Herr Prahl, wie geht es Ihnen gerade?
Axel Prahl: Am Tag eines solchen Interview-Marathons fühle ich eine wohlige Entspanntheit, fast schon Mattheit. (lacht) Man hat das Gefühl, dass man permanent das Gleiche erzählt. Insofern bin ich sehr dankbar für diese erste Frage, denn sie bietet einen Hauch von Abwechslung. Ich kann antworten: Ich kann mich nicht beklagen.
Man muss sich also keine Sorgen machen, dass Ihnen Ihr neuer Film „Kafkas Der Bau“ aufs Gemüt geschlagen ist? Immerhin wurde hier eines der wohl düstersten Stücke der Weltliteratur in der angeblich hässlichsten Stadt Deutschlands verfilmt…
Prahl: Nein, Sorgen muss man sich nicht machen. Aber ist das so? Warum sollte Saarbrücken so hässlich sein?
Es geht um Völklingen, die Stadt in der Nähe von Saarbrücken. 1993 wurde sie im Zuge einer RTL-Umfrage zur hässlichsten Stadt Deutschlands erklärt.
Prahl: Ach so. Aber dort sind ja nur Teile des Films gedreht worden und zwar in der ehemaligen Stahlhütte. Und die ist alles andere als hässlich. Sie gehört mittlerweile zum Weltkulturerbe. Sie ist der Natur überlassen worden und dort entsteht eine unglaublich Landschaft, einfach nur wunderschön. Selbst wenn man da als Privatmensch hingeht, kommt man aus dem Fotografieren gar nicht mehr heraus. Das ist irrsinnig, wie diese monumentalen Bauwerke da verfallen.
Macht Sie das als ehemaliger Fast-Stahl-Arbeiter nicht auch ein bisschen sentimental?
Prahl: (Lacht) „Ehemaliger Fast-Stahl-Arbeiter“ ist nur annähernd gut recherchiert. Ich habe ein Grundbildungsjahr Metall absolviert, im Zuge einer Maßnahme, während der ich meinen Realabschluss nachgeholt habe. Vielfach wurde in der Presse kolportiert, ich hätte einen Metall-Beruf abgebrochen. Das stimmt so nicht. Aber angesichts solcher Industrieanlagen staune ich immer wieder, was für eine Logistik und für ein Knowhow dahinter steht, solche Riesenanlagen zu bauen. Das ist gigantisch. In Völklingen wurde das nun der Natur zum Fraß vorgeworfen. Und die Natur frisst es auch willig. Als ich das sah, dachte ich nur: Die Natur setzt sich immer durch, egal, was wir hier treiben. Wir sind eigentlich nur Amöben in diesem Kosmos.
Wir sind eigentlich nur Amöben in diesem Kosmos.
Franz, den Sie in „Kafkas Der Bau“ spielen, fühlt sich gefangen. In Kafkas Original ist er aber kein Mensch, sondern ein Dachs…
Prahl: Das mutmaßt man zumindest, ja. Es steht nichts von einem Dachs drinnen. Für einen Fuchs ist er aber zu gesetzt, auf jeden Fall ist er ein Tier. Als Jochen Alexander Freydank, der Regisseur, mich anrief und mir sagte: Ich würde gerne mit dir diesen Film machen, da habe ich natürlich auch erstmal mein Reclam-Heftchen rausgepult und nachgelesen, worum es da überhaupt geht. Richtig überrascht hat mich dann aber erst das Drehbuch und zwar sehr positiv. Auch diese ganzen surrealen Bilder, die schon in dem Buch beschrieben waren, da dachte ich: Klasse! Hätte ich sowas damals als angehender Lehrer in die Hand bekommen…
Sie haben vor dem Schauspielstudium in Kiel einige Jahre auf Lehramt studiert…
Prahl: Genau. Das wäre doch toll gewesen: Wir lesen erstmal einen Text von Kafka. Was sagt euch das? Was ist das für eine Geschichte? Was ist dieses Tier, warum reagiert das so? Gibt es Parallelen zu uns? Und dann könnte man sich diesen Film ansehen…
Was hat dieser Franz für ein Problem? Ist er ein Wohlstandsbürger, der zu viel Freizeit hat und sich daher zu viel mit sich selbst und seinen Ängsten beschäftigt?
