Herr Fürmann, als Auftragskiller Koralnik warten Sie in Ihrem neuen Film acht Jahre lang auf einen Einsatz. Könnten Sie auch so lange auf eine Rolle warten?
Benno Fürmann: Zum Glück bin ich relativ beschenkt was Rollen angeht und musste so eine Situation noch nie erleben. Ich glaube allerdings, dass ich nach acht Jahren versuchen würde, andere Wege zu gehen. Und darum geht es ja auch in dem Film. Koralnik hält an seiner ursprünglichen Identität zwanghaft fest, erst durch einen äußeren Schubser fängt er endlich an sein Leben zu leben. Ich glaube, dass das bei vielen von uns ein Problem ist, dass wir vor lauter Einnisten in die Bürgerlichkeit vergessen zu leben. Alles geht irgendwie seinen gewohnten Gang – aber das ist Tod für einen interessanten Lebensweg und auch der Tod für die Kunst.
Was für Strategien haben Sie gegen solche Gewohnheiten?
Fürmann: Ich versuche zum Beispiel jeden Tag einen anderen Weg zur Arbeit zu gehen. Umwege sind eine tolle Sache. Ich liebe es, mich in fremden Städten zu verlaufen, das ist manchmal auch anstrengend, aber es führt eigentlich immer dazu, dass man Sachen sieht, die man sonst nicht gesehen hätte. Im Alltag ist es natürlich schwerer, sich zu verlaufen, wenn man bereits alle Seitenstraßen kennt. Wir ertappen uns ja alle regelmäßig dabei, dass wir den dritten Tag hintereinander ins selbe Restaurant gehen oder durch unsere Straßen laufen, ohne uns wirklich aufmerksam umzusehen. Das ist dann Trott.
Gibt es diese Seitenstraßen auch in Ihrer Filmographie?
Fürmann: Ich habe eigentlich immer die Sachen gemacht, zu denen ich mich hingezogen fühlte.In einem Filmprojekt ist ja sowieso jeder Schauspieler anders und man wird mit Leuten zusammengewürfelt, die man vorher noch nicht kannte. In der Regel ist das relativ spannend, aber man kann natürlich auch böse Überraschungen erleben. Ich bin dankbar, wie ich mein Leben gestalten kann, aber bei der Schauspielerei gehört es auch dazu, Phasen auszuhalten, in denen man eben nicht weiß, was man als nächstes macht. Wer Planlosigkeit und Existenzängste will, der ist in der Branche richtig. (lacht)
Der Titel des Filmes lautet „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss“. Gibt es den Aspekt der Einsamkeit auch beim Beruf des Schauspielers?
Fürmann: Auf jeden Fall, weil du natürlich letztendlich immer allein bist. Das Tolle ist zwar, dass du mit dem Regisseur über das Ganze diskutieren kannst und ich liebe es auch, wenn ich zum ersten Mal am Set die Texte sprechen darf, wenn durch schwarze Buchstaben auf weißem Papier ein Raum entsteht, den ich mit anderen Menschen kreiere – aber letztendlich ist man dann natürlich trotzdem allein mit seiner Figur.
Gibt es da auch Frustration?
Fürmann: Es kommt immer darauf an, wie deine Tagesform deine Figur prägt. Wenn du heute Hamlet spielst, spielst du ihn in zwei Jahren anders. Das ist auch eine Sache, die mich ab und zu ein bisschen an meinem Beruf nervt. Ich habe manchmal einfach keine Lust an mir herum zuschrauben, wenn ich an einem Tag, wo ich eigentlich lachen möchte, heulen muss. Und das Ganze dreht man ja nicht nur einmal, sondern 40 mal. Da gibt es Momente, in denen ich mir einen Revolver wünsche, den ich mir irre gern mal an die Schläfe halten würde. (lacht)
Wo und wie lernen Sie Ihren Text?
Fürmann: Ich brauche einfach nur irgendwo einen Stuhl – und später dann, wenn der Text so langsam sitzt, laufe ich ganz gerne. Und um mich zu konzentrieren, laufe ich dann immer ganz gerne. Ich bin ein klassischer Kreisläufer, linksherum, das ist wahrscheinlich politisch geschuldet.
