Ben de Biel

Berlin war sowieso immer Trash

Ben de Biel , Betreiber des Berliner Clubs "Maria am Ufer" über das Clubleben der Hauptstadt, unumgängliche Musikentwicklungen und extremgute DJs

Ben de Biel

© Privat

Ben, zuerst erzähl doch mal kurz, wie das eigentlich alles begonnen hat, mir dir und der Maria?
Ben: Ich hab 1991 mit der Organisation von Partys begonnen, damals noch im Berliner "Eimer". Bis dahin hatte ich immer nur meine eigene Wohnung abgerockt. Vorher hatte ich allerdings ganz anständig nicht in Berlin gewohnt, um hier nicht zu versumpfen, sondern in Hamburg eine Fotosausbildung gemacht. Dann ist aber die Mauer gefallen und ich bin nach Berlin …

… was du bis heute nicht bereut hast.
Ben: Wie bitte?! Auf keinen Fall.

1998 habt ihr am Berliner Ostbahnhof begonnen. Wie kam es zu dem Namen "Maria"?
Ben: Oh, das weiß ich nicht mehr, das war damals eine Gruppenentscheidung. Aber man muss sich vorstellen, damals gab es am Ostbahnhof noch überhaupt nichts. Wirklich gar nichts, kein Cafe, keine Bar, alles grau und schlecht. Und dann landet man vielleicht in einem christlichen Hospiz oder sonst wo – jedenfalls würde etwas christliches bei dem Namen zumindest nahe liegen. Allerdings muss ich sagen, glaube ich nicht an die unbefleckte Empfängnis. Maria, das könnte doch auch die blanke Sünde sein und nur die katholische Kirche verweigert sich diesem Glauben. Vermittelt Maria nicht einfach ein Gefühl von Wärme?

Die Umgebung scheint euch aber mittlerweile zu gefallen, ihr seid heute mir der neuen Maria nur wenige hundert Meter vom alten Gebäude entfernt.
Ben: Ja, hier hat man noch seine Ruhe.

Nach den vielen Jahren Cluberfahrung, was würdest du sagen, sind die größten Probleme die man als Clubbetreiber immer wieder hat?
Ben: Oh da gibt es ganz verschiedene. Ein großes Problem ist sicher, dass Behörden aus verschiedenen Gründen offensichtlich keine Dienstleistungsunternehmen sind. Wenn man wissen möchte, was so alles notwendig ist oder sein könnte – der gestalterischen Phantasie beim Ausbau eines Clubs sollten nicht so enge Grenzen gesetzt sein, davon lebt das ganze ja – dann muss man sich das leider alles sehr langwierig erarbeiten. Schnell und deutlich ist ganz offensichtlich keine deutsche Tugend.
Die Entwicklung am Markt läuft den alteingesessenen Institutionen wie der IHK, der GEMA, oder dem Hotel- und Gaststättengewerbe schlicht davon. Da gibt’s tonnenweise Regelungen von anno dazumal, weil keiner auf seine mal erworbenen Pfründe verzichten will. Und Handeln ist sicher auch so gar keine deutsche Tugend.

Du bist mit der Maria erneut in ein Gebäude zur Zwischenmiete eingezogen, in der Berliner Clublandschaft eine gängige Praxis. Wo siehst du heute den Vorteil in diesem Modell?
Ben: Früher haben wir uns die Orte danach ausgesucht, wo sie liegen. Und es gab so viele, da konnten wir die Location sogar danach aussuchen, wie spannend wir sie finden, das geht heute natürlich nicht mehr, es sind schon deutlich weniger geworden. Und weil die ehemalige DDR uns so einen umfangreichen Leerstand beschert hatte, waren die Locations natürlich sehr billig, kein Problem also alle paar Jahre mal einen Standortwechsel vorzunehmen. Das Publikum hat sich daran gewöhnt und alle warten nun voller Enthusiasmus darauf, dass man mal wieder was ganz neues ausprobieren darf. Es gibt keinen Vorteil in diesem Modell, es ist ein Auslaufmodell, jedenfalls was die zentralen Bezirke unserer Stadt betrifft. Es müßte sich auf der Seite der Grundstückseigentümer schon durchsetzen, daß eine solche Zwischennutzung gewollt ist um einen noch brachliegenden Ort ins Rampenlicht zu setzen, bis dato gibt’s da aber wenig Entwicklung, da viele Industrieflächen in Berlin von lethargischen Großunternehmen verwaltet werden, deren Mitarbeiter wenig Gründe haben sich für eine Idee einzusetzen, die Ihnen in Ihrer Auffassung eher Probleme und vor allen Dingen Arbeit bereitet.

