Aylin Tezel

Die Schule hat mich nicht inspiriert.

Sie ist die jüngste "Tatort"-Kommissarin und aktuell in der Beziehungskomödie "Coming in" zu sehen. Im Interview spricht Aylin Tezel über ihren Weg auf die Bühne, Körpersprache, ein Praktikum beim Friseur, Probleme im Schulsystem und warum sie gerne unerkannt bleibt.

Aylin Tezel

© Summerstorm Ent. / Warner Bros. Ent.

Frau Tezel, Ihr Vater ist Arzt, Ihre Mutter Kinderkrankenschwester. Hatten Sie nie vor, Medizin zu studieren?
Tezel: Mein Vater hatte glaube ich schon eine Zeit lang die Hoffnung, dass ich in seine Fußstapfen trete. Als Kind habe ich das auch mal gesagt, dass ich gerne Kinderärztin werden will, weil ich beeindruckt war von der Arbeit meiner Eltern. Auf der anderen Seite habe ich schon mit sechs Jahren getanzt und mit zwölf fing ich an, mir die ganzen Reclam-Ausgaben von Theaterstücken zu kaufen.

Eine Zwölfjährige kauft sich Reclam-Hefte?
Tezel: Ja, vielleicht war das schon der erste Moment, wo man hätte sagen können: Irgendetwas stimmt nicht mit dem Kind. (lacht) Aber ich habe mir tatsächlich diese Theaterstücke durchgelesen.
Durch das Tanzen hatte ich ja erste Bühnenerfahrung und mit 13, 14 war ich mir sicher, dass ich Schauspielerin werden will. Ich habe diesen Wunsch damals aber noch für mich behalten.

Warum?
Tezel: Nun ja, in Sachen Film gibt es in Bielefeld keine Möglichkeiten. Wenn man in Berlin, Köln oder Hamburg groß wird, ist das anders, dort gibt es Kinderagenturen, kleine Fimprojekte…

Also haben Sie erstmal getanzt.
Tezel: Ja, Tanz war immer da. Zuerst war ich auf einer Kinderballettschule, wobei ich mich da noch gescheut habe. Ich war ein unglaublich schüchternes Kind, ich habe oft versucht, meiner Mutter zu sagen, ich hätte Bauchschmerzen und könnte nicht zum Unterricht. Aber sie hat mich zum Glück trotzdem hingeschickt. Später habe ich mich dann richtig in den Tanz verliebt, als ich mit 14 zu Stefan Kunzke an die Tanzschule „PartsS- Performing Arts Studio“ kam. Dadurch konnte ich zum Beispiel bei einer Aufführung des Musicals „Black Rider“ dabei sein, auf der Bühne des Theater Bielefeld. Die Kostüme, die Maske, der Bühnengeruch, die Schauspieler beobachten zu können – nach all diesen Dingen bekam ich eine große Sehnsucht. Weshalb ich mich irgendwann traute, Stefan Kunzke zu sagen, dass ich gerne Schauspielerin werden möchte.

Eine Art Coming-out.
Tezel: Ja, das war mein Coming-out in die Schauspielwelt. Stefan Kunzke hat mir gesagt, ich müsse dafür trainieren, weshalb ich dann erstmal privaten Schauspielunterricht genommen habe.

Welche Rolle spielte für Sie der Tänzer Royston Maldoom, über den Sie einen Dokumentarfilm gedreht haben?
Tezel: Maldoom ist eine sehr inspirierende Persönlichkeit. Er hat in seiner Arbeit einen sehr menschlichen Ansatz. Er ist Mitbegründer des „Community Dance“, also jene Form von Tanz die alle Menschen umarmt, egal welche Voraussetzungen sie haben, egal woher sie kommen, ob sie eine Behinderung oder keine haben, egal, wie alt sie sind. Der Prozess des gemeinsamen Trainierens und Tanzens, der macht etwas mit den Menschen, das gibt einem ein Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl. Mir gefällt diese Philosophie sehr gut, weil sie meiner Liebe zu Menschen entspricht. Weil ich auch jemand bin, der sehr tolerant und offen für unterschiedlichsten Persönlichkeiten ist.

