Bernhard Blaszkiewitz

Ein Zoo präsentiert seine Tiere – und keine Weltbilder.

Der Chef des Berliner Zoos Bernhard Blaszkiewitz über Zoologie, tierische Persönlichkeiten, das Kindchen-Schema und die Rache der Natur

Bernhard Blaszkiewitz

© Peters / Zoologischer Garten Berlin

Herr Blaszkiewitz, wo in der Welt haben Sie bisher Tiere beobachtet?
Blaszkiewitz: Auf allen Kontinenten, außer Arktis und Antarktis. In Süd- und Mittelamerika war ich nur je einmal, dafür in Nordamerika sehr häufig, in Australien, China, Südasien mehrfach, in Afrika war ich zwei Mal…

Dort haben Sie die Tiere in freier Wildbahn gesehen oder im Zoo?
Blaszkiewitz: In zoologischen Gärten und in Nationalparks. Darunter waren schon beeindruckende Erlebnisse, die ersten Koala-Bären im Zoo von Chicago 1989, in Australien konnte ich zum ersten Mal ein Schnabeltier anfassen. Oder mein erstes Schuppentier im Zoo von Los Angeles, auch die ersten Freilandbeobachtungen von Schwertwalen oder Bartenwalen in den Seaworlds – das waren schon große Highlights.

Warum sind Sie Zoologe geworden?
Blaszkiewitz: Ich wollte immer Zoodirektor werden. Und der Weg dorthin führt über ein Studium der Tiermedizin oder Biologie. Ich habe Biologie und Zoologie studiert, weil ich an Systematik und Evolutionsbiologie sehr interessiert bin, mehr als an pathologischen Dingen, die für einen Tierarzt wichtig sind.

Und das Ziel stand bereits vor dem Studium bereits fest?
Blaszkiewitz: Seit ich fünf Jahre alt bin.

Was haben Sie sich damals unter dem Beruf vorgestellt?
Blaszkiewitz: Dass ich derjenige bin, der im Zoo sagen kann, welche Tiere man hat. Das stimmt ja auch, wenn auch nicht so uneingeschränkt wie ich mir das vorgestellt habe. Und natürlich denken Sie als Fünfjähriger nicht, dass man in diesem Beruf auch viel im Büro sitzen muss. Aber im Grunde sind meine Erwartungen nicht enttäuscht worden.

Sitzen Sie heute mehr im Büro als sich durch das Gelände zu bewegen?
Blaszkiewitz: Hälfte, Hälfte würde ich sagen.

Gibt es unter Zoologen so etwas wie ethische Grundsätze?
Blaszkiewitz: Also, Biologie/Zoologie ist eine reine Naturwissenschaft, während Ethik aus der philosophischen bzw. religiösen Ebene stammt, mit meinem Studium hat das also nichts zu tun. Anders ist das bei medizinischen Berufen, wie bei den Tiermedizinern, die natürlich häufiger Entscheidungen über Leben und Tod beim Tier treffen müssen. Deshalb ist dort eine halbethische Dimension vorhanden.
Zoologie ist ein rationales Fach und selbst da, wo es Überschneidungen gibt, zum Beispiel bei der Evolutionsbiologie, spielt eine Frage wie „Kann man gleichzeitig an die Schöpfung und die Evolution glauben?“ keine Rolle. Zumindest nicht im Studium.

Wie würden Sie diese Frage denn beantworten?
Blaszkiewitz: Mit einem Deutlichen Ja. Ich bin ein religiöser Mensch, ich glaube an die Schöpfung und wenn er der Schöpfer aller Dinge ist, dann ist er auch der Schöpfer der Naturgesetze. Evolutionsbiologische Mechanismen sind für mich genauso gottgewollt wie das Newtonsche Gesetz oder die Relativitätstheorie. Ich glaube nicht, dass man als Naturwissenschaftler automatisch Rationalist oder Cartesianer sein muss.

Haben Sie sich auch mit Tierpsychologie auseinandergesetzt?
Blaszkiewitz: Ich habe mich mit Ethologie beschäftigt, mit Verhaltensforschung. In den 30er Jahren, als es populärer wurde, nannte man das auch Tierpsychologie. Das hat sich dann allerdings ein wenig gewandelt, weil man meinte, durch den Begriff Psychologie würde zu viel mit reingeheimnist.
Heute ist die Ethologie die Kunde vom Verhalten, also das, was wir objektiv erforschen und beobachten können, woraus wir Schlüsse ziehen können.