Was sagst du insgesamt zum Maria-Publikum, früher und heute?
Ben: Wir hatten in der Maria sehr viele Höhen und Tiefen. Am Anfang hatten wir den Gang ziemlich schnell hoch geschaltet, manche haben uns auch gewarnt, dass wir die Latte ziemlich hoch gehängt haben, was das Programm betrifft. Aber da wir sehr günstige Konditionen hatten, haben wir gesagt, wenn wir uns das leisten können, machen wir das. Aber man stellt auch fest, dass es schwierig ist, das Niveau so hoch zu halten und das Problem werden wir mit der neuen Maria auch haben. Drei Monate brummt das, dann musst du wieder drei Monate rudern, dann brummt es wieder und so fort. Aber, das ist nicht weiter tragisch.
Mit dem Publikum war ich eigentlich immer sehr zufrieden, wir wollten nicht so ein ganz junges Publikum haben und natürlich auch kein Hardcore-Techno-Publikum, keine Brandenburger Drogen-Kids. Ich glaube auch nicht, dass wir die bekommen. Denn wir werden es hinbekommen, nach wie vor ein angemessenes Programm zu machen und – obwohl die neue Location enorm groß ist – den Laden schön gemütlich machen.

Mal zurückgeblickt, gab es DJs, die du aufgrund des Preises nicht hast buchen können?
Ben: Sicher gibt es DJs, die wir uns nicht leisten konnten aber darum geht es doch auch gar nicht. Es gilt denke ich das Preis- Leistungsverhältnis. Ein gutes Programm gibt’s nicht umsonst, ganz unverschämte Forderungen gibt’s natürlich auch. Am Ende des Tages ist der Künstler leider oft der letzte in der Reihe, der etwas von seiner Gage sieht. In der Profi Liga, möchten da immer gerne sehr viele Leute mit verdienen.

Viele Leute, die meinetwegen nicht unbedingt Partygänger sind, fragen sich ja oft: wieso und wofür mancher DJ am Abend mehrere Tausend Euro verdienen kann.
Ben: Also, wenn ein Musiker, der live spielt, es schafft in seinem Leben von anfänglich 1000 Mark auf 10.000 Mark Gage am Abend zu kommen, dann war das für niemand ein Problem. Der hat auf einem Festival gespielt und hat dafür sogar 50.000 bekommen, kein Thema. Ein DJ allerdings hat das früher nie bekommen, so eine Gage war gar nicht möglich. Sven Väth war wohl derjenige, der das durchbrochen hat, der gesagt hat, dass ein DJ ein Künstler, beziehungsweise genauso viel wert ist, wie ein Live-Künstler. Damit hat er meines Erachtens vollkommen Recht. Wieso sollten die DJs die Abfalleimer der Musik sein? Wenn der DJ sich fragt: der Live-Act spielt anderthalb Stunden, ich rock aber zehn und bekomm trotzdem weniger Geld? Das wäre doch Quatsch und deshalb war das völlig korrekt, dass die Gagen dem entsprechend, was diese Menschen an Kunst auf die Plattenteller bringen, auch bezahlt bekommen. Inzwischen legen allerdings tierisch viele Leute auf und entsprechend ist der Wert dieser Leute eher inflationär. Aber es gibt im Starbereich eine bestimmte Anzahl von DJs, die sind ihr Geld wert, weil sie tatsächlich extrem gut sind.

