Herr Wartke, wie nennt man das, wenn man „lange … Leben“ auf „unange-nehm“ reimt, wie in Ihrem Gedicht „Die Schlange“?
Bodo Wartke: Das ist einer von den Reimen, den man in keinem Reimlexikon findet, ein sehr unorthodoxer. So etwas macht mir große Freude, wortübergreifend, satzübergreifend, innerhalb eines Wortes zu reimen, Reime dort zu finden, wo man sie nicht vermuten würde.
Können Sie auch ohne Reime dichten?
Wartke: Vom Ursprung des Wortes her ist Dichtung ja Verdichtung, also die Fähigkeit, in wenigen Worten ganze Kosmen auf den Punkt zu bringen. Dazu bedarf es erstmal nicht den Reim. Ich benutze Reime sehr gern, weil ich finde, dass sie die Sprache zum Klingen bringen, also die Musik der Sprache wecken. Und das ist ja das, was mich interessiert, die Verbindung aus Musik und Sprache.
Steckt hinter Ihren unorthodoxen Reimen eine lange Suche?
Wartke: Mitunter. Oft ist es so, dass mir diese Reime wie Blüten am Wegesrand begegnen. Ich stolpere drüber, ohne aktiv danach gesucht zu haben. Ich glaube, ich habe ein größeres Bewusstsein für Eigenheiten unserer Sprache, Wortspiele, Ähnlichkeiten, Gleichklänge. Andere übersehen diese Blüten oft und ich bin dann derjenige, der es zur Sprache bringt.
Wie gelangen Sie an den Wegesrand? Durch das Brüten am Schreibtisch?
Wartke: Zum Beispiel, wenn ich einen Song schreibe. Ich habe ein Thema und den Wunsch, darüber ein Lied zu schreiben, aber am Anfang weiß ich noch überhaupt nichts: Wo reimt sich was? Sind das Paarreime oder Kreuzreime? Was hat das für einen Takt? Ich laufe erst einmal los, ohne genau zu wissen, wohin. Und dann stolpere ich automatisch über das eine oder andere. Wichtig ist erst einmal, loszulaufen. Das ist ja gerade das Spannende, während ich ein Lied schreibe, überrasche ich mich die ganze Zeit selber. Ich könnte mich nicht hinsetzen, so mit Arbeitsbeginn 9 Uhr und zur Mittagspause muss ein Song fertig sein. Der kreative Prozess ist sehr schwer zu ökonomisieren. Es ist nicht möglich, auf Knopfdruck zu schreiben. Für mich ist wichtig, die gedanklichen Freiräume zu schaffen, dass so etwas entstehen kann. Einfach spielerisch rumprobieren, gucken, was einem begegnet.
Und wenn einem nichts begegnet?
Wartke: Das ist auch ok. Liegenlassen und erst mal etwas anderes machen. Es ist im Grunde ein Prozess des permanenten Loslassens und des Auf-sich-Zukommen-Lassens. Und des Vertrauens: Das wird schon, das findet mich, ich muss nicht danach suchen.
Viele meiner Liebeslieder sind nur vordergründig ein Liebeslied, eigentlich geht es um etwas völlig anderes.
In der modernen deutschen Lyrik ist der Reim heute selten. Bedauern Sie, dass heute hauptsächlich Rapper, Poetry-Slammer und Klavierkabarettisten reimen?
Wartke: Es gibt auch Dinge, die sich nicht reimen, die mir gut gefallen. Reime sind halt nur ein Mittel unter vielen. Was mir keinen Spaß macht, sind Texte, die gut gereimt sind, aber im Grunde null Inhalt haben. Mir ist schon wichtig, dass auch etwas dahinter steckt, dass man mit den Reimen auch etwas zu sagen hat.
So wie Ihr Gedicht „Die Schlange“?
Wartke: Naja gut, das ist ja ein ziemliches Nonsens-Gedicht. Das ist einfach aus dem spielerischen Umgang mit Sprache heraus entstanden. Manchmal sind tatsächlich auch erst die Reime da und daraus entsteht dann der Inhalt. Das finde ich auch lustig, zu sehen: Wo führt das hin?
Sie haben Ihr Programm auch schon einmal in Edinburgh auf Englisch vorgetragen. Welche Vorzüge und Nachteile der deutschen Sprache sind Ihnen dabei bewusst geworden?