Können Sie es beurteilen, wann ein Tier ein komisches Verhalten aufweist?
Blaszkiewitz: Klar, wir kennen ja sein eigentliches Verhalten und wenn es davon abweicht können wir das beurteilen, das haben wir gelernt. Man muss aber in der Wertung immer vorsichtig sein.

Wie wird so ein gestörtes Verhalten behoben?
Blaszkiewitz: Das kommt ja in der Regel nicht vor. Das kommt in den Medien vor, aber nicht in der Wirklichkeit. Der Eisbär ist zum Beispiel völlig normal. Aber das macht sich natürlich viel schöner, wenn geschrieben wird, dass der verrückt ist. „Crazy Polar Bear“ war so eine Schlagzeile, die durch die Welt ging.

Wie kommt es denn dazu, dass eine Eisbärenmutter ihr Kind verstößt?
Blaszkiewitz: Das ist sehr häufig so. Alle Großbären sind in Abstufungen empfindlich gegen Störungen, was die Jungen-Aufzucht betrifft. Im Zoo ist der Mensch halt notgedrungen in der Nähe, selbst wenn Sie alles abschotten. Und da gibt es Bärenarten, die das leichter wegstecken und welche, die empfindlicher sind, speziell Eisbären. Da kommt es dann immer wieder zu Vernachlässigung, zum Auffressen der Jungtiere… Das hat aber nichts mit einer Verhaltensstörung zu tun, sondern das ist eine starke Empfindlichkeit des Tiers. In freier Natur gräbt sich die Eisbärmutter in einer Eishöhle ein und bleibt vier Monate da drin. Da ist es natürlich in der Regel ruhig.

Inwiefern gehört es zur Zoologie, Tieren Namen zu geben?
Blaszkiewitz: Das hat mit der Zoologie nichts zu tun, das ist eine rein menschliche Angelegenheit.

Aber als Zoodirektor macht man doch durch Namensgebung Tiere zu Persönlichkeiten, oder?
Blaszkiewitz: Das ist ein ganz normales, menschliches Vorgehen. Jeder, der einen Hund, eine Katze oder einen Kanarienvogel zuhause hat, gibt den Tieren Namen. Genauso macht das der Tierpfleger. Wenn ich morgens meine Runde durch den Zoo mache, rede ich natürlich mit den Tieren. Das liegt dem Menschen inne, das ist eine tiefere Beziehung. Wenn ich zu dem Dackel nur „Dackel“ sage, ist das entfernter, als wenn ich „Waldi“ sage. Wie bei menschlichen Beziehungen: Wenn man miteinander nicht so stark in Kontakt steht, siezt man sich, wenn man sich näher steht, duzt man sich. Das ist beim Tier nicht anders.

Wie wichtig ist es für die Wirtschaftlichkeit eines Zoos, bestimmte Tiere als Persönlichkeiten aufzubauen?
Blaszkiewitz: Das machen wir nicht, sondern das ergibt sich von alleine. Wenn sich die Leute mit einem Lebewesen identifizieren, dann muss das einen Namen haben, da können Sie nicht nur sagen: Eisbär.

Deswegen heißt er Knut.
Blaszkiewitz: Den Namen hat der Pfleger erfunden und der passt. Nordisch, kurz, einsilbig: Knut. Sicher, es wird sich keine große Öffentlichkeit um ein namenloses Tier bilden. Wenn Sie an die anderen großen Tierpersönlichkeiten im Berliner Zoo denken, das Flusspferd Knautsch, das 45 Jahre gelebt hat und das Berliner heute noch kennen, oder der Gorilla Bobby, noch vor dem Krieg – das waren große Persönlichkeiten und die haben alle einen Namen, ganz klar.