Was nimmt man mit, aus dem Tanz ins Schauspiel?
Tezel: Ich glaube, man hat dadurch ein anderes Gefühl für seinen Körper. Egal um was für eine Situation es geht, ich kann das mit meinen Körper transportieren. Und ich kann mir für bestimmte Rollen eine passende Körperlichkeit aneignen. Das sollten Schauspieler natürlich grundsätzlich können, aber durch meine lange Beschäftigung mit Tanz, mit Bewegung, mit dieser anderen Form von Sprache, bringe ich ein Vorwissen mit. Das hat mir schon immer geholfen.

Zitiert

Wenn wir über uns selbst lachen können, ist das befreiend.

Aylin Tezel

Bereuen Sie es eigentlich, dass Sie Ihr Studium an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch abgebrochen haben?
Tezel: Nein, das habe ich nicht eine Minute bereut. Wobei ich mich mit der Entscheidung lange rumgequält habe. Ich war noch jung, 22, ich kam aus Bielefeld nach Berlin und dachte: Jetzt geht das Leben los, mit der Schauspielschule. Doch dann habe ich gemerkt: Das ist nicht mein Platz. Ich lernte dort nicht, wonach ich mich gesehnt habe, mir persönlich war es zu engstirnig. Die Lehrer dort fahren eine sehr klare Linie und viele Schauspieler starten nach dem Abschluss erfolgreiche Karrieren. Ich kam aber von einem breiter gefächerten Verständnis von Kunst her und habe mich deswegen an der Schule nicht wohlgefühlt. Als ich das abbrach, war das ein Sprung ins Risiko. Ich habe dann zunächst meine Tanzpädagogenausbildung gemacht, in Bielefeld angefangen zu unterrichten und meine ersten Filme gedreht. Das war dann der Start.
Ich merke heute, dass man sich mit jedem Film weiterentwickelt, mit jedem Projekt lernt man etwas Neues dazu.

Für den „Tatort“ haben Sie bei der Polizei hospitiert, für „Coming in“ ein Friseurpraktikum gemacht. Sind Sie Verfechterin des Method-Acting?
Tezel: Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung von Method Acting, von Stanislawski und wie sie alle heißen. Schließlich habe ich die Schauspielschule ja abgebrochen. (lacht)
Ich habe meine eigenen Schauspielmethoden entwickelt und ich finde, es kommt immer darauf an, was die Rolle erfordert. Wenn ich eine Friseurin spiele, möchte ich natürlich nicht, dass mich das Schneiden verunsichert und in meinem Spiel behindert. Ich will, dass mir das so von der Hand geht, als würde ich das schon sehr lange machen. Und beim „Tatort“ möchte ich, dass man mir die Polizistin abnimmt. Dafür muss ich mir die Polizistin aber erstmal selber abnehmen, ich muss das Ganze so gut trainiert haben, dass ich mich damit sicher fühle.

War Ihnen deshalb auch das Schießtraining wichtig, wie Sie einmal erwähnten?
Tezel: Ja, das Schießtraining war mir wichtig, aber auch, bei echten Vernehmungen dabei zu sein. Das macht etwas mit einem. Man sammelt für jede Rolle erstmal ganz viel Input.

© Warner Bros Ent.

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Wie ist es Ihnen beim Friseur-Praktikum ergangen?
Tezel: Ich habe in Berlin-Neukölln in einem Friseursalon gearbeitet. Ich bekam eine Übungspuppe, an der ich Haare geschnitten und Dauerwelle gemacht habe…

Keine echte Klienten?
Tezel: Doch, aber denen durfte ich nur die Haare waschen und föhnen.