Wartke: Der Vorteil besteht darin, dass ich mich auf Deutsch am besten ausdrücken kann, in meiner Muttersprache bin ich am sprachgewandtesten, allein, was die Kenntnis von Synonymen betrifft. Im Englischen ist mein aktiver Wortschatz kleiner, trotzdem ist es mir bisher gut gelungen, zum Teil mit Hilfe von befreundeten Muttersprachlern und professionellen Übersetzern, die Komik meiner Texte ins Englische zu übertragen. Das geht natürlich nicht immer eins zu eins, manchmal entsteht so auch etwas völlig Neues. Und bei einem Lied, „Blues, Baby, Blues“ ist es mir sogar gelungen, dass es sich auf Englisch besser reimt als auf Deutsch.
Gibt es Dinge, die auf Deutsch generell besser funktionieren als auf Englisch?
Wartke: Um das zu vergleichen kann ich Englisch nicht gut genug. Man sagt der deutschen Sprache ja nach, sie sei sehr präzise. Nicht umsonst ist die deutsche Sprache auch die Sprache der Geisteswissenschaften und der Psychologie, auch in Übersetzungen werden bestimmte Begriffe nach wie vor auf Deutsch benannt, weil es dafür keine bessere Umschreibung gibt.
Dass die deutsche Sprache hart und sperrig klingt, was ihr häufig nachgesagt wird, erlebe ich so jedenfalls nicht. Ich finde, dass sie toll klingt und einfach wahnsinnig viele Möglichkeiten bietet.
Sind Sie beim Reimen Autodidakt?
Wartke: Ich bin Autodidakt, ja. Ich kann mich erinnern, wie mein Deutschlehrer irgendwann mal erklärte, es gäbe zweisilbige und einsilbige Endreime. Als ich ihn fragte, was denn mit dreisilbigen und viersilbigen Endreimen sei, sagte er: „Die gibt es nicht.“ – Aber natürlich gibt’s die! Das war mir damals schon klar. Es reimt sich ja noch geiler, wenn’s auch die dritte und die vierte und vielleicht sogar die fünfte Endsilbe ist.
Hatten Sie das von Georg Kreisler?
Wartke: Nein, den kannte ich zu der Zeit noch nicht. Ich habe als Kind einfach mit der Sprache rumexperimentiert und auch schon Gedichte geschrieben. Ich habe die neulich mal wieder gelesen, total abgefahren auf was für Ideen ich da gekommen bin! Das war zum Teil natürlich sehr ungelenk, aber damals wurde der Samen bereits gesät.
Und Kreisler?
Wartke: Als ich das erste Mal Georg Kreisler gehört habe, war ich 16 oder 17, zu der Zeit hatte ich bereits vier Songs geschrieben. Kreisler war für mich eine reine Offenbarung, weil ich dadurch gemerkt habe, was eigentlich alles möglich ist. Das hat mich noch weiter angespornt.
Manche Ihrer Reime erinnern an eine Technik, die Rapper häufig verwenden, wenn die Reim-Wörter identisch sind aber eine unterschiedliche Bedeutung bekommen, wie in einem Ihrer Gedichte die Zeile:
„Die Leute damals im Mittelalter,
die hatten echt voll keine Mittel, Alter!“
Wartke: Ja, identische Reime. Das finde ich sehr spannend. Ein befreundeter Kollege, Helge Thun aus Tübingen, hat Doppelwortgedichte zu einer Reimdisziplin erhoben. Die Regel besagt, dass ein Vierzeilergedicht in der letzten Zeile auf einen identischen Reim enden muss. Zum Beispiel das hier von Pit Hartling, „Im Baumarkt“:
Kurz entschlossen kauft Herr Klein
den Lacktisch, Modell „Profi“ ein.
Ich kaufe, denkt Herr Klein sich praktisch,
den Profi-Lacktisch prophylaktisch.“
Wenn wir zusammen auftreten, battlen wir uns in dieser Disziplin, wer in der letzten Zeile mehr identische Reime hat.
Sich „battlen“ kommt ja auch aus dem HipHop.
Wartke: Richtig, nur dissen wir uns nicht gegenseitig. Und wir sind besser angezogen (lacht).