Taugt jede Tierart dazu, so eine Persönlichkeit zu werden?
Blaszkiewitz: Ich sage mal: Je näher uns das Tier steht, desto einfacher fällt es dem Menschen, eine Beziehung dazu aufzubauen. Das ist bei fast allen Säugetieren so, bei Vögeln ein bisschen weniger. Bei Reptilien sind es Krokodile und Schildkröten, die eine große Affinität für den Menschen haben, danach wird es dann immer weniger. Je näher uns ein Lebewesen von der Verwandtschaft her ist, desto eher können wir mit ihm in Kontakt treten. Wenn Sie einem Schimpansen ins Gesicht gucken, dann wissen Sie, wie viel Prozent des Genmaterials ähnlich ist.
Bei Knut kam dann noch hinzu, dass er handaufgezogen wurde. So können Sie ein Tier in einem anderen Stadium vorstellen. Normalerweise, wenn ein Eisbär-Baby bei seiner Mutter ist, kommt es das erste Mal raus, wenn es fünf Monate ist. Wir haben Knut schon früher der Öffentlichkeit vorstellen können, da war er eben noch klein und niedlich.

Inzwischen ist Knut erwachsen, zieht aber immer noch viele Besucher an. Kann man seinen Wert eigentlich beziffern?
Blaszkiewitz: Nein. Früher haben wir die Tiere bewertet, weil der Zoo in den 1860er Jahren eine Aktiengesellschaft wurde, wo jedes Tier einen Buchwert, einen buchhalterischen Wert gehabt hat. Damals fand auch noch in großem Umfang Tierhandel statt, man hat Tiere regelmäßig verkauft und gekauft. Da hatte ich natürlich einen Anschaffungswert und einen Abgabewert. Heute gibt es nur noch einen Gesamtwert für alle Tiere, und der ist auch wesentlich geringer angesetzt als früher. Außerdem wir inzwischen ein bisschen Hemmungen, Lebewesen wie einen Maschinenpark ab- und aufzuwerten.

Knut ist aber immerhin so wertvoll, dass der Zoo Neumünster seit kurzem Anspruch auf Knut erhebt. Wird er in Berlin bleiben?
Blaszkiewitz: Wir wissen nichts anderes. Knut bleibt hier, aber dass er Neumünster gehört, ist durch den Zuchtvertrag klar. Der Vater gehört Neumünster und der erste Junge genauso. Wenn der Zoo Neumünster nun eine andere Entscheidung trifft… Uns gehört allerdings auch ein Weibchen, das in Neumünster steht. So einfach ist das alles nicht. Im Moment weiß ich nicht, was die vorhaben, ich habe zum Zoo Neumünster keinen Kontakt und entnehme das auch nur der Presse.

Versuchen Sie manchmal, sich in Tiere hineinzuversetzen?
Blaszkiewitz: Nein.

Haben Sie auch als Kind nicht getan?
Blaszkiewitz: Nein.

Wie war als Kind Ihr Verhältnis zu Tieren?
Blaszkiewitz: Gut.

Zitiert

Am besten wäre es, die Kuh lebt auf der saftigen Wiese und stirbt mit ungefähr 22, weil sie dann einen Herzschlag kriegt. Das ist aber nicht die Welt.

Bernhard Blaszkiewitz

Sie haben nie Angst vor einem Tier gehabt?
Blaszkiewitz: Nein.

Hatten Sie Haustiere?
Blaszkiewitz: Klar, als Kind und Jugendlicher habe ich Schildkröten gezüchtet, ich hatte Molche, Fische, verschiedene Nagetiere, Hamster, Meerschweinchen, Rennmäuse, Wellensittiche, Prachtfinken…

Wie haben Sie die genannt?
Blaszkiewitz: Die hatten alle Namen. Das Meerschwein hieß Puschkin und die Schildkröten Otto und Ottilie.

Gibt es Tiere, die zum Eingesperrtsein untauglich sind?
Blaszkiewitz: Also, den Begriff „Eingesperrtsein“, benutzen wir gar nicht, weil dem ein menschliches Verhalten zugrunde liegt. Wenn sich ein Mensch eingesperrt fühlt, können wir das nachvollziehen. In welchem Umfang aber Tiere Gefühle haben, die unseren Verhaltensweisen entsprechen, ist in der Ethologie nicht nachweisbar. Es ist vermutbar, dass wir – gerade beim angeborenen Verhalten – eine große Ähnlichkeit im Repertoire haben. Aber man sollte sich hüten, die gleichen Begriffe für Mensch und Tier zu verwenden. Wissenschaftlich ist das nicht korrekt.
Insofern reden wir nicht von "Eingesperrtsein", sondern von Wildtieren in Menschenhand. Und da gibt es natürlich Tiere, die sich unserem heutigen Haltungssystem entziehen, große Wale zum Beispiel. Es gibt auch Tiere, für die man bis heute kein Ersatzfutter kennt. Wenn Sie das nicht beschaffen können, können Sie die Tiere nicht halten.

