Herr Bargeld, mir ist keine Platte, schon gar nicht von den Einstürzenden Neubauten in Erinnerung, die so optimistisch ist, wie ihre neue CD. Wurde sie deswegen „Alles wieder offen“ genannt?
Bargeld: Naja, in erster Linie heißt die Platte so, weil wir immer einen Songtitel auch als Albumtitel genommen haben. Irgendeiner musste es also werden und der Song „Alles wieder offen“ ist für mich nicht unbedingt optimistisch. Allerdings ist der Titel für uns vielleicht in dem Sinne programmatisch, dass es das erste Album ist, das wir selbst als Plattenfirma herausbringen. Wir wollten das wenigstens einmal versucht haben und wenn das jetzt nicht klappt, ist Sense.
„Alles wieder offen“ klingt aber weniger nach einem „Jetzt oder nie“ sondern eher nach einer optimistischen Standortbestimmung, einem eher positiven Lebensgefühl.
Bargeld: Ich stimme zu, die Platte ist recht heiter. Nicht heiter im Sinne von „Haha!“, aber sie ist doch recht freundlich.
Wie wurde dieser Zustand erreicht? Durch einen Rückblick der zufrieden machte?
Bargeld: Nein, die Homogenität, die gewisse Leichtigkeit der neuen Platte hängt eher mit etwas anderem zusammen. Die Neubauten hatten immer viel mit Ausprobieren zu tun. Parallel zum offiziellen Album haben wir in den letzten Jahren 15 so genannte „Jewels“ aufgenommen, Musik, die nur unsere „Supporter“ bekommen, die sich für einen festen Betrag auf unserer Homepage angemeldet haben. Die Jewels sind gelinde gesagt das experimentellste, was wir so in den letzten Jahren gemacht haben. Die sind alle in ihrer Instrumentierung komplett abstrus. Wir haben Experimentierfelder mehr oder weniger ausgelagert und für die offizielle Platte griffen wir dann eher auf unser jahrelang bewährtes Instrumentarium zurück. Wir bewegten uns da auf relativ gesichertem Boden. Aber von den Experimenten sind Kleinigkeiten auch wieder zurück geflossen. Bei den früheren Alben war das umgekehrt, da war das Experiment unser Boden.
Das klingt nach einer sehr bewussten kreativen Technik.
Bargeld: Nö. Das ist mir alles erst hinterher klar geworden. Das ist eigentlich Zufall. Wir wollten erst ein Album aufnehmen, möglichst in einem Jahr. Um dann die Schwierigkeit zu erhöhen, kamen dazu noch die Jewels und eine weitere experimentelle CD-Reihe, vier so genannte Musterhäuser, eine CD alle drei Monate. Wir hatten unseren Unterstützern einen neuen Download pro Monat versprochen. Das hat das Arbeitspensum verdreifacht. Was das für eine Auswirkung auf das Album hatte, wird mir jetzt erst klar, indem ich drüber rede.
Der Song „Nagorny Karabach“ bezieht sich auf eine Region, zwischen Armenien und Aserbeidschan, deren staatliche Zugehörigkeit umstritten ist, gewissermaßen ein Niemandsland.
Bargeld: Es bezieht sich allerdings nicht direkt auf diesen Ort. Ich bin dort auch nie gewesen. Es ist eher die Beschreibung eines Geisteszustandes.
Scheitern Sie bisweilen an Uneindeutigkeiten von Situationen, oder an der Anforderung, sich zwischen zwei Optionen entscheiden zu müssen?
Bargeld: Es ist manchmal nicht notwendig sich zu entscheiden.
Können Sie die Unsicherheit, die in so einer offenen Situation entsteht, lange ertragen oder kreativ nutzen?
Bargeld: Ja, es geht mir in meiner eigenen Enklave, in meinem schwarzen Garten, auf einem Berg zwischen Nebeln eingeklemmt gar nicht so schlecht. (lacht)
Im selben Song geht es auch um etwas konkreteres, zum Beispiel um eine Stadt, von der Sie sich fragen, ob Sie von ihr „lieb gehabt“ werden.
Bargeld: Mein Übersetzer ist da auch drüber gestolpert. „That’s not Blixa“ hat er gesagt, weil ich eigentlich nie eine Wendung wie „lieb haben“ benutze. Und das stimmt. Das ist ein Zitat aus „Wenn ich mir was wünschen dürfte“…
…ein Lied von Friedrich Hollaender, der Ende 1929 die Musik für „Der blaue Engel“ komponiert hat, für jenen Film, der zum großen Durchbruch für Marlene Dietrich werden sollte.