Ich finde deutschen Rap in Teilen gut. Was mir oft nicht gefällt, ist die Attitüde, also frauenverachtend, schwulenfeindlich usw. Ich finde ziemlich viel im deutschen Hip Hop total asi.
Und auf sprachlich-technischer Ebene?
Wartke: Frauenverachtung wird nicht besser dadurch, dass sie gereimt vorgetragen wird.
Was mir bei HipHop gefällt, ist der Umgang mit Sprache auf melodiöser Ebene: Flow, Flavour, Style. Da finde ich Eminem fantastisch, es klingt einfach so cool, wenn der rappt. Bei deutschem HipHop sind für mich die Fantastischen Vier und Fettes Brot nach wie vor ungeschlagen. Und eine neue Hoffnung des deutschen HipHop ist Käptn Peng, den finde ich sensationell.
Aber Bushido und Sido – nein, muss nicht sein. Nicht mein Geschmack.
Jener Sido sagte uns einmal im Gespräch: „Wir (Rapper) sind die neuen Poeten“ – weil es ja heute keine populären Dichter mehr gibt.
Wartke: Aha. Ja, das zeugt von einem großen Selbstbewusstsein.
Aber wer sind die großen Poeten heute, wenn also nicht Sido & Co?
Wartke: Sido halte ich nicht für einen Poeten, sorry. Er mag ein guter Rapper sein, aber ich finde nicht poetisch, was er sagt. Ich halte Christof Stählin für einen großen Poeten. Und Sebastian Krämer, der ist in meinen Augen ein richtiger Poet.
Aber, darf ich noch ein Gedicht vortragen? Mit identischen Reimen? Es heißt „Der Fleischwarenverkäufer“:
Man fragt mich manchmal, mich den Schlachter:
„So’n Schlachter, sagen Sie, was macht der?“
Worauf ich immer repondiere:
„Ich filetiere viele Tiere.“
Einer von uns hat es sogar geschafft, vier gleichklingende Worte auf einander zu reimen, ein anderer sogar fünf.
Nur zu…
Das Vierergedicht „Der kubanische Geiger“ von Jakob Nacken geht so:
Ich spiele gerne bis zur Neige
auf des Fidel Castros Geige.
Das macht so schon „Di didel didel“,
wenn ich die Fidel-Fiedel fidel fiedel.
Oder der Fünfervon Helge Thun zu guter Letzt, „Der fremdsprachenbegabte Süßwaren-Einzelhandelsfachverkäufer“:
Egal ob eingepackt, ob lose,
für jedes Bonbon bon ich einen Bon.
Was sagt wohl dazu der Franzose,
wenn ich ‘nen Bonbon-Bon bon? – „Bon!“
Eine Ihrer Spezialitäten ist das „benutzerdefinierte Liebeslied“, bei dem Sie zu verschiedenen Frauennamen etwas dichten. Mehr als 600 dieser Liebeslieder gibt es schon – sind Sie eine Art moderner Minnesänger?
Wartke: Ja. (lacht) Das könnte man so sagen.
Was zeichnet das aus?
Wartke: Also, ich habe nicht Germanistik studiert, aber soweit ich weiß, ging es bei der Minne nicht nur darum, Frauen zu huldigen, sondern es war vor allem auch hochpolitisch. Auf einer subversiven Ebene wurden tagespolitische Sachen verhandelt.Das mache ich auch, viele meiner Liebeslieder sind nur vordergründig ein Liebeslied, eigentlich geht es um etwas völlig anderes.
Und ich finde es generell schön, Frauen zu huldigen. Minnegesang ist glaube ich auch davon geprägt, dass er von unerfüllter Liebe handelt. Bisher war es auch so, dass mich unerfüllte Liebe eher zu Songs inspiriert hat, als erfüllte. Denn wenn sie sich erfüllt, hat man fürs Liedermachen vielleicht gar keine Zeit mehr. Unerfüllte Liebe ist das, wodurch bisher die meisten Songs entstanden sind. Das ging den Minnesängern vermutlich ähnlich.
Welcher Frauenname war bislang der schwierigste?
Wartke: Mechthild. Das war nicht ganz leicht, ist mir aber gelungen.
Sind Sie eigentlich froh, dass Sie nicht auf Männernamen reimen müssen?
