorhin erwähnten technisierten Unabhängigkeit sagen, dass in Alex’ Fall ihre gewonnene Freiheit auch ihre Unsicherheit vergrößert, das Unwissen wie man mit Anderen umgehen soll?
Prahl: Ja, Freiheit kann auch überfordern, aber in jeder Beziehung. Wenn ich in den Laden gehe und mich zwischen 20 Turnschuhen entscheiden muss, gehe ich ohne Schuhe wieder raus, weil ich mich nicht entscheiden kann. So gesehen hatte es in der DDR durchaus seine Vorteile, sich mit einem geringeren Angebot begnügen zu müssen.
Das heißt, das Angebot müsste verknappt werden, um die Menschen glücklicher zu machen?
Prahl: Auch das nutzt die Warenwirtschaft ja schon längst aus, bei der Keksschokolade von Milka zum Beispiel. Die wird nur produziert, wenn alle anderen Sorten ausgegangen sind. Das Besondere erweckt eben auch Begehrlichkeiten.
Ein Prinzip, das sich nur bedingt auf Beziehungen übertragen lässt.
Prahl: Na, es heißt doch: Willst du gelten, mach dich selten. (lacht) Aber auch da gilt es, einen gesunden Mittelweg zu finden. Man muss darauf achten, seine Familie nicht zu vernachlässigen, weswegen es nicht gut ist, zuviel unterwegs zu sein. Andererseits ist es auch gut, wenn beide Partner für sich sein können. Ich freue mich jedenfalls immer richtig, nach Hause zu kommen, was nicht jeder Berufstätige von sich sagen kann. Da führt der Weg vom Büro zur Familie ja gerne erstmal über die Kneipe oder die Spielhölle. (lacht)
Sie haben vor einiger Zeit in dem Musikvideo „Wenn es passiert“ der Band Wir sind Helden mitgespielt. In dem Lied geht es um das Gefühl, etwas zu verpassen, nicht im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein. Kennen Sie das Gefühl?
Prahl: Ich bin grundsätzlich eher ein Mensch, der in der Gegenwart, im Moment lebt und ich hatte nie Angst, etwas zu verpassen. Daher greife ich in dem Video ja auch zu, als sich mir die Chance bietet, einen Traum wahr werden zu lassen und ich lasse mir von einem Indianerstamm eine Irokesenfrisur verpassen.
Als Sie erst mit 34 Jahren ihre erste Filmrolle übernahmen, hatten Sie da nicht das Gefühl, vorher etwas verpasst zu haben?
Prahl: Keinesfalls. Ich habe in der Zeit vorher auch ungeheuer viele Erfahrungen gemacht und gelernt, dass es auch in den schrecklichsten Erfahrungen etwas Positives gibt, das man aus ihr lernen kann.
Zum Beispiel?
Prahl: Ohne die Trennung von meiner ersten Frau wäre ich nicht in Berlin gelandet und dann wäre vieles in meinem derzeitigen Leben anders verlaufen.