Bargeld: Ich liebe das Lied und Marlene Dietrich, die es auch gesungen hat, verehre ich sowieso. Wenn ich an sie denke, muss ich auch immer automatisch an Berlin denken. In dem Lied steckt auch das Exil-Motiv, das Fremdsein, das Weggehen von Berlin drin. Ich singe da aber nicht konkret von Peking oder San Francisco. Ich blicke eher von außerhalb, zurück auf Berlin.
Die Idee, von einer Stadt geliebt zu werden ist in der Tat eine schöne, romantische Hoffnung. Nicht gerade etwas, was man von den Einstürzenden Neubauten erwarten würde.
Bargeld: Ja, durchaus. Als ich mit dem Stück fertig war, hatte ich das Gefühl: dafür werde ich geohrfeigt. Warten wir mal ab.
Es geht mir in meiner eigenen Enklave, in meinem schwarzen Garten, auf einem Berg zwischen Nebeln eingeklemmt, gar nicht so schlecht.
Auch das Schlüsselstück der neuen Platte, das neunminütige „Unvollständigkeit“ scheint mir ein Blick zurück zu sein, eine Art Inventur.
Bargeld: Ich wollte damit ein Stück schreiben, das eine gute Bühne für uns ist. Es besteht aus keinem festgelegten Text, sondern aus relativ offenen Klängen und Verzahnungen. Wenn wir das live spielen, beginne ich mit einer Assoziationskette, zum Beispiel über meine „Sieben Sachen“, hangele mich mit dem durch, was mir gerade einfällt, was für mich gerade aktuell ist. Strukturiert wird das durch zwei Stellen, die wir den kleinen und den großen Berg nennen, auf denen das Wort Unvollständigkeit skandiert wird. Das ist eine relativ offene Art, mit Ideen umzugehen, beinahe schon Jazz. Leider muss ich sagen, dass ich die Textversion auf der Platte nicht für die beste halte, aber besser ging es in dem Moment nicht.
Dieses assoziierende Aufzählen klingt wie ein Ritual, eine Selbstreinigung.
Bargeld: Es ist einfach ein Bühnenstück. Im Unterschied zu „Nagorny Karabach“, das ein Lied ist und sich live gespielt nicht großartig von der Platte unterscheidet.
Aber der Eindruck entsteht, dass es für Sie wichtig ist, in regelmäßigen Abständen inne zu halten und Bilanz zu ziehen.
Bargeld: Für mich repräsentiert jede unserer Platten auch einen bestimmten Abschnitt in meinem Leben. Wenn ich die alten Platten höre, was ich nicht gerade häufig mache, dann höre ich auch Blixa 1982 oder Blixa 1989. Da höre die ganzen Zusammenhänge, die Liebe und was mich sonst gerade beschäftigt. Zum Beispiel bei Platten wie „Tabula Rasa“ oder „Ende Neu“ habe ich aber versucht, bewusst textliche Konzept umzusetzen, etwa alles in erster Person Plural zu schreiben. Für „Alles wieder offen“ habe ich eine relativ lange Zeit Texte gesammelt und sie in einer relativ kurzen Zeit, in der ersten Person Singular fertig geschrieben. Ich habe mir gesagt: ich halte nichts zurück, ich lasse alles zu, stecke so viel von mir rein, wie ich will. Deswegen ist fast die ganze Platte ein „Ich, Ich, Ich“ geworden und ist, mehr als alle anderen, plump gesagt autobiografisch.
Womit wir zum Titel „Let’s Do it a DaDa“ kommen, einem persönlich gefärbten Kapitel Kunstgeschichte.
Bargeld: Ja (lacht). Im Leben eines jeden Menschen muss es eine Periode geben, in der er von dem fasziniert ist, was als Dadaismus bezeichnet wird. Bei mir war das auch so. Und „Let’s Do it a Dada“ ist wirklich kein Text, an dem ich lange feilen musste. Das war ein Lautgedicht und dann musste ich nur noch die Fakten checken, um zu sehen, dass ich keinen sachlichen Fehler mache.
Ist es für einen Liedtext wichtig, historische Fakten, wie den Wohnort des Dadaisten Wieland Herzfelde korrekt wiederzugeben?