Im Zoologischen Garten haben zum Beispiel die Tiger in ihrem Gehege kaum Auslauf, können sich nur auf relativ kleinem Raum bewegen, Vögel, die sonst kilometerweit fliegen, leben auf wenigen Quadratmetern.
Blaszkiewitz: Einschränkungen haben Sie immer. Tierhaltung ist immer Einschränkung. Jedes Tier kann länger laufen, höher springen, weiter fliegen – und Vogelzug kann es bei uns überhaupt nicht machen – das ist klar.
Man kann sagen, man will das nicht und ist gegen Zoos, weil man diese Einschränkung nicht akzeptiert. Es gibt auch Leute, die keine Hühnerbatterien wollen, weil das eine noch stärkere Einschränkung ist. Tierhaltung ist a priori immer Einschränkung, in Bezug darauf, was das Tier kann. Und die Geister scheiden sich dort, wo ich bewerte: Ist das in Ordnung oder nicht? Aber da zoologische Gärten ein wichtiger Bestandteil in der urbanen Umwelt des Menschen sind, halten wir das natürlich für richtig.

Mich interessierte dabei die Frage: Muss sich ein Tier nicht bewegen, um seine Muskeln zu trainieren, auch um lange zu leben?
Blaszkiewitz: Die Tiere bewegen sich ja. Nur muss ein Gnu nicht die Wanderung in der Serengeti machen, um ein kräftiges Muskelwerk zu haben.

Und ein Vogel, der die ganze Zeit in einem Käfig von zwei Meter Höhe lebt und nur von Ast zu Ast hüpft?
Blaszkiewitz: Also, wenn man sagt: „Der Vogel muss fliegen“, dann ist das Quatsch. Fliegen kann er, das verlernt er auch nicht.
Sicher, ich weiß nicht ob jeder Vogel, der bei uns in der Voliere lebt, einen Vogelzug mitmachen könnte. Oder ob die Streifengans, die bei uns auf dem Teich sitzt, noch über den Himalaya käme. Aber die normale Bewegung können sie natürlich machen.
Es gibt für alles Liebhaber und es gibt politische Organisationen, die fordern, dass man Menschenaffen, Giraffen, Eisbären, Elefanten etc. anders hält. Das können die in einem freien Land wie unserem fordern, aber das ist nicht objektivierbar. Ich kann in einer Demokratie sagen, ich mag das nicht, aber erfreulicherweise sagt die Mehrheit der Leute das nicht, wie die Besucherzahlen der letzten Jahre, nicht nur in Berlin, beweisen.

Gibt es eine artgerechte Haltung?
Blaszkiewitz: Nein, dieses Wort benutze ich nie, weil es ein dummes Wort ist. Weil die Leute damit ausdrücken wollen, dass es auch eine falsche Haltung gibt, weil sie nicht so ist, wie in freier Wildbahn und deshalb nicht artgerecht sei. Für mich ist das ein Modewort, das nichts sagt. Wir streben an, dass ein Tier so viele Verhaltensweisen wie möglich im Zoologischen Garten ausführen kann. Aber nochmal: ohne Beschränkungen geht es nicht. Der Vogel kann nicht wegfliegen, mit den anderen nach Afrika, der ist hier.
Zoo ist immer Surrogat, nicht Imitat. Das ist immer anders als die freie Wildbahn. Viele Gehege finden wir Menschen ganz toll, dem Tier ist das aber völlig wurscht, ob da ein Gitter oder ein Graben ist. Tiere müssen nur ihre Verhaltensweisen breit leben können. Ein Affe muss klettern können und wenn ich ihm kein Gitter mehr gebe, dann muss ich ihm in seinem Gehege eine Struktur schaffen, die das ersetzt. Und da brauche ich eine ganze Menge. Weil so einen alten Knastkäfig wie früher, den will heute natürlich niemand mehr, da sind die Menschen anders geworden.