Wartke: (lacht) Sagen wir so: Ich habe angefangen, jeden Frauennamen zu bereimen, ohne zu wissen, was da auf mich zukommt. Inzwischen sind es 700 Strophen, und das sind noch lange nicht alle Namen, die es so gibt, denn mir begegnet eigentlich jeden Tag ein neuer Frauenname. Und ich gehe davon aus, dass es mindestens genauso viele Männervornamen gibt. Wollte ich die nun auch alle betexten – um Gottes willen! Hätte ich bei den Frauen vorher gewusst, ich würde 700 Strophen schreiben, dann hätte ich womöglich gar nicht erst angefangen.
Apropos Frauen, warum gibt es so wenig von ihnen im Kabarett?
Wartke: Das ist schwer zu sagen. Ich habe da mehrere Vermutungen: Ich stelle bei vielen Menschen fest, dass sie großes Talent haben, sich aber nicht trauen, damit auf die Bühne zu gehen. Weil sie befürchten: Oh, was passiert, wenn es nicht klappt? – Ich sage dann immer: Was, wenn doch? Kann ja auch sein, dass es klappt.
Die Angst davor, damit zu scheitern, ist möglicherweise bei Frauen hierzulande eher verbreitet. Das könnte eine mögliche Antwort sein. Und vermutlich ist das Bedürfnis bei Männern größer, sich zu exponieren, sich vor anderen Leuten auf die Bühne zu stellen – „so, jetzt komme ich, guckt mal was ich kann.“
Aber woher kommt die Angst, von der Sie sprechen?
Wartke: Ich glaube, dass das ein Kulturphänomen ist. Ich stelle hierzulande fest, dass viele Menschen – Männer wie Frauen – sich einfach nicht trauen, das zu tun, was sie gerne täten. Weil sie nicht für möglich halten, dass es geht. Weil es auch nicht zu unserer Kultur gehört, sie darin zu ermuntern und zu bestärken.
Weil es nicht zu unserer Kultur gehört?
Wartke: Was wir von Kindesbeinen an lernen, in der Schule, in der Uni, ist doch, Wege zu gehen, die andere schon gegangen sind. Dinge zu reproduzieren, anstatt sie völlig neu zu machen. Probiert es doch mal anders als die Vorgänger! Nein, dir wird beigebracht: So geht es und nicht anders. Und wenn du es anders machst, kriegst du eine Sechs. Das ging mir selbst in der Schule schon mördermäßig gegen den Strich. Wie wir „König Ödipus“ gemacht haben, fand ich total langweilig. Deswegen habe ich mich hingesetzt, mein eigenes Theaterstück geschrieben und mir vorgestellt: Wie müsste das sein, damit ich das geil finde? Wie müssen Reime sein, damit ich das super finde? Nicht so, wie sie mir im Deutschunterricht beigebracht wurden.
Aber zu unserer Kultur gehört es, die Sachen so zu machen, wie wir es immer schon gemacht haben. Nach dem Motto: Was vor 1000 Jahren gut war, kann heute nicht schlecht sein.
Sie gehen auch mit großer Big-Band, mit dem Capital Dance Orchestra auf die Bühne. Büßt Ihre Show dadurch an Spontaneität ein?
Wartke: Ja, aber es entsteht etwas anderes. Ich kann das Tempo jetzt nicht plötzlich total verändern. An den Stellen, die einen punktgenauen Einsatz erfordern, proben wir auch am meisten. Aber es ist dann wiederum sehr beglückend, wenn das gemeinsam klappt, wenn das Capital Dance Orchestra, die Backgroundsängerinnen und ich, also wenn der ganze Klangkörper atmet als wäre es ein Organismus.
Und dann genieße ich die neu gewonnene Freiheit, zu den Liedern tanzen zu können, mich bewegen zu können, mit dem Dirigenten interagieren zu können, zu stehen anstatt zu sitzen….
Bekommt man denn 30er Jahre-Flair in ein Gebäude wie beispielsweise das Berliner Tempodrom?
Wartke: Architektonisch gefällt mir das Tempodrom auch nicht. Aber es ist in dieser Größe der einzige Laden, den wir haben in Berlin. Sicher, wir spielen in einer Besetzung, in der hier im 19. Jahrhundert die Tanzpaläste bespielt wurden, kleine BigBand-Besetzung plus Streicher. Wir versuchen aber nicht, originalgetreu die 30er Jahre auf die Bühne zu bringen. Was wir machen ist nicht retro. Ich liebe den Swing, aber ich bin nicht der Meinung, dass wir uns genauso kleiden und genauso spielen müssen wie in den 30ern. Ich mache das, was ich immer schon gemacht habe: meine eigenen Lieder. Swing, aber nicht originalgetreu, sondern Bodo-Style.
Warum ist die Swing-Welle eigentlich immer noch da?
Wartke: Weil das einfach geil ist. Mir gefällt diese Art zu tanzen total. Die Verabredung ist: Wir haben Spaß miteinander. Die Musik kickt mich, die Swing-Tänzer sind alle am Grinsen. Es ist aus dem Jazz entstanden, aus Improvisation, es geht nicht darum, Figuren korrekt zu tanzen. Viele Leute trauen sich ja bestimmte Tänze nicht zu, weil sie Angst davor haben, Fehler zu machen.
Da sind wir beim Thema von vorhin…
Wartke: Ja, die Leute haben Angst, sich zu blamieren. Aber Swing-Tanzen ist – genauso wie der Jazz – aus Fehler-Machen entstanden. Eine berühmte Luftfigur im Swing, „the snatch“, ist aus einem Fehler entstanden, weil damals der Choreograf Frankie Manning seine Tanzpartnerin nach einem Wurf falsch aufgefangen und sie wieder zurück geworfen hat. Alle anderen dachten: Cool, was für ein toller Trick.
So ist ganz viel entstanden in der Geschichte der Menschheit, Penicillin zum Beispiel.
Helfen Ihnen die Fehler beim Komponieren?
Wartke: Wenn ich komponiere, passiert es, dass ich daneben greife und merke: Geil, Jazz! Keine Ahnung, was das für ein Akkord ist, aber er klingt fett, den nehme ich. Keine Angst mehr vor Fehlern zu haben, weil in ihnen großes Potential schlummert – dieser Gedanke befreit mich total. Das macht mich angstfrei. Es geht nicht darum, Dinge richtig oder falsch zu machen, sondern darum, Spaß zu haben.
Teil unserer Kultur ist, zu denken, ich darf es nicht machen, bevor ich es nicht kann. Ich muss erst lernen, wie es geht, muss erst zur Universität gehen und meinen Abschluss machen, erst dann darf ich mich Musiker nennen. So etwas hemmte mich damals total. Denn viele Wege führen nach Rom. Man kann viel lernen an der Musikhochschule, aber eben nur bestimmte Dinge. Die anderen findest du, wenn du selbst anfängst, zu suchen. Der Weg ist wahrscheinlich schwieriger und von Fehlern gesäumt, aber du entdeckst ganz andere Dinge, über die du sonst nicht gestolpert wärst.
Sie selbst waren an der Berliner UdK, haben aber Ihr Studium…
Wartke: …nicht zu Ende gemacht. Aber ich bin weit gekommen.
Wäre auch mit Diplom diese Form von Musikkabarett entstanden?
Wartke: Ich habe das ja schon vorher gemacht. Viele vermuten, ich würde Musikkabarett machen, weil ich Musik studiert habe. Aber nein, ich mache Musikkabarett obwohl ich Musik studiert habe.
Aha.
Wartke: Ich habe auf Lehramt studiert, ich könnte mir auch vorstellen, Lehrer zu sein. Nur, vieles was im Lehrplan steht, halte ich für völlig realitätsfern, ich hätte kein Bock, das so zu unterrichten. In meinem jetzigen Job habe ich die Freiheit, die antike Tragödie so zu thematisieren, wie ich das geil finde. Und zu meinem großen Entzücken stelle ich fest, dass ich pädagogisch wirksam bin. Es kommen jetzt ganze Deutsch-Leistungskurse zu mir und gucken sich „König Ödipus“ an, weil die Schüler gesagt haben: Das wollen wir sehen. Es gab welche, die danach zu mir kamen und sagten: Jetzt haben wir endlich mal das Stück verstanden.
In einem meiner Programme erkläre ich 12-Ton-Musik – inzwischen verwenden Musiklehrer diesen Videoclip, um ihren Schülern diese Musik nahe zu bringen.
Was diese Dinge angeht bin ich einerseits kompetent, andererseits aber auch total respektlos.
Wenn Sie über die deutsche Architektur oder die Loveparade singen – entspricht die dort umschriebene Ablehnung auch Ihrer persönlichen Haltung?
Wartke: Ja, ich finde beides fantasielos und monoton. Ich finde, dass Monotonie und Fantasielosigkeit in Architektur und elektronischer Musik zum Ausdruck kommt. Nicht immer und nicht überall, aber ich vermisse oft Liebe zum Detail.
Die Bauhaus-Architektur zum Beispiel, da gibt es wenig, was ich daran gut finde. Ich meine diese kalte, ökonomische quadermäßige Architektur. Die Neue Nationalgalerie – okay sie erfüllt ihren Zweck als Galerie und als solche finde ich sie auch spannend. Aber wäre das ein Wohnhaus, au Backe! Oder Berlin-Gropiusstadt, oder die Gebäude von Le Corbusier – um Himmels Willen! Das ist mir zu deprimierend. Das ist ja auch Ausdruck einer Haltung, wie wir sie in vielen anderen Lebensbereichen haben.
Zum Beispiel?
Wartke: Wir könnten in Deutschland besseres Fernsehen machen, das Material dafür ist vorhanden, es gibt das Know-how, das Personal und das Bedürfnis – trotzdem findet es nicht statt. Weil am Ende nicht die Leute entscheiden, die das Bedürfnis haben, gutes Fernsehen zu machen, sondern die Politik oder die Ökonomie. Es heißt dann „ist nicht gut für die Quote, lohnt sich nicht“ oder „wir machen es mal lieber schön billig und effizient“ – so werden auch Häuser gebaut. Anstatt dass sich die Leute fragen: Wie müsste es sein, damit es hervorragend und einzigartig ist? Wie es sein könnte, das sieht man ja zum Beispiel bei Kirchen oder Moscheen.
Wie meinen Sie das?
Wartke: Die werden aus einer ganz anderen Motivation heraus gebaut, um Gott zu ehren. Also gilt das Motto: „Wir bauen das Prächtigste was uns möglich ist, auch wenn es hunderte von Jahren dauert.“ Das sieht man den Gebäuden einfach an, die Leute stehen vor dem Kölner Dom oder vor der Berliner Moschee an der Hasenheide und sagen: Wow! Dort kommt einfach eine ganz andere Haltung zum Ausdruck, da gibt es auch Liebe zum Detail. Was mir nicht gefällt ist die Lieblosigkeit, in der Musik, der Architektur, im Fernsehen…
Wenn Sie sich über so etwas auf der Bühne empören, benutzen Sie allerdings nicht den Holzhammer, Sie sind selten radikal.
Wartke: Ich äußere Kritik auf eine andere Art und Weise, wahrscheinlich subtiler. Und ich finde positive Umdeutung spannend. Ich muss nicht über etwas herziehen, sondern ich betrachte es dann aus einem anderen Blickwinkel und frage: Was ist denn toll daran, wenn man mehrere Stunden im ICE auf freier Strecke steht? Zum Beispiel, die Leute, die man dann kennen lernen kann. Davon zu erzählen finde ich viel lustiger, als sich plump über etwas aufzuregen. Mir fällt es leichter, mit Dingen umzugehen wenn ich ihnen Humor abgewinnen kann.
Wobei das Kritische trotzdem erhalten bleibt. Ich finde es schon wichtig, seine Meinung zu sagen.
Liebäugeln Sie manchmal mit einer schwarzhumorigen Haltung?
Wartke: Ich mag schwarzen Humor, der kommt in einigen meiner Werke auch sehr zum Tragen. Was mir nicht gefällt, ist Zynismus. Zynismus ist in meinen Augen als Humor getarnte Verbitterung. Das ist auch spürbar. Wenn Leute zynisch sind – sei es auf der Bühne oder privat – finde ich das immer unangenehm. Auch wenn ich selbst mal zynisch bin, geht es mir dabei nicht gut.
Müssen Sie alles selbst schreiben oder interpretieren Sie auch die Texte von anderen Künstlern?
Selten. Bei Fremdrepertoire denke ich oft: Das gibt’s ja schon. Oder: Das können andere Leute besser. Georg Kreisler kann nach wie vor niemand so gut singen wie Georg Kreisler selbst und vielleicht noch Tim Fischer. Die beide sind die besten Interpreten von Georg Kreisler die ich bisher gehört habe.
Ich finde es interessanter, ein guter Bodo Wartke-Interpret zu sein als ein vielleicht nicht so guter Georg Kreisler-Interpret.
Sie haben sich mal beklagt, dass Sie meistens nur auf Nischen-Sendern wie 3Sat stattfinden. Woran liegt das?
Wartke: Bei den andren passe ich offenbar nicht rein. 3Sat ist der einzige Sender, der sich traut von Musikkabarettisten wie mir mehr als zweieinhalb Minuten zu senden und der mir außerdem Gestaltungsfreiheit lässt. Woanders wird einem gerne reingequatscht: „Herr Wartke können Sie das Lied bitte kürzen, Musik ist schlecht für Quote.“ Wobei ich das für völligen Blödsinn halte, dass die Leute bei Musik sofort wegschalten. Aber davon sind die Macher halt überzeugt. Und wenn die glauben, Fernsehen so produzieren zu müssen, dann bin ich dafür der Falsche.
Was ist mit Privatsendern?
Wartke: Im Privatfernsehen würde ich niemals auftreten. Die Sender gießen die ganze Zeit die Werbejauche auf uns, wo sie nur können. Das ist deren Geschäftsmodell, aber ich mag das nicht. Ich finde auch vieles, was dort gesendet wird, menschenverachtend und zynisch. Lass dir von Herrn Bohlen sagen ob du singen kannst und von Heidi Klum ob schön bist. Und wenn du von Dieter Bohlen als guter Sänger auserkoren wirst, darfst du seine Lieder singen.
Nein, ich muss nicht zu den Spamsendern gehen, mein Publikum findet mich zum Glück auch so. Mein Karriereziel habe ich im Grunde auch schon erreicht, das da lautet, im Privatfernsehen und in der „Bild“-Zeitung unerwähnt zu bleiben. Die wissen gar nicht, wer ich bin, die finden das nicht interessant – und das ist total in Ordnung.
Zum Schluss: Paul Kuhn sagte uns im Gespräch, „Swing ist eine Sache, die man entweder hat, oder man hat sie nicht.“ Stimmen Sie ihm zu?
Wartke: Der Leiter unseres Orchesters David Canisius sagt, Swing ist ein Lebensgefühl. Dem stimme ich zu. Für mich geht es nicht darum, ob man alle Noten richtig spielt, sondern ob man es empfindet. Man hört Musik immer an woher sie kommt, ob sie wirklich von Herzen kommt. Und da hat Paul Kuhn, glaube ich, Recht. Dieses Empfinden und das eigene Gefühl rauslassen, zum Beispiel beim Klavierspielen, das hat man oder man hat es nicht. Bei Musik wird diese Fähigkeit hörbar, weil sie sich über Schall ereignet.
Wo Herr Wartke den kreativitätstötenden Unterricht in der Schule erwähnt, würde mich mal interessieren, was er von der Schulfrei-Bewegung (bvnl.de, schulfrei-festival.de, schulfrei-bewegung.de) hält. Hat er eigentlich schon ein Lied über Schule verfasst?
Schön dass auch Bodo Käptn Peng so positiv aufgefallen ist. Schade (schon fast traurig!) dass wohl nur selten wirklich „anspruchsvolle“ elektronische Musik seine Phantasie angesprochen hat. Das Klischee, Techno sei monoton stumpfes Geplänker nimmt zwar aktuell dank Minimalisierung wieder zu, dennoch gibt es experimentelle Sparten, in welche ich gerne mal Bodos variable Endsilben-Reimkultur einbauen würde.
Seine Meinung bezüglich deutschem Hip Hop und Zynismus teile ich voll und ganz, doch als Frau bin ich besonders froh, dass es noch Männer gibt, die die Huldigung der Frau auch noch so raffiniert zum Ausdruck bringen können. Bodo Wartke ist ein „echt geiler“ Künstler unserer Zeit – muss wohl am tollen Jahrgang liegen! ;)