Bargeld: In dem Fall sind akkurate Fakten gerade der Witz. Noch heute bekommt man bei Wikipedia und in den Büchern über Kunstgeschichte aufgetischt, dass der Name DaDa zufällig im Wörterbuch gefunden worden sei, als Bezeichnung für das Stammeln eines Kindes oder ähnlichen Kram. Aber vor ein paar Jahren hatte sich jemand die Mühe gemacht herauszufinden, was DaDa wirklich heißt. Es gab ein paar Meldungen in entsprechenden Zeitungen, ich habe es in der taz gelesen und seitdem ist es wieder vergessen. Überall steht noch derselbe alte Müll. Deswegen habe ich gedacht, setzten wir dem doch mal ein Denkmal, wir veröffentlichen dieses Rätsel. Ich verrate die Lösung nicht, die kann jeder selbst nach recherchieren. Ich warte mal, was passiert.
… und ob möglicherweise der Eintrag im Wikipedia geändert wird.
Bargeld: Ja, das wäre ganz schön, aber scheinbar besteht kein Bedarf daran, die gestrickte Legende zu unterminieren.
In dem Lied raunen Sie einer Geliebten zu, nur „Du und ich mein Liebling, wir wissen was es heißt.“ Als würde Kunst zu einer Geheimsprache zwischen Liebenden werden. Ist vielleicht nur so Liebe zwischen Künstlern möglich?
Bargeld: Das klingt wie eine gute Frage, aber ich wüsste nicht, wie ich sie beantworten soll.
Anders gefragt, können Künstler eigentlich nur mit Künstlern leben und lieben?
Bargeld: Ich weiß, es ist üblich, dass Ärzte Ärzte und Schauspieler Schauspieler heiraten. Aber meine Frau ist keine Künstlerin. Sie ist Mathematikerin. Ihr Fachgebiet ist Logik. (lacht)
Musik und Mathematik sind doch verwandt. Das ergänzt sich bestimmt hervorragend.
Bargeld: Das sagt man so, wenn man uns sieht, ja.
Eine letzte Frage. Sogar Menschen, die in Berlin wohnen, bemerken, wie sich die Stadt vor ihren Augen verändert. Wie beobachten Sie diese Entwicklungen, wenn Sie von Ihren Wohnsitzen in San Francisco und Peking hin und wieder zurück nach Berlin kommen?
Bargeld: Berlin ist sprunghaft. Ich sehe Lokale öffnen und wenn ich das nächste Mal komme, sind die wieder zu. Ich bin zwar gebürtiger Berliner, aber wenn ich jetzt ne Karte zeichnen müsste mit den Orten, in denen ich mich in Berlin bewege, dann wäre der größte Teil Berlins für mich immer noch weiß, terra inkognita. Allerdings geht das wohl den meisten Leuten so, außer den Taxifahrern.
Die meisten Berliner haben kein wirkliches Gefühl für die Größe ihrer Stadt, weil sie aus ihrer unmittelbaren Umgebung so selten herauskommen. Berlin als Metropole entsteht eher in den Medien und in den Augen der Touristen.
Bargeld: Ich bin selber auf der Sozialhilfeseite von Berlin-Friedenau aufgewachsen. Die andere Seite von Friedenau ist ja eher eine Gegend für Günter Grass und seine Freunde. Meine Mutter wohnt immer noch in der Wohnung, in der ich groß geworden bin. Eine Schwester wohnt zwei Häuser weiter, die andere wohnt zwei Straßen entfernt. Nur mein Bruder hat es über die Grenzen Friedenaus geschafft, bis nach Berlin-Charlottenburg. Aber aus dem Bezirk kommt er auch nicht heraus.
Was würden Sie aus Ihren anderen Wohnorten nach Berlin verpflanzen?
Bargeld: Da gibt es einiges, was ich in Berlin vermisse. Es ist keine Legende, dass man chinesisch essen nur in China kann. Und den spürbaren Optimismus würde ich gerne nach Berlin mitnehmen. In Peking heißt es: Alles wird besser. Vor drei Jahren ging es uns schlechter, meinem Vater ging es schlechter, meinem Großvater ging es noch schlechter – es wird immer besser, jeden Monat, jede Woche. Das ist natürlich das komplette Gegenteil von dem Lebensgefühl, das du hier in Berlin kriegst.