Sie wurden im März 2008 oft mit den Worten „artgerechte Tötung“ zitiert. Was ist eine artgerechte Tötung?
Blaszkiewitz: In dem Fall, den Sie ansprechen, war es eine schnelle, kurze Tötung, so schmerzlos wie möglich. Das hat nichts mit der Art zu tun. Wenn man ein Tier schnell tötet, ist das etwas anderes, als wenn man es langsam tötet. Sie können Futterratten mit einem Holz ins Genick schlagen, dann sind die sofort tot. Sie können die aber auch in eine Vergasungsanlage stecken, dann dauert das 15 Minuten.

Haben Sie als Kind Bilder von Tierversuchen gesehen?
Blaszkiewitz: Nein.

Gab es damals noch keine Bilder davon? Wurde das noch nicht so kommuniziert wie heute?
Blaszkiewitz: Es wurde noch nicht so viel Unsinn darüber geschrieben.

Zum Beispiel?
Blaszkiewitz: Tierversuche unterliegen bei uns von Vornherein immer einer negativen Wertung: Tierversuch ist schlecht. Aber das ist nicht richtig. Für das Individuum ist es sicherlich schlecht, wenn es daran stirbt. Trotzdem möchte ich, dass ein Medikament, was der Mensch anwendet, vorher am Tier ausprobiert wird. Ob man nun Millionen von Labortieren rauchen lassen muss, um zu erweisen, dass das gesundheitsschädlich ist, ist natürlich diskutierbar. Aber es gibt eine ganze Reihe von Tierversuchen, die im Sinne der Humanmedizin nötig und wichtig sind. Ich persönlich muss zum Beispiel Betablocker nehmen und ich finde es besser, wenn man vorher ausprobiert, dass die funktionieren.

Und was sagen Sie zu Tierversuchen im Bereich der Kosmetik?
Blaszkiewitz: Ich benutze keine Kosmetik. Klar, es gibt bestimmte Bereiche, wo Tierversuche sinnvoll sind und wo sie nicht sinnvoll sind. Ich wehre mich allerdings gegen diese Pauschalisierungen: Der Jäger ist böse, wer medizinische Tierversuche macht ist böse, der Zirkusdirektor ist böse – das ist für mich alles Unsinn.

Das Verhältnis des Menschen zu Tieren kann sehr unterschiedlich sein: Wenn es um die drohende Tötung eines kleinen Eisbären geht, ist die Aufregung groß, die Schlachtung von Tausenden Tieren jeden Tag kümmert hingegen niemand. Wie erklären Sie sich dieses unterschiedliche Verhalten?
Blaszkiewitz: So ist der Mensch. Denken Sie an sich selber: Wenn Sie erfahren, dass ein Ihnen nahestehender Mensch stirbt, rührt Sie das mehr, als wenn Sie lesen, dass in Bangladesch bei einer Überschwemmung 10.000 ertrunken sind. Warum? Weil Sie diese Menschen nicht kennen. Sie sehen das vielleicht im Fernsehen, aber Sie haben keinerlei Gefühl dafür. Gefühl beim Menschen ist immer personell gebunden. Um so schlimmer ist es, wenn ein Angehöriger stirbt, oder ein guter Freund.

Und Knut war in diesem Sinn ein guter Freund?
Blaszkiewitz: Knut hat uns angeguckt. Dieser liebe, kleine, hilflose Eisbär. Natürlich sind die Menschen davon eher berührt, als wenn der WWF seine neuen Zahlen präsentiert, nämlich dass in Russland pro Jahr immer noch 3000 Eisbären gewildert werden. Da sagen die Leute vielleicht: „Oh, ist ja schlimm“ – aber das ist weit weg.
Wenn Sie den Leuten zeigen, wie Kühe geschlachtet werden, dann denken die natürlich zuerst: „Um Gottes Willen.“ Aber dann essen sie weiter ihr Steak, vernünftiger Weise, weil der Mensch ist nun mal ein Gemischtköstler. Die Haltung von Tieren zu Nutzzwecken, Schlachtzwecken und zu Produktionszwecken, darüber macht man sich keinen großen Kopf. Es gab zwar diese Geschichten, besonders bei den Legebatterien, wo von Hühner-KZ gesprochen wurde, wo das emotional sehr aufgewühlt wurde. Klar, dass das für die Hühner nicht schön ist, darüber muss man nicht diskutieren. Aber dann müssen sie den Leuten auch sagen, was eine andere Haltung bedeutet. Dann kostet ein Ei eben 60Cent. Wenn die Leute das wollen…

