Bahman Ghobadi

Die größte Gefahr für die Menschheit sind die Grenzen.

Der Regisseur Bahman Ghobadi über seinen Film "Verloren im Irak" und die Situation der Kurden im Irak

Herr Ghobadi, Sie haben mit "Verloren im Irak" einen Film gedreht, der sich mit dem Schicksal der Kurden im Irak beschäftigt. Richtet sich der Film vor allem an ein kurdisches Publikum?
Ghobadi: Nein, ich richte mich nicht nur an die Kurden. Wir Kurden haben ja bisher keine Kinokultur, erst seit ein paar Jahren entwickelt sich das kurdische Kino. Ich möchte auch keine Unterhaltungsfilme machen, wo die Menschen im Kinosaal nebenbei Popcorn essen, oder etwas trinken. Ich wollte das Leid, den Schmerz der Kurden zeigen, wie sie es im Irak erleben, auch weil ich denke, dass ein Film heutzutage mehr schaffen kann, als viele der großen Politiker. Der Film soll die Menschen dazu bringen, über die Situation der Kurden nachzudenken.

Der Film spielt in der Zeit kurz nach dem Ende des irakisch-iranischen Krieges. Haben Sie diesen Zeitpunkt ausgewählt, weil sich damals die Problematik am schärfsten abzeichnete?
Ghobadi: Ja, das ist ja auch die Zeit, in der Saddam Hussein viele Kurden im eigenen Land umgebracht hat.
Aber lassen Sie uns nicht von Saddam Hussein reden, dieser Mensch ist so wertlos, dass wir seinen Namen überhaupt nicht nennen sollten. Leider ist er ja schon so oft genannt worden, man hat Saddam ja zu einer Art Superstar gemacht. Da wäre es schon besser, wenn wir stattdessen den Namen einer kurdischen Mutter nennen.

Wie sieht die momentane Situation der Kurden im Irak aus?
Ghobadi: Wie in der Vergangenheit, es gibt sehr viele Probleme. Die Menschen wissen nicht, wie es weitergeht, sie haben keine Zukunft – so war es immer. In der Region wird im Moment ein Kriegsfilm gedreht, und die Hauptdarsteller sind Bush und Saddam. Wir Kurden sind in diesem Film die Statisten.
Im Moment versuche viele Kurden, in Dörfer an der Grenze zum Iran zu flüchten, aber sie sind schon immer auf der Flucht, immer unterwegs. Wenn man zum Beispiel einem Kurden im Nordirak einen Brief schicken wollte, das geht nicht, denn es gibt dort niemanden, der eine feste Bliebe hat. Aber das kümmert niemanden, nicht die Europäer und nicht die Amerikaner. Die Europäer sind zwar gegen den Irak-Krieg, aber nicht, weil sie sich um die Menschen sorgen. Würden sie das tun, dann hätten Sie auch damals versucht, den Irak-Iran-Krieg zu stoppen. Das haben sie aber nicht gemacht, die haben sogar Giftgas an den Irak verkauft. Niemand hat gegen das Giftgasmassaker der Iraker an den Kurden bei Halabscha etwas unternommen.
Alle Kurden wünschen, dass Saddam beseitigt wird, wie auch viele Menschen in den Nachbarländern des Irak. Die meisten sind auch für den Militärschlag der USA, weil sie denken, da kommen zwei Engel mit Namen USA und Großbritannien, um sie zu retten. Aber ich denke, auch da wären Zweifel angebracht.

Wie wichtig ist den Kurden unter diesen Lebensbedingungen der Humor und Sarkasmus, wie Sie ihn in Ihrem Film zeigen?
Ghobadi: Diese Menschen haben immer Humor, wenn Sie diese Menschen jetzt in einem Flüchtlingscamp besuchen würden, Sie würden bestimmt hören, dass die Menschen am spielen sind, mit irgendeinem Topf Musik machen, tanzen. Die Kurden haben zwei Waffen, mit denen Sie sich schützen um zu überleben: Musik und Humor. Ich kann mich an die Zeit, in der mein Film spielt, sehr gut erinnern. Damals hat ein Nachbar von uns seinen Bruder verloren – aber er hat am gleichen Tag trotzdem getanzt und gesungen. Er hatte auch nichts zu essen, aber hat sich jeden Tag gesagt: ich darf nicht aufgeben. Auch wenn man seine sieben Kinder verloren hat – man sollte wieder aufstehen und weitermachen.
Ein Teil des Humors der Kurden kommt daher, dass sie a einen Punkt gekommen sind, wo sie nicht mehr weinen, sondern auf diese verrückte Weise lachen. Aber sie lachen eben nicht, weil es ihnen gut geht, sondern aufgrund dieser Tragödie. Sie geben aber nicht auf, sie haben Hoffnung

