Bent Hamer

Wer hat schon was davon, wenn das ganze Jahr die Sonne scheint?

Regisseur Bent Hamer über seinen Film "O'Horten", das Reiseland Norwegen, typisches Weihnachtsessen und das Skispringen im Rentneralter gesprochen

Bent Hamer

© Pandora Film

Herr Hamer, in Ihrem neuen Film „O’Horten“ zieht die beeindruckende Landschaft Norwegens an einem vorbei. Bereist man Norwegen am Besten mit dem Zug?
Hamer: Das kann man auf viele Weise tun. Es kommt darauf an, was man unter einer Reise versteht. Am Besten geht man doch zu Fuß, aber dafür braucht man natürlich sehr viel Zeit. Ich reise daher sehr gerne mit dem Zug.

Verdient das Nordic Walking eigentlich seinen Namen? Geht man in Norwegen gerne an zwei Stöcken?
Hamer: Ich hasse diese Stöcke. Die sind doch eigentlich fürs Skifahren gedacht. Auf ebenen Wegen sind sie nur dazu da, damit man mehr Kalorien verbraucht. Es gibt zwar einige, die das auch bei uns machen, aber ich würde Nordic Walking nicht als typisch norwegisch bezeichnen.

Welche Alternativen zum Gehen und Zugfahren empfehlen Sie?
Hamer: Es gibt eine sehr schöne Schiffs-Route, die von Bergen aus nach Norden geht und am Nordkap vorbei Richtung Russland führt. Da fährt man immer wieder in die Fjorde hinein und legt an alten Häfen an. Früher wurde diese Route von altmodischen Schiffen befahren, das war noch schöner. Heute sind da nur die üblichen Kreuzfahrtschiffe unterwegs. Vor allem im Winter lohnt es sich, da sind nicht so viele Touristen dort oben. Recht teuer ist das allerdings immer.

Ist die Winterzeit die beste Zeit um nach Norwegen zu reisen?
Hamer: Das ist schwer zu sagen. Es ist auch nett in den langen Sommern, erst recht, wenn man nördlich des Polarkreises 24 Stunden am Tag Sonne hat. Das ist schon sehr seltsam. Wahrscheinlich sollte man im Sommer anfangen, Norwegen zu entdecken.

Wie wirken sich diese extrem langen Tage und Nächte auf die Menschen aus?
Hamer: Ich komme aus Südnorwegen, aber auch dort spürt man diese Extreme. Der Winter wird umso schwerer, je kürzer die Tage sind und der Frühling ist dann fast so etwas wie eine Explosion der Leichtigkeit. Aber ich würde die Jahreszeiten nicht missen wollen. Ich merke das, wenn ich in anderen Gegenden der Erde unterwegs bin. Wer hat schon was davon, wenn das ganze Jahr die Sonne scheint? Dann kann man sie ja nicht vermissen. Allerdings verändern sich die Jahreszeiten bei uns auch. Vorletztes Jahr lag der Schnee so hoch, dass man sein Auto fast nicht mehr gefunden hat. Letztes Jahr hatten wir gar keinen Schnee. Dann ist es eher wie in England, neblig und nass. Der pure Winter ist doch am schönsten.

Ist die dunkle Jahreszeit die beste, um kreativ zu arbeiten?
Hamer: Im Grunde bietet sich schon an, den Frühling eher zu genießen, zu Leben und das dann im Winter zu verarbeiten. Aber ich bin eine etwas melancholische Person. Ich habe immer etwas Herbst und Winter in mir, also kann ich auch im Sommer arbeiten (lacht).

Welche touristischen Highlights sollte sich kein Besucher in Norwegen entgehen lassen?
Hamer: Ach, die Westküste ist schon etwas besonderes, einige Fjords gehen 200 Kilometer ins Landesinnere. Erst recht, wenn man zum ersten Mal in Norwegen ist, sollte man sich die nicht entgehen lassen. Die Hauptattraktion Norwegens ist eben die Natur. Aber in Oslo sollte man vorher noch das Restaurant besuchen, das in „O’Horten“ auftaucht. Es liegt direkt an dem Bahnhof, von dem aus man zum Holmenkollen hochfährt.

Was erwartet einen bei einem typischen norwegischen Essen?
Hamer: Gerade jetzt, bei Festessen zur Weihnachtszeit, isst man Lutefisk. Man legt getrockneten Fisch ein paar Tage lang in eine ätzende Lauge ein. Der sieht dann aus wie Götterspeise und vielen fällt es beim ersten Mal schwer, sich so etwas in den Mund zu schieben. Aber es lohnt sich. Man isst das dann mit Speck, Erbsenpüree und Kartoffeln – und natürlich mit Schnaps. Ursprünglich wurde das erst zwei Wochen vor Weihnachten auf den Markt gebracht aber jetzt ist das als Spezialität kommerzialisiert worden und man kann Lutefisk oft schon im Sommer kaufen. In Berlin gibt es übrigens einen ehemaligen norwegischen Fernsehkorrespondenten, Jahn Otto Johansen, der mit seiner „Königlichen Lutefisk- Gesellschaft“ jährlich im Dezember Lutefisk-Essen veranstaltet. Wer ein paar norwegische Worte auswendig lernt, schafft es vielleicht, sich da rein zu schleichen.

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Ich bin eine etwas melancholische Person. Ich habe immer etwas Herbst und Winter in mir - also kann ich auch im Sommer arbeiten.

