Shri, zuerst eine Frage bezüglich einer Musikrichtung, der ihr wahrscheinlich mehr zugeordnet werdet – durch Journalisten, Publikum – als ihr es selbst tun würdet: Wie würdest du die aktuelle Situation des Asian Underground beschreiben?
Shri: Asian Underground heute, das ist keine Modeerscheinung mehr. Und das ist sehr gut, denn alles was davon geblieben ist, sind die guten Leute, die richtigen Musiker und die richtigen Hörer. Das ist in etwa wie mit dem Teekochen – du gibst eine Menge Teeblätter in das Netz und unten kommt eben nur das beste, das Aroma, heraus. Ich selbst habe nie ein Instrument in die Hand genommen, um eine Mode, einen Trend zu entwerfen. Ich habe schon immer Musik gemacht, weil das mein Leben ist, und weil es das ist, was ich studiert habe. Wenn nun heute ein Asian-Underground-Song zum Mainstream wird, dann liegt es nicht daran, dass Asian Underground in Mode ist, sondern dann ist es einfach ein guter Popsong. Als ich vor kurzem mit dem Jazzpianisten Jools Holland für das englische Fernsehen zusammen gearbeitet habe, kam der Produzent der Sendung zu mir und sagte, unser Song "Signs" wäre ein guter Popsong. Das will ich hören, und bitte nicht: "das ist ein guter Asian-Underground-Song".
Aber nichts desto trotz werden heute Hunderte von Compilations wie "Buddha Bar", "Asia-Lounge" und so weiter verkauft.
Shri: Ja, davon gibt es in der Tat immer mehr, hier die "Kharma-Bar", da eine "Krishna-Collection", und man bringt indische Götter auf die Cover. In meinem Musikladen haben sie neulich ein Extra-Regal für diese Compilations eingerichtet, jeder indische Gott hat jetzt sozusagen sein eigenes Fach. Das ist schon verrückt. Aber das beruht darauf, dass die Plattenfirmen sich diese pseudo-spirituellen Aspekte bedienen, einem Überbleibsel aus der Zeit, wo Asian Underground besonders hip war.
Glaubst du, dass jene Leute, welche die angesprochenen CDs und vielleicht auch euer Album kaufen, Interesse haben an Indien, an Asien?
Shri: Nein, das wohl kaum. Es ist ja auch so, wenn wir in London oder irgendwo anders in Europa spielen, dann kommen die Leute zu uns ins Konzert, weil sie Badmarsh&Shri hören wollen, und nicht Asian Underground. Die Leute wollen Musik zum Headbangen und zum Chillen, da ist es egal, ob die Musiker aus Frankreich, Indien oder England kommen – Headbanging-Music ist eben Headbanging-Music.
Zu Beginn der Entwicklung des Asian Underground gab es allerdings eine starke politische Artikulation seitens der Musiker, ist diese Zeit vorbei?
Shri: Wenn es um Politik geht, halte ich mich persönlich ein bisschen fern, wobei man auch beachten muss, dass ich aus Indien komme, nicht aus England. Ich bin 1993 das erste Mal nach England gekommen, aber auch heute noch fühle ich mich meiner Kultur sehr verbunden. Ich muss also kein politisches Statement abgeben darüber, wer ich bin. Das einzige was ich versuche, ist realistisch und ehrlich gegenüber meiner eigenen Musik zu sein. Es gibt aber noch genügend Musiker im Asian Underground, die politische Statements abgeben.
Wie würdest du deinen Kompositionsprozess beschreiben?
Shri: Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten wie man komponiert. Entweder es passiert, oder es passiert nicht. Es ist nie schwer und es ist nie leicht. Ich habe die komplexesten Stücke in einer Sekunde geschrieben, und die einfachsten in einer Stunde. Wenn mal nichts kommt, erzwinge ich das nicht. Wenn ich für einen Song eine Basslinie brauche, aber gerade nichts funktioniert, dann gehe ich erst mal ein Bier trinken, komme wieder zurück ins Studio – und irgendwann habe ich meine Basslinie.
Du lebst in London.
Shri: Ja, zusammen mit meiner Frau. Aber meine Eltern und Geschwister leben in Indien. Ich fliege so oft ich kann nach Hause, manchmal schaffe ich es aber nur einmal im Jahr. Meinen indischen Pass habe ich außerdem immer noch.
Nenne mir drei gute Gründe, um in London zu leben.
Shri: Der erste Grund: für mich ist London die Hauptstadt der Musikwelt, die Stadt in der alles wichtige seinen Lauf beginnt. Der zweite Grund: für mich ist das Leben in London eine sehr große Herausforderung. Als ich noch in Indien lebte, konnte man mich vielleicht als den besten Bassgitarristen Indiens bezeichnen. Gut, aber es gab auch nur drei weitere Bassgitarristen in Indien. Wenn mich jetzt jemand den besten Bassgitarristen Englands nennen würde, ja, dann wäre ich sehr froh darüber. Andererseits glaube ich, dass es sowieso keinen besten Bassgitarristen gibt. Und der dritte Grund ist, dass ich England sehr gern habe, England ist schön. London finde ich extrem kosmopolitisch, ähnlich wie Bombay. Du kannst eine Menge Spaß in London haben. Du kannst sehr viel ausgehen, den ganzen Tag, die ganze Nacht.