Wussten die Kunden, wer ihnen da gerade durch die Haare geht?
Tezel: Nein. Ich habe mich denen immer als „Heidi“, als die neue Auszubildende vorgestellt. Damit alles so ist wie immer und wir keine Gespräche über meinen Beruf führen müssen. Ich wollte ja einen realen Einblick in einen Friseursalon bekommen, so wie es tag täglich abläuft.
Es gab allerdings die Situation, dass ich abends im Fernsehen zu sehen war, und am nächsten Tag eine Kundin zu mir sagte: „Ich habe gestern so ein junges, süßes Mädchen im Fernsehen gesehen, die sah Ihnen ganz ähnlich.“ Ich habe dann geantwortet, dass man mich oft mit dieser Prominenten verwechseln würde.

Sie werden nicht gerne erkannt?
Tezel: Ich habe oft einfach keine Lust auf die Fragen, die dann kommen. Wen man Berühmtes kennt usw. Ein anderer Grund ist sicher, dass da noch das schüchterne Mädchen in mir durchkommt. Deswegen ist meine erste Reaktion immer: Nein, nein, ich bin das nicht.

Als „Tatort“-Kommissarin dürften Sie nun häufiger in so eine Situation kommen.
Tezel: Da wächst man mit der Zeit aber auch rein. Vor sechs, sieben Jahren war ich noch unsicherer, weil ich erstmal verstehen musste, wie die ganze Filmwelt funktioniert. Heute kann ich das besser einschätzen, ich kenne die Ups und Downs im Filmgeschäft.
Wichtig ist für mich in erster Linie, dass ich eine gute Leistung abliefere. Klar, es ist toll, wenn viele Menschen deinen Film sehen, aber das darf nicht die Prämisse sein. Selbst wenn ihn am Ende nur meine Geschwister sehen, will ich trotzdem, dass ihnen der Film gefällt.

Wie haben Sie reagiert, als das „Tatort“-Angebot kam?
Tezel: Ich wollte mir erstmal genau anhören, warum sie mich – mit gerade erst 28 Jahren – für den „Tatort“ haben wollen. Ich fand das Konzept dann sehr gut, dass es ein Ermittler-Team aus vier Leuten ist, was der Realität der Polizeiarbeit näher kommt. Mir gefiel die horizontale Erzählweise und dass es auch private Geschichten der Protagonisten gibt, die sich durch die Folgen hindurchziehen. Ich spiele außerdem mit spannenden Kollegen und wir drehen in einer Region, die mir vertrauter ist als andere Teile Deutschlands. Meine Großeltern mütterlicherseits kommen dort her, ich war früher viel bei ihnen in Marl und meine Mutter ist in Recklinghausen geboren.

Wir sprachen vorhin über das Gefühl für den Körper beim Tanzen. Können Sie die Körpersprache anderer gut analysieren?
Tezel: Ja, total. Meine Ausbildung in Tanzpädagogik habe ich mit einer Arbeit über Körpersprache im Tanz abgeschlossen. Ich denke, man erfährt über einen Menschen viel mehr, wenn man auch auf seine Körpersprache achtet, anstatt nur auf das zu hören, was er sagt.

Erkennen Sie an der Körpersprache, ob jemand schwul ist?
Tezel: Ich denke, das ist weniger die Körpersprache, eher eine Energie, die man spürt. Ich als Frau kann das meistens merken, wenn ein Mann schwul oder bisexuell ist. Schwule Männer strahlen eine andere sexuelle Energie aus, sie reagieren auf Frauen natürlich anders als auf Männer.

In „Coming in“ gibt es eine ganze Reihe von schwulen Männern. Würden Sie sagen, ein ‚Coming-out‘ ist in Deutschland heute gesellschaftlich akzeptiert?
Tezel: Mir gefällt die Tatsache, dass wir nach einem sehr langen Kampf und einer schweren Zeit für Schwule über Dinge wie den Schwulen-Paragraphen inzwischen hinweg sind. Und gerade eine Komödie wie „Coming in“ zeigt, das wir schon einen großen Schritt gemacht haben – weil wir drüber lachen können. In dem Moment, wo man anfangen kann, über sich selbst zu lachen, wo auch Schwule über sich selbst lachen können, ist das ganze verkrampfte Herangehen an das Thema ein Stückweit aufgelöst, das ist wie eine Art Befreiung.
Bei dem Film „Almanya – Willkommen in Deutschland“ ging es mir ähnlich. Da hatte ich das Gefühl, dass viele Menschen glücklich darüber waren, endlich mal über die ganze Integrationsproblematik lachen zu können. Weil dem Zuschauer klar wurde, aus was für Dingen man manchmal so große Probleme macht. Gemeinsam drüber lachen – ich glaube, damit sollte man häufiger den schwierigen Themen im Leben begegnen.

