Herr Hildebrandt, glauben Sie an Schiedsrichterbestechung im Handball?
Hildebrandt: Offenkundig ist es ja so. Einige Schiedsrichter haben ja auch erklärt, dass sie angesprochen wurden oder Geld entgegen genommen haben. Das ist ja alles so geäußert worden. Ich glaube aber, dass die meisten ehrenwert ihren Job machen.
Wie konnte es soweit kommen?
Hildebrandt: Da gibt es sehr viele Ursachen. Zunächst einmal ist es so, dass sich der Handball nicht im luftleeren Raum bewegt. Im Handball geht es um viel und leider gibt es auch Schiedsrichter, die für Manipulationen empfänglich sind. Zumal der Schiedsrichter im Handball aufgrund des Spielsystems die absolute Macht hat. Viele Regeln sind einfach hochgradig Sache der Auslegung. Dazu kommt, dass jeder Schiri auf Grund der Vielzahl von Entscheidungen und der Schnelligkeit auf engstem Raum in fast jedem Spiel Fehler macht. Von daher ist das Potential sehr groß, dass manipuliert werden kann, ohne dass andere Verdacht schöpfen.
Sie kennen den inzwischen zurückgetretenen Geschäftsführer des THW Kiel, Uwe Schwenker, genau. Er soll 120.000 Euro an Bestechungsgeldern bezahlt haben. Trauen Sie ihm so etwas zu?
Hildebrandt: Zu Beginn gilt bei mir die Unschuldsvermutung. Ich kann nicht beurteilen, ob er es gemacht hat oder nicht. Ich halte ihn trotz aller Umstände für einen fairen Sportsmann. Es sind viele Machtfragen dabei, die auf diese unschöne Art geregelt werden sollen. Man muss diese Anschuldigungen lieber zweimal hinterfragen. Es wird keine Sieger geben, denn es werden alle verlieren, auch wenn sie das noch nicht begriffen haben.
Die Anschuldigungen gegen den THW wurden von Vereinsvertretern der Rhein-Neckar-Löwen und des HSV Hamburg aufgeworfen beziehungsweise forciert.
Hildebrandt: Das ist normal. Die wollen in die Position des jahrelangen Spitzenvereins rein. Wenn da über Jahre eine Mannschaft an der Spitze steht, dann formieren sich da Kräfte, die dort auch hin wollen. Das ist überall so. Da sind vielen Leuten alle Mittel recht und an Regeln wird sich da nicht mehr gehalten.
Auch die Magdeburger Schiedsrichter Frank Lemme und Bernd Ullrich stehen unter Verdacht, Spiele verschoben zu haben. Bei einem Europacup-Finale in Russland sollen ihnen 50.000 US-Dollar in die Sporttasche gelegt worden sein.
Hildebrandt: Ich kenne keine Details, aber das ist schon alles sehr widersprüchlich, was da gesagt wird. Igor Lawrow (russischer Sportfunktionär, der die Schiedsrichter bestochen haben soll, d.Red.) hat ausgesagt, zu der Zeit dieses Spiels nicht in Russland gewesen zu sein. Bei der Anhörung der Europäischen Handball-Föderation sagte einer der Schiedsrichter, dass Lawrow einen Tag vor dem Spiel mit ihnen gesprochen habe. Das ist alles sehr widersprüchlich. Es ist doch eigentlich unmöglich, ein Kuvert mit 50.000 US-Dollar in der Sporttasche zu übersehen. Daher ist es ist absolut richtig, dass sie nun erstmal vom Spielbetrieb suspendiert sind, bis die Sache geklärt ist.
Sie selbst waren jahrelang Manager des Bundesligisten SC Magdeburg. Sind Sie da jemals mit Bestechung in Kontakt gekommen?
Hildebrandt: Da wir eine klare Linie hatten, habe ich solche Angebote nicht bekommen. Wenn man sich jedoch einige Europacupspiele, oder auch Spiele von Welt-und Europameisterschaften angeguckt hat, hat man sich schon seine Gedanken gemacht, wie das laufen kann. Man hat auch immer wieder von gewissen Schiedsrichterpaaren gerüchteweise gehört, dass diese bestechlich seien. Da habe ich dann auch Zahlen gehört, die ich mir nicht vorstellen konnte.
Um was für Summen ging es da?
Hildebrandt: Das waren Größenordnungen, wie sie jetzt auch in der Affäre um Lemme und Ullrich auftauchen. Das war damals für mich jedoch überhaupt nicht vorstellbar.