Kaufen Sie Bio?
Blaszkiewitz: Ja, seit es die bei mir in der Kaufhalle gibt, kaufe ich ganz brav diese Bio-Eier. Ich kann mir die aber auch leisten. Oder beim Fleisch: das Neulandfleisch schmeckt schon gut. Trotzdem würde ich die andere Art der Produktion nicht geißeln wollen. Weil die Eiweißknappheit, die in der Welt herrscht, verlangt, dass Produktionsmethoden gefunden werden, die eben auch die hungernde Bevölkerung befriedigen. Ich habe in Indonesien oder Brasilien Szenen gesehen – da sind Sie schon dankbar, in welchem Teil der Welt Sie leben. Und wenn man das alles regeln will, spielt die Fleischproduktion halt eine große Rolle. Man muss da vorsichtig sein, es lässt sich von unserem hohen Ross in Europa immer sehr leicht sagen: „Macht das mal so.“ Aber wenn Sie dort zwölf Familienangehörige ernähren müssen, ja, wie sollen die das denn machen?

Sie sagten vorhin, Sie sind ein religiöser Mensch. Glauben Sie auch an eine Rache der Natur?
Blaszkiewitz: Nein. Ich glaube an Gott und Gott ist kein wachender, rächender Gott. Was heute so gern erzählt wird, dass Naturkatastrophen und Klimageschichten menschengemacht sind, das steht wissenschaftlich auf sehr wackligen Füßen. Dass der Mensch, in seiner Gesamtheit und besonders in den Industrienationen, Einfluss auf klimatische Faktoren und Erwärmung nimmt, ist nachweisbar. Allerdings wissen wir nicht, wie hoch der Prozentsatz ist. Wenn wir uns zum Beispiel in der Geschichte die Eiszeitverteilung anschauen, wie oft das auf der Welt vorkam – da haben wir noch keinen Einfluss gehabt, weil wir noch viel zu wenig auf der Erde waren. Heute haben wir Einfluss auf das Klima, aber wie stark der ist, da muss noch viel mehr geforscht werden.

Ich möchte hier das Beispiel BSE anführen. Hat das nicht gezeigt, dass es sich rächen kann, wenn Tiere zu sehr ausgebeutet werden?
Blaszkiewitz: Dort hatte ein falschen Verhalten eine bestimmte Konsequenz. Das ist die Natur. Aber das hat für mich nichts mit Rache zu tun. Wer soll denn der Racheübende da sein? Die Natur ist ja kein handelndes Wesen.

Aber die Natur reagiert auf die Handlungen der Menschen.
Blaszkiewitz: Ja, aber der Mensch macht auch viel für die Natur, er kann das Konto ausgleichen.

Im Fall BSE hat er der Natur offenbar zu viel zugemutet.
Blaszkiewitz: Zu BSE lässt sich Vieles sagen. Es gab in den letzten 20 Jahren kaum eine hysterischere Reaktion als die auf die Rinderseuche. Dabei ist heute weder erwiesen, dass die Creutzfeld-Jakob-Krankheit dasselbe ist, wie die BSE-Erkrankung bei den Rindern, noch steht der Tod von 15 Menschen in irgendeiner Relation zu der Zahl der Menschen, die jeden Tag durch Unfälle oder Krebs sterben. Aber das ist eben auch ein Produkt unserer Gesellschaft, dass so eine Geschichte sofort hochgesprudelt wird und alle Leute sagen: „Oh Gott!“
Gerade bei Dingen, die mit Ernährung zu tun haben, funktioniert das natürlich fantastisch, weil Ernährung uns alle betrifft. Und sie können einen Menschen kaum irrer machen als wenn Sie sagen: „Wenn du das isst, wirst du krank“.

Und die Warnungsfunktion der Medien sehen Sie nicht?
Blaszkiewitz: Nein, die Medien übertreiben schamlos bis zum Gehtnichtmehr. Wobei das auch nicht die alleinige Schuld der Medien ist, sondern die Leute wollen das so. Die gucken sich den Quatsch an und lesen die Zeitschriften, das ist ein Bedürfnis, was die Leute haben.