In „Coming In“ werden die Unterschiede zwischen den Berliner Bezirken recht klischeehaft dargestellt, Neukölln ist alternativ, Berlin-Mitte ist hipp… Können Sie diese Unterschiede bestätigen?
Tezel: Ja, das gefällt mir sehr in Berlin oder auch in Großstädten wie London oder New York. Dort gibt es so unterschiedliche Menschen, Nationalitäten, Bezirke und Flairs, dass man manchmal das Gefühl hat, in eine ganz andere Stadt zu kommen, obwohl man nur den Bezirk gewechselt hat. In Berlin kann auch jeder sein, wie er will, das finde ich sehr befreiend. In Bielefeld wäre das anders, dort fällt man sehr schnell auf, wenn man ein bisschen aus der Norm ausbricht.

Coming In PlakatWar Ihnen das zu Schulzeiten wichtig, aus der Norm auszubrechen?
Tezel: In der Schule bemüht man sich ja meistens, jemand Bestimmtes zu sein, um zu einer Gruppe dazugehören zu können. Das war manchmal anstrengend, weshalb ich auch froh bin, dass ich meine Jugend hinter mir habe. Ich hatte das Gefühl, richtig aufzublühen, als ich aus der Schule raus war. Mein echtes Leben, das Tanzen, die Schauspielerei, so etwas fand in meiner Schule ja gar nicht statt.

Ihre Filme „Am Himmel der Tag“ und „3Zimmer/Küche/Bad“ waren beide eine Art Generationenportrait, das die Ratlosigkeit junger Menschen thematisiert hat. Können Sie diese Orientierungslosigkeit nachvollziehen?
Tezel: Absolut. Meine Inspiration bekam ich ja nicht durch die Schule. Wer ich bin, wo meine Stärken liegen und was aus mir werden könnte, das habe ich dort nicht gelernt. In der Schule ging es nur darum, Dinge auswendig zu lernen, Klausuren zu bestehen und dem Lehrer nach dem Mund zu reden.
Das ist etwas, was die Schulen ändern müssen: Man sollte die jungen Menschen als Individuum sehen und sie dort abholen, wo sie sind, anstatt sie alle in einen Topf zu stecken und sie in so jungen Jahren schon zu beurteilen und damit auch ein Stück weit zu verurteilen. Man nimmt ihnen so schon früh das Selbstbewusstsein, das Selbstwertgefühl, verunsichert sie und gibt ihnen das Gefühl, dass ihre Stärken nicht ausreichen. Dann kommen sie aus der Schule und müssen irgendwas studieren, die meisten studieren dann auch irgendwas – aber oft entspricht ihnen das überhaupt nicht. Ich habe das Gefühl, dass sehr unfertige Menschen aus der Schule kommen, die dann auf den Lebensmarkt geschmissen werden und überhaupt nicht wissen, wohin mit sich. Es fehlt in unseren Schulen, dass diesen jungen Menschen eine Stärke mitgegeben wird und die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren und das Besondere in sich selbst zu sehen.

Ein Kommentar zu “Die Schule hat mich nicht inspiriert.”

  1. Dr. Rainer Wolfgang Herbert |

    Bei Aylin geht es um. Inneres
    Sehr sehr gut …mag ich sehr
    Wie Sie in einem Interview
    sagte ..ES GEHT UM LIEBE
    war ich begeistert von ihr
    i
    Ich schreibe Jaaaaa
    zu .Mondlicht
    29.11.1983. ist. [7]
    Name ,ist. ( 3 )
    [Intelligenz] (Familie)

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