Uwe Schwenker soll gesagt haben, dass man ohne Bestechung nicht die Champions League gewinnen könne. Wie war es bei Ihrem SCM, als der im Jahr 2002 die Königsklasse gewann?
Hildebrandt: Diese Aussage, wenn sie denn so gefallen ist, ist nicht richtig. Ich kann versichern, dass nicht ein Cent zu Schiedsrichtern geflossen ist, als wir mit dem SC Magdeburg 2002 die Champions League gewonnen haben. Damals ist alles korrekt gelaufen. Wenn man sich die Spiele anschaut, gibt es keinerlei Ungereimtheiten. Keiner meiner damaligen Spieler braucht einen Gedanken daran verschwenden, dass da was unsauber war.
Schon jetzt hat der Handball einen riesigen Imageschaden genommen.
Hildebrandt: Ja klar, das lässt sich nicht von der Hand weisen. Es ist aber kein generelles Handball-Problem. Zumal Manipulationen auch des Öfteren in vielen anderen Bereichen offenkundig geworden ist. Ein anderes Thema ist jedoch jetzt von großer Wichtigkeit: Wie geht der Handball mit dem Thema um? Das ist das größte Problem, denn hier hilft nur ein offensives Handeln.
Ich kann versichern, dass nicht ein Cent zu Schiedsrichtern geflossen ist, als wir mit dem SC Magdeburg 2002 die Champions League gewonnen haben
Wie meinen Sie das?
Hildebrandt: Als das alles losging, hat sich zum Beispiel die Handball-Bundesliga darum gekümmert, doch dabei war es ein Thema der Europäischen Handball Föderation. Es ging nie um Bundesliga-Spiele sondern immer um Champions-League-Spiele. Also hätte sich die EHF darum kümmern müssen. Doch die haben das vor sich hergeschoben, der ganze Ablauf in den letzten Wochen und Monaten war nicht sehr glücklich. Infolge dessen schwelt der Konflikt weiter vor sich hin. Die ganzen Maßnahmen, die eingeleitet wurden, hätte man meiner Meinung nach völlig anders angehen müssen.
Wie denn?
Hildebrandt: Erst einmal hätte der Bundesliga-Vorstand um Präsident Reiner Witte dieses Thema nicht behandeln dürfen und irgendwelche Treueschwur-Aktionen machen dürfen, weil die bringen im Endeffekt nichts. Man hätte das Thema ruhig behandeln müssen, anstatt hektisch und polemisch zu werden. Die EHF hat den einschneidenden Fehler gemacht, zu lang abzuwarten und die Bundesliga allein stehen zu lassen. Das ist genau der verkehrte Weg.
Sie mussten im Zuge der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Sie im Jahr 2007 auch Ihre Funktion als Vorsitzender der Handball-Bundesliga aufgeben. Nun wurden Sie zum Pokal-Final Four nach Hamburg eingeladen. Ein schönes Gefühl?
Hildebrandt: Das finde ich sehr ordentlich, dass man, nachdem man sich einige Sachen mal nüchtern angesehen hat und die wahren Hintergründe erkannt hat, unabhängig von Presse, Polemik und Hetze so die Leistung meiner fast 15 Jahre im Bundesliga-Vorstand würdigt.
Kam die Einladung für Sie überraschend?
Hildebrandt: Zumindest ist es ein Zeichen, dass sich der Blickwinkel einiger Leute wieder ein wenig geändert hat. Im Gegensatz dazu wird in der Regionalpresse immer noch Hexenjagd in völlig unannehmbarem Maße betrieben. Die Menschen, die an das Thema mit Abstand herangehen und anschauen, haben begriffen, worum es eigentlich ging.
Beim SC Magdeburg herrscht derzeit Chaos, der Aufsichtsratsvorsitzende Johannes Kempmann tritt zurück, der Vertrag von Geschäftsführer Holger Kaiser wird zum Saisonende aufgehoben. Machen Sie sich Sorgen um Ihren ehemaligen Verein?
Hildebrandt: Ja natürlich, das Chaos ist sehr bedauerlich für den Verein. Die, die damals den Verein übernommen haben, hatten nie die Absicht, den Verein zu stabilisieren, sondern ganz andere Ziele. Das wird sich auch noch aufklären. Da ging es um Machtfragen und um politische Dinge in diesem Land. Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, ziehen sich diese Leute zurück. Jeder sagt, er tue alles für den SCM, dabei sind denen nur ihre eigenen Zielsetzungen wichtig und nun stehen sie vor dem gewollten Scherbenhaufen. Das war früher anders. Da stand das „Gesamtkonzept SCM“ im Vordergrund. Jetzt herrschen nur noch Selbstprofilierung und Selbstsucht. Jeder kocht da sein eigenes Süppchen.