Außerdem brauche ich zum Textlernen absolute Ruhe. Wenn meine Tochter parallel Musik hört, dabei rechnet und noch englische Vokabeln lernt, wird es schwierig. Das wird auch nicht besser, je älter ich werde. Ich brauche heute am Set viel mehr Ruhe als früher, um mich konzentrieren zu können. Ich bin geräuschempfindlicher geworden, zum Beispiel in Bezug auf Hotels und Zugfahrten. Bei diesen Leuten, die mit ihren persönlichen Telefongesprächen den ganzen Großraumwagen beschallen müssen, könnte ich komplett durchdrehen. Ich kann gewisse Dinge leider einfach nicht wegfiltern.
Ich liebe es, mich zu verlaufen.
Sie haben jetzt schon bei über 80 Filmen mitgespielt. Wie weit würden Sie für eine perfekte Rolle gehen?
Fürmann: Ziemlich weit. Ich glaube daran, dass man sein eigenes Eisen schmieden kann, andererseits halte ich Chancengleichheit für ein Ammenmärchen. Dafür haben viele Leute einfach nicht die Möglichkeiten, die ich habe. Ich denke, dass gewisse Dinge sich so fügen, wie sie sollen. Ich würde also immer hoffen, dass die Rolle, die für mich gemacht ist, zu mir kommt. Aber das ist nur eine kühne Theorie und ob die richtig ist, bleibt abzuwarten. Bisher haben sich die Sachen bei mir immer ganz gut gefügt. Und auch Stoffe, die ich abgesagt habe und die später zu Erfolgen geworden sind, habe ich nie bereut, weil meine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt eine Berechtigung hatte. Ich habe ein großes Grundvertrauen in das Leben.
War die Rolle des Auftragskillers Koralnik mit eine der absurdesten, die Sie gespielt haben?
Fürmann: Ja, keinerlei soziale Kontakte zu haben, über acht Jahre zutiefst gelangweilt darauf zu warten, dass das Leben endlich beginnt, während man Nüsschen isst und zum Schießstand geht – was für ein Alptraum, was für ein schräger Vogel, dieser Koralnik! Ein dermaßen von Haltung und Humorlosigkeit geprägtes Leben zu verstehen, um es dann spielen zu können, braucht es viele Gespräch mit dem Regisseur: Koralnik spricht sich vor lauter Einsamkeit selber auf den Anrufbeantworter!
In Koralniks Leben gibt es viele Tabus, kein Alkohol, keine Freundin, kein Pizzaessen mit Kumpels. Was würde Ihnen am meisten fehlen?
Fürmann: Die Reihenfolge ist schon mal ganz gut (lacht), wobei ich gerade extrem wenig trinke. Mir würde alles fehlen. Ich bin ein sozialer Mensch, für mich wäre es der schlimmste Albtraum, einsam zu sterben und alleine durchs Leben zu gehen. Ich liebe Menschen und die meisten meiner freudvollen Erfahrungen sind auch mit besonderen Menschen in bestimmten einzigartigen Situationen entstanden.
Ihre Figur hat zwischenzeitlich mit einigen Bewusstseinsstörungen zu kämpfen. Kann man so einen Drogeneinfluss auch spielen, wenn man nicht auf der Schauspielschule war?
Fürmann: Ich glaube, ja. Da sind der eigenen Fantasie keine Grenzen gesetzt. Für mich war die Schauspielschule ein Raum, in dem ich mich getraut habe, zu scheitern. Ich habe ein paar Workshops gemacht und bin dann gleich vor die Kamera gelaufen. Und damals war ich nicht zufrieden mit dem, was ich da gesehen habe und empfand es als sehr schmerzhaft gleich in so einem professionellen Rahmen zu scheitern, mit meinem Gesicht zwei mal vier Meter breit. Ich denke es hilft immer, in Kontakt mit sich selbst zu bleiben. Und viel wichtiger als eine Schauspielschule ist es, dass Leben einfach zu leben.
In dem Film geht es ja auch um die Bedrohung durch den Terror. Gehen Ihnen die Terrorwarnungen im Fernsehen heute noch nahe oder schalten Sie lieber ab?