Sie haben viel mit Laien-Darstellern gearbeitet.
Ghobadi: Nein, ich würde sagen, das sind noch nicht einmal Laien, das sind gar keine Schauspieler. Das sind normale Menschen, von denen die wenigsten in ihrem Leben schon mal eine Kamera oder ein Kino gesehen haben.
Aber das, was ich als Drehbuch geschrieben hab, das ist denen überhaupt nicht fremd, das sind ja Szenen aus deren Leben. Deshalb sieht das im Film auch so real und eher dokumentarisch aus.

Wo haben Sie gedreht?
Ghobadi: Wir haben an über 20 verschiedenen Orten gedreht, zur Hälfte im Irak, zur Hälfte im Iran. Da waren auch Siedlungen dabei, wo heute schon gar keine Kurden mehr wohnen.

Sie haben ganz legal im Irak drehen dürfen?
Ghobadi: Nein, illegal.

Und Sie haben keine Probleme bekommen?
Ghobadi: Nein, wir haben auf irakischer Seite zwar noch versucht, eine Dreherlaubnis zu bekommen, aber man hat nicht reagiert. So haben wir einfach ohne die Erlaubnis angefangen.

Wie erleben Sie insbesondere das Schicksal der Kinder in der Region, die ja mit dem Krieg aufwachsen müssen?
Ghobadi: Die Kinder, die tragen zum Beispiel Patronenhülsen als Ketten, aus Raketenhüllen basteln die Vasen, die man dann in den Fenstern stehen sehen kann. Den Krieg riecht man leider überall. Es gibt nur sehr wenig Familien, wo keines der Kinder durch Minen einen Arm oder ein Bein verloren hat. Da haben die Kinder selbst zur Natur das Vertrauen verloren – denn anstatt Weizen werden Minen gesät.

Was macht die kurdische Kultur Ihrer Meinung nach so stark, dass sie als die Kriege und Unterdrückung überstanden hat?
Ghobadi: Die Kurden haben ja richtige Wurzeln. Das ist ein Volk, dass seine Musik schon seit vielen Jahrhunderten hat, das ist eine Kultur mit einer großen Geschichte – und so eine Kultur wird nicht so schnell verschwinden, auch wenn verschiedene Machthaber versuchen diese Kultur zu unterdrücken. Es gibt ja auch wenig Kulturen, denen das eigene Land so heilig ist.

Würden Sie heute einen eigenständigen Kurdenstaat befürworten?
Ghobadi: Nein, ich will viel eher, dass die Grenzen abgeschafft werden. Wir sind alle Menschen, wir sollten lernen, miteinander zu leben.
Es sind doch vor allem die Grenzen, die Menschen in den Krieg ziehen lassen um einander zu vernichten. Wenn jemand eine Grenze zwischen zwei Völkern oder Ländern überschreitet, dann gibt es Krieg. In Europa ist das schon anders als bei uns, da kann ja jeder hinreisen, wohin er will. Seit dem es in Deutschland die Mauer nicht mehr gibt ist doch vieles besser geworden. Die größte Gefahr für die Menschheit sind die Grenzen. Die Welt könnte ja ein einziges Dorf sein. Und in Bezug auf das Universum ist die Welt ja ein Dorf, ein sehr kleines. Aber die Menschheit setzt eben seine ganze Energie daran, dieses Dorf in verschiedene Gebiete zu teilen. Und leider sind diese Grenzen so heilig geworden, dass die Menschen sie um jeden Preis erhalten wollen.

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