Doch die Gefahr durch BSE für den Menschen lässt sich auch nicht ganz abstreiten.
Blaszkiewitz: Ja, aber ich würde zu einer Relativierung neigen: Man soll die Gefahren erkennen aber gleichzeitig auch die Relation der Opfer sehen. Bei der Geflügelpest, da hatten Sie 100 Fälle in Asien und die drei Kinder in der Türkei. Bei einer normalen Grippe sterben jedes Jahr in Deutschland und Zentraleuropa mehrere Tausend Leute.

Die Entstehung von BSE geht sehr wahrscheinlich darauf zurück, dass mangelhaftes Tiermehl an Rinder verfüttert wurde, wodurch die Betriebe Kosten gespart haben…
Blaszkiewitz: So ist das in der Industrie. Profit entsteht, in dem ich mehr verdiene als ich ausgebe. Und dass es da auch krumme Dinger gibt, ist doch klar.

Es geht mir allgemein um die Frage: Wie sehr dürfen wir auf Kosten der Tiere Profit machen?
Blaszkiewitz: Am besten wäre es natürlich, die Kuh lebt auf der saftigen Wiese und stirbt mit ungefähr 22, weil sie dann einen Herzschlag kriegt. Das ist aber nicht die Welt: Die alte Kuh soll Milch geben, sechs bis acht Jahre, danach kommt sie ins Steak-Haus. Und die kleine Kuh wird dafür gezüchtet, dass wir beim Italiener das Vitello Tonnato essen können. Und ein gutes Steak ist natürlich nicht von einer alten Kuh, sondern meistens vom Ochsen, der wird kastriert, damit das Fleisch schön ansetzt, und wenn der anderthalb Jahre alt ist, schmeckt der am besten. Das ist seine Bestimmung.
Der Mensch hat Wildtiere domestiziert, damit er davon leben kann, damit er nicht mehr rumlaufen und jagen muss. Dann hat er die Haustiere und die Nutzpflanzen geschaffen, und so hat er dann auch schlaue Bücher schreiben und viele Erfindungen machen können. Das konnte er vorher nicht, weil er die ganze Zeit unterwegs war, um das Essen zu holen. Das ist einfach unsere Kulturgeschichte. Und ich finde es ehrlich gesagt ein bisschen billig, in der heutigen Zeit leben zu wollen, aber bei diesem Punkt zu sagen: Das ist alles ganz schlimm.

Aber ist dieser Umgang mit Tieren noch vernünftig?
Blaszkiewitz: Ich habe da so ein Lieblingsbeispiel: Als ich studiert habe, war Umweltschutz ja das Thema. Da haben wir alle gefordert: Wenn vier Personen denselben Arbeitsweg haben, sollen die in einem Auto fahren. Na klar, das ist vernünftig. Aber es ist eben nur eine Facette, weil für viele bedeutet das Auto die persönliche Freiheit. Da will ich dann nicht drei Leute mitnehmen, von denen der eine in der Nase bohrt, der andere aus dem Mund stinkt – da will ich alleine fahren. Ökologisch ist das unvernünftig, menschlich ist es verständlich.

Und Sie? Fahren Sie persönlich auch lieber alleine zur Arbeit?
Blaszkiewitz: Ich habe da eine ganz weiße Weste: Ich kann noch nicht mal Autofahren. Ich fahre Fahrrad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich bin ökologisch ein ganz reiner Typ. Außer bei meiner Mülltrennung, die ist noch verbesserungswürdig…

Herr Blaszkiewitz, haben Sie Mitgefühl mit Tieren?
Blaszkiewitz: Natürlich, sonst wäre ich nicht Zoodirektor. Ich bin von meinem Erbgut her genauso ausgestattet wie jeder normale Mensch. Und jeder normale Mensch mag Tiere, vor allem die kleinen. Deswegen hat uns ja dieser Bär so angemacht. Wie er uns angeglotzt hat mit seinen schwarzen Augen in dem weißen Fell, mit der kurzen Schnauze – das ist Kindchen-Schema hoch drei. Das hat ja die Verhaltensforschung nachgewiesen, dass das Kindchen-Schema ein uns angeborenerer Mechanismus ist, damit wir die jungen unserer Art nicht töten, damit wir die auch süß finden. Und jeder normale Mensch findet ein Baby, wenn es nicht zu laut schreit, niedlich. Kinder freuen sich, wenn sie ihre kleineren Geschwister im Kinderwagen schieben dürfen, Eltern lieben sie sowieso und die Großeltern sind ganz verrückt nach ihnen.