In meinem Musikladen haben sie neulich ein Extra-Regal für diese Compilations eingerichtet - jeder indische Gott hat jetzt sozusagen sein eigenes Fach.
Würdest du denn auch drei Gründe für Bombay finden?
Shri: Das ist schon schwieriger, denn angenommen ich hätte solche drei gute Gründe, dann würde ich auch in Bombay leben, viel lieber als in London. Aber was mir an London so gut gefällt ist diese Musikvielfalt und das hohe Niveau. Ich selber spiele Bass, Perkussion, Flöte … da glauben die Leute in Indien wahrscheinlich, ich sei verrückt. In England lieben dich die Leute aber gerade dafür, auch dafür, dass du verrückt bist, das ist der Unterschied.
Ich selbst war bisher noch nicht in Indien. Und generell muss man wohl leider sagen, dass in den europäischen Medien nicht gerade viel über Indien berichtet wird. Was sind deiner Erfahrung nach die wesentlichen Klischees, welche Europäer gegenüber Indien haben?
Shri: Also, wenn ich Leuten erzähle, dass ich Inder bin, dann fragt man mich oft: "Aber wieso kannst du dann Englisch sprechen?" Und auch, dass ich als Inder gut Bass spielen kann, versteht nicht jeder sofort. Allerdings trifft man in London sehr viele Leute, die bereits in Indien gewesen sind, deren Großeltern Inder waren oder ähnliches, diese Leute haben eigentlich kaum Klischees. Für mich ist das beste Land für Leute mit Klischees sowieso die USA. In Los Angeles hat mich mal einer gefragt: "Habt ihr eigentlich immer noch Elefanten auf den Strassen und keine Autos?" Viele Amerikaner sind meines Achtens unglaublich primitiv, sie lernen keine andere Sprache, und sie wissen zum Teil überhaupt nicht, was sich außerhalb ihrer Stadt beziehungsweise ihres Landes abspielt. Nein, die kennen oft noch nicht einmal ihr eigenes Land, schon irgendwie komisch.
Was sagt du zur derzeitigen US-Regierung?
Shri: Nun, ich rede nicht besonders gerne über Politik. Nicht über Politik und nicht über Religion.
Bist du religiös?
Shri: Nein, auch wenn ich geborener Hindu bin. Ich bin spirituell, nicht religiös. Und wenn, dann sind die Berge meine Religion, ich bin unheimlich gerne in Gebirgen unterwegs. Schon wenn ich einen Berg sehe, werde ich verrückt.
Vor allem seit den Geschehnissen des vergangenen Jahres mehren sich die Stimmen, welche die Religion als den einzigen Grund für die Kriege dieser Welt ausmachen.
Shri: Genau der Meinung bin ich auch. Religion schafft Unterschiede, weil es eben nicht nur eine gibt. Und dann müssen wir uns entscheiden, welches die beste Religion ist. Aber es ist unmöglich so eine Wahl zu treffen. Das ist genauso, als würde man einen besten Bassgitarristen bestimmen. Aber ob nun Billy Sheehan, Ron Carter oder Shri – jeder hat seinen eigenen Stil und seine Einzigartigkeit, da gibt es nichts zu vergleichen.
Angenommen das Leben ist ein Comic, wer bist du?
Shri: Als Kind habe ich immer davon geträumt, Superman zu sein, weil er die Welt retten kann, er kann eine Rakete aufhalten, eine Bombe entschärfen – er beschützt alle auf der Welt. Ich wollte wie Superman die bösen Menschen in einem Netz fangen, zuschnüren und sie ins All schießen.
Das klingt für mich sehr nach einer amerikanischen Lösung.
Shri: Ja, das war ja auch ein Gedanke meiner Kindheit. Klar ist das keine Lösung für die Probleme auf der Erde. Allerdings muss ich sagen, obwohl ich ein positiv denkender Mensch bin, reicht meine Vorstellungskraft nicht aus, für so eine Lösung der Konflikte auf der Welt. Ich weiß nur, dass die Lösung nicht darin besteht, dass man festlegt, dass das Huhn vor dem Ei kam, und dass die Lösung nicht darin besteht, dass die USA bestimmen, wie die politische Situation im Nahen Osten geregelt werden soll. Bei den ganzen Problemen fragen die Leute mich als Musiker ja auch immer wieder, was meine Message ist. Dann antworte ich, dass ich versuche, gar nichts zu sagen, keine Message. Ich will eine Musik schaffen, in die du mit deinen Gedanken eintauchen kannst, die du genießen kannst und in der du Ruhe findest vor dem ganzen Mist um dich herum. Wir werden doch jeden Tag mit so vielen Botschaften und Zeichen bombardiert; diese Politik ist richtig, die Religion ist falsch, das eine Volk hat Recht, der Politiker ist gut, dieser Gott ist böse … da sage ich einfach nur: CHILL!