Wie bewerten Sie die Arbeit ihrer Nachfolger?
Hildebrandt: Dass es einen Riesen-Absturz in allen Sportarten gibt, ist offenkundig. Die Leistung der Handballer ist okay, aber man muss bedenken, dass die derzeitige Handball-Mannschaft vom Konzept von mir zusammengestellt wurde. Leider hat der Trainer bei positiven Ansätzen die Mannschaft auf Verschleiß gefahren. Da, wo der Verein hätte zusätzliches Geld verdienen können, hat er versagt, denn nur im Pokal und EC ist das möglich. Es wird sich jetzt mal zeigen wie es klappt, wenn ein Team selbst zusammen gestellt werden muss. Da der Etat die gleiche Höhe hat, wie zu meiner Zeit kann es nicht am Geld liegen, vielleicht wird es nur nicht in den richtigen Schwerpunkten ausgegeben.
Wie ist der SCM noch zu retten?
Hildebrandt: Man muss Leute finden, die sich uneigennützig vor den Karren spannen lassen und marschieren. Bei den Leuten, die im Moment da sind, sehe ich da niemanden. Es braucht Leute, die den SCM als Ganzes voran bringen wollen. Die gibt es zurzeit nicht, jeder denkt nur an sich. Das ist zu vergleichen mit der früheren deutschen Kleinstaaterei. Auch die hat Deutschland im Fortschritt aufgehalten.
Auch der Interimspräsident René Bethke will nicht für das Amt kandidieren. Muss nun ein kompletter Neuanfang her?
Hildebrandt: Neuanfang muss sein, logisch. Aber das Problem ist, jemanden zu finden, der Spitzensport, Nachwuchssport und Breitensport unter einen Hut zu bekommen. Der SCM braucht wieder wie zu früheren Zeiten überschaubare Strukturen. Auch die Sponsoren wollen wissen wer Koch und Kellner sind. Sonst ziehen die sich weiter zurück.
Kann Stefan Kretzschmar in seiner avisierten Aufgabe als Manager bestehen?
Hildebrandt: Das kann man schwer sagen. Jeder wächst mit seinen Aufgaben. Er hatte jedoch auch schon zwei Jahre Zeit, er war Bestandteil des Führungsgremiums. Er hatte die Möglichkeit, Sponsoren und Förderer zu akquirieren und der Mannschaft zu helfen. Da ist jedoch nicht viel passiert. Jetzt ist er in der Verantwortung. Er muss mehr denn je beweisen, wozu er in der Lage ist. Nicht durch Worte, sondern ausschließlich durch Taten.
Gibt es für Sie einen Weg zurück zum SCM, wenn das denn gewollt wäre?
Hildebrandt: Das kann ich heute nicht sagen. Jeder macht Fehler und dazu muss man auch stehen. Das Positive überwiegt bei weitem. Es ist nur traurig, wie einige Leute den ehemaligen Weltklasseverein in zwei Jahren hingerichtet haben. Die Zeit wird zeigen, wohin mich mein Weg im Sport führt.
Noch-Geschäftsführer Holger Kaiser will Sie auf 252.000 Euro Steuernachzahlungen zivilrechtlich verklagen, die das Finanzamt von der Handball Magdeburg GmbH fordert.
Hildebrandt: Erstmal kann Herr Kaiser nichts tun, ohne einen Beschluss der Gesellschafter zu haben. Zweitens muss man sehen, was da überhaupt drin steht. Irgendwann müssen sich unabhängige Fachleute die Unterlagen ansehen. Wer nur halbwegs kaufmännisch denken kann, dem wird klar werden, was Kaiser und Co da für einen Unsinn erzählt haben. Bei den Nachforderungen von 252.000 Euro geht es nicht um Schwarzgelder, sondern um Lohnsteuernachforderungen. Die hatten wir schon mal in ähnlicher Höhe stemmen müssen und taten das ohne Getöse. Auch die Geschichte der angeblich fehlenden 2,5 Millionen Euro kann ich nicht nachvollziehen. Das ist ein unglaublicher Vorwurf, der von Herrn Kempmann in die Welt gesetzt wurde. Diesen Tresor soll er mir mal zeigen. Das ist Verleumdung. Ich halte mir da die Option offen, rechtlich dagegen vorzugehen.