Und Mitleid?
Blaszkiewitz: Klar, genauso. Wenn man sieht, dass ein Kind leidet, wenn es beim Arzt eine Spritze kriegt und weint, das geht einem auch an die Nieren. Und das sehen wir beim Tier genauso.
Es besteht allerdings die Gefahr – und die habe ich auch bei Knut gesehen – dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier nicht mehr klar ist. Wenn Leute ihre Tiere am Ende auf den Tierfriedhof bringen, wenn wir uns mehr über tote Tiere aufregen als über das Leid, was Menschen zugefügt wird. Da wird es kritisch und das darf ein Zoo auch nicht fördern. Ein Zoo präsentiert seine Tiere, aber er ist nicht dafür da, Weltbilder zu vermitteln.

Wir haben schon darüber gesprochen, dass Menschen sich mit Tieren identifizieren können. Mit welchem können Sie sich am besten identifizieren können?
Blaszkiewitz: Ich identifiziere mich nicht mit Tieren. Ich habe höchstens Lieblingstiere: Elefanten, Nashörner, Flusspferde und Seekühe. Aber das hat nichts mit Identifikation zu tun, sondern das sind Tiere, die ich besonders mag, weil ich persönlich, wenn ich sie anfasse, mit ihnen rede, sie streichele, das Gefühl habe, dass ich mit ihnen besonders gut kann. Wenn ich großen Ärger habe, gehe ich zu den Elefanten – und dann ist das weg.
Ich bin nicht ohne emotionale Bindung zu Tieren. Weil nur für den Bürojob würde ich das hier nicht machen.

3 Kommentare zu “Ein Zoo präsentiert seine Tiere – und keine Weltbilder.”

  1. Andreas |

    Einseitig

    Wann kommen die Kritiker (z.B. PETA) auch mal in so einer Länge zu Wort.
    Nie.
    Damit ist das hier einseitig und nicht glaubhaft.
    Aufgrund der Einseitigkeit wird hier nur schön geredet.
    Das hat mit ehrlichen Journalismus nichts zu tun.
    Schade, hätte ich mehr erwartet.

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  2. Bryah |

    The Veggie Way of Life!

    Kann mich der Vorrednerin nur anschließen. Live life the veggie way! ;-) Es tut der Welt nur gut! So oder so!

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  3. Elisabeth Petras |

    Weg mit den Scheuklappen!

    Einiges, was der Zoodirektor da behauptet, stimmt ganz einfach nicht. So fördert gerade der hohe Fleischkonsum hierzulande den Hunger in der Welt, eil immense Mengen von Futtermitteln benötigt werden. menschen können prima vegetarisch leben, es ist sogar gesünder. Ich selbst lebe seit 17 Jahren vegetarisch. Vegetarier nehmen ca. das Doppelte ihres Eiweißbedarfs auf und sie sind weniger anfällig für die am meisten auftretenden Krebs-Arten und leben in der Regel länger! Leider mögen sich Menschen im Alter nur ungern umstellen und den Kindern, die das noch könnten, wird die Ernährungsweise der Eltern aufgenötigt – das ist wirklich ein Problem. Falsch ist, dass man artgerechte Tierhaltung nicht definieren könnte. Ist das Verhalten einer Art in der Natur bekannt, ist leicht ersichtlich, welche Verhaltensweisen für das Tier relevant sind.
    Auch Verhaltensstörungen in Gefangenschaft geben Hinweise darauf. Herr Blaskiewitz verlässt sich auf Tierversuche, obgleich die oft nicht übertr!
    agbar sind. Zugleich spricht er den Tieren Gefühle ab. Tiere haben ähnliche Hirnstrukturen wie wir. Dass sie Gefühle haben ist so gut wie erwiesen, denn es ist viel unwahrscheinlicher, dass sie keine hätten.
    Hier ist viel Ignoranz im Spiel. Scheuklappen werden angelegt, „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“!

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