Fürmann: Mir geht vieles nahe, aber ich glaube, dass wir in Europa akutere Probleme haben, als die Bedrohung durch Islamisten. Auf der anderen Seite nehme ich es sehr ernst, was da passiert. Mir ist letztens schlecht geworden, als ich mir im Internet ein paar Videos angesehen habe. Jemand schreit „Gott ist groß“ während man Andersgläubige enthauptet. Das ist ein Wahnsinn, in Gottes Namen Gottes Geschöpfe aufs Brutalste aus der Welt zu reißen. Zumal diese Menschen – wie jeder von uns – das Gefühl haben, das Richtige zu tun. Ich finde es schrecklich, wie wenig es Menschen gelingt, einander so viel Freiraum zu geben, wie man selbst für sich beansprucht.
Wie erklären Sie sich den Zulauf zum „Islamischen Staat“?
Fürmann: Menschen scheinen Regeln zu lieben und das hat diese Bewegung auf die Spitze getrieben. Wenn du als Freigeist nicht klarkommst, wenn du Angst hast, weil das Leben dir zu viele Reize bietet, kannst du dich leicht verlieren. Und das Beste für einen haltlosen Menschen ist natürlich ein möglichst strenges Korsett von islamistischen oder christlichen Regeln, die einem sagen was gut oder falsch ist. Du musst dann selbst nicht mehr denken und deine Gebete sind auch nur nachgesprochene Verse, die es schon gab. Du wirst nicht mehr zum Mitdenken aufgefordert, das finde ich problematisch.
Aber der Terror ist für Sie im Moment nicht das größte Problem?
Fürmann: Den nehme ich ernst, aber mich stören auch viele andere Sachen. Wir als Europa schotten uns immer mehr ab und letztendlich sind viele der Probleme, die in der sogenannten Dritten Welt stattfinden von uns hausgemacht. Es wird ja immer noch munter exportiert, nicht nur Waffen, sondern auch Nahrungsmittel, die in der Dritten Welt die heimischen Märkte vernichten und den Menschen dort die Existenzgrundlage nehmen – das Freihandelsabkommen mit der USA sehe ich als große Gefahr und als unbedingt zu verhindernden Schritt Richtung noch brutaleren Kapitalismus. Und was war noch mal mit der Energiewende?
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Film ist die Überwachung. Haben Sie das Gefühl heute mehr überwacht zu werden, als noch vor fünf Jahren?
Fürmann: Klar, das wird immer mehr. Der Staat hat es geschafft, intransparenter zu werden, während wir immer mehr von uns preisgeben. Das läuft genau in die falsche Richtung. Das Internet ist dabei natürlich Fluch und Segen zugleich und was mich besonders schockiert, ist diese erstaunliche Gefasstheit, wenn man dann erfährt, dass es Zugriffe auf Computer gab und Telekomdaten komplett einsehbar sind. Das haut einen heutzutage ja nicht mehr vom Hocker, weil man natürlich aufs Schlimmste gefasst ist. Und das Schlimmste tritt eben immer weiter ein, ohne dass irgendjemand aufschreit. Ich bin fasziniert von der Politik, wie wenig sie dem Ganzen nachgeht, aber eben auch von mir selbst, wie wenig mich solche Skandale noch berühren. Uns scheint nichts mehr zu schocken.
Im Film wird das Ganze auch ein wenig kafkaesk dargestellt. Ist das vergleichbar mit der Situation heute – es wird eine Bedrohung aufgebaut, die letztendlich gar keine ist?
Fürmann: Ja, in solch einer Situation leben wir doch. NATO, der Kalte Krieg – wir sind doch mit Bedrohungen groß geworden. Wir leben ständig in einer angeblichen Bedrohung. Manches davon ist sicherlich real, aber ich glaube die wirkliche Bedrohung ist verschwindend gering gegenüber dem Geschäft, das mit der Angst gemacht wird. Diese Angst, die permanent geschürt wird, rechtfertigt natürlich auch die ganzen Maßnahmen, wie das Abhören der NSA zum Beispiel. Ständig hört man, wir müssen uns schützen. Ich frage mich, ob die Bedrohung wirklich so groß ist, dass sie es rechtfertigt, uns so gläsern werden zu lassen. Es ist ja erwiesen, dass sich die Menschen unter Beobachtung anders verhalten. Deshalb gehen viele zum Beispiel auch auf die Schauspielschule.