Prahl: Eine interessante, für mich neue Ausdeutung. (lacht) Aber auch die entspricht sicher der Gesellschaftskritik, die mittels dieses Films formuliert werden soll.
Im Gegensatz zu anderen berühmten Kafka-Erzählungen kommt die Bedrohung hier gar nicht unbedingt von außen, von der Justiz oder der Bürokratie. Franz scheint sich mehr durch seine eigene Grübelei in den Wahnsinn zu steigern.
Prahl: Ja, aber gleichzeitig spiegelt er auch seine Umwelt: Seinen Nachbarn, die Sicherheitsleute, die vor seinem Haus Wache stehen und diese kalte, effiziente, Sicherheit suggerierende Architektur, die ihn umgibt. Es wird uns ja permanent eingetrichtert, wir müssten uns absichern. Neuerdings müssen zum Beispiel in Einfamilienhäusern Rauchmelder eingebaut werden. Sicherheit spielt eine ganz große Rolle, aber natürlich stecken dahinter auch immer wirtschaftliche Interessen. Man möchte ja auch ein paar Rauchmelder mehr verkaufen.
Das heißt, Franz‘ Sicherheitsbedürfnis ist sein eigenes Problem, das aber mithilfe der Politik von der Wirtschaft verstärkt und ausgebeutet wird?
Prahl: Deshalb würde ich eben behaupten, dass „Der Bau“ schon Kafkas „Das Urteil“ oder „Der Prozess“ ähnelt. Es gibt von außen den Druck eines Apparates, den man nicht sieht, der aber dafür sorgt, dass man sich unsicher fühlt. Allein die Unmöglichkeit von absoluter Sicherheit sorgt für ein wachsendes subjektives Bedrohungsgefühl, das eigentlich total unverhältnismäßig ist. Aber beim Einzelnen kann es zur Abschottung führen, zur Angst vor dem Fremden, zu dem, was die Trendforscher Cocooning nennen.
Cocooning bezeichnet den Rückzug aus der Öffentlichkeit ins häusliche Privatleben.
Prahl: Genau. Und in den eigenen vier Wänden kann sich die Angst vor dem Fremden geradezu beliebig steigern, wovon wiederum Bewegungen wie PEGIDA profitieren.
Wie steht es denn um Ihr eigenes Sicherheitsbedürfnis? Sammeln Sie Versicherungen?
Prahl: Absurder Weise bin ich kürzlich rücklings über eine Monitorbox gestolpert, dabei auf unsere Bratschistin geflogen und habe dabei ihren Bratschenbogen irreperabel zerstört. Dieser Fall wird von der privaten Haftpflicht nicht übernommen, dazu bedarf es einer Betriebshaftpflichtversicherung. Erst recht wenn man Kinder hat, kommt man um bestimmte Versicherungen gar nicht herum. Aber ansonsten bin ich eigentlich eher jemand, der die Haustür unabgeschlossen lassen würde – wenn es nicht versicherungswidrig wäre. (lacht) Ich bin der Meinung, wer rein will, kommt sowieso rein. Wenn sich das Schicksal in den Kopf gesetzt hat, dir Schaden zuzufügen, dann wird es das auch tun.
Zum Schluss nochmal zurück zu den Tieren. Franz Kafka hat immer wieder Tiere zu Protagonisten seiner Geschichten gemacht, z.B. einen Hund, einen Riesenmaulwurf oder einen Käfer. Wenn Kafka Ihr Leben erzählen würde, welches Tier würde Sie dann darstellen?
Prahl: Ganz klar eine Ratte. Vom Anfang bis zum Schluss!