Beth Ditto, Ihre aktuelle Single „Supernature“ haben Sie mit der französischen Electro-Band The Shoes für das Album „The Best Of Cerrone Productions“ aufgenommen. Haben Sie das eher so nebenbei erledigt oder steckt mehr hinter dieser Cover-Version?
Beth Ditto: Es war auf jeden Fall eine Ehre, dafür angefragt zu werden. Cerrones Song ist ja älter als „Thriller“ von Michael Jackson und es ist eine ziemlich seltsame Komposition, auch weil der Text von Kreaturen aus der Unterwelt handelt (lacht). Zuerst war ich skeptisch, denn der Song ist ja schon so perfekt, warum sollte man ihn covern? Aber es hat dann doch großen Spaß gemacht, ihn einzusingen.
Beth Ditto: Supernature (Alan Braxe Remix)
Haben Sie irgendwelche speziellen Bande zum französischen und italienischen Disco-Sound der 1970er Jahre?
Ditto: In technischer Hinsicht gibt es im Tanzbereich nichts Besseres, so penibel wie die Songs damals in den 70ern produziert wurden. Ich habe immer das Gefühl, dass Disco-Musik in gewisser Weise so etwas ist wie schwuler Punk. Zu der Zeit hingen die schrägsten Leute und Dragqueens in den Discotheken herum, deswegen hat die Musik für mich auch eine kleine revolutionäre und befreiende Botschaft. Man darf auch nicht vergessen, es gab damals keine Computer, die Kompositionsarbeit von Cerrone oder auch Giorgio Moroder war ein unheimlich mühseliges Aufschichten von verschiedenen Tonspuren auf Tonbändern, bis am Ende dieser perfekte Discosound entstehen konnte.
Hat dieser Discosound denn noch Einfluss auf die heutige Tanzmusik?
Ditto: Wenn man die gängige Popmusik mal außen vor lässt, hat sich im Bereich der tanzbaren Musik ja gar nicht so viel verändert. Es geht immer noch vornehmlich um den Rhythmus und konstante Wiederholungen. Aber ich kenne keinen DJ, der selbst Beats komponiert, der nicht auf irgendeine Art von Disco beeinflusst worden ist. Das gilt selbst für so Leute wie Arthur Russell.
Hat Disco auch die Abkehr vom klassischen Bandgefüge im Pop vorangetrieben?
Ditto: Vielleicht. Aber heutzutage will ja auch kaum noch jemand in einer Band sein, jeder ist ein DJ. Und DJs sind die neuen Rockstars, was schon sehr merkwürdig ist. Ich finde es immer noch seltsam, in einen Club zu gehen, nur um einem berühmten DJ beim Auflegen von Platten zuzuschauen.
Die Diät-Industrie ist großer kapitalistischer Unsinn.
Vor drei Jahren haben Sie mit „Coal To Diamonds: A Memoir“ eine Autobiographie veröffentlicht, in der Sie viel über Ihre karge und harte Jugend in Arkansas preisgeben. War das ein Prozess der Vergangenheitsbewältigung, oder was hat Sie dazu bewogen, in relativ jungen Jahren eine Autobiographie zu veröffentlichen?
Ditto: Relativ jung – das stimmt wohl. Als man mich das erste Mal fragte, ob ich ein Buch schreiben wollte, war ich 27. Da fühlte ich mich viel zu jung, worüber sollte ich denn schon schreiben? Aber mir wurde irgendwann bewusst, dass ich Leuten, die eine ähnlich harte Kindheit wie ich durchleben müssen, mit einem Buch helfen könnte, durchzuhalten. Wenn deine Familie dich nicht akzeptiert, kannst du dir einfach deine eigene Familie schaffen. Du kannst dir eine Umgebung schaffen, die dich glücklich und gesund macht, egal ob es durch Kunst, durch Musik oder durch eine Freundschaft oder eine Beziehung ist. Aber wenn ich jetzt noch mal damit anfangen könnte, würde ich alles vielleicht ein wenig fröhlicher formulieren.
Wie waren die Reaktionen der Leser, haben Sie positives Feedback bekommen?
Ditto: Ja, Leute schreiben mir sehr reizende Sachen, über Instagram habe ich viel Zuspruch für das Buch bekommen. Ein Buch zu schreiben ist ja schon eine sehr zügellose Sache, eine Art Ego-Trip, und ich war nicht davon überzeugt, dass sich die Leute überhaupt für mein Leben interessieren würden. Andererseits wollte ich meiner Mutter unbedingt ein Haus kaufen und man bot mir viel Geld für das Buch, also habe ich es geschrieben und am Ende tatsächlich auch ein Haus für meine Mutter gekauft. Und es hat Leuten geholfen. Es reicht ja schon, wenn bloß fünf Leute, die sich in der Welt wie ausgegrenzte Sonderlinge fühlen oder gesagt bekommen, sie seien nicht gut genug, sich nach dem Lesen des Buches besser fühlen und ihr Ego ein wenig bestärkt wird. Dann ist es auch egal, ob 10.000 andere Menschen das Buch vielleicht hassen.