Bent Hamer

In Ihrem Film taucht eine fast mythische Figur auf, eine Skispringerin – die Mutter von Horten. Beruht sie auf einem realen Vorbild?
Hamer: Ja, schon. Meine Mutter war immer die gewesen, die mich zu Sportveranstaltungen mitnahm. Sie war immer schon ein Wildfang, sie besaß ein eher jungenhaftes Naturell. Ich habe diese Seite von ihr zwar nicht mehr richtig kennengelernt, aber ich treffe immer wieder Menschen, die sie kannten und mir von ihr erzählen. Und in der Tat war sie auch eine begeisterte Skispringerin.

War Skispringen damals für Frauen verboten?
Hamer: Verboten nicht, aber es gab für Frauen keinen Wettbewerbe. Aber die junge Frau, die jetzt im Film Hortens Mutter spielt, ist nun ein echter Skispring-Champion. Ich habe sie am Holmenkollen, der berühmten Sprungschanze in Oslo getroffen, den sie ja nun abreißen und einen neuen bauen. Leider. Er ist ja ein Wahrzeichen Norwegens. Jedenfalls war sie da oben auf dem Holmenkollen mit einem TV-Team, als ich zufällig auch da war. Ich fragte sie, ob sie in meinem Film mitspielen würde und sie hat es gemacht. Ich hatte diese Szene, die auch eine Verbeugung vor meiner Mutter ist, in das Drehbuch geschrieben, aber dann wurde ich etwas schüchtern. Es schien mit zu persönlich. Aber meine Mitarbeiter bestanden darauf, dass ich die Szene drin lasse.

Hatten Sie auch Angst vor dem Skispringen, wie Horten in Ihrem Film?
Hamer: Nein. Ich war verrückt, als ich jung war. Ich kümmerte mich nicht um Gefahren. Ich habe ständig, zur Frustration meiner Eltern, von einer Sportart zur anderen gewechselt, vom Skispringen bis zum Fußball. Ich konnte mich nicht auf einen Sport konzentrieren.

Das ist wohl typisch für einen Regisseur, der sich mit vielen Disziplinen gleichzeitig beschäftigen muss.
Hamer: Vielleicht. Das hat wohl mit einer generellen Neugier zu tun.

Entstand die Idee zu „O’Horten“, der ja vom Eintritt ins Rentenalter handelt, in einer Art Midlife-Crisis?
Hamer: Nein, so einen Krise hatte ich noch nie, weder mit 40, noch jetzt, mit über 50. Aber  vor zehn Jahren starben meine Eltern, kurz hintereinander. Da fühlt man, das auch der eigene Platz kleiner wird, dass man der nächste in der Reihe ist. Zum Glück habe ich zwei Söhne, die sind 8 und 13, und ich würde sagen, dass ich nun zu meinen Kindern eine stärkere Verbindung fühle, als zu mir selbst. Aber das sind ganz normale Prozesse. Ich möchte nicht sterben, aber ich habe davor keine Angst, auch nicht vor dem Alter.

Man sollte nicht das Ende des Films verraten, aber: stirbt Horten eigentlich am Schluss?
Hamer: (Lacht) Das ist eine typische Frage, die ein amerikanischer Produzent mir stellen würde. Und dann würde er darauf bestehen, dass es etwas anders gefilmt wird, so dass zumindest angedeutet wird, dass das Ende auch ein Traum sein könnte.

Anders gefragt: Kann man als unerfahrener Skispringer den Sprung vom Holmenkollen überleben?
Hamer: Lassen Sie es mich so sagen: in dem Film wäre Homer auf jede Fall gestorben, wenn er nicht gesprungen wäre. Darin steckt ja die eigentliche Botschaft des Films. Greif dir dein Leben, es liegt direkt vor dir. Darum geht’s, nicht nur, wenn du in Rente gehst, sondern dein ganzes Leben lang. Das Problem mit dem Rentnerdasein ist nur, dass du bis einen Tag vor deiner Pensionierung für einen Teil der Gesellschaft unproblematisch bist, man kann dich leicht kategorisieren. Und am nächsten Tag, wenn du Rentner bist, wirst du anders angesehen von deinen Mitmenschen.

So, wie für Sie nach dem Tod Ihrer Eltern der Raum enger wurde, geht es ja auch Horten. Man sieht ihn auf  seiner letzten Dienstfahrt immer wieder von der weiten Landschaft in enge Tunnel hineinfahren. Das macht diese Umstellung im Leben geradezu unheimlich spürbar.
Hamer: Das stimmt. Das muss eine sehr schwere Erfahrung sein, erst Recht, wenn man kein soziales Netzwerk um sich herum hat. Manche sagen, dass sei für Frauen einfacher, weil sie sich sowieso gerne unterhalten und die meisten Männer erst zu reden anfangen, wenn sie was getrunken haben. Aber auch Frauen haben mit der Umstellung auf das Rentnerdasein zu kämpfen. Auch wenn mehr Worte aus ihren Mündern kommen mögen, sie können ebenso einsam sein. Es geht nicht darum, wie viele Menschen man um sich hat. Wenn ich durch die Welt reise und zum Beispiel in New York bin, sehe ich eine Menge Menschen, die mitten unter anderen sehr einsam wirken. Zugegeben: das klingt nicht gerade nach einem sonderlich hippen Thema für einen Film, aber vielleicht ist er ja so unhip, dass er schon wieder hip ist. (lacht)

Bent Hamer, 1956 in Sandefjord geboren, gehört zu den wichtigsten Regisseuren aus Norwegen. Mit seinen eigenwilligen Komödien „Eggs“ und „Kitchen Stories“ wurde Hamer zu einem Liebling in den Programmkinos. Nach seiner Charles Bukowski-Adaption mehr

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