Wie meinen Sie das?
Fürmann: Es ist nicht so leicht, sich vor einer Kamera instinktiv zu verhalten. Wenn vor deinem Gesicht ein riesiges Objektiv steht, ist das mit der Natürlichkeit so eine Sache. Wir wissen auch nicht, inwieweit es unser menschliches Wesen verändert, wenn wir uns darüber bewusst sind, dass wir ständig beobachtet werden. Überwachungskameras oder die Überwachung unserer Mails – was macht das wohl alles mit unsere Psyche? Ich nehme Bedrohungen ernst, aber ich bin nicht bereit, meine Privatsphäre dafür komplett aufzugeben.
Zu Privatsphäre hat man als Promi ja nochmal ein gesondertes Verhältnis…
Fürmann: Ja, man schätzt sie umso mehr. Mir macht es keinen Spaß, wenn ich beim Abendessen beobachtet werde. Ich freue mich, wenn mich Leute ansprechen, einen Film loben oder ein Foto wollen. Aber das Problem ist, dass Smartphones anscheinend eine Berechtigung eingebaut haben, jeden Menschen zu jeder Uhrzeit fotografieren zu dürfen. Das ist furchtbar, da habe ich keinen Bock drauf. Und ich sage dann auch, dass ich es eine Unverschämtheit finde, dass man mich einfach so fotografiert ohne zu fragen.
Sie sprechen die Übeltäter dann direkt an?
Fürmann: Klar, ich bin doch keine Laterne, mit mir kann man reden. Bei den Dreharbeiten zu diesem Film habe ich auch so eine Geschichte erlebt. Eine Polizistin wollte ein Foto mit mir machen. An dem Tag habe ich mich miserabel gefühlt und hatte hohes Fieber, trotzdem habe ich mit ihr ein paar Fotos gemacht. Als wir uns danach die Bilder anschauten, bat ich sie, einige davon wieder zu löschen. Doch die Polizistin sagte einfach „Nö“, steckte ihre Kamera ein und ging. Was für eine Unverschämtheit!
Im Film werden, so viel sei verraten, Ihre Gliedmaßen beeinträchtigt, die betreffende Szene erinnert ein bisschen an das Splatter-Genre. Haben Sie ein Faible für Splatter?
Fürmann: Ich spiele gerne in solchen Filmen mit, nur ist es immer eine Riesensauerei. Kunstblut klebt wahnsinnig. Ich habe in „Die Nibelungen“ als Siegfried schon im Drachenblut gebadet und in „Mutant Chronicles“, einem englischen B-Movie, Mutanten die Extremitäten abgehackt. Das ist nicht ganz so spaßig, weil ich es total liebe, saubere Hände zu haben.
Sie erwähnten in einem unserer bisherigen Gespräche, dass Ihr Tod im Film „Anatomie“ nach Testvorführungen nochmal neu gedreht wurde. Was halten Sie generell von Testvorführungen beim Film?
Fürmann: Ob es von diesem neuen Film eine Testvorführung gab, weiß ich gar nicht. Ich bin bei dem Thema aber auch gespalten. Auf der einen Seite drehen wir die Filme natürlich nicht für uns, sondern für ein Publikum. Ich kann eine ganz tolle Zeit mit der Produktion und mit meiner Figur haben, aber ich bin nicht so egoistisch, zu sagen, dass mir das schon reicht. Ich will natürlich, dass die Filme ihr Publikum finden. Insofern macht es auch Sinn, Filme vorher zu testen. Wenn aber basierend auf einem Test ein Film dahingehend verändert wird, dass er wirklich sämtlichen Geschmacksnuancen der breiteren Masse genüge trägt, dann läuft ein Film Gefahr, zu verwässern und nicht mehr das zu haben, was ein Kunstwerk ausmacht.