Mehr noch als Ihre markante Stimme ist Ihre Figur zu Ihrem Markenzeichen geworden. Was halten Sie eigentlich von der Abnehm- und Diät-Industrie?
Ditto: Vom menschlichen Standpunkt aus halte ich die Diät-Industrie für großen kapitalistischen Unsinn. Denn es hat nichts mit der Gesundheit der Menschen zu tun. Und wenn man sich die USA anschaut, trotz der Gesundheitsreform, wird hier immer noch sehr viel Geld mit kranken Menschen verdient und es gibt unfassbar viele Werbespots im Fernsehen, die zum Kauf von Medizin animieren sollen. Meine Mutter war 30 Jahre lang Krankenschwester und hat sich schon früh über die Industrialisierung der Gesundheitsindustrie aufgeregt. Wenn du der Meinung bist, dass du abnehmen möchtest, prima, aber es wird dich nicht automatisch glücklicher machen. Dick sein ist in bestimmten Fällen ungesund, aber es ist meiner Meinung nach keine Frage der Schönheit oder der Ästhetik.
Als Sie 1999 mit der Band The Gossip angefangen haben, war es für Sie da schon erahnbar, welchen Einfluss Sie auf soziale und genderspezifische Themen haben werden? Immerhin haben Sie eine Zeit lang eine Kolumne für die Zeitung „The Guardian“ geschrieben und für die Modemarke Evans eine Kollektion für große Größen entworfen.
Ditto: Nein, das war auf keinen Fall zu erahnen! Wir wollten damals einfach in einer Band sein und ich wollte mir selbst dabei treu bleiben, wir waren so idealistisch! Aber ich hätte mir niemals träumen lassen, heute da zu stehen, wo ich jetzt bin, mit Singen meinen Lebensunterhalt zu bestreiten und ein eigenes Haus zu besitzen. Es ist immer noch seltsam für mich, auf die Frage nach meinem Beruf mit „Musikerin“ zu antworten, denn das war immer der Traum, der eigentlich zu groß war, um ihn fassen zu können. Ich habe ja heimlich immer gehofft, keinen Job mit einem geregelten Arbeitstag ausüben zu müssen, denn dafür bin ich tatsächlich viel zu undiszipliniert.
2012 haben Sie in einem Interview gesagt, dass Gossip als Band in den USA kaum Erfolg hat, weil Sie zu dick, zu lesbisch und zu vorlaut seien. Hat sich der Erfolg auch in den USA mittlerweile eingestellt?
Ditto: Ich habe gestern noch mit jemandem von einer Plattenfirma gesprochen und angeblich nimmt unsere Popularität in den USA zu, aber mich interessiert das gar nicht so sehr. Es war nie das Ziel, eine berühmte Band zu werden, wir arbeiten immer für uns selbst und denken nicht darüber nach, wie viele Menschen das interessiert. Damit begibt man sich in einen Konkurrenzkampf, den man eh nicht gewinnen kann.
Glauben Sie denn, dass Musiker, die sich selbstbewusst abseits der Norm präsentieren es heute einfacher haben, als noch vor zehn Jahren?
Ditto: Es ist ja so, dass eine Generation immer von den Errungenschaften profitiert, die die Vorgängergeneration sich erkämpft hat. Und so wie die Riot-Grrrl-Bewegung (eine feministische subkulturelle Bewegung in den USA Anfang der 1990er Jahre, Anm. d. Red.) für mich ein maßgeblicher Einfluss war, gibt es derzeit Leute wie Adele oder Sam Smith, die Themen wie die Homo-Ehe oder Gewichtsprobleme ganz unvoreingenommen zur Diskussion stellen. Das hat es vor zehn Jahren glaube ich nicht gegeben. Aber ob sich wirklich etwas verändert hat, weiß ich nicht. Ich denke da viel darüber nach, aber eher auf einer privatenals auf einer geschäftlichen Ebene.
Gibt es schon neue musikalische Pläne mit The Gossip?
Ditto: Also die nächste Sache die ich definitiv angehen werde, ist eine Soloplatte. Wir starten mit The Gossip jetzt in das sechzehnte Jahr und ich fühle mich nun bereit dafür, im Alleingang etwas auf die Beine zu stellen. Nicht weil ich die Band nicht liebe, oder weil ich glaube, besser zu sein als sie, sondern weil ich mich selbst herausfordern möchte, um die Platte aufzunehmen, die ich schon immer machen wollte.
Das heißt also, für The Gossip ist erstmal Pause?
Ditto: Ja, obwohl wir eine Menge neuer Songs geschrieben haben. Aber ob die jemals veröffentlicht werden ist ungewiss.