Wann ist denn für dich ein DJ "extrem gut"?
Ben: Wenn er sein Handwerk beherrscht, wenn er in der Lage ist, coolere Platten als die anderen zu haben und wenn er mit seinem Equipment umgehen kann. Die Booty-DJs zum Beispiel wissen genau, was ein Plattenspieler ist. Die kommen aus dem HipHop-Bereich und wissen mit dem Gerät mehr anzufangen als jemand, der nur Platten auflegt. Andrea Parker bekommt auch viel Geld, aber die legt nur eine Schallplatte nach der anderen auf, da geht es also eher um die Musik-Auswahl, die sie spielt, das macht sie allerdings so fabelhaft, daß wir sie immer wieder buchen würden. Bei Dancehall-DJs geht es dann vielleicht darum, wie kannst du drei Platten innerhalb von 20 Sekunden ineinander mischen – du musst das können, sonst klingt es scheiße.

Wie erlebst du als Club-Macher Wellen, Trends?
Ben: Ganz einfach, da gibt es drei Möglichkeiten: 1. Es gibt eine Welle und du hast sie verpasst. 2. Es gibt eine Welle und du bekommst sie mit. 3. Du kreierst selbst eine Welle.
Techno wird gerade verpoppt, Drum`n`Bass ist gerade etwas out und Hiphop ist alles nur nicht Underground. Techno hat sich einfach überlebt, aber diese Musik wird es immer geben. Die Drum`n`Bass DJ`s haben versucht gegen Ende der Neunziger Jahre die einzige Alternative gegen Techno zu sein und einen ebenso harten Dancefloor Sound hinzulegen, aber wer braucht schon nur "baller" Musik. Wem Techno zu hart war, der wurde jetzt auch hier enttäuscht. Und Hiphop versucht gerade mit aller Gewalt nur die niedrigsten Triebe anzusprechen, dicke Titten, dicke Autos, dicke Knarren, dicke Goldketten. Die Kunst so viele verschiedene Musikstile wie Rock, Funk, Soul, Disco – eigentlich alles – in dieses Genre zu packen wird völlig negiert, dabei ist das immer noch der Sound, der das am besten verträgt. Zu deutschem Hiphop fällt mir eigentlich nur ein, daß es sich bestimmt nicht lohnt, das auch noch zu kopieren. Minimal Electro, Booty Bass, Electro Trash, und Punk stehen dagegen gerade sehr gut da.

Und deine Meinung ist letzten Endes die entscheidende, wenn es um das Programm in der Maria geht.
Ben: Ja klar, nicht meine alleine, aber wir entscheiden. Was ist denn interessant?
Eine Entscheidung, die wir vor Jahren getroffen haben, war, dass wir gesagt haben, nur DJs ist uns zu langweilig, wir möchten auch Live-Acts spielen lassen. Zwischendurch haben wir dann auch noch gesagt, dass wir es mit Schlagzeug und Gitarre lieber hätten als nur mit Laptop, weil es dann doch langweilig wird, wenn immer wieder Typen nur hinter ihren Laptops stehen. Die Performance kommt da ziemlich kurz und die Musik kannst du nach dem 150. Konzert auch nicht mehr auseinanderhalten. HipHop ja, spielen wir, aber dann am liebsten so etwas wie Blackalicious, Quanum Mc`s, Deichkind wäre auch noch ok. Aber da sind die Grenzen ziemlich hart gesteckt, für Erwachsene bleibt da eigentlich nicht mehr so viel, DJ Shadow, oder die Leute von Ninjatune – gerne. Aber wenn man die nicht haben kann, dann verzichten wir eben auf HipHop. Und die Booty-DJs, das würde ich sagen ist im Moment das Interessanteste.

Wie sieht dein Rückblick auf die letzten Jahrzehnte populärer Musik aus?
Ben: Ich würde das so formulieren: 50er waren Rock’n’roll, 60er waren Beat, 70er waren Rock 80er waren Neue Deutsche Welle oder Punk, und die 90er waren Techno. Alle zehn Jahre gab es wieder etwas neues. In en 80ern gab es natürlich auch HipHop, nur war das kein Massenphänomen. Das richtig unumgängliche war Rock’n’roll, war Beat, waren riesige Rockbands die großes Brimborium veranstaltet haben in den 70ern. Dann kam Punk, völlig unumgänglich, eine Bewegung, die alles auf den Kopf gestellt hat. HipHop hat nicht alles auf den Kopf gestellt und ist einfach nicht so durchgedrungen. Techno ist da weiter durchgedrungen als HipHop. Wir warten alle 10 Jahre auf neue Musik, im Moment warten wir aber immer noch – bis jetzt ist noch nichts passiert. Es gibt im Moment nur Schnittmengen, Techno geschnitten mit 80er Retro, und Booty wäre wohl der Schnitt von HipHop und Elektro. Das würde ich sagen brauchen wir, das ist wichtig. Und dann war ich neulich bei "the aim of design is to definy space" eine noch ganz junge Band. Wow, das war richtiger Acid-Rock, so was braucht die Stadt. Berlin war sowieso immer Trash.

Nur, dass heute in einigen Gegenden vom Trash nicht mehr viel übrig geblieben ist.
Ben: Ja, aber da musst du schon weit fahren, nach Oberschöneweide vielleicht.

Na ja, das Sony-Center ist aber nicht gerade weit weg von hier.
Ben: Ja, aber der Potsdamer Platz wird doch im Endeffekt eingekreist durch das Berliner Leben. Und im Kreis ist das dort ein Trugbild, eine kleine Illusion, die auch noch schlecht verkauft wird.

Nun ist dieses Jahr der Branchenriese Universal Music in Berlin sesshaft geworden. Was erwartest du für Einflüsse dadurch auf das Berliner Clubleben?
Ben: Ich glaube erst mal nicht, dass der Umzug von Universal nach Berlin einen schlechten Einfluss hat auf den Berliner Underground, den wird es geben, mit oder ohne Universal. So gesehen ist es schon mal nicht wirklich schlecht. Ob es aber als gut zu werten ist, dass ist eine andere Frage, weil letztendlich sind das Geschäftsleute und bei denen laufen die Sachen einfach anders. Prinzipiell ist es schade, dass nun bei vielen Musikern, die früher eine Entwicklung von mehreren Jahren durchlaufen haben, bevor sie überhaupt höhere Gagen bekommen und in größeren Clubs gespielt haben, diese Entwicklung schneller vonstatten geht. Das ist für die Künstler zwar ok, weil sie schneller an ihr Geld kommen. Für das Publikum würde ich aber sagen ist es eher schade, weil viele Leute, die in der Branche arbeiten – selbst wenn Universal sich anders gibt – kein cooles Statement draufhaben.
Manche Acts werden von den Agenturen verpflichtet, diese und jene Anfrage von den Clubs nicht anzunehmen. Selbst wenn du den Künstler persönlich kennst, hast du manchmal Probleme, ihn für eine coole Idee zu gewinnen. Er würde zwar gerne auf deiner Party spielen, aber da ist seine Agentur oder seine Plattenfirma dagegen und will nicht, dass ihr Artist fünf mal in der gleichen Stadt spielt, ganz egal warum und wo. Dieses Verhalten wird auch Universal wohl eher fördern, weil das eine Frage von Geschäftskultur ist. Und da setzen die eben andere Prioritäten als wir.

Die Klassik-Abteilung von Universal veranstaltet mittlerweile regelmäßig die Yellow-Lounge, eine Art Party zu klassischer Musik. Ist das auch was für dich?
Ben: Nein, ich glaube auch nicht, dass sich so etwas durchsetzen wird. Ich stehe auf was anderes und außerdem ist der Kundenkreis so einer Veranstaltung extrem klein. Ich will lieber alles dafür tun, dass die Leute, wenn sie denn schon rausgehen, dass sie dann auch mit dem Arsch wackeln – Klassik können die sich auch zu Hause anhören. Es geht ja dann auch um ein allgemeines Verständnis davon, was viele Leute tun, wenn sie auf einem Haufen sind. Auf schwarzen Ledersofas sitzen und in der Nase bohren? Sich klassische Musik anhören und einen guten Cocktail dazu? Da kommt doch längst nicht so viel Stimmung auf, als wenn was ganz anderes passiert – und genau an den Punkt wollen wir ja.

Könntest du dir vorstellen, nach den vielen Jahren die du nun als Clubbetreiber gearbeitet hast, auch mal einer ganz andren Beschäftigung nachzugehen?
Ben: Ja, die Fotografie. Da geht es ist sehr viel ruhiger zu. Am liebsten würde ich Architekturfotografie machen, da bewegt sich nichts und läuft nichts weg, man muss nur